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DIE ROLLE DES DOPINGS
IN EINEM THEATER NAMENS TOUR DE FRANCE
Eine rekonstruktive Diskursanalyse
Schriftliche Hausarbeit zur
Erlangung des Grades eines Magister Artium (M.A.)
der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Erstgutachter: Prof. Dr. Robin S. Kähler
Zweitgutachter: Prof. Dr. Manfred Wegner
vorgelegt von Alexander Ohrt
Kiel
April 2009
2
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................................................... 3
Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................................................ 4
1. Einleitung........................................................................................................................................................ 5
1.1 Versuch einer Doping-Definition ................................................................................................................ 8
1.2 Abgrenzung zu nicht behandelten Aspekten ........................................................................................... 11
2. Theoretischer Bezugsrahmen ........................................................................................................................... 14
2.1 Einführung................................................................................................................................................. 14
2.2 Theorie der Selbstdarstellung im Alltag ................................................................................................... 16
2.2.1 Status der Goffmanschen Theorie ...................................................................................................... 20
2.2.2 Die Rahmentheorie............................................................................................................................. 21
2.3 Die Macht des Diskurses........................................................................................................................... 25
2.4 Die Mediale Vermittlung des Sports......................................................................................................... 28
3. Rekonstruktion diskursiver Dopingpraxis bei der Tour de France .................................................................... 30
3.1 Die Gründung der Tour de France ............................................................................................................ 32
3.2 Rahmung I: Der noch uneingeschränkte Dopingdiskurs.......................................................................... 33
3.2.1 Festlegung des Anforderungsprofils ................................................................................................... 34
3.2.2 1924 - Die Affäre Péllissier.................................................................................................................. 35
3.2.3 Hauptsache im Gespräch.................................................................................................................... 37
3.2.4 Etablierung des politischen Schemas.................................................................................................. 37
3.3 Rahmung II: Kurzfristige Problematisierung eines Kavalierdeliktes........................................................ 40
3.3.1 Profit- und Dopingmaximierung......................................................................................................... 40
3.3.2 1967 - Der Tod Tom Simpsons ............................................................................................................ 44
3.3.3 Einführung regelmäßiger Kontrollen .................................................................................................. 48
3.3.4 Etablierung des Geheimhaltungs- und Opferschemas........................................................................ 49
3.4 Rahmung III: Kriminalisierung ................................................................................................................... 53
3.4.1 EPOchaler Radsportboom................................................................................................................... 53
3.4.2 1998 – Die Festina-Affäre................................................................................................................... 57
3.4.3 Institutionalisierung der Anti-Doping Bemühungen........................................................................... 61
3.4.4 Etablierung des Kriminalitäts-Schemas .............................................................................................. 65
3.5 Rahmung IV: Moralische Verdammung .................................................................................................... 69
3.5.1 Das Karriereende von Jan Ullrich........................................................................................................ 69
3.5.2 2007 - Patrik Sinkewitz als medialer Doping-GAU.............................................................................. 76
3.5.3 Kommunikationskontrolle .................................................................................................................. 80
3.5.4 Etablierung des Täter-Schemas .......................................................................................................... 86
4. Zusammenfassung unter Bezugnahme auf die Rolle der Ethik......................................................................... 91
4.1 Der Wandel der Sportethik .................................................................................................................... 91
3
4.2 Moral als mediales Konstruktionsprinzip............................................................................................... 94
4.3. Der Medienskandal................................................................................................................................ 96
5. Fazit................................................................................................................................................................. 100
Erklärung......................................................................................................................................................... 103
Literaturverzeichnis............................................................................................................................................. 104
Abkürzungsverzeichnis
AFLD Agence française de lutte contre le dopage
AMG Arzneimittelgesetz
ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der
Bundesrepublik Deutschland
BDR Bund Deutscher Radfahrer
CAS Internationales Sportschiedsgericht (Court of Arbitration for Sports)
DOSB Deutscher Olympischer Sportbund
dpa Deutsche Presse Agentur
EPA Éditions Philippe Amaury
EPO Erythropoetin
FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung
FFC Französischer Radsport-Verband (Fédération Française Cyclisme)
FR Frankfurter Rundschau
ICAS International Council of Arbitration for Sport
IOC Internationales Olympisches Komitee (International Olympic Committee)
MPCC Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport
NADA Nationale Anti-Doping-Agentur (National Anti-Doping Agency)
NZZ Neue Zürcher Zeitung
UCI Internationaler Radsport-Dachverband (Union Cycliste Internationale)
SZ Süddeutsche Zeitung
sid Sport Informationsdienst
taz die tageszeitung
WADA Welt-Anti-Doping-Agentur (World Anti-Doping Agency)
WADC Welt-Anti-Doping-Code (World Anti-Doping Code)
WDR Westdeutscher Rundfunk
4
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Grafische Darstellung der Imageverluste im Radsport von 2004 bis
2008……………………………………………………………………………………………………………..79
Abbildung 2: Grafische Darstellung von Einflussfaktoren auf das Image des
Radsports von 2001 bis 2007....................…………………………………………………....80
5
1. Einleitung
„Der Profiradsport hat etwas von einem Rattenrennen. Aber wenn ich zu den besten Ratten gehöre, kann ich
mich nicht bremsen“
1
Tom Simpson, Weltmeister und erster Dopingtoter der »Tour de France«
„Der ganze Sport ist eine Bühne, und die Redaktion eines Senders übernimmt die Aufgabe, die im Theater ein
Regisseur hat“
2
Hans Mahr, ehemaliger Informationsdirektor bei RTL
„Tour der Schande“ (o.V., 26.07.2007), „Die Blutspur des Radsports“ (Geisser, 05.08.2007, S.
23), „Radfahr-Mafia“ (Hoeltzenbein, 26.07.2007, S. 4), „Ist der Sport noch zu retten?“
(Plättner, 30.05.2007), „Ein Krieg, bei dem es Opfer gibt“ (Schallenberg, 12.07.2008). Wer die
Überschriften, Leitartikel und Aufmacher europäischer Tages- und Wochenzeitungen,
Magazin-Sendungen und Brennpunkte der Fernsehsender, sowie die Anzahl der Treffer nach
dem Suchbegriff Doping zwischen Juni und Juli im Verlauf der letzten drei Jahre betrachtet,
kann zu folgenden Schlüssen kommen: Doping bedroht unsere Freiheit, schadet unserer
Gesundheit oder zwingt uns in die Armut. Wie sonst ist es zu erklären, dass Betrugsfälle in
einem erdachten Spiel namens Sport einen medialen Sturm der Entrüstung auslösen? Im Juli
2007 ist das Thema »Doping im Radsport/Tour de France« der am umfassendsten
behandelte Inhalt innerhalb der Hauptnachrichtensendungen von ARD, ZDF, RTL und SAT.1.
Mit 365 Minuten rangiert die Thematik vor „Entführungen und Lage in Afghanistan“ (226
Minuten) und dem „Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn“ mit 165 Minuten (vgl. Schöberl,
26.08.2007). Sportrechtliche Vergehen, die keine umfassenden gesellschaftlichen
Auswirkungen besitzen, werden an prominentester medialer Stelle behandelt. Dort wo
normalerweise von Kriegen, Finanzkrisen, Terrorgefahr, Stagnationen auf dem Arbeitsmarkt
oder dem Klimawandel die Rede ist - Themen, deren Auswirkungen jeden Bürger eines
Landes direkt betreffen - erscheint nun die Großaufnahme eines überführten Konsumenten
von verbotenen Stimulanzien in einem gelben Hemd. Die Rede ist von der Tour de France
und dem in den letzten Jahren Stück für Stück enthüllten Dopingsystem im Radsport. Die
öffentliche Aufregung erscheint umso überaschender, da der Radsport im Allgemeinen und
die Frankreich-Rundfahrt im Speziellen von Beginn an auf das Engste mit dem
Dopingphänomen verknüpft ist.
1
(zitiert nach Fotheringham, 2007, S. 166).
2
(zitiert nach Haupt & Pfeil, 02.08.2007, S. 18).
6
Das Phänomen des Dopings scheint in der öffentlichen Wahrnehmung unbestritten. Doper
verstoßen gegen die Moral des Sports und gehören ausgeschlossen. Wenn ein Ausschluss
keinen Sinn mehr macht, weil - wie im Falle der Tour de France - das Doping systematisch
erscheint und kein »sauberer« Fahrer übrig bliebe, wird zunächst die Fernsehübertragung
der Tour de France eingestellt. Im Anschluss werden Forderungen laut, nach denen der
Radsport nicht mehr staatlich gefördert werden dürfe. Optimisten können daraus den
Schluss ziehen, dass Doping damit wirksam verhindert werden kann, während Pessimisten
auf die Vielzahl von betroffenen Sportarten verweisen und insofern nur noch ein Schluss
möglich erscheint: „Der Sport ist tot. Doping hat ihn kaputt gemacht. Die Doper haben ihn
verraten“ (Franke & Ludwig, 2007, S. 10). Schulze und Krauss (2008, S. 7) entgegnen
aufgrund der jahrhundertelangen Dopingtradition mit einer Frage: „Geht der Sport kaputt,
seit es ihn gibt?“ Wenn letzteres der Fall wäre, hätte der Sport nicht den Stellenwert, den er
heute als globaler Wirtschaftsfaktor und staatlich gefördertes Kulturgut besitzt. Selbst die
Tour de France erweist sich, allen Dopingenthüllungen der letzten Jahre zum Trotz, in diesem
Jahr in ihrer 106. Auflage als quicklebendig. Aber warum erfährt das Dopingphänomen eine
derartige gesellschaftliche Aufmerksamkeit, wenn es dem Sport anscheinend doch nicht
gefährlich werden kann?
Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich zwar auf die Tour de France als „Epizentrum“
(Knobbe, 2000, S.139) der aktuellen Dopingdebatte, jedoch ist dieses Phänomen keines, das
außerhalb des Radsports nicht existieren würde. Es tritt nur nicht so deutlich zu Tage. So soll
sich auch zeigen, ob der Radsport mit seinen Superlativen der frühesten Kommerzialisierung,
dem ersten verzeichneten Dopingfall und der scheinbar größten Dichte an öffentlichen
Dopingfällen eher eine Prophezeiung des Spitzensports, als eine Ausnahme darstellt. Wenn
sich im Radsport Entwicklungen zeigen, die aufgrund seiner besonderen Geschichte anderen
Sportarten nur vorweggenommen ist, handelt es sich bei der Tour de France vielleicht
lediglich um eine Stellvertreterdiskussion. Wenn das Dopingphänomen in der Lage ist, das
drittgrößte Sportereignis der Welt (vgl. Leibundgut, 2000, S. 74) mit seiner 106-jährigen
Geschichte in Frage zu stellen, findet am Beispiel des Radsports womöglich eine öffentliche
Verhandlung über die Zukunft des Spitzensports statt. Damit stünde eine der weltweit
größten Unterhaltungsindustrien zur Disposition.
7
Das erkenntnisleitende Interesse, dass sich aus den aufgezeigten Phänomenen ableitet,
lautet in der Folge: Welche Rolle spielt das Doping für den Fortbestand des Spitzensports am
Beispiel der Tour de France? Im Laufe dieser Arbeit soll versucht werden, Aufschluss über
diese Frage zu erhalten. Dabei gilt es, mit Hilfe soziologischer Theorien das Doping-
Phänomen der Tour de France in einen anderen Verstehenshorizont zu transformieren.
Diese Maßnahme soll helfen, die Strukturen des öffentlichen Dopingdiskurses offenzulegen,
dessen Zugang beschränkter zu sein scheint, als gemeinhin angenommen. Die Soziologen
Bette und Schimank (2006, S.35) sprechen von der Etablierung einer „ultrastabilen
Deutungsgemeinschaft“ aus Medien, Sportveranstaltern und der werbetreibenden
Wirtschaft, welche das Phänomen des Dopings öffentlich behandeln. Insofern geht es im
Endeffekt darum, mit welchen Strategien ein Problem behandelt wird, das im Zuge der
Professionalisierung des Sports von seinen bestimmenden Akteuren hervorgerufen wurde
und nun im Falle der Tour de France paradoxerweise ihre Machtposition zu gefährden
scheint. Grundlegend ist der Argumentation Gampers (2000, S. 45) zu folgen, der das
Dopingphänomen in zwei verschiedene Dimensionen aufteilt. Auf der einen Seite steht der
Sportler und sein Umfeld, der nach der Definition der »Welt-Anti-Doping-Agentur« (WADA)
verbotene Substanzen zu sich nimmt und in der Regel darüber schweigt. Auf der anderen
Seite steht die Öffentlichkeit, die Doping nicht praktisch, sondern theoretisch in Form der
massenmedialen Berichterstattung erfährt. In Anlehnung an den Philosophen Michel
Foucault unterscheidet Gamper in diesem Zusammenhang die „soziale Praktik“ der
konkreten Tätigkeiten gegenüber der „diskursiven Praktik“ (ebd.) als deren
Wissenshintergrund. Dafür sollen im Rahmen einer Diskursanalyse unterschiedliche
Interessenshintergründe der am Diskurs beteilgten Akteure beleuchtet werden. Anhand von
ausgewählten Schlüsselereignissen sollen im Laufe der massenmedialen Berichterstattung
der letzten Jahrzehnte die argumentativen Standpunkte von Sportlern, Wirtschaft, Medien,
Tour-Veranstalter und Politik dargestellt werden. Dabei ist anzunehmen, dass sich die
Aussagen in Bezug auf ihre soziale Rolle unterscheiden. Dieser „Definitionswettkampf“
(Keller, 2005, S. 55) um die Beurteilung des Dopingphänomens soll dabei in Bezug auf die
massenmediale Bewertung abschließend unter dem Gesichtspunkt der Ethik betrachtet
werden, deren Bedeutung sich deutlich bei den gängigen Semantiken in Form von
»Dopingsumpf« und »sauberer« vs. »schmutziger« Sport zeigt. Es soll darum gehen, die
8
Regeln des Dopingdiskurses aufzuzeigen. Was darf gesagt werden und was nicht? Der
Diskurs markiert die Spielregeln, sozusagen das Drehbuch für die an der Aufführung der Tour
verantwortlichen Akteure. Ziel ist es, einen Einblick in dieses Drehbuch zu erhalten, um ein
Verständnis für die Rolle des Dopings in einem Theater namens Tour de France zu gewinnen.
Der daraus erfolgende Erkenntniszuwachs mag auch bei der Beurteilung von Dopingfällen in
anderen Feldern des Spitzensports behilflich sein, eine möglichst unvoreingenommene
Sichtweise einzunehmen, weil er einen Blick auf die „Hinterbühne“ (Goffman, 1969, S. 104)
des Spitzensports gestattet.
„Wenn […] die Mechanismen, die diese Entwicklung bestimmen, großenteils
symbolische sind, dann kann man meiner Meinung nach von der Analyse, die sie
aufdeckt, erwarten, daß sie an sich schon dazu beiträgt, die symbolische Gewalt
einzudämmen, die mit Hilfe dieser Mechanismen ja nur solange ausgeübt werden
kann, wie sie unerkannt bleiben“ (Bourdieu, 1995, S. 270).
Im Sinne des Soziologen Bruno Latour (2007, S. 438) soll es darum gehen, aus der moralische
Verdammung des Dopings als „unbestreitbare Tatsache“ wieder eine „umstrittene“ zu
machen, um mit Hilfe einer verfremdenden Betrachtungsweise zu neuen Einsichten zu
gelangen. Im Hinblick darauf gilt es zu prüfen, ob das Dopingphänomen nicht wie vielfach
behauptet eine Ende des Spitzensports bedeutet, sondern dessen öffentliche Verhandlung
im Gegensatz dazu erheblich zur Sicherung des spitzensportlichen Schauspiels beiträgt.
1.1 Versuch einer Doping-Definition
Der Einsatz leistungssteigernder Substanzen ist so alt wie der Sport selbst. Sich innerhalb
eines Wettkampfes einen Vorteil beim Erreichen seiner Ziele gegenüber seinen Mitstreitern
zu verschaffen, stellt ein überindividuelles Phänomen dar und geht zurück bis in das antike
Griechenland (vgl. Hoberman, 1994, S. 125). Im Gegensatz zum damaligen Einsatz von
natürlichen Mitteln3
beinhaltet ein modernes Verständnis des Dopingphänomens eine
Steigerung der menschlichen Leistungsfähigkeit durch künstliche Substanzen (vgl. ebd. S.
120). Entstanden ist diese Auffassung mit dem Auftreten des professionell betriebenen
3
Bereits die Griechen griffen vor über 2000 Jahren auf Kräuter, Pilze und Stierhoden zurück (vgl. Christensen,
1999, S. 5).
9
Sports um 1900 durch eine Kombination von Diskurssträngen aus der Medizin, der
Rechtssprechung und der Sportethik (vgl. Schnyder, 2000, S. 73). So wird der erste offiziell
dokumentierte Dopingfall auf das Jahr 1886 datiert. Der Walliser Arthur Linton fällt nach der
Einnahme leistungssteigernder Mittel während des über 600 Kilometer andauernden
Radrennens Bordeaux-Paris tot vom Rad (vgl. Gamper, 03.09.1999, S. 21). Drei Jahre später
erhält das Wort Doping erstmals Einzug in ein englisches Wörterbuch, bezeichnet dort
allerdings den Einsatz von Opiaten und schmerzstillenden Mitteln zur betrügerischen
Erhöhung der Leistungsfähigkeit im Pferderennsport (vgl. Arndt, Singler, & Treutlein, 2004, S.
12). Die Beurteilung des Dopingphänomens erscheint schwieriger als auf den ersten Blick
vermutet. Das beginnt bei seiner Definition. Hoberman (1994) bezeichnet die Festlegung
einer allgemein anerkannten Sprachregelung als ein existenzielles ethisches Problem der
modernen Sportwissenschaft (vgl. Hoberman, S. 121). Dies hänge vor allem mit der
laufenden Entwicklung neuartiger Substanzen und einem sich stetig wandelnden Verständnis
gegenüber Leistungssteigerung und deren Begrenzung zusammen (vgl. ebd. S.122). So
kritisieren Bette und Schimank (2006) die bisherigen Dopingdefinitionen, die auf Ebene der
Sportverbände in zwei verschiedene Ansätze unterteilt werden können. Der Entwurf des
Europarates von 1963 definiert Doping als
„Verabreichung […] oder […] Gebrauch körperfremder Substanzen in jeder Form und
physiologischer Substanzen in abnormaler Form oder auf abnormalem Weg an
gesunde Personen mit dem einzigen Ziel der künstlichen und unfairen Steigerung der
Leistung im Wettkampf“ (Schröder & Dahlkamp, 2003, S. 259).
Die Autoren führen an, dass sich der Spitzensport grundlegend als chancenungleich, daher
als unfair darstelle, weil Menschen aus aller Welt daran beteiligt und infolge dessen im
direkten Wortsinn weit davon entfernt seien, dieselben Voraussetzungen im Hinblick auf die
gegebenen sozialen oder biologischen Umstände zu teilen. Wer in einem Land wie
Deutschland aufwachse, könne auf ein umfassendes Sportförderungssystem zurückgreifen,
das gerade in nicht entwickelten Ländern fehle (vgl. Bette & Schimank, 2006, S. 177-178).
Weiterhin kann ein Sportler, der in der Höhe lebt, auf natürliche Weise einen
Sauerstoffgehalt im Blut erzielen, der für europäische Athleten neben Höhentrainingslagern
nur durch den Einsatz von Erythropoetin (EPO) zu erzielen ist. In diesem Falle würde erst der
Einsatz von Dopingmitteln die Chancengleichheit wieder herstellen. Der andere Aspekt der
10
Unnatürlichkeit erscheint schon insofern problematisch, da Marijuana oder Kokain ebenso
wie das Eigenblutdoping natürlichen Ursprungs sind, aber gegenüber eines Nichtanwenders
einen unfairen Vorteil verschaffen würden. Auch die Verbindung zur gesundheitlichen
Schädigung lässt die Unnatürlichkeit nicht zweifelsfreier in Bezug auf die Dopingdefinition
werden, da Übertraining und unausgewogene Belastungen über Jahre den Körper des
Spitzensportlers über akute Verletzungen hinaus in gesundheitsgefährdendem Ausmaß
belasten (vgl. ebd. S. 179). „Gesundheit im Leistungssport ist weder Kriterium noch Ziel“
(Heidmann, 2008, S. 40). Sportler lassen sich im Endeffekt den Verbrauch ihrer
Körpersubstanz finanziell erstatten (vgl. ebd. S. 40). Zuletzt zeigt sich der Gebrauch dieser
Begrifflichkeiten im Rahmen der Definition des Europarates besonders in Bezug auf die
Rechtssprechung als problematisch, da ihnen die Trennschärfe fehlt, um Gültigkeit vor einer
sportlichen Gerichtsbarkeit zu besitzen. Deren Notwendigkeit wurde den Sportverbänden
spätestens seit den dopingbedingten Todesfällen der Radfahrer Knud Jensen (1960) und Tom
Simpson (1967) offenkundig.
Die Mängel dieser „Wesensdefinition“ des Europarates sollten durch eine enumerative Liste
vermieden werden, die 1986 vom IOC entwickelt wurde und an die Stelle einer moralischen
Bewertung einen sportrechtlich sanktionierbaren Verbotskatalog setzt. Basierend auf diesem
Ansatz wurde die heute gebräuchliche und rechtlich bindende Doping-Definition im März
2003 auf der Welt-Anti-Doping-Konferenz in Kopenhagen verabschiedet. Die damaligen
Repräsentanten von Sportverbänden aus 80 Nationen und dem IOC verpflichteten sich mit
ihrer Unterschrift zur Umsetzung des »Welt-Anti-Doping-Codes« (WADC). Es wird ein
„Sportsgeist“ propagiert, der auf „Fairness und ehrlicher sportlicher Gesinnung“ im Sinne des
Olympismus fußt (vgl. WADA, 2009, S. 14). Doping stehe folglich im fundamentalen
Widerspruch zu diesen Werten (vgl. ebd.). Die zur Umsetzung des Codes geschaffene »World
Anti-Doping-Agency« (WADA) veröffentlicht mindestens einmal jährlich eine aktuelle Liste
verbotener Wirkstoffe und Methoden. Auf sechs Seiten werden dort folgende Mittel
aufgeführt: Stimulanzien (z.B. Amphetamine), Narkotika (z.B. Heroin), Synthetische anabole
(z.B. Anabolika) sowie körpereigene Steroide (z.B. Testosteron), Beta-2-Agonisten (z.B.
Clenbuterol), Diuretika (zur Verschleierung anderer verbotener Mittel), Peptidhormone (z.B.
Epo) und Kortikoide (zur Steigerung der Belastungsdauer). Weitere vier Seiten verweisen auf
verbotene Methoden zur Leistungssteigerung. Darunter fallen Blutdoping, die Anwendung
11
künstlicher Sauerstoffträger/Plasmaexpander, Urinmanipulation und Gendoping (vgl. Arndt,
2004, S. 48-50). Doping liegt somit vor, wenn ein Athlet oder dessen Umfeld in Form von
Physiotherapeuten, Trainer, Teammanager und weiteren Betreuern gegen die Anti-Doping-
Bestimmungen der WADA verstößt, also beispielsweise bei einer Kontrolle positive Werte
zeigt oder sich der Probenentnahme entzieht (vgl. Arndt, Singler, & Treutelin, 2004, S. 12).
Die definitorischen Unzulänglichkeiten des Europarat Entwurfes konnten zwar behoben
werden, aber neue, unlängst größere Probleme treten an ihre Stelle. Besonders die aus einer
Verbotsliste hervorgehende implizite Aufforderung, dort nicht aufgeführte Mittel verwenden
zu dürfen, wirft erhebliche Defizite auf. „Alles was nicht verboten ist, ist geboten, um mit
den mutmaßlich ebenso kalkulierenden Gegnern mithalten zu können“ (Bette & Schimank,
2006, S. 189). Ein weiteres Problem an der derzeit geltenden Dopingdefinition der WADA
beschreibt Stygermeer (1999, S. 119), indem er deren Rechtssprechung auf die Strafgesetze
überträgt. Demnach könnte ein Giftmörder nur dann verurteilt werden, wenn die Substanz,
die er benutzte, bereits Einzug auf eine Verbotsliste gefunden hat. Zusammenfassend
überrascht die Tatsache, dass die öffentliche Verurteilung des Dopings so eindeutig ausfällt,
wenn gleich das Dopingphänomen so schwer zu definieren ist.
1.2 Abgrenzung zu nicht behandelten Aspekten
Der wissenschaftlichen Umgang mit den Dopingphänomen lässt sich in die Verschärfer
(Franke & Ludwig, 2007), die Präventionalisten (Bette & Schimank, 1995, 2006; Arndt,
Singler & Treutlein, 2004), die Moralisten (Lenk, 2007; Meinberg, 2007), die Anti-Moralisten
(König, 1996; Gebauer, 1997), die Konstruktivisten (Gamper, 2000; Trümpler, 2007) und die
Freigeber (Daumann, 2008; Tamburini, 2000) kategorisieren.
Die Freigeber argumentieren auf der Basis einer grundsätzlichen Unlösbarkeit des
Dopingproblems im Sport, die sich im historischen Verlauf zeige (Daumann, 2008, S. 150).
infolge dessen bliebe als letzte Konsequenz übrig, Doping im Hochleistungssport für
Erwachsene zu liberalisieren, was die Gesundheit der aus der Illegalität befreiten und nun
unter ärztlicher Aufsicht befindlichen Sportler verbessere (ebd. S. 153). Nach rationalen
Aspekten erscheint dieser Zusammenhang nachvollziehbar. Da der Mensch allerdings auch
unter emotionalem Einfluss steht, kann die praktische Durchführbarkeit dieses Ansatzes vor
12
dem Hintergrund der staatlichen Förderung des Spitzensports und der Wahrung des
Kulturguts Sport, inklusive seiner Vorbildfunktion in Zweifel gezogen werden.
Dementsprechend verfolgen die Verschärfer keinen Umsturz, sondern eine Anpassung des
bestehenden Sportsystems. Da das Doping den Sport ermorde (Franke & Ludwig, 2007, S.
10), entwerfen die Autoren einen „Rettungskatalog“ (ebd. S. 231-235), der im Rahmen eines
rigideren Umgangs mit dem Phänomen unter anderem eine Verschärfung der Kontrollen und
lebenslange Sperrung für überführte Sportler fordert.
Im Gegensatz dazu sind die Präventionalisten nicht, wie im Falle der Freigabe oder des
strikteren Verbots, der Ansicht, dass das Dopingproblem lösbar ist, sondern verfolgen das
Ziel, „Doping so unwahrscheinlich, wie möglich zu machen“ (Arndt, Singler, & Treutlein,
2004, S. 19). Dies soll durch eine argumentative Erziehung der Sportler und deren
Verantwortungsträgern erreicht werden. Bette und Schimank (1995, 2006) gehen in ihrem
systemtheoretischen Ansatz grundlegend davon aus, „daß mehrere Akteure durch ihre
Interessenverschränkung transintentinal dazu beitragen, die Dopingfalle herzustellen und
am Leben zu halten“ (Bette & Schimank, 2006, S. 13). Doping entstehe folglich aus der
Tatsache, dass Medien, Wirtschaft, Verbände und der Staat durch die Verfolgung ihrer
individuellen Ziele in Form von positiver Aufmerksamkeit und finanziellen Erträgen den
Sportler dazu bringen, Substanzen einzunehmen, gegen die er sich zu Beginn seiner Karriere
verwehrt hätte. Aus Sicht der Prävention besteht der beste Lösungsansatz darin,
biographische Risiken für den Sportler zu verringern, indem er sich mehr Misserfolg erlauben
kann, wenn ihm sein Umfeld bessere Verdienstmöglichkeiten nach Ende der sportlichen
Karriere in Aussicht stellt (vgl. Bette & Schimank, 2006, S. 236). Die Ergebnisse von Bette und
Schimank erweisen sich als entscheidende Grundlage für das Verständnis des
Dopingphänomens, da nicht nur das Doping, sondern auch das System des Spitzensports als
ein Teil von ihm untersucht wird. Dieser Aspekt ist eine entscheidende Weiterentwicklung
gegenüber der verschärfenden Sichtweise, die es überwiegend dabei belässt, »Dopingtäter«
an den moralischen Pranger zu stellen. Philosophisch und ethisch begründet wird dieser
Pranger durch die Moralisten. Sie setzen sich zum Ziel, eine „Humanisierung“ (Lenk, 2007, S.
60) des Wettkampfes zu bewirken. Dabei dient die Ethik als theoretische Leitlinie, nach der
die Moral als praktische Handlung ausgerichtet werden soll (vgl. Meinberg, 2007, S. 17).
Doping werde in Anlehnung an Bette und Schimank strukturell erzeugt, verstoße gegen die
13
Fairness und solle, wenn das Problem schon nicht lösbar sei, zumindest „kontrollierbar(er)“
(Lenk, 2007, S. 68) gemacht werden. Demgegenüber argumentieren die Anti-Moralisten,
dass eine ebensolche Sichtweise für die Analyse des Dopingphänomen hinderlich ist, da der
wissenschaftlichen Blick zur Wahrung ethischer Ziele beschränkt wird.
„Unter ethischem Aspekt betrachtet, lebt die Antidoping-Moral im Sport von der
Annahme, daß Doping und Sport Antipoden seien, und genau damit verspielt sie die
Chance, am Beispiel des Sports Wesentliches über den Sport in Erfahrung zu bringen“
(König, 1996, S. 233).
Wer die Moral mitsamt ihrer traditionellen Prinzipien wie Chancengleichheit, Fairness und
Gesundheit auf den Spitzensport anzuwenden versucht, impliziert damit eine grundlegende
Ethik in diesem kommerziellen Feld, die nach Gebauer (1997, S. 69-70) nicht vorhanden ist.
„Ein ethischer Sport […] unterstellt dem gegenwärtigen Sport eine geschönte Praxis,
verspricht den punktuellen Einsatz von Heilungskräften der Ethik und läßt alles, wie es ist.
Ein hochwillkommenes intellektuelles Schlafpulver“. Die Kritik an den verschärfenden und
moralisierenden Ansätzen zielt darauf ab, die Systemimmanenz des Dopings im Spitzensport
(vgl. Haug 2006, S. 226; Stygermeer, 1999, S. 129) nicht anzuerkennen. Als problematisch an
dem umfassenden Untersuchungsansatz von Bette und Schimank (1995, 2006) zeigt sich
hingegen die Starrheit des systemtheoretischen Modells. Es stellt zwar alle entscheidenden
Akteure in ihrem gegenseitigen Handeln vor, aber gibt keine Auskunft über die sich
verändernden Machtverhältnisse untereinander. Wie sich im Laufe der Arbeit zeigt, sind die
öffentlichen Ansichten in Verbindung mit definitorischen Entwürfen und dazugehörigen
Repressionen gegenüber dem Doping einem stetigen Wandel unterworfen. Weil es noch bis
zur Mitte des 20. Jahrunderts kein Dopingverbot gab, wurden Sportler mitunter vom
Publikum ermutigt, leistungssteigernde Mittel einzunehmen, während sie in der heutigen
Zeit bei einer entdeckten Anwendung von Dopingmitteln öffentlich als »Sünder« gelten.
Diejenigen Akteure, die dazu beitragen, die öffentliche Wahrnehmung des
Dopingphänomens in ihrem Sinne zu beeinflussen, üben mehr Macht aus als Akteure, die
nicht daran beteiligt sind. Von dieser Annahme gehen die Konstruktivisten aus, die auf Basis
der Anti-Moralisten aus argumentieren.
„Die Kontrolle über den Dopingdiskurs gehört so zu den zentralen
Machterhaltungsstrategien des Sportsystems, an dem vor allem diejenigen
14
interessiert sind, welche in der Machtkonstellation gute Positionen inne haben“
(Gamper, 2000, S. 56).
Basierend auf der Annahme, dass Doping auf der einen Seite untrennbar mit dem
kommerziellen Spitzensport verbunden ist, auf der anderen Seite aber eine massive
Gefährdung dieses Systems zu sein scheint, soll es im Rahmen dieser Untersuchung darum
gehen, auf welche Art und Weise das Dopingphänomen im Laufe der Zeit öffentlich be- und
verhandelt wird. Im Rahmen einer konstruktivistischen Perspektive soll eine rekonstruktive
Diskursanalyse Auskunft darüber geben, auf welche Art und Weise das gesellschaftliche
Wissen über das Doping generiert und aktualisiert wird und welche Auswirkungen damit
verbunden sind.
2. Theoretischer Bezugsrahmen
Im Folgenden werden soziologische Theorien als Grundlage eingeführt und die in der
vorliegenden Arbeit verwandte Terminologie erläutert, um begrifflich bedingte
Missverständnisse zu vermeiden. Zentrale Begriffe der in dieser Arbeit verwendeten
Theorien und Untersuchungen sind die Rollentheorie, die Rahmentheorie und der
Diskursbegriff.
2.1 Einführung
Man stelle sich vor, dass ein amerikanischer Austauschschüler zum ersten Mal in seinem
Leben mit dem Fußballspiel in Kontakt gerät. Wie er es vom American Football in seiner
Heimat gewöhnt ist, könnte er den Ball mit der Hand aufnehmen und zu einem Mitspieler
nach vorne werfen. Kinder, die in der europäischen Variante des Fußballs vertraut sind und
mit dem Amerikaner spielen, würden ihn auf seinen Regelverstoß aufmerksam machen und
bei erneutem Verstoß möglicherweise aus dem Spiel aussondern. Will der amerikanische
Junge weiterhin mitspielen, wird es für ihn sinnvoll sein, sich dem gegebenen Regelwerk
anzupassen. Wollen die anderen Kinder auf diesen Spieler nicht verzichten, werden sie sich
15
Mühe geben, ihn an die neuen Regeln zu gewöhnen. In Bezug auf die Theorie des
»Symbolischen Interaktionismus« soll dieses fiktive Geschehen verdeutlichen, dass der
Mensch die Fähigkeit besitzt, sein soziales Umfeld zu interpretieren, um angemessen
handeln zu können. Schlicht und Strauß (2003, S. 11) betonen in Anlehnung an George
Herbert Mead die Flexibilität der sozialen Umgebung. Demnach gibt es keine starren
Handlungsmuster, die bei bestimmten Reizen abgespult werden, sondern eine soziale
Realität, die durch die Interaktion einem steten Anpassungs- und Veränderungsprozess
unterworfen ist. Die Art des Reizes bestimmt die Reaktion und die Reaktion bietet wiederum
einen neuen Reiz im Rahmen einer „wechselseitigen Beeinflussung“ (Mummendey, 1995, S.
113). Basierend auf Gesprächen oder Handlungen mit anderen Menschen schreiben wir
Personen oder Dingen Bedeutungen zu, um in Abgrenzung zu oder Teilnahme mit anderen
zur eigenen Identität zu gelangen (vgl. Schlicht & Strauß, 2003, S. 11). Um in sozialen
Situationen gemeinsames Verhalten gewährleisten zu können, also eine
Kommunikationsgrundlage herzustellen, obliegt es den sozialen Akteuren, einen „sozialen
Konsenz“ (Mummendey, 1995, S. 113), wie im Falle der gemeinsamen Fußballregeln, in der
Deutung der Situation herzustellen. Dies wird vor allem durch „signifikante Symbole“ (ebd.)
deutlich, die eine erlernte Reaktion bei Interaktionspartnern auslösen können. Wenn der
Amerikaner nun in Bezug auf das Fußballspiel anhand des Balles lernt, wie andere ihn nicht
mit der Hand spielen, kommt es zur „Übernahme der Rolle des anderen“ (ebd. 114), wenn er
den Ball in der Folge ausschließlich mit dem Fuß spielt. Symbolische Bedeutungsträger
können im Rahmen der Interaktion auch Sprache oder Personen sein (vgl. ebd.). Im ersten
Falle lösen zum Beispiel ein Hilferuf bestimmte, erlernte Reaktion hervor, während im
zweiten Fall Menschen gegenüber einem Kassierer ein anderes Verhalten zeigen, als
gegenüber einem Polizisten (vgl. ebd.). „Soziales Handeln ist immer Handeln-in-Rolle, sowohl
im Verstehen des Handelns anderer wie auch in der Reflektion auf eigenes Handeln“ (Rapp,
1973, S. 101). Als Rollen werden demnach Positionsinhabern zugehörige Bedeutungs- oder
Wertzuschreibungen bezeichnet, die dessen Verhalten und das seiner sozialen Umwelt in
einem bestimmten Interaktionszusammenhang bestimmen (vgl. ebd. S. 115). In dem
Moment, wo zwei Menschen interagieren, beziehen sie ihre Selbstdarstellung auf die
Selbstdarstellung des anderen. Die Rolle ist dabei „das Dritte, was zwischen Personen
16
kommuniziert wird“ (Rapp, 1973, S. 101). Erst die soziale Rolle ermöglicht die Interaktion,
weil sie eine soziale Position zuweist.
„Indem der Einzelne soziale Positionen einnimmt, wird er zur Person des Dramas, das
die Gesellschaft in dem er lebt, geschrieben hat. […] Soziale Rollen bezeichnen
Ansprüche der Gesellschaft an die Träger von Positionen, die von zweierlei Art sein
können: zum einen Ansprüche an das Verhalten der Träger von Positionen
(Rollenverhalten), zum anderen Ansprüche an sein Aussehen und seinen »Charakter«
(Rollenattribute)“ (Dahrendorf, 2006, S. 37).
So verlangt auch die Position eines Leistungssportlers bestimmte Verhaltensweisen. Die
Gesellschaft erwartet von ihm ein auf Leistung ausgerichtetes Leben, das nicht in Berührung
mit dem Laster zu kommen hat und insofern eine gesellschaftliche Vorbildfunktion erfüllen
kann. Sportler haben sich diesen Anforderungen anzupassen. Beispielhaft wurde dieser
Zusammenhang an Michael Phelps, US-amerikanischer Schwimmer und erfolgreichster
Olympionike aller Zeiten. Ein britisches Boulevardblatt hatte Phelps mit einer Wasserpfeife
am Mund abgebildet. Ohne Anti-Doping Regeln zu verletzen, „habe der achtmalige
Goldmedaillengewinner […] viele Menschen enttäuscht“ (o.V., 02.06.2009). In der Folge
sperrte der US-Schwimmverband den Athleten für drei Monate.
2.2 Theorie der Selbstdarstellung im Alltag
Auf der Grundlage des aufgezeigten sozialtheoretischen Verständnisses entwirft der
Soziologe Erving Goffman in seinem Werk „The Presentation of Self in Everyday Life“ ein
Analyse-Modell, um alltägliche, symbolische Interaktionsmuster zu beschreiben. Ihm geht es
dabei um den Versuch von interagierenden Menschen, das gegenseitige Verhalten zu
kontrollieren (vgl. Goffman, 1969, S. 7). Der Einzelne ist bestrebt bei anderen einen Eindruck
hervorzurufen, der sie dazu bringt, „freiwillig mit seinen Plänen übereinzustimmen“
(Goffman, 1969, S. 8). Goffman benutzt zur Beschreibung dieser Vorgänge basierend auf
dem Konzept der sozialen Rolle des Symbolischen Aktionismus, eine Metaphorik aus der
Welt des Theaters. Soziales Verhalten gleicht demnach einem wechselseitigen Einfluss
zwischen der schauspielerischen Darstellung einer Rolle und dessen Publikum (vgl
Mummendey, 1995, S. 118). Dabei geht es nicht um Fragen der Schauspielkunst oder
17
Bühnentechnik, sondern um die dramaturgischen Aspekte eines sozialen Schauspielers bei
seiner Darstellung (vgl. Goffman, 1969, S. 18). Goffman interessiert als Dramatologe, wie die
Schauspieler „ihre ‚Rollen‘ meistern, welche Drehbücher sie benutzen, und welches
Publikum sie wie ansprechen“ (Hitzler, 1998, S. 93). Goffman geht nicht davon aus, dass
Menschen untereinander ein bereits vohandenes Skript abspulen, sondern begreift sein
Modell als eine mögliche Perspektive zum Verständnis sozialer Interaktionsprozesse (vgl.
Früchtl & Zimmermann, 2001, S. 12). Der Nutzen dieses Theoriekonstruktes liegt in der
Gewinnung neuer Erkenntnisse durch die Verfremdung scheinbar selbtverständlicher
Sichtweisen (vgl. Willems, 1998, S. 25). Das Alltägliche wird sichtbar gemacht, indem man es
in einen anderen Zusammenhang transferiert. Diesen soziologischen »Verfremdungseffekt«,
den bereits Bertold Brecht im Rahmen seines Theaterkonzeptes verfolgte, soll den Leser
bzw. Zuschauer zur Reflektion über den auf der Bühne stattfindenden Alltag anregen, ihn
eine kritische Perspektive einnehmen lassen und abschließend zu einem Lerneffekt führen
(vgl. Langer, 1996, S. 95).
Der Darsteller4
kann verschiedene Strategien anwenden, um sein Publikum in seinem Sinne
zu beeinflussen. Entscheidend dabei ist, dass er sein Publikum von der Richtigkeit seines
Rollenspiels auf der Bühne überzeugt (vgl. Langer, 1996, S. 72). Erst wenn er dies schafft,
vermag er sein Publikum von seiner Darstellung zu „verzaubern“ (ebd. 74) und damit nach
seinen Zielen in Richtung soziale Akzeptanz lenken. Insofern ist es in Bezug auf eine
erfolgreiche Darstellung wichtig, dass der Schauspieler „während der Interaktion das
ausdrückt, was er mitteilen will“ (Goffman, 1969, S. 31). Die Interaktion verläuft daher nicht
ungeplant, sondern wird arrangiert und für andere mit „Deutungs- und Regieanweisungen“
(Soeffner, 2004, 171) versehen. Der Einzelne oder eine Gruppe von Darstellern ist bestrebt
die Intepretation des sie umgebenden sozialen Umfelds in ihrem Sinne zu beeinflussen,
damit sich deren Interpretation nicht als nachteilig für sie auswirkt. Ziel der Darstellung ist
ein für ihre Bestrebungen vorteilhaftes Image als „eine Art schnell lesbarer charkterliche
Kurzbeschreibung“ (Früchtl & Zimmermann, 2001, S. 12).
So können die Darsteller ihre Interaktionsprozesse „dramatisch gestalten“ (Goffman, 1969,
S. 31), indem sie durch Überzeichnungen ihre Aussagekraft erhöhen. Sie können ihre
4
Aus Gründen der Lesbarkeit soll in der folgenden Arbeit in der männlichen Form auch die weibliche enthalten
sein.
18
Interaktionen zudem auch „idealisieren“ (ebd. S. 35), indem sie sich besonders eindringlich
auf angesehene, gesellschaftliche Werte beziehen. Gerade bei der Taktik der Idealisierung
wird es nötig, Eindrücke, die nicht mit den gewünschten übereinstimmen, zu verbergen.
Darsteller betreiben demnach „Ausdruckskontrolle“ (ebd. S. 54), indem sie soziale Disziplin
an den Tag legen. Sollten nämlich Tatsachen ans Licht kommen, die mit der erzeugten
sozialen Rolle unvereinbar erscheinen, kann es den gesamten Status des Darstellers
bedrohen (vgl. ebd. S.60). Wenn sich das Publikum während einer bestimmten Darstellung
getäuscht fühlt, hat ein Betrüger kein Recht mehr auf das Spielen seiner in dieser Situation
vorgeführten Rolle und es wird für ihn unmöglich, die Zuschauer in seinem Sinne zu
beeinflussen. Stimmen die Verhaltensweisen nicht mit der sozialen Rolle überein, fehlt die
Interaktionsgrundlage.
„Die Verkörperung besagt, dass das Individuum sich verbindet mit der in einer
Situation erforderlichen Gestalt. Um sich mit den Partnern verständigen zu können,
muss es Verhaltensweisen annehmen, die eine Interaktion ermöglichen“ (Langer,
1996, S. 10)
Im Umkehrschluss hängt eine erfolgreiche Darstellung davon ab, ob das Publikum die
Darstellung als ehrlich ansieht, unabhängig davon, ob dies zutrifft oder nicht (vgl. Goffman,
1969, S. 66). Wenn mehrere Individuen gemeinsam eine Rolle bilden und damit eine
kollektive Zielsetzung verfolgen, handelt es sich um ein „Ensemble“ (ebd. S. 79). Die
Ensemblemitglieder unterstehen überwiegend den Anweisungen eines „Regisseurs“ (ebd. S.
91-92), der ihre Darstellung koordiniert. Dieser ist innerhalb der Gruppe dafür zuständig,
durch Beruhigung, Maßregelung oder Bestrafung auf unvorteilhafte Darstellungen
einzuwirken, Darsteller gegebenfalls aus der Besetzungsliste zu streichen, aber auch die
Rollenvergabe innerhalb des Ensembles zu übernehmen. Neben der Regie existiert als zweite
Machtposition die des „Hauptdarstellers“ (ebd. S. 92), der meist besonders gekennzeichnet
in der Mitte der Bühne steht und in ähnlicher Weise wie der Regisseur auf das Publikum
einwirken kann. Allen Gruppenmitgliedern ist gemein, den gewünschten Eindruck auf der
dem Publikum zugewandten „Vorderbühne“ (ebd. S. 100) aufrechtzuerhalten und sich in
Folge dessen an die aufgestellten Regeln des Ensembles zu halten (vgl. Willems, 1977, S.
286). Handlungen, die davon abweichen, werden auf die „Hinterbühne“ (Goffman, 1969, S.
104) verlegt und somit der Publikumseindruck durch eine Zugangskontrolle „manipuliert“
19
(ebd S.107). Jedes einzelne Gruppenmitglied trägt die Verantwortung
„Gruppengeheimnisse“ (ebd. S. 130), über die nur ein Mitglied des entsprechenden
Ensembles verfügt, zu bewahren. So kann ein „Wir-Gefühl“ (Langer, 1996, S. 93) entstehen.
Ein „Denunziant“ verstößt gegen diese Regel, indem er als Teil des Ensembles „destruktive
Informationen“ (Goffman, 1969, S. 133) von der Hinterbühne an das Publikum verrät.
Neben „Publikums“- und „Darstellungsensemble“ gibt es noch die „Außenseiter“ (ebd. S.
132), die weder auf die Vor- noch auf die Hinterbühne zugreifen können. Aus ihnen besteht
das soziale Umfeld, die das Schauspiel zwar verfolgen, aber nicht direkt in die Interaktion
eingreifen. Eine besondere Rolle innerhalb der Zuschauer nimmt der „Clacqueur“ (ebd. S.
134) ein. Er handelt im Interesse der Darsteller auf der Bühne, weiß um die Zielsetzung des
darstellenden Ensembles, sitzt aber im Zuschauerraum und wird deshalb von dem
zuschauenden Ensemble als einer der ihren wahrgenommen. Genau andersherum verhält es
sich mit dem „Kontrolleur“ (ebd. S. 134-135). Dieser aus Sicht der Darsteller vermeintlich
harmlose Zuschauer ist formell oder informell legitimiert, sich verborgenes Wissen
anzueignen, um das vorgezeigte Stück im Rahmen „ethischer Strenge“ (ebd. S. 135) zu
überwachen. Die Rolle des „Vermittlers“ (ebd. S. 136-137) lässt sich als eine Art Claqueur in
beide Richtungen beschreiben. Er dient sowohl der Darstellung auf der Bühne, indem er den
gewünschten Eindruck unterstützt, als auch der Kontrolle der Darstellung. Um auf der
Vorderbühne einen vorteilhaften Eindruck gegen Denunzianten und Kontrolleure bewahren
zu können, müssen alle Ensemblemitglieder konform, beherrscht und achtsam handeln.
„Ensemble-Verschwörungen“ (ebd. 162-163) bezeichnen geheime Kommunikationsformen
im Sinne von Regieanweisungen, die Ensemblekollegen vom Publikum unbemerkt
austauschen, um die gegenseitige Vorstellung unter anderem vor Enthüllungen zu schützen.
Allerdings sind sowohl das Publikum als auch die Außenseiter innerhalb ihrer Rolle bis zu
einem gewissen Grad bestrebt, die Darstellung auf der Bühne zu sichern. So gebietet es der
„Takt“ (ebd. 210), nicht ohne Vorwarnung an die Darsteller die Hinterbühne zu betreten,
sowie sich während der Vorstellung möglichst ruhig zu verhalten, aber auch Fehler, die von
den Darstellern begangen werden, bis zu einem gewissen Maß unbeachtet lassen zu können.
Sowohl das Publikum als auch die Schauspieler sind in diesem Sinne aufeinander
angewiesen, um eine erfolgreiche Darstellung zu erleben. Der Zuschauer ist bestrebt, von
der Rolle überzeugt zu werden (vgl. Langer, 1996, S. 76), um sich einfühlen zu können
20
(Goffman, 1969, S. 211). Und der Darsteller kann überzeugend spielen, wenn sich das
Publikum an die Regeln ihrer Rolle hält (vgl. Langer, 1996, S. 76). Zusammengefasst
verpflichten sich alle Akteure zur Einhaltung eines bestimmten Ethos, einer Moral dessen
Einhaltung nur im Sinne der Rolle nötig ist und das Spiel erst ermöglicht (vgl. Goffman, 1969,
S. 230).
„Der ganze Apparat der Selbstinzenierung ist natürlich umständlich; er bricht
manchmal zusammen und enthüllt dann seine Bestandteile: Kontrolle über die
Hinterbühne, Ensembleverschwörung, Publikumstakt usw. Wenn er aber gut geölt ist,
dann bringt er die Eindrücke schnell genug hervor, um uns in einem unserer
Realitätstypen gefangenzunehmen – die Vorstellung gelingt, und das fixierte Selbst,
das jeder dargestellten Rolle zugeschrieben wird, scheint seinem Darsteller selbst zu
entströmen“ (Goffman, 1983, S. 231-232).
2.2.1 Status der Goffmanschen Theorie
Goffman gilt als eigentlicher Motor der Rollentheorie (Miebach, 2006, S. 101). Seine
soziologische Handlungstheorie findet bis heute Verwendung und fand ebenfalls Eingang in
die Sozialpsychologie. Mummendey (1995) erarbeitete eine Kategorisierung von positiven
und negativen Selbstdarstellungstechniken im Sinne der Theorie der Goffmanschen Theorie
der Selbstdarstellung. Mit der erstgenannten Form versucht eine Person sich selbst in
erhöhender Weise darzustellen, indem sie ihre positiven Merkmale betont. Wenn die Person
sich eher entschuldigt oder andere diffamiert, wendet sie negative Darstellungstechniken an
(Mummendey, 1995, S. 140-141; vgl. Mummendey, 2006). Somit behalten die Annahmen
Goffmans nach derzeitigem experimentell überprüftem Forschungsstand ihre Gültigkeit.
Diese Tatsache ist insofern erwähnenswert, da Goffman nahezu unmethodisch vorzugehen
scheint. Sein qualitatives Vorgehen wird von ihm kaum reflektiert, so dass seine Methoden
bis heute Rätsel aufgeben (Willems, 1997, S. 290).
Kritik an seinem Ansatz formuliert Münch (2003), der die Rolle übergeordneter
gesellschaftlicher Einflüsse, wie zum Beispiel von Macht oder Herrschaft auf die Individuen
(vgl. Münch, 2003, S. 307) in seiner Theorie vermisst. Die Kritik von Haug (1972) geht in die
gleiche Richtung, indem sie die allumfassende Anwendbarkeit der Rollentheorie kritisiert.
21
Durch die Rollenmetapher würden alle Menschen ihrer Unterschiede beraubt. Es
interessiere weder Herkunft noch Status, sondern lediglich die Art und Weise wie die Rolle
ausgefüllt werde (vgl. Haug, 1972, S. 123). So werden die Hintergründe der Interaktionen
nicht beleuchtet. Die Rollentheorie verhülle gar den Einfluss von Macht und Herrschaft.
„Es scheint als ob die Welt vorab strukturiert wäre, um im nachhinein die Menschen
in Rollen einzusetzen. Als Aggregatzustand der Bühnenhaftigkeit interessieren Autor
und Inhalt des vorgegebenen Stücks nicht mehr“ (Haug, 1972, S.123).
Mit anderen Worten fragt Goffman nur nach dem Wie, aber nicht nach dem Warum. Wie
Goffman selbst einräumt, bleibt der Widerspruch zwischen künstlichem Schauspiel und
realer Handlung im Endeeffekt unauflösbar, so dass man die Theatermetaphorik lediglich als
Gerüst betrachten sollte. Ein Modell, das man errichtet, um es anschließend wieder
auseinanderzunehmen (vgl. Goffman, 1969, S. 232). Was bleibt, ist ein Analyse-Schemata
mittels eines soziologischen Beschreibungsinstrumentariums für soziale Interaktionen. Mit
Hilfe der hier aufgezeigten Metaphorik lassen sich soziale Situationen beschreiben, in denen
sich Menschen vor anderen Menschen darstellen, sich wechselseitig wahrnehmen und ihr
Schauspiel ineinander verschränken (vgl. Hitzler, 1998, S. 96). Gerade der Aspekt der
Ausdruckskontrolle bietet eine interessante Perspektive, um selbstverständlich gewordenen
Ansichten in Bezug auf das im Verborgenen stattfindende Doping zu verfremden und damit
zu neuen Einsichten zu gelangen. In Bezug auf die Ausdruckskontrolle sozialer Akteure stellt
sich die Frage nach deren Wahrnehmung im sozialen Umfeld.
2.2.2 Die Rahmentheorie
Goffman (1977) vertieft die Prinzipien seiner „Theorie der Selbstdarstellung im Alltag“ in
Form der „Rahmenanalyse“. Der Fokus liegt nun weniger auf der Dramaturgie des
Darstellers, sondern mehr auf der Deutung ihres Spiels. Goffman strebt an, aus der
Perspektive eines Neuankömmlings in einer sozialen Situation eine Antwort auf die Frage zu
finden: „Was geht hier eigentlich vor?“ (Goffman, 1977, S. 35). Er beschreibt die Erfassung
der sozialen Umstände, an deren Interpretation der Darsteller sein zielgerichtetes Handeln
ausrichtet und damit wiederum für seine Zuschauer eine Interpretation derselben Situation
ermöglicht. Menschen versuchen im ersten Schritt, Situationen in denen sie sich befinden, zu
22
deuten, bevor sie darauf durch ihre Handlung im zweiten Schritt antworten. Diese
Deutungen erfolgen durch die Analyse von „Rahmen“ (Goffman, 1977, S. 19). Je nach dem,
welche Rahmen das Individuum aufgrund von Deutungen sozialer Symbole identifiziert,
vermutet es, welche Handlungen ihm aufgrund der gedeuteten Beobachtung erlaubt sind
und welche aus dem Rahmen fallen würden (vgl. Soeffner, 2004, S. 164).
„Durch jene metakommunikativen Beigaben erhält tendenziell jeder
Kommunikationsakt eine fiktionale Qualität: Ich muß anzeigen, daß etwas so und
nicht anders gemeint ist, weil es auch anders gedeutet werden könnte (Soeffner,
2004 , S. 170-171).
So gilt es zum Beispiel, für das Individuum zu klären, ob eine bestimmte direkte oder
indirekte Verhaltensaufforderung aus Sicht des Adressaten ernst zu nehmen oder aber als
ironischen Ursprungs zu werten ist. Im ersten Fall würde die Person aufgrund von
identifizierten, symbolischen Äußerungen oder Gesten der Aufforderung Folge leisten und
im zweiten Fall womöglich lediglich darüber lachen, ohne weitere Handlungen folgen zu
lassen. In beiden Fällen wirkt das Individuum zurück auf seine soziale Umwelt. Aufgrund der
individuellen Deutung der Situation und der darauffolgenden Handlung „hat das Individuum
die Möglichkeit, der Rahmung eine persönliche Note zu verleihen und damit die anderen
Interaktionsteilnehmer zu reizen, darauf zu reagieren“ (Miebach, 2006, S. 66). Erfolgreiches
Handeln im Sinne der Durchsetzung individueller, strategischer Interessen setzt im Endeffekt
eine Identifizierung des geltenden Rahmens voraus, in welchem die Interaktion stattfindet
(vgl. Willems, 1997, S. 40). Somit kann ein „Rahmen“ (ebd. S. 113) vereinfacht als Schemata
symbolhafter sozialer Normen verstanden werden, wohingegen die „Rahmung“ (ebd.) die
Interpretation dieser Normen und die darauf folgende Handlung meint. Willems (1997, S. 46)
versteht die Begriffe als „sozialen Sinn und sinnaktualisierende Praxis“. Während der
Rahmen relativ stabil erscheint, kann eine unpassende Rahmung zu einem Verhalten führen,
das aus dem Rahmen fällt. Wie bereits bei der Ausdruckskontrolle beschrieben, bemühen
sich die Darsteller, einen gewünschten Eindruck bei ihrem Publikum zu hinterlassen. Unter
Eindrucksmanagement kann in diesem Zusammenhang verstanden werden, eine Situation
im Sinne der eigenen Ziele zu rahmen. Somit kommt es zu einem „Wettbewerb zwischen den
Akteuren und Gruppen, die verschiedene Techniken der Rahmung einer Situation voll ins
Spiel zu bringen und zwar so, wie es für ihre Ziele am günstigsten ist“ (Münch, 2003, S. 285).
23
Rahmungen einer Situation werden insofern wiederum dramaturgisch produziert. Als
Deutender bildet sich aus vielen Handlungseindrücken ein Sinnmuster heraus, als
Handelnder fügt sich aus vielen Teilhandlungen eine Darstellung zusammen (vgl. Soeffner,
2004, S. 174). „Alle Interakteure bilden […] im Norm- und Normalfall ein Team im Dienst der
»Framing Order«“ (Willems, 1997, S. 67). Dazu gehören - wie bereits bei der Theorie der
Selbstdarstellung angedeutet - „dramaturgische Loyalität […], dramaturgische Disziplin […]
und dramaturgische Sorgfalt […] “ (Goffman, 1969, S. 193-198).
Das Rahmenkonstrukt vermag in Erweiterung zur Theatertheorie nicht nur Interaktionen in
der empirisch vorliegenden Gegenwart zu untersuchen, sondern auch in ihrem historischen
Verlauf. Das zeigt sich beispielhaft an der Überführung einer sozialen Situation in einen
anderen Interaktionskontext. Goffman führt dies unter anderem am Beispiel des Sports vor.
Ein ursprünglicher Kampf zwischen Menschen wird mittels eines Systems von Konventionen
in einen Wettkampf überführt bzw. moduliert (vgl. Goffman, 1977, S. 69). Im Falle eines
Faustkampfes, der von allen Beteiligten als dieser wahrgenommen wird, spricht Goffman
von einem „primären Rahmen“ (ebd. S.31) als wirkliche Erfahrung. Ein sportlicher Box-
Wettkampf hingegen bildet den primären Rahmen einer kämpferischen Auseinandersetzung
nach, lässt sich nun allerdings von seinen Interaktionspartnern als etwas anderes
interpretieren (vgl. Wittmann, 2007, S. 85), nämlich als Sport. So verhindern die Regeln, dass
die Sportler beim Versuch, die Interaktionen auf dem Spielfeld zu deuten, ihre Handlungen
vor dem Hintergrund einer reellen kämpferischen Auseinandersetzung bis zum blutigen Ende
ausführen. Im historischen Verlauf ändert sich zum Beispiel im Hinblick auf den Regel-
Rahmen der Grundsatz von ‚alles ist erlaubt‘ bis hin zu einer gegenwärtigen Definition
davon, was einen Regelverstoß darstellt und wie dieser geahndet wird (Goffman, 1977, S.
69). Eine weitere Transformation von ursprünglichen, daher primären Rahmen, führt er mit
dem Begriff der „Täuschung“ (Goffman, 1977, S. 98) an. Diese Umdeutung ist gegeben, wenn
ein Täuschender andere Interaktionsteilnehmer hinters Licht führt und sie somit zu
Getäuschten macht. Zur Wahrung der Ziele des Darstellers wird es in diesem Zusammenhang
notwendig, den Zuschauern einen unwahren Eindruck davon zu vermitteln, was vor sich geht
(vgl. ebd.). Wenn ein Sportler dopt, dieses öffentlich aber nicht zugibt, wird die Analogie zur
Täuschung im Goffmanschen Sinne offensichtlich.
24
Zusammengefasst geht es Goffman darum, die handlungsleitenden Rahmen zu analysieren
und damit zu identifizieren. „Man muß sich ein Bild von dem oder den Rahmen einer
Gruppe, ihrem System von Vorstellungen, ihrer »Kosmologie« zu machen versuchen […]
(Goffman, 1977, S. 37). Die Rahmenanalyse vertieft das Beschreibungsinstrumentarium für
soziale Interaktionen, das Goffman innerhalb seiner Theatertheorie entwickelt hat. Der
Fokus liegt nun insbesondere auf dem Rahmungswettbewerb der sozialen Akteure um die
Verwirklichung ihrer persönlichen Ziele. „Was Goffman lehrt, ist die Ökonomie des
symbolischen Eindrucksmanagements“ (Münch, 2003, S. 306). Gerade dieser Aspekt erweist
sich als fruchtbar für die Analyse der Dopingthematik, da es sich dabei nicht um etwas
Feststehendes, sondern um ein verhandeltes Gut handelt. Davon ausgehend, dass soziale
Interaktionen im Rahmen massenmedialer Vermittlung auf der Grundlage theatraler
Metaphoriken beschrieben werden kann, soll versucht werden, dieses theoretische Konzept
für das Dopingphänomen nutzbar zu machen. Um jedoch einen Erkenntniszuwachs durch
einen »Verfremdungseffekt« zu erzielen, bedarf es eines zusätzlichen
erkenntnisgenerierenden Ansatzes, wie auch Früchtl & Zimmermann (2001, S. 13) betonen.
Auf der einen Seite gilt es, der bereits beschriebenen methodischen Rätselhaftigkeit
Goffmans Herr zu werden. Da er kaum die Grundlagen seiner empirischen Datensammlung
offenlegt5
, ließe sich seine Theorie schwerlich eins zu eins auf die Dopingthematik
übertragen. Weiterhin sollen die Defizite einer Beschreibung auf der Oberfläche durch eine
stärkere Akzentuierung der gesellschaftlichen Hintergründe sozialer Handlungen innerhalb
der medialen Dopingthematisierung herausgearbeitet werden. So bleibt auch die
Rahmentheorie trotz ihrer neuartigen historischen Komponente bei der Beschreibung des Ist
und erwähnt nicht welche Umstände dazu geführt haben (vgl. Willems, 1997, S. 66). Bei
einer soziologischen Analyse des Dopingphänomens interessieren gerade die »Autoren« und
deren kommunikative Zielsetzungen in einem Stück namens Leistungssport. Als
problematisch zeigt sich dabei jedoch, dass nicht davon ausgegangen werden kann, einen
ungehinderten Zugang zu der Hinterbühne des Spitzensports zu erhalten. Die am
Spitzensport beteiligten Akteure würden sich infolge dessen als wenig auskunftsfreudig über
5
Goffman erläutert lediglich die Wahl seiner Quellen. Neben Bezugnahme auf frühere Forschungsergebnisse
(Goffman, 1969, S. 4) bezieht er sich vor allem auf Presseerzeugnisse (Goffman 1977, S. 23). „Diese Daten
haben eine schwache Seite. Ich habe sie im Lauf der Jahre aufs Geratewohl gesammelt[…]. Auch hier liegt eine
Karikatur einer systematischen Auswahl vor“ (Goffman, 1977, S. 24).
25
die Hintergründe einer im Geheimen stattfindenden Praxis zeigen, wonach eine Befragung
keinen Erkenntniszuwachs bescheren könnte.
„Es pflegt Situationen zu geben, in denen ein Beobachter auf das angewiesen ist, was
er von einem Beobachteten erfahren kann, weil es keine ausreichenden anderen
Informationsquellen gibt, und in denen der Beobachtete darauf aus ist, diese
Einschätzung zu hintertreiben oder aber unter schwierigen Verhältnissen zu
erleichtern. Es können sich hier spielähnliche Überlegungen entwickeln, auch wenn
es um sehr schwerwiegende Dinge geht. Es kommt zu einem Wettkampf der
Einschätzung. […] Die Information gewinnt strategische Bedeutung , und es kommt zu
Ausdrucksspielen“ (Goffman, 1981, S. 18).
Folglich gilt es, die beschriebenen theoretischen Konzepte in Bezug auf diese
Ausdrucksspiele zu untersuchen. Dabei sollen allerdings „kollektive Akteure“ (Keller,
Diskursanalyse, 1997, S. 314) an Stelle von einzelnen oder Gruppen von Akteuren treten. In
der soziologischen Perspektive erscheint der Schritt von akteurszentrierten Mikroebene im
Sinne Goffmans zu einer gesellschaftlichen Makroebene sinnvoll. Es bedarf eines
ergänzenden Konzepts zur methodologischen Umsetzung des Goffmanschen
Beschreibungsinstrumentariums sozialer Interaktionen in Bezug auf die Dopingthematik: Die
Theorie des Diskurses.
2.3 Die Macht des Diskurses
Die Diskurstheorie – zurück gehend auf den Philosophen Michel Foucault - nimmt als
konstruktivistischer Ansatz ebenso wie die Soziologie Goffmans an, dass das menschliche
Wissen nicht unmittelbar durch das Individuum erfahren wird, sondern erst durch soziale
Bedeutungszuschreibungen zusammengesetzt, folglich konstruiert wird (vgl. Keller, 1997, S.
315).
Wissen wird danach durch eine symbolische Ordnung erzeugt: den Diskurs (vgl. ebd.). Dabei
handelt es sich um Vorgänge des Sprechens oder Schreibens, die beispielsweise im
wissenschaftlichen Umfeld teilöffentlichen oder im Rahmen massenmedialer Verbreitung
allgemeinöffentlichen Charakter besitzen (vgl. ebd. S. 312-314). Ein Diskurs kann somit
verstanden werden als „strukturierte und zusammenhängende (Sprach-) Praktiken, die
26
Gegenstände und gesellschaftliche Wissensverhältnisse konstituieren“ (Keller, 2005 , S. 182)
und dadurch zu einer Etablierung allgemeingültiger, symbolischer Ordnungen führen.
Diskurse reduzieren die Vielfalt sozialer Wirklichkeit, indem sie Interpretationsweisen
fixieren und stabilisieren (vgl. Keller, 2004, S. 52). In Bezug auf den Diskurs über das Doping
schafft die Art und Weise, wie darüber in der Öffentlichkeit gesprochen wird, das Wissen
über die Praktik der unerlaubten Leistungssteigerung. Verschiedene, gesellschaftliche
Institutionen kommen darin zu Wort, die basierend auf unterschiedlichen Zielsetzungen
voneinander abweichende Standpunkte, Meinungen und Ansichten in die Doping-Debatte
einbringen können. An diesem Punkt offenbart sich die Ähnlichkeit des Diskurskonzeptes im
Sinne Kellers im Vergleich zu den Rahmungswettbewerben Erving Goffmans.
„Gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktion ist ein andauernder und fortschreitender
Prozeß, in dem kollektive Akteure in einem symbolischen Kampf um die Durchsetzung ihrer
Deutungen […] stehen“ (Keller, 1997, S. 314).
Das Diskurskonzept ermöglicht es nun, diese Prozesse analysierbar zu machen. So geht es
der „Wissenssoziologischen Diskursanalyse“ in Anlehnung an den französischen Philosophen
Michel Foucault darum, zu ergründen, auf welche Weise „spezifisches Wissen zur
gesellschaftlichen Wirklichkeit wird“ (Keller, 2005, S. 190). Äußerungen von sozialen
Akteuren werden nicht als einzelne Aussagen, sondern als typisierbares Resultat ihrer
sozialen Rolle aufgefasst, da die Äußerungen bestimmten Gemeinsamkeiten und Regeln
ihres jeweiligen historischen Umfelds unterliegen (vgl. ebd. S. 182). Somit werden auch hier
soziale Akteure als Rollenspieler verstanden (vgl. ebd. S. 212), die durch den Diskurs
Auskunft über Institutionen und Organisationen geben, in denen sie sich befinden (vgl.
Keller, 1997, S. 319). Somit kann auch das soziologische Rollen-Vokabular Goffmans für eine
„Analyse der Strukturierungen von Sprecherpositionen in Diskursen genutzt werden“ (Keller,
2005 , S. 212). Innerhalb des Diskurses fungiert ein Verbot dabei als eine Kontrollinstanz.
Diejenigen Akteure, die eine entscheidende Rolle innerhalb eines Diskurses ausüben, sind in
der Lage, anderen Diskursteilnehmer die Grenzen des Äußerbaren aufzuzeigen und üben
damit Macht aus (vgl. Foucault, 2003, S. 11). „Macht entscheidet also darüber, was wer – vor
einem Horizont unendlicher Möglichkeiten des Sag- und Machbaren – darf und was nicht“
(Karis, 2008, S. 39). Unabhängig von den getätigten Äußerungen ist man nur dann „im
Wahren […], wenn man den Regeln einer diskursiven »Polizei« gehorcht, die man in jedem
27
seiner Diskurse reaktivieren muss“ (Foucault, 2003, S. 25). Die Konstruktion von Wirklichkeit
gleicht demnach einem zyklischen Prozess. In den Diskursen gestalten die Akteure gleichsam
ihre Welt nach den Regeln des Diskurses (vgl. Sarasin, 2005, S. 105), wodurch in jedem
Diskurs die geltenden Regeln aktualisiert werden (vgl. Foucault, 2003, S. 25).
Ziel der Analyse ist nun die Rekonstruktion dieses Regelwerks der Bedeutungsgenerierung
(vgl. Keller, 2004, S. 44). Die Aufgabe der Diskursanalyse definiert sich als Suche hinter
„widersprüchlichen Argumenten, Aussagen und Meinungen […] nach dem Algorithmus […],
mit dem bestimmte Aussagen generiert und andere ausgeschlossen werden können“
(Sarasin, 2005, S. 110). Auf diese Weise lassen sich Denkstrukturen einer Epoche
identifizieren (vgl. ebd. S. 71), die in bestimmten „Schemata“ (Foucault zitiert nach Sarasin,
2005, S. 109) vorliegen. Aufgrund der Ähnlichkeit zu Goffman lassen sich diese Strukturen
auch als die Rahmen des Diskurses identifizieren (vgl. Keller, 1997, S. 315). Diskursrahmen
legen somit im Endeffekt Machtstrukturen offen, die auf den Diskurs und deren Produktion
von Wissen einwirken. Wissen ist dabei als eine Tatsache zu verstehen, die in einer
Gesellschaft zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt als wahr akzeptiert wird (vgl. Seier.
1999, S. 77). Insofern wirkt der Diskurs auf machtvolle Weise, da er soziale Wirklichkeit
erschafft, indem er Wissen produziert (vgl. Seier, 1999, S. 76-77). Nach Foucault ist in Bezug
auf den Diskurs nicht das bessere Argument, sondern das mächtigere von zentraler
Bedeutung (Tümpler, 2007, S. 15). „Der Diskurs […] ist dasjenige, worum und womit man
kämpft; er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht“ (Foucault, 2003, S. 11).
Macht ist insofern dafür verantwortlich, was gemacht oder gesagt werden darf und was
nicht (vgl. Karis, 2008, S. 39). Dabei geht es nicht um eine analytische Identifizierung einer
Macht, sondern von Machtverhältnissen (vgl. Engelmann, 1999, S. 191). Foucault spricht in
diesem Zusammenhang auch von „Kräften“, die sich auf einer ortlosen „Bühne“ (Foucault
zitiert nach Sarasin, 2005, S. 118-119) in den Diskursen gegenüberstehen.
Zusammenfassend macht sich die Diskursanalyse auf die Suche nach dem Prozesshaften,
also immer wieder veränderlichen Strukturen, die den Diskurs hervorbringen und fragt
zweitens nach ihren gesellschaftlichen Wirkungen. „Es geht um eine Betonung der
Materialität des Prozessierens von symbolischen Ordnungen und um ihre
wirklichkeitskonstituierenden Effekte“ (Keller et. al., 2005, S. 71). Es geht der Diskursanalyse
darum, was kommuniziert wurde, Stabilität in Form von Rahmen erlangte, bevor es von
28
einer anderen Rahmung verdrängt wurde (vgl. Sarasin, 2005, S. 106). In Bezug auf die
Wahrnehmung des gesamten Spitzensports, dessen Teil das Doping ist, fällt jedoch auf, dass
der Großteil der Interaktion zwischen Athlet und Publikum nicht direkt an der Sportstätte,
sondern indirekt über die Nutzung massenmedialer Angebote erfolgt. Es stellt sich folglich
die Frage nach dem Rahmen der Wahrnehmung. „Medien produzieren, regulieren und
modifizieren gesellschaftliches Wissen und üben damit Macht aus“ (Karis, 2008, S. 40). In
Bezug auf das Doping gilt es deshalb, die Dopingberichterstattung auf ihre Rahmung hin zu
untersuchen.
2.4 Die Mediale Vermittlung des Sports
In Bezug auf die Dopingthematik schiebt sich durch die Massenmedien eine
„Beobachtungsanordnung zwischen Publikum und Bühne“ (Soeffner, 2004, S. 297). Damit
bilden diese Institutionen die Ebene, auf der sich die Interaktionen der Akteure und damit
ihre Rahmungswettkämpfe nachvollziehen lassen.
Bei der Aufführung des Spitzensports spielen die Massenmedien eine Schlüsselrolle. Diese
können dabei grundlegend als alle gesellschaftlichen Einrichtungen verstanden werden, die
sich technischer Hilfsmittel zur Vervielfältigung ihrer Kommunikation bedienen (vgl.
Luhmann, 1996, S. 10). Dazu zählen Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Radio und das
Internet, folglich alle, die der Verbreitung von Kommunikation an unbestimmte Adressaten
dienen. Erst die Massenmedien machen den Spitzensport und damit die Dopingthematik
durch ihre Berichterstattung gesellschaftlich wahrnehmbar, da nach Luhmann (2006, S.9)
das gesellschaftliche Wissen durch die Massenmedien erfahren wird. Insofern sind die
Kommunikationsmittel als zentrales Forum für die Bedeutungsvielfalt des Sports zu
verstehen (vgl. Schwier, 2002, S.2), da sie besonders für das Leitmedium Fernsehen, als
„elektronische Erweiterung“ (Pöttinger, 1989, S. 279) der Stadien, von hohem
wirtschaftlichen Wert sind. Damit bietet das Buch, die Zeitung oder der Bildschirm einen
Ausschnitt der Realität. „Dieser äußere Rahmen setzt dann eine Welt frei, in der eine eigene
fiktionale Realität gilt“ (Luhmann, 1996, S.98). In Abgrenzung zu anderen
Medientheoretikern geht Luhmann allerdings nicht davon aus, dass dieser
Kommunikationsprozess eine manipulierte, sondern eine nach den Gesetzmäßigkeiten des
29
Mediums konstruierte Realität schafft (vgl. Luhmann, 1996, S. 10). Die
Konstruktionsbedingungen der Medienrealität ergeben sich dabei als eine Folge des
grundlegenden Berichterstattungsbedarfes der Massenmedien. Die Unternehmen müssen
regelmäßig Informationen produzieren, um sich durch dessen Verkauf Gewinne zu
erwirtschaften. Je mehr nun über den Sport berichtet wird, desto stärker steigt das
Bedürfnis der interessierten Zuschauer, noch mehr darüber zu erfahren. Da bei der
Wiederholung immer gleicher Informationen Langeweile entstünde, könnte ein wesentlicher
Faktor des Konsumreizes für den Zuschauer in Form der Unterhaltung nicht mehr aufrecht
erhalten werden und einen Verkaufsrückgang bewirken. Da sich eine Information nur einmal
verwenden lässt, folgt daraus, dass die Berichterstattung durch die Vermittlung von
Informationen gleichzeitig einen Mangel an Informationen verursachen (vgl. Berghaus, 2003,
S.201). „Die Informationen machen nicht satt, sondern im Gegenteil immer hungriger nach
neuer Information“ (ebd). Daraus folgt, dass immer wieder etwas Neues und
Außergewöhnliches berichtet werden muss.
Es erfolgt eine Dramatisierung des spitzensportlichen Handelns mit dem Kalkül,
Aufmerksamkeit für sich oder ein Thema zu verschaffen, das Objekt „in Szene“ Horky, 2001,
S. 18) zu setzen. Massenmedien vermitteln somit kein reales Bild der Sportwirklichkeit,
sondern ein konstruierte Mediensportwirklichkeit (vgl. ebd. S. 148). Horky (2001) definiert
vier Vorgänge der dramaturgischen Aufladung, die darauf abzielen, die sportliche Spannung
im Sinne des Zuschauers zu erhöhen, da es dem Spitzensport als Unterhaltungsprodukt
obliegt, affektive Gipfelpunkte zu erzeugen (vgl. Gebauer, 1986, S. 8). Zwei dieser Prozesse
stehen in direktem Zusammenhang mit der Doping-Berichterstattung. Als erstes führt er den
„Inszenierungsprozess Thema“ (Horky, 2001, S. 178-181) ein, bei dem es sich um eine
konstante Struktur der Berichterstattung handelt. Durch die Auswahl von bestimmten
Themen und die Auslassung von anderen wird ein Rahmen erzeugt, indem vor allem
besondere Leistungen oder kontroverse Auseinandersetzungen vorgeführt werden. An
zweiter Stelle folgt der „Inszenierungsprozess Person“ (ebd. S. 182-183). Hierbei wird das
sportliche Geschehen anhand von Sportlerpersönlichkeiten erzählt, deren Erfolg die
Grundlage für eine intensive mediale Beschäftigung mit der betreffenden Person zur Folge
hat. Auf diese Weise werden Stars erzeugt, was wiederum ermöglicht Skandale oder
Misserfolge derselben Person medial zu verwerten, da sie gesellschaftliche Aufmerksamkeit
30
erzeugen. Beiden Inszenierungsprozessen ist gemein, thematisch strukturierte
Informationen über die Realität zu verbreiten, die dazu dienen, der Gesellschaft ein
gemeinsames Hintergrundwissen zu ermöglichen. Massenmedien schaffen somit ein
„soziales Gedächtnis, auf das sich die Gesellschaft in ihrer gesamten Kommunikation stützen
kann“ (Berghaus, 2003, S. 242). Auf diese Art und Weise bildet sich ein Rahmen, der das
gesellschaftliche Bild der spitzensportlichen Realität darstellt. Die massenmedialen
Erzeugnisse werden somit zum symbolischen Bedeutungsträger der sportlichen Akteure.
Massenmedien, die über den Spitzensport berichten, liefern dem Rezipienten einen Rahmen
als Orientierungsmuster, der er ihnen erstens Antwort auf die Frage gibt: „Was geht da
eigentlich vor?“ und damit zweitens ein entsprechendes Handlungsmuster offeriert:
„Schauen sie zu. Dies ist ein Spiel zu ihrer Unterhaltung“. Vor diesem Hintergrund gilt es,
übergeordnete Muster im medialen Dopingdiskurs zu identifizieren.
3. Rekonstruktion diskursiver Dopingpraxis bei der Tour de France
Die am Dopingdiskurs beteiligten spitzensportlichen Akteure interagieren nach bestimmten
Schemata und interagieren dabei sowohl im privaten als auch im öffentlichen Rahmen.
Aufgrund des fehlenden Forschungszugangs kann die Analyse der Dopingthematik bei der
Tour de France lediglich den letzteren Rahmen beschreiben. Dieser öffentliche Diskurs stellt
allerdings auch die entscheidende Analyseperspektive dar, weil der Forscher in diesem
Zusammenhang die Rolle des Zuschauers einnimmt, an den schließlich die gezeigte
Vorstellung adressiert ist. Für die Akteure erweist es sich dabei als taktischer Vorteil, die
anderen Interaktionsteilnehmer inklusive des Publikums über ihre wahren Hintergründe und
Ziele der Interaktion im Unklaren zu lassen. Im Einzelnen soll es nun weniger darum gehen,
die »Wahrheit«, wenn diese als objektive Kategorie überhaupt möglich ist, herauszufinden,
sondern vielmehr Aufschluss über das Regelwerk der Aussagen zu erhalten. Was darf gesagt
werden, was nicht und welche Konsequenzen haben beide Arten von Aussagen. Dabei ist
grundlegend darauf hinzuweisen, dass die Interaktionen der Akteure zu dem Zeitpunkt ihres
Stattfindens einen prozesshaften Charakter besitzen, die Folgen ihres Tuns also nicht
abgesehen werden können (vgl. Soeffner, 2004 , S. 165). Im Gegensatz dazu findet sich in der
31
Forschungsperspektive das fertige Ergebnis der Interaktion in Form eines fixierten Textes
(vgl. ebd.). Dieser Text soll mit Hilfe des rekonstruktiven Ansatzes der Diskursforschung
wieder geöffnet werden, „um die in ihm als Handlungshorizont noch enthaltenen, später
dann ausgeschlossenen Handlungsalternativen zu erschließen“ (ebd.). Auf diese Weise tritt
der darstellende Charakter des Interaktionszusammenhanges zu Tage, da sich aus den nicht-
verfolgten Strategien der Nutzen der angewandten Diskursstrategie erschließen lässt.
Im Zuge der Untersuchung gilt es nun die verwendeten Rahmen im öffentlichen, medial
vermittelten Dopingdiskurs über die Tour de France nachzuzeichnen. Für die Durchführung
der Untersuchung werden dafür im ersten Schritt Zeitpunkte im historischen Verlauf
aufgespürt, in denen das Doping umfassend thematisiert wird. Dreyfus und Rabinow (1987,
S. 301) sprechen in diesem Zusammenhang von „Problematisierungen“ als geschichtliche
Momente, in denen sich ein Rahmen bildet, der die zugrunde liegenden Normen dieser Zeit
widerspiegelt. Grundlage dafür bieten „natürliche Daten“ (Keller, 2008, S. 66), folglich
wissenschaftliche Publikationen, Zeitungs- bzw. Magazintexte, Agenturmeldungen und
audiovisuelle Dokumente wie Dokumentationen. Dabei ist eine vollständige Abbildung eines
identifizierten Zeitraumes schwerlich möglich, so dass an Stelle dessen eine
problemzentrierte Analyse und Rekonstruktion erfolgt (ebd. S. 68). In Anlehnung an Keller
(1997, S. 318-319) geht es dabei um folgende Fragestellungen:
• Wie sind die Dopingdiskurse entstanden?
• Welche Veränderung haben Sie im Lauf der Zeit erfahren?
• Welche kognitiven Wahrnehmungs-, moralische und ästhetische
Bewertungsschemata transportieren sie?
• Wer sind ihre Träger?
• Wie erfolgreich sind ihre Träger, d.h. welche Auswirkungen haben die Diskurse?
Im Versuch diese Fragen zu klären soll der Dopingdiskurs bei der Tour de France
rekonstruiert wird werden, um der Frage nach zu gehen, welche übergeordneten Schemata,
folglich Rahmen, im Dopingdiskurs verwendet werden und in welcher Form die Thematik
einen Bedeutungswandel vollzogen hat. So stellt sich reskonstruktive Analytik anhand von
vier Problematisierungen in einem Vierschritt dar. An erster Stelle werden in jedem der
Zeitabschnitte die diskursiven Rahmenbedingungen aufgezeigt. Im Anschluss wird der medial
vermittelte Dopingdiskurs nachgezeichnet, bevor die Konsequenzen aus dieser öffentlichen
32
Verhandlung aufgezeigt werden. Beendet werden die Problematisierungsabschnitte mit
einer Interpretation des Diskurses unter Zuhilfenahme der Goffmanschen Metaphoriken.
3.1 Die Gründung der Tour de France
„Es ist ein Fest im wahrsten Sinn, das heißt die Gelegenheit für jeden, den Alltag zu unterbrechen, seine Sorgen
zu vergessen, an Orte zu fahren, wo ein fröhliches und spannendes Schauspiel geboten wird, das schön und bunt
ist, fesselnd, attraktiver Mittelpunkt einer Präsentation des kommerziellen Einfallsreichtums dank der
Werbekarawane, die die langen Wartezeiten rechtfertigt und ausfüllt […]“
Tourdirektor Jacques Goddet, 1963
6
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts beginnt die französische Mittelklasse dank sinkender
Arbeitszeiten und steigender Löhne, sich für Sport im Allgemeinen und Radsport im
Speziellen als eine Form der Freizeitgestaltung zu interessieren (vgl. Thompson, 2006, S. 9).
So entsteht die erste professionalisierte Sportart neben dem Boxen (vgl. Gamper,
15.09.2006) als Konsequenz aus einem lukrativen Markt für Radrennveranstalter, dem
Kampf der Fahrradindustrie um die besten Sportler und dem finanziellen Interesse der
Athleten, bereits um 1895 (vgl. Schröder, 2002 S. 40). Dank ihrer umfangreichen
Berichterstattung leisten die Massenmedien einen erheblichen Beitrag für die
Professionalisierung des Radrennsports, indem sie aufgrund der leistungs- und
fortschrittsbezogenen Charakteristiken des Radsports das vorhandene Interesse des
Publikums bedienen und noch weiter steigern. „Die sportlichen ‚Fortschritte‘ sind einfach so
faszinierend oder gar abstoßend, daß die Presse zur Popularität der Radprofessionals
geradezu beitragen muß“ (Rabenstein, 1996 , S. 89).
Aus Sicht der Rennveranstalter wird es durch ein Überangebot an Steher-, Sechstagerennen
oder Distanzfahrten immer schwieriger, die Unterhaltungslust des Publikums zu befriedigen.
Zwei Unternehmer stehen sich gegenüber. Auf der einen Seite befindet sich Pierre Giffard,
Chefredakteur der Le Vélo, der mit täglich 80.000 verkauften Exemplaren größten
Sportzeitung Frankreichs. Giffard ist ebenfalls Veranstalter der Langstreckenrennen Paris-
Brest-Paris, Paris-Roubaix und Bordeaux-Paris über Distanzen von rund 600-1200 Kilometern
(vgl. Renggli, 2000, S. 141). Ihm gegenüber steht Henri Desgrange, Chefredakteur der
Sportzeitung L’Auto. Beide realisieren, dass nur eine der beiden Sportzeitschriften den
6
(zitiert nach Nora, 2005, S. 467).
33
gegenseitigen Verdrängungswettbewerb überleben kann (vgl. Krämer, 1998, S. 11). So
entschließt sich Desgrange die Idee seines Mitarbeiters Geo Lefévre von einer neuartigen
Etappen-Rundfahrt durch Frankreich in die Tat umzusetzen. Nach knapp sechsmonatiger
Planungszeit erfolgt am 1. Juli 1903 für 60 Fahrer der Startschuss zur ersten Tour de France,
die mit einem Umfang von 2428 Kilometer und einem Preisgeld von 20.000 Francs die
erforderlichen Superlative bietet (vgl. Renggli, 2000, S. 141). Henri Desgrange kommentiert
das Ereignis in einem Leitartikel seiner Zeitung: „Mit […] mächtigem Elan, […] lanciert L’Auto
als Zeitung mit avantgardistischem Mut heute das größte Rennen der Welt mit den
prächtigsten, unerschrockensten aller Athleten“ (zitiert nach ebd.). Der Franzose Maurice
Garin kann die erste Auflage des Rennens nach insgesamt 94 Stunden für sich entscheiden
(vgl. Thompson, 2006, S. 33). Dabei verbringt er durchschnittlich 15,35 Stunden pro Tag auf
dem Rad (vgl. Rabenstein, 1996, S. 79). Doch die Mühen lohnen sich für Garin. Mit 6075
Francs, die er unterwegs an Prämien verdient, wird er zu einem der bestbezahltesten
Sportler seiner Zeit (vgl. Siemes, 26.06.2003). Begleitet von den „epischen Reportagen über
den heldenhaften Kampf verwegener Männer“ (Krämer, 1998, S. 12) erreicht auch
Desgrange sein Ziel. Die Verkaufsauflage der L’Auto verdoppelt sich innerhalb der Tour von
30.000 auf 65.000 Exemplare, während Giffard seine »Le Vélo« bereits Ende 1903 vom
Markt nehmen muss (vgl. ebd. S. 13).
Von Beginn an tritt das Dopingphänomen am deutlichsten in Verbindung mit dem Radsport
in Erscheinung, den der österreichische Mediziner Clemens Prokop als „Brutstätte des
Dopings“ (o.V., 1985/15, S. 184) bezeichnet. Doping im Radsport werde von Generation zu
Generation vererbt (vgl. Rabenstein, 1996, S.177). Dieser Ruf steht in engem Zusammenhang
mit der Tour de France, da sie schon nach kurzer Zeit zur „wichtigsten Bühne“ (Schröder &
Dahlkamp, 2003, S. 10) für die Radprofis wurde. Der hohe Stellenwert der Veranstaltung gilt
in Verbindung mit der hohen ökonomischen Verwertbarkeit eines erfolgreichen
Abschneidens als Hintergrund des angewandten Dopings und soll im Folgenden
nachvollzogen werden (vgl. ebd.).
3.2 Rahmung I: Der noch uneingeschränkte Dopingdiskurs
34
„Ich bin kein Sportler, ich bin Profi“
7
Rudi Altig, Radrennfahrer
3.2.1 Festlegung des Anforderungsprofils
Um das gesellschaftliche Interesse an der Tour erstens zu konservieren, zweitens
auszubauen und drittens die Profite der Organisatoren zu steigern, experimentieren die
Tour-Verantwortlichen mit der Streckenplanung und dem Reglement, um ein spannendes,
ereignisreiches Rennen präsentieren zu können. Während 1903 die Fahrer das Tour-Ziel als
Erster zu erreichen haben, um das Rennen zu gewinnen, ändert sich im darauffolgenden Jahr
das Reglement. Die Anzahl an Etappen wird auf elf erhöht und die Abstände in ein
Punktesystem umgerechnet. Damit kann auch ein Fahrer das Tour-Ziel als Vierter erreichen
und trotzdem den Gesamtsieg erreichen, wenn er vorher entsprechend viele Punkte
errungen hat. So bleibt die Spannung des Rennens länger erhalten, da ein Fahrer auch nach
einem schlechten Tagesergebnis noch den Gesamtsieg erreichen kann. Dieses System wird
1912 von dem bis heute üblichen Modus der akkumulierten Zeitrechnung abgelöst, das die
Zeitabstände zwischen dem ersten und den nachfolgenden Fahrern in einem
Gesamtklassement addiert (vgl. Thompson, 2006, 33). Eine fundamentale Neuerung
gegenüber den damaligen Distanzfahrten stellen die Bergüberquerungen dar. Ab 1910
werden mit dem 2.115 Meter hohen Tourmalet die ersten Hochgebirgspässe der Pyrenäen in
das Streckendesign integriert (vgl. ebd. S.34). Diese zusätzlichen Belastungen fallen
zusammen mit ebenfalls steigenden Streckenlängen. Von 1903 bis 1926 verdoppelt sich die
Renndistanz sukzessive auf 5741 Kilometer (vgl. ebd. S. 33). Die Rennbelastungen fordern
ihren Tribut: Zwischen 1903 und 1929 kann das Rennen von nur 30 Prozent aller gestarteten
Fahrer beendet werden (vgl. ebd. S. 112).
Neben der Akkumulierung von Spannung muss Desgrange gleichzeitig den Wünschen seiner
Sponsoren Rechnung tragen, die für die Durchführung des Rennens aus wirtschaftlicher Sicht
unerlässlich sind. Ab 1909 leistet der Renndirektor dem Begehren der werbetreibenden
Wirtschaft folge, die die Gewinnchancen ihre jeweiligen Spitzenfahrer erhöhen möchte,
indem die Gründung von Teams erlaubt wird. Der gesponserte Spitzenfahrer kann somit
seine Risiken minimieren und damit seine Erfolgswahrscheinlichkeit und die seiner
7
(zitiert nach Gremliza H. L., 2008, S. 30).
35
Sponsoren in Form von positivem Imagetransfer erhöhen, wenn ihm Helfer zur Seite gestellt
werden. Diese »Wasserträger« versorgen ihren »Kapitän« während des Rennens mit neuem
Material oder Verpflegung, spenden Windschatten und halten das Tempo hoch, um
Ausreißversuche zu verhindern. Auf diese Weise kann der Star der Mannschaft für die
rennentscheidenden Momente geschont werden (vgl. ebd. S. 36-37). Im Zuge dieser
Entwicklung erfindet Desgrange 1919 das gelbe Trikot, das den Gesamtführenden im Rennen
erkenntlich machen soll. Dies erhöht für die Zuschauer an der Strecke die
Nachvollziehbarkeit des Rennverlaufs und erhöht damit wiederum deren Spannungserleben
(vgl. Boßdorf, 2004, S. 24).
Die frühen Jahre des Dopings bei der Tour de France sind gekennzeichnet von einem
unwissenschaftlichen Prinzip des Versuch-und-Irrtums. Die Fahrer und ihr Umfeld
experimentieren mit pflanzlichen Stoffen wie Koffein, Mate-Extrakten, Opiaten, Kokain,
Alkoholen wie Äther oder Strychnin, aber auch mit synthetischen Stoffen wie Nitroglyzerin
und Amphetaminen (vgl. Thompson, 2006, S. 225). Die Einnahme dieser Substanzen erfolgt
einzeln oder in Kombination von mehreren Stoffen mit dem Ziel, entweder die
Leistungsfähigkeit des Athleten zu erhöhen oder seine Regeneration zu beschleunigen. Um
die Wirkung in höherer Dosis im Wettkampf zu erfahren, setzen sich die Fahrer außerhalb
des Wettkampfes geringen Dosen aus (ebd.). Der erste bekannt gewordene Dopingfall der
Tour de France ereignet sich beim französischen Fahrer Paul Duboc im Jahre 1911. Nach der
Einnahme einer „zweifelhaften Flüssigkeit“ (o.V., www.radsport-news.com, 04.07.2003)
zieht er sich eine Vergiftung zu und gibt das Rennen auf. Die Radsportler müssen sich zur
damaligen Zeit nicht vor öffentlicher Ächtung fürchten. Die Zuschauer unterstützen die
Fahrer beim Doping, indem sie unter anderem Champagner oder Cognac, zur damaligen Zeit
als stimulierend bekannt, an die Tourteilnehmer reichen (vgl. Thompson, 2006, S. 225). Bis
zum ersten Weltkrieg gibt es selbst unter Medizinern kein Problembewusstsein für
Stimulanzien wie das Kokain (vgl. Rabenstein, 1996 , S. 175). So äußert sich auch Henri
Desgrange in zustimmender Weise in Bezug auf das Doping: „Ich habe nichts dagegen, wenn
ein Fahrer sich vorübergehend künstlich stimuliert, wenn es nicht mehr anders geht“ (Moll,
2007/07, S. 154).
3.2.2 1924 - Die Affäre Péllissier
36
1924 steigen die Vorjahressieger Henri und sein Bruder Francis Péllissier zusammen mit dem
an zweiter Stelle liegenden Maurice Ville aus Protest gegen die Behandlung durch die
Rennleitung aus dem Wettbewerb aus (vgl. Boßdorf, 2004, S. 26). Henri Péllissier ist bei
dieser Tour bereits mehrmals mit den Tour-Kontrolleuren aneinander geraten, bis schließlich
eine zweiminütige Zeitstrafe für ein weggeworfenes Trikot zum Rennabbruch führt. In der
Folge treffen sich die drei Athleten mit einem Reporter der Zeitung Le Petit Parisien, um ihre
Behandlung publik zu machen (vgl. Schröder & Dahlkamp, 2003, S. 56). Henri Pélisser: „We
do things you would not force mules to do. […] We don´t want to be humiliated!”8
(zitiert
nach Thompson 2006, S. 191). Darüber hinaus zeigen sie dem betreffenden Journalisten
Albert Londres mitgeführtes Kokain, Chloroform, Cremes und Pillen, sogenanntes
»Dynamit«. Obwohl ihnen die Schädlichkeit dieser Substanzen bewusst sei, fühlten sie sich
zur Einnahme dieser Stoffe aufgrund der Rennbelastung gezwungen. Ersteres zur
Leistungssteigerung, letzteres zur Schmerzstillung (vgl. Schröder & Dahlkamp, 2003, S. 56).
Die drei Fahrer sprechen damit erstmals aus, dass Doping bei der Tour de France von Beginn
an mit dem Rennen verknüpft ist (vgl. ebd.). Am folgenden Tag berichtet Londres von der
Rundfahrt als „Tour der Leiden“ (zitiert nach Thompson, 2006, S. 191). Die Fahrer glichen
leeren Kadavern und seien „Zwangsarbeiter der Landstraße“ (ebd.). So dreht sich die
öffentliche Diskussion, die dem Zeitungsartikel folgt, nicht um Doping, sondern um die Rolle
der „Pedal-Arbeiter“ (ebd. S. 180). Die kommunistische Tageszeitung L’Humanité kritisiert,
dass die Fahrer Krankheiten, Hunger, Durst und Todesfälle erleiden müssten, nur um
Desgranges Reichtum zu mehren. Außerdem müssten sie zu der heißesten Zeit des Tages
fahren, damit L’Auto die Ergebnisse den Franzosen am nächsten morgen zum Frühstück
präsentieren könne (vgl. ebd S. 196-197). Desgrange beantwortert die Kritik von Péllissier
und L’Humanité in seiner Zeitung mit dem Argument, dass kein Fahrer gezwungen sei an der
Tour teilzunehmen und sie eine Möglichkeit des sozialen Aufstiegs für die Teilnehmer
darstelle (vgl. ebd S.198). Zuletzt schreibt Desgrange in L’Auto, dass sich nur derjenige über
eine sogenannte Sklaventätigkeit beklagen könne, dem es an Kraft und Tapferkeit fehle (vgl.
ebd. 208).
8
Übersetzung des Verfassers: “Wir machen Dinge, zu denen man noch nicht einmal Maultiere zwingen würde.
[…] Wir wollen nicht erniedrigt werden!”
37
3.2.3 Hauptsache im Gespräch
Dem Rennen wird erstmals öffentliche Kritik im umfassenden und langanhaltenden Maßstab
in Frankreich zu Teil, nachdem vorher vor allem elaborierte Kreise die Auswirkungen des
professionellen Radsports in Zweifel gezogen haben. Berufsfahrer gelten dort als eine Art
moderner Schaukämpfer, die ihre Gesundheit und ihr Leben der Unterhaltung der Massen
und dem Werbebedarf der Fahrradindustrie opfern (vgl. Rabenstein, 1996, S. 97). Als
Reaktion auf die öffentliche Kritik der drei streikenden Fahrer, belegt Desgrange die Athleten
mit der Zahlung von jeweils 600 Francs und vermerkt im Regelwerk der Tour ab 1925, dass
imageschädigendes Verhalten in Bezug auf das Rennen oder das Anstiften dazu mit einem
Startverbot im folgenden Jahr bestraft werde (vgl. Thompson, 2006, S. 207). Weiterhin
spricht er den Fahrern das Recht ab, sich für kollektive Aktionen zu versammeln. Desgrange
ist in Sorge, dass mögliche Geschwindigkeitsreduzierungen die Attraktivität des Rennens
mindern könnten (vgl. ebd.). Zugeständnisse macht er den Athleten in Form des
Rennumfangs. Während die Renndistanz bis 1926 auf 5745 Kilometer kontinuierlich
gesteigert wird, verringert sie sich ab diesem Zeitpunkt sukzessive bis sie sich 1933 über
Jahre um 4400 Kilometer bewegt (vgl. Boßdorf, 2004, S. 134). Damit liegen die Umfänge
allerdings immer noch rund 1000 Kilometer über den heutigen Ausmaßen.
Die Auflage von L’Auto steigt trotz der öffentlichen Kritik und der Verkürzung des Rennens.
Zwischen 1920 und 1930 erzielt die Zeitung eine Auflagensteigerung von 100.000 auf
300.000 Exemplare (vgl. Thompson, 2006, S. 42). Während der Tour verdoppelt sich die
Auflage noch einmal und findet besonderen Absatz in den Jahren 1923 (500.000) und 1933
(730.000) als jeweils ein Franzose die Tour gewinnt (vgl. ebd.). Die Tour hat sich
zusammenfassend als erfolgreiches Marketinginstrument behauptet. Öffentliche Kritik kann
Desgrange wirkungsvoll abfedern und das Preisgeld der Tour von 20.000 Francs auf
1.059.350 Francs steigern (vgl. ebd. 39-41). Damit scheint sich zu bestätigen, was Desgrange
bereits 1905 vermutet, als mehrere Regelübertretungen der Fahrer das Rennen bereits als
gescheitertes Projekt haben erscheinen lassen: „Besser üble Nachrede als gar kein Gerede“
(Krämer, 1998, S. 15).
3.2.4 Etablierung des politischen Schemas
38
Der von dem Radsporthistoriker Rüdiger Rabenstein (1996, S. 95) attestierte „Gigantismus“,
der in dieser Zeit den Bereichen von Technik und Sport auftritt, resultiert aus einer
„Rekordsucht“ des Publikums. Desgrange übernimmt in Bezug auf die Tour de France die
Rolle des Regisseurs, der durch die Realisierung seines sportlichen Theaterstücks mit den
daran interessierten Zuschauern in Kontakt tritt. Das Drehbuch des Stücks muss daher vor
allem spannende Unterhaltung versprechen und industrielle Prinzipien in Form der
Professionalisierung, des stetigen Überbietungsanspruchs und der sozialen
Aufstiegsmöglichkeit durch Leistung vorgeben. Durch die Ähnlichkeit zu der
gesellschaftlichen Realität, erhofft der Regisseur, eine Einfühlung des Zuschauers in die
Darsteller zu ermöglichen. Desgrange arrangiert im Goffmanschen Sinne die Interaktion, um
das Publikum zu verzaubern und infolge dessen mit seinen Zielen der
Aufmerksamkeitsgenerierung übereinstimmen zu lassen. Dabei kann Desgrange auf zwei
Ebenen der Vermittlung zurückgreifen, um sicher zu gehen, das auszudrücken, was er
mitteilen will. Auf der ersten Bühne stellt sich der sportliche Wettkampf für die Zuschauer
am Straßenrand in natura dar. Der Regisseur dramatisiert diesen Interaktionsprozess, indem
er die Fahrer unter strengen Auflagen gegen sich selbst, ihre direkten Gegner und die gerade
in den Höhen der Berge noch vielfach unbezähmte Natur antreten lässt. Je härter die
vorgegebenen Bedingungen, desto größer erscheint der im Erfolgsfalle daraus
hervorgehende, erzeugte Held, der noch umso heller strahlt, je weniger Fahrer in das Ziel
kommen. Das Doping wird somit zur notwendigen Requisite für den professionellen Fahrer,
der dafür im Erfolgsfalle überdurchschnittlich gut entlohnt wird und offen darüber sprechen
darf. Auf der zweiten, medial vermittelten Bühne, kann Desgrange mit Hilfe seiner
Theaterzeitung »L’Auto« den Interaktionsprozess idealisieren. Hier verwandelt sich ein
Rennfahrer zu einem Helden „von anderem Blut, von anderem Fleisch als wir“ (Hénard,
2001, S. 45). Aus einem Menschen wird ein „Kampftier von außergewöhnlichem Format […]
mit Atemzügen wie ein Schmiedebalg“ (ebd.). Zuschauer, die zum ersten Mal dem Spektakel
beiwohnen, erschließt sich auf die Goffmansche Frage, »Was geht hier eigentlich vor?« eine
eindeutige Antwort, wenn in der Zeitung von den »Giganten der Landstraße« die Rede ist.
L’Auto erfüllt damit die Rolle des Clacquers.
Nicht im Drehbuch steht jedoch der öffentliche Protest seiner Darsteller gegen ihre
Arbeitsbedingungen, der sich in dreifacher Hinsicht negativ für Desgrange auswirken kann.
39
Erstens können Denunzianten wie die Pélissiers ein Einfühlen des Zuschauers verhindern,
weil sie einen Einblick auf die Hinterbühne ermöglichen, der desillusionieren kann. Zweitens
können politische Gegner die entstehende Diskussion dafür nutzen, das gesamte
Theaterstück in Frage zu stellen. Abschließend handelt es sich drittens um einen
Machtkampf um die Kontrolle im Stück, da die Péllisiers, die für das Publikum aufgrund ihrer
besonderen Schauspielleistungen in der Vergangenheit sehr populär sind, gegen Desgramges
Führungsgewalt opponieren. Der Regisseur muss die Revolte gewinnen, um innerhalb seines
Schauspielensembles weiterhin den Ton im Drehbuch angeben zu können. Eine mögliche
Absenkung des Anforderungsprofils hätte einen erheblichen Verlust an Dramatik und damit
an Aufmerksamkeitspotential des Publikums zur Folge. Desgrange ist in Folge dessen
gezwungen, sein Darsteller-Ensemble an die Wahrung ihrer Ausdruckskontrolle zu erinnern.
Da es sich bei den betreffenden Fahrer allerdings um Protagonisten des Stücks handelt, kann
er sie nicht einfach aus der Besetzungsliste streichen, sondern muss sie diskreditieren,
finanziell sanktionieren und zusammen mit entsprechenden Änderung des Regelwerkes
seinem Ensemble verdeutlichen, dass solch ein Verhalten Konsequenzen in Form eines
Spielverbotes haben kann. Da Desgrange als Theaterregisseur allerdings auch darauf
angewiesen ist, dass weiterhin Darsteller Teil seines Stücks werden möchten, muss er sich
auch nach ihren Bedürfnissen richten. Allerdings nur insoweit, als es für das Publikum keine
Spannungseinbußen zur Folge hat.
Obwohl es Desgrange vermochte, die Darsteller-Revolte siegreich zu überstehen, haben sich
basierend auf der öffentlichen Auseinandersetzung zwei Lager gebildet, die sich innerhalb
der öffentlichen Rahmungswettkämpfe über das Stück jahzehntelang gegenüberstehen
werden. Auf der einen Seite befindet sich der marktwirtschaftlich orientierte Desgrange, der
mit seinem Theater eine Möglichkeit des sozialen Aufstiegs für alle Beteiligten postuliert und
den Darstellern freie Entscheidungsgewalt über Ruhm und Gesundheit einräumt. Auf der
anderen Seite formiert sich eine linkspolitisch ausgerichtete Akteurskonstellation, die den
Mensch im sozialen Gefüge vor den Verlockungen des Kapitals und den damit verbundenden
Schattenseiten bewahren möchte. Der mediale Diskurs spiegelt diese Strömungen im ersten
Falle durch Zeitungen wie L‘Auto, die sich darum bemüht, ein glorifizierendes Heldenbild der
Darsteller zu entwerfen. Ihr gegenüber stehen Presse-Organe wie L’Humanité, die den
Schauspieler als Opfer des kapitalistischen Regisseurs begreifen. Dieser
40
Rahmungswettberwerb beeinflusst das Stück in diesem Fall und in der Folge erheblich auf
seiner zweiten, medialen Wahrnehmungsebene im Sinne einer politischen Grundsatzdebatte,
die von außen in das Stück integriert im Sinne des Ausdrucksmanagements auf die erste
Wahrnehmungsebene zurückwirkt. Das Doping tritt im Rahmen dieses politischen Schemas
der Berichterstattung als ein Argument unter vielen in Erscheinung, da es aufgrund der
allgemeinen Akzeptanz und der noch größtenteils unbekannten gesundheitlichen Folgen zu
wenig Polarisierungspotential besitzt. Der Dopingdiskurs erweist sich dahingehend als
nahezu unbegrenzt. Abgesehen von den politischen Lagern, dessen Sicht sich in Wahlfreiheit
contra Opferrolle darstellt, besteht noch keine Eingrenzung in Form des Sag- oder
Machbaren.
3.3 Rahmung II: Kurzfristige Problematisierung eines Kavalierdeliktes
„To take start of the Tour is to sign a moral contract. You accept the rules and all their implications, or you don´t
enter the race”
9
Alec Taylor, Teammanager von Tom Simpson
3.3.1 Profit- und Dopingmaximierung
1947, Desgrange ist mittlerweile verstorben, kommt es zur Wiederaufnahme der großen
Schleife durch Frankreich. Mit dem Rennen sind auch die »Giganten der Landstraße« als ein
Symbol zur nationalen Wiedergeburt der Franzosen zurück (vgl. Thompson, 2006, S. 204-
214). Unterbrochen nur vom ersten Weltkrieg organisiert Desgrange mit seiner Zeitung die
Tour bis 1939 bevor der zweite Weltkrieg eine Pause bis 1947 und gleichzeitig das Ende von
L’Auto zur Folge hat. Jacques Goddet, der bereits unter Desgrange gearbeitet hat, gründet
1946 die Zeitung L’Équipe, mit der er die Restbestände von L’Auto und die Hälfte der Rechte
an der Tour übernimmt. Die andere Hälfte erwirbt die Zeitung Le Parisien Libéré hinter der
wiederum die Verlagsgruppe Éditions Philippe Amaury (EPA) steht. Beide Zeitungen sind
knapp 20 Jahre für die Austragung der Tour verantwortlich sind, bis 1964 die L’Équipe
ebenfalls von der EPA gekauft wird (vgl. ebd. S. 35). Diese gründet für die Organisation von
Sport-Events wie der Tour die Amaury Sport Organisation (ASO), die sich neben dem
9
Übersetzung des Verfassers: „Bei der Tour zu starten, bedeutet, einen moralischen Vertrag zu unterzeichnen.
Du akzeptierst die Regeln und all ihre Auswirkungen oder du startest nicht im Rennen” (zitiert nach Thompson,
2006, S. 236).
Die Rolle des Dopings in einem Theater namens Tour de France
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Die Rolle des Dopings in einem Theater namens Tour de France

  • 1. DIE ROLLE DES DOPINGS IN EINEM THEATER NAMENS TOUR DE FRANCE Eine rekonstruktive Diskursanalyse Schriftliche Hausarbeit zur Erlangung des Grades eines Magister Artium (M.A.) der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Erstgutachter: Prof. Dr. Robin S. Kähler Zweitgutachter: Prof. Dr. Manfred Wegner vorgelegt von Alexander Ohrt Kiel April 2009
  • 2. 2 Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................................................... 3 Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................................................ 4 1. Einleitung........................................................................................................................................................ 5 1.1 Versuch einer Doping-Definition ................................................................................................................ 8 1.2 Abgrenzung zu nicht behandelten Aspekten ........................................................................................... 11 2. Theoretischer Bezugsrahmen ........................................................................................................................... 14 2.1 Einführung................................................................................................................................................. 14 2.2 Theorie der Selbstdarstellung im Alltag ................................................................................................... 16 2.2.1 Status der Goffmanschen Theorie ...................................................................................................... 20 2.2.2 Die Rahmentheorie............................................................................................................................. 21 2.3 Die Macht des Diskurses........................................................................................................................... 25 2.4 Die Mediale Vermittlung des Sports......................................................................................................... 28 3. Rekonstruktion diskursiver Dopingpraxis bei der Tour de France .................................................................... 30 3.1 Die Gründung der Tour de France ............................................................................................................ 32 3.2 Rahmung I: Der noch uneingeschränkte Dopingdiskurs.......................................................................... 33 3.2.1 Festlegung des Anforderungsprofils ................................................................................................... 34 3.2.2 1924 - Die Affäre Péllissier.................................................................................................................. 35 3.2.3 Hauptsache im Gespräch.................................................................................................................... 37 3.2.4 Etablierung des politischen Schemas.................................................................................................. 37 3.3 Rahmung II: Kurzfristige Problematisierung eines Kavalierdeliktes........................................................ 40 3.3.1 Profit- und Dopingmaximierung......................................................................................................... 40 3.3.2 1967 - Der Tod Tom Simpsons ............................................................................................................ 44 3.3.3 Einführung regelmäßiger Kontrollen .................................................................................................. 48 3.3.4 Etablierung des Geheimhaltungs- und Opferschemas........................................................................ 49 3.4 Rahmung III: Kriminalisierung ................................................................................................................... 53 3.4.1 EPOchaler Radsportboom................................................................................................................... 53 3.4.2 1998 – Die Festina-Affäre................................................................................................................... 57 3.4.3 Institutionalisierung der Anti-Doping Bemühungen........................................................................... 61 3.4.4 Etablierung des Kriminalitäts-Schemas .............................................................................................. 65 3.5 Rahmung IV: Moralische Verdammung .................................................................................................... 69 3.5.1 Das Karriereende von Jan Ullrich........................................................................................................ 69 3.5.2 2007 - Patrik Sinkewitz als medialer Doping-GAU.............................................................................. 76 3.5.3 Kommunikationskontrolle .................................................................................................................. 80 3.5.4 Etablierung des Täter-Schemas .......................................................................................................... 86 4. Zusammenfassung unter Bezugnahme auf die Rolle der Ethik......................................................................... 91 4.1 Der Wandel der Sportethik .................................................................................................................... 91
  • 3. 3 4.2 Moral als mediales Konstruktionsprinzip............................................................................................... 94 4.3. Der Medienskandal................................................................................................................................ 96 5. Fazit................................................................................................................................................................. 100 Erklärung......................................................................................................................................................... 103 Literaturverzeichnis............................................................................................................................................. 104 Abkürzungsverzeichnis AFLD Agence française de lutte contre le dopage AMG Arzneimittelgesetz ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland BDR Bund Deutscher Radfahrer CAS Internationales Sportschiedsgericht (Court of Arbitration for Sports) DOSB Deutscher Olympischer Sportbund dpa Deutsche Presse Agentur EPA Éditions Philippe Amaury EPO Erythropoetin FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FFC Französischer Radsport-Verband (Fédération Française Cyclisme) FR Frankfurter Rundschau ICAS International Council of Arbitration for Sport IOC Internationales Olympisches Komitee (International Olympic Committee) MPCC Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport NADA Nationale Anti-Doping-Agentur (National Anti-Doping Agency) NZZ Neue Zürcher Zeitung UCI Internationaler Radsport-Dachverband (Union Cycliste Internationale) SZ Süddeutsche Zeitung sid Sport Informationsdienst taz die tageszeitung WADA Welt-Anti-Doping-Agentur (World Anti-Doping Agency) WADC Welt-Anti-Doping-Code (World Anti-Doping Code) WDR Westdeutscher Rundfunk
  • 4. 4 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Grafische Darstellung der Imageverluste im Radsport von 2004 bis 2008……………………………………………………………………………………………………………..79 Abbildung 2: Grafische Darstellung von Einflussfaktoren auf das Image des Radsports von 2001 bis 2007....................…………………………………………………....80
  • 5. 5 1. Einleitung „Der Profiradsport hat etwas von einem Rattenrennen. Aber wenn ich zu den besten Ratten gehöre, kann ich mich nicht bremsen“ 1 Tom Simpson, Weltmeister und erster Dopingtoter der »Tour de France« „Der ganze Sport ist eine Bühne, und die Redaktion eines Senders übernimmt die Aufgabe, die im Theater ein Regisseur hat“ 2 Hans Mahr, ehemaliger Informationsdirektor bei RTL „Tour der Schande“ (o.V., 26.07.2007), „Die Blutspur des Radsports“ (Geisser, 05.08.2007, S. 23), „Radfahr-Mafia“ (Hoeltzenbein, 26.07.2007, S. 4), „Ist der Sport noch zu retten?“ (Plättner, 30.05.2007), „Ein Krieg, bei dem es Opfer gibt“ (Schallenberg, 12.07.2008). Wer die Überschriften, Leitartikel und Aufmacher europäischer Tages- und Wochenzeitungen, Magazin-Sendungen und Brennpunkte der Fernsehsender, sowie die Anzahl der Treffer nach dem Suchbegriff Doping zwischen Juni und Juli im Verlauf der letzten drei Jahre betrachtet, kann zu folgenden Schlüssen kommen: Doping bedroht unsere Freiheit, schadet unserer Gesundheit oder zwingt uns in die Armut. Wie sonst ist es zu erklären, dass Betrugsfälle in einem erdachten Spiel namens Sport einen medialen Sturm der Entrüstung auslösen? Im Juli 2007 ist das Thema »Doping im Radsport/Tour de France« der am umfassendsten behandelte Inhalt innerhalb der Hauptnachrichtensendungen von ARD, ZDF, RTL und SAT.1. Mit 365 Minuten rangiert die Thematik vor „Entführungen und Lage in Afghanistan“ (226 Minuten) und dem „Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn“ mit 165 Minuten (vgl. Schöberl, 26.08.2007). Sportrechtliche Vergehen, die keine umfassenden gesellschaftlichen Auswirkungen besitzen, werden an prominentester medialer Stelle behandelt. Dort wo normalerweise von Kriegen, Finanzkrisen, Terrorgefahr, Stagnationen auf dem Arbeitsmarkt oder dem Klimawandel die Rede ist - Themen, deren Auswirkungen jeden Bürger eines Landes direkt betreffen - erscheint nun die Großaufnahme eines überführten Konsumenten von verbotenen Stimulanzien in einem gelben Hemd. Die Rede ist von der Tour de France und dem in den letzten Jahren Stück für Stück enthüllten Dopingsystem im Radsport. Die öffentliche Aufregung erscheint umso überaschender, da der Radsport im Allgemeinen und die Frankreich-Rundfahrt im Speziellen von Beginn an auf das Engste mit dem Dopingphänomen verknüpft ist. 1 (zitiert nach Fotheringham, 2007, S. 166). 2 (zitiert nach Haupt & Pfeil, 02.08.2007, S. 18).
  • 6. 6 Das Phänomen des Dopings scheint in der öffentlichen Wahrnehmung unbestritten. Doper verstoßen gegen die Moral des Sports und gehören ausgeschlossen. Wenn ein Ausschluss keinen Sinn mehr macht, weil - wie im Falle der Tour de France - das Doping systematisch erscheint und kein »sauberer« Fahrer übrig bliebe, wird zunächst die Fernsehübertragung der Tour de France eingestellt. Im Anschluss werden Forderungen laut, nach denen der Radsport nicht mehr staatlich gefördert werden dürfe. Optimisten können daraus den Schluss ziehen, dass Doping damit wirksam verhindert werden kann, während Pessimisten auf die Vielzahl von betroffenen Sportarten verweisen und insofern nur noch ein Schluss möglich erscheint: „Der Sport ist tot. Doping hat ihn kaputt gemacht. Die Doper haben ihn verraten“ (Franke & Ludwig, 2007, S. 10). Schulze und Krauss (2008, S. 7) entgegnen aufgrund der jahrhundertelangen Dopingtradition mit einer Frage: „Geht der Sport kaputt, seit es ihn gibt?“ Wenn letzteres der Fall wäre, hätte der Sport nicht den Stellenwert, den er heute als globaler Wirtschaftsfaktor und staatlich gefördertes Kulturgut besitzt. Selbst die Tour de France erweist sich, allen Dopingenthüllungen der letzten Jahre zum Trotz, in diesem Jahr in ihrer 106. Auflage als quicklebendig. Aber warum erfährt das Dopingphänomen eine derartige gesellschaftliche Aufmerksamkeit, wenn es dem Sport anscheinend doch nicht gefährlich werden kann? Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich zwar auf die Tour de France als „Epizentrum“ (Knobbe, 2000, S.139) der aktuellen Dopingdebatte, jedoch ist dieses Phänomen keines, das außerhalb des Radsports nicht existieren würde. Es tritt nur nicht so deutlich zu Tage. So soll sich auch zeigen, ob der Radsport mit seinen Superlativen der frühesten Kommerzialisierung, dem ersten verzeichneten Dopingfall und der scheinbar größten Dichte an öffentlichen Dopingfällen eher eine Prophezeiung des Spitzensports, als eine Ausnahme darstellt. Wenn sich im Radsport Entwicklungen zeigen, die aufgrund seiner besonderen Geschichte anderen Sportarten nur vorweggenommen ist, handelt es sich bei der Tour de France vielleicht lediglich um eine Stellvertreterdiskussion. Wenn das Dopingphänomen in der Lage ist, das drittgrößte Sportereignis der Welt (vgl. Leibundgut, 2000, S. 74) mit seiner 106-jährigen Geschichte in Frage zu stellen, findet am Beispiel des Radsports womöglich eine öffentliche Verhandlung über die Zukunft des Spitzensports statt. Damit stünde eine der weltweit größten Unterhaltungsindustrien zur Disposition.
  • 7. 7 Das erkenntnisleitende Interesse, dass sich aus den aufgezeigten Phänomenen ableitet, lautet in der Folge: Welche Rolle spielt das Doping für den Fortbestand des Spitzensports am Beispiel der Tour de France? Im Laufe dieser Arbeit soll versucht werden, Aufschluss über diese Frage zu erhalten. Dabei gilt es, mit Hilfe soziologischer Theorien das Doping- Phänomen der Tour de France in einen anderen Verstehenshorizont zu transformieren. Diese Maßnahme soll helfen, die Strukturen des öffentlichen Dopingdiskurses offenzulegen, dessen Zugang beschränkter zu sein scheint, als gemeinhin angenommen. Die Soziologen Bette und Schimank (2006, S.35) sprechen von der Etablierung einer „ultrastabilen Deutungsgemeinschaft“ aus Medien, Sportveranstaltern und der werbetreibenden Wirtschaft, welche das Phänomen des Dopings öffentlich behandeln. Insofern geht es im Endeffekt darum, mit welchen Strategien ein Problem behandelt wird, das im Zuge der Professionalisierung des Sports von seinen bestimmenden Akteuren hervorgerufen wurde und nun im Falle der Tour de France paradoxerweise ihre Machtposition zu gefährden scheint. Grundlegend ist der Argumentation Gampers (2000, S. 45) zu folgen, der das Dopingphänomen in zwei verschiedene Dimensionen aufteilt. Auf der einen Seite steht der Sportler und sein Umfeld, der nach der Definition der »Welt-Anti-Doping-Agentur« (WADA) verbotene Substanzen zu sich nimmt und in der Regel darüber schweigt. Auf der anderen Seite steht die Öffentlichkeit, die Doping nicht praktisch, sondern theoretisch in Form der massenmedialen Berichterstattung erfährt. In Anlehnung an den Philosophen Michel Foucault unterscheidet Gamper in diesem Zusammenhang die „soziale Praktik“ der konkreten Tätigkeiten gegenüber der „diskursiven Praktik“ (ebd.) als deren Wissenshintergrund. Dafür sollen im Rahmen einer Diskursanalyse unterschiedliche Interessenshintergründe der am Diskurs beteilgten Akteure beleuchtet werden. Anhand von ausgewählten Schlüsselereignissen sollen im Laufe der massenmedialen Berichterstattung der letzten Jahrzehnte die argumentativen Standpunkte von Sportlern, Wirtschaft, Medien, Tour-Veranstalter und Politik dargestellt werden. Dabei ist anzunehmen, dass sich die Aussagen in Bezug auf ihre soziale Rolle unterscheiden. Dieser „Definitionswettkampf“ (Keller, 2005, S. 55) um die Beurteilung des Dopingphänomens soll dabei in Bezug auf die massenmediale Bewertung abschließend unter dem Gesichtspunkt der Ethik betrachtet werden, deren Bedeutung sich deutlich bei den gängigen Semantiken in Form von »Dopingsumpf« und »sauberer« vs. »schmutziger« Sport zeigt. Es soll darum gehen, die
  • 8. 8 Regeln des Dopingdiskurses aufzuzeigen. Was darf gesagt werden und was nicht? Der Diskurs markiert die Spielregeln, sozusagen das Drehbuch für die an der Aufführung der Tour verantwortlichen Akteure. Ziel ist es, einen Einblick in dieses Drehbuch zu erhalten, um ein Verständnis für die Rolle des Dopings in einem Theater namens Tour de France zu gewinnen. Der daraus erfolgende Erkenntniszuwachs mag auch bei der Beurteilung von Dopingfällen in anderen Feldern des Spitzensports behilflich sein, eine möglichst unvoreingenommene Sichtweise einzunehmen, weil er einen Blick auf die „Hinterbühne“ (Goffman, 1969, S. 104) des Spitzensports gestattet. „Wenn […] die Mechanismen, die diese Entwicklung bestimmen, großenteils symbolische sind, dann kann man meiner Meinung nach von der Analyse, die sie aufdeckt, erwarten, daß sie an sich schon dazu beiträgt, die symbolische Gewalt einzudämmen, die mit Hilfe dieser Mechanismen ja nur solange ausgeübt werden kann, wie sie unerkannt bleiben“ (Bourdieu, 1995, S. 270). Im Sinne des Soziologen Bruno Latour (2007, S. 438) soll es darum gehen, aus der moralische Verdammung des Dopings als „unbestreitbare Tatsache“ wieder eine „umstrittene“ zu machen, um mit Hilfe einer verfremdenden Betrachtungsweise zu neuen Einsichten zu gelangen. Im Hinblick darauf gilt es zu prüfen, ob das Dopingphänomen nicht wie vielfach behauptet eine Ende des Spitzensports bedeutet, sondern dessen öffentliche Verhandlung im Gegensatz dazu erheblich zur Sicherung des spitzensportlichen Schauspiels beiträgt. 1.1 Versuch einer Doping-Definition Der Einsatz leistungssteigernder Substanzen ist so alt wie der Sport selbst. Sich innerhalb eines Wettkampfes einen Vorteil beim Erreichen seiner Ziele gegenüber seinen Mitstreitern zu verschaffen, stellt ein überindividuelles Phänomen dar und geht zurück bis in das antike Griechenland (vgl. Hoberman, 1994, S. 125). Im Gegensatz zum damaligen Einsatz von natürlichen Mitteln3 beinhaltet ein modernes Verständnis des Dopingphänomens eine Steigerung der menschlichen Leistungsfähigkeit durch künstliche Substanzen (vgl. ebd. S. 120). Entstanden ist diese Auffassung mit dem Auftreten des professionell betriebenen 3 Bereits die Griechen griffen vor über 2000 Jahren auf Kräuter, Pilze und Stierhoden zurück (vgl. Christensen, 1999, S. 5).
  • 9. 9 Sports um 1900 durch eine Kombination von Diskurssträngen aus der Medizin, der Rechtssprechung und der Sportethik (vgl. Schnyder, 2000, S. 73). So wird der erste offiziell dokumentierte Dopingfall auf das Jahr 1886 datiert. Der Walliser Arthur Linton fällt nach der Einnahme leistungssteigernder Mittel während des über 600 Kilometer andauernden Radrennens Bordeaux-Paris tot vom Rad (vgl. Gamper, 03.09.1999, S. 21). Drei Jahre später erhält das Wort Doping erstmals Einzug in ein englisches Wörterbuch, bezeichnet dort allerdings den Einsatz von Opiaten und schmerzstillenden Mitteln zur betrügerischen Erhöhung der Leistungsfähigkeit im Pferderennsport (vgl. Arndt, Singler, & Treutlein, 2004, S. 12). Die Beurteilung des Dopingphänomens erscheint schwieriger als auf den ersten Blick vermutet. Das beginnt bei seiner Definition. Hoberman (1994) bezeichnet die Festlegung einer allgemein anerkannten Sprachregelung als ein existenzielles ethisches Problem der modernen Sportwissenschaft (vgl. Hoberman, S. 121). Dies hänge vor allem mit der laufenden Entwicklung neuartiger Substanzen und einem sich stetig wandelnden Verständnis gegenüber Leistungssteigerung und deren Begrenzung zusammen (vgl. ebd. S.122). So kritisieren Bette und Schimank (2006) die bisherigen Dopingdefinitionen, die auf Ebene der Sportverbände in zwei verschiedene Ansätze unterteilt werden können. Der Entwurf des Europarates von 1963 definiert Doping als „Verabreichung […] oder […] Gebrauch körperfremder Substanzen in jeder Form und physiologischer Substanzen in abnormaler Form oder auf abnormalem Weg an gesunde Personen mit dem einzigen Ziel der künstlichen und unfairen Steigerung der Leistung im Wettkampf“ (Schröder & Dahlkamp, 2003, S. 259). Die Autoren führen an, dass sich der Spitzensport grundlegend als chancenungleich, daher als unfair darstelle, weil Menschen aus aller Welt daran beteiligt und infolge dessen im direkten Wortsinn weit davon entfernt seien, dieselben Voraussetzungen im Hinblick auf die gegebenen sozialen oder biologischen Umstände zu teilen. Wer in einem Land wie Deutschland aufwachse, könne auf ein umfassendes Sportförderungssystem zurückgreifen, das gerade in nicht entwickelten Ländern fehle (vgl. Bette & Schimank, 2006, S. 177-178). Weiterhin kann ein Sportler, der in der Höhe lebt, auf natürliche Weise einen Sauerstoffgehalt im Blut erzielen, der für europäische Athleten neben Höhentrainingslagern nur durch den Einsatz von Erythropoetin (EPO) zu erzielen ist. In diesem Falle würde erst der Einsatz von Dopingmitteln die Chancengleichheit wieder herstellen. Der andere Aspekt der
  • 10. 10 Unnatürlichkeit erscheint schon insofern problematisch, da Marijuana oder Kokain ebenso wie das Eigenblutdoping natürlichen Ursprungs sind, aber gegenüber eines Nichtanwenders einen unfairen Vorteil verschaffen würden. Auch die Verbindung zur gesundheitlichen Schädigung lässt die Unnatürlichkeit nicht zweifelsfreier in Bezug auf die Dopingdefinition werden, da Übertraining und unausgewogene Belastungen über Jahre den Körper des Spitzensportlers über akute Verletzungen hinaus in gesundheitsgefährdendem Ausmaß belasten (vgl. ebd. S. 179). „Gesundheit im Leistungssport ist weder Kriterium noch Ziel“ (Heidmann, 2008, S. 40). Sportler lassen sich im Endeffekt den Verbrauch ihrer Körpersubstanz finanziell erstatten (vgl. ebd. S. 40). Zuletzt zeigt sich der Gebrauch dieser Begrifflichkeiten im Rahmen der Definition des Europarates besonders in Bezug auf die Rechtssprechung als problematisch, da ihnen die Trennschärfe fehlt, um Gültigkeit vor einer sportlichen Gerichtsbarkeit zu besitzen. Deren Notwendigkeit wurde den Sportverbänden spätestens seit den dopingbedingten Todesfällen der Radfahrer Knud Jensen (1960) und Tom Simpson (1967) offenkundig. Die Mängel dieser „Wesensdefinition“ des Europarates sollten durch eine enumerative Liste vermieden werden, die 1986 vom IOC entwickelt wurde und an die Stelle einer moralischen Bewertung einen sportrechtlich sanktionierbaren Verbotskatalog setzt. Basierend auf diesem Ansatz wurde die heute gebräuchliche und rechtlich bindende Doping-Definition im März 2003 auf der Welt-Anti-Doping-Konferenz in Kopenhagen verabschiedet. Die damaligen Repräsentanten von Sportverbänden aus 80 Nationen und dem IOC verpflichteten sich mit ihrer Unterschrift zur Umsetzung des »Welt-Anti-Doping-Codes« (WADC). Es wird ein „Sportsgeist“ propagiert, der auf „Fairness und ehrlicher sportlicher Gesinnung“ im Sinne des Olympismus fußt (vgl. WADA, 2009, S. 14). Doping stehe folglich im fundamentalen Widerspruch zu diesen Werten (vgl. ebd.). Die zur Umsetzung des Codes geschaffene »World Anti-Doping-Agency« (WADA) veröffentlicht mindestens einmal jährlich eine aktuelle Liste verbotener Wirkstoffe und Methoden. Auf sechs Seiten werden dort folgende Mittel aufgeführt: Stimulanzien (z.B. Amphetamine), Narkotika (z.B. Heroin), Synthetische anabole (z.B. Anabolika) sowie körpereigene Steroide (z.B. Testosteron), Beta-2-Agonisten (z.B. Clenbuterol), Diuretika (zur Verschleierung anderer verbotener Mittel), Peptidhormone (z.B. Epo) und Kortikoide (zur Steigerung der Belastungsdauer). Weitere vier Seiten verweisen auf verbotene Methoden zur Leistungssteigerung. Darunter fallen Blutdoping, die Anwendung
  • 11. 11 künstlicher Sauerstoffträger/Plasmaexpander, Urinmanipulation und Gendoping (vgl. Arndt, 2004, S. 48-50). Doping liegt somit vor, wenn ein Athlet oder dessen Umfeld in Form von Physiotherapeuten, Trainer, Teammanager und weiteren Betreuern gegen die Anti-Doping- Bestimmungen der WADA verstößt, also beispielsweise bei einer Kontrolle positive Werte zeigt oder sich der Probenentnahme entzieht (vgl. Arndt, Singler, & Treutelin, 2004, S. 12). Die definitorischen Unzulänglichkeiten des Europarat Entwurfes konnten zwar behoben werden, aber neue, unlängst größere Probleme treten an ihre Stelle. Besonders die aus einer Verbotsliste hervorgehende implizite Aufforderung, dort nicht aufgeführte Mittel verwenden zu dürfen, wirft erhebliche Defizite auf. „Alles was nicht verboten ist, ist geboten, um mit den mutmaßlich ebenso kalkulierenden Gegnern mithalten zu können“ (Bette & Schimank, 2006, S. 189). Ein weiteres Problem an der derzeit geltenden Dopingdefinition der WADA beschreibt Stygermeer (1999, S. 119), indem er deren Rechtssprechung auf die Strafgesetze überträgt. Demnach könnte ein Giftmörder nur dann verurteilt werden, wenn die Substanz, die er benutzte, bereits Einzug auf eine Verbotsliste gefunden hat. Zusammenfassend überrascht die Tatsache, dass die öffentliche Verurteilung des Dopings so eindeutig ausfällt, wenn gleich das Dopingphänomen so schwer zu definieren ist. 1.2 Abgrenzung zu nicht behandelten Aspekten Der wissenschaftlichen Umgang mit den Dopingphänomen lässt sich in die Verschärfer (Franke & Ludwig, 2007), die Präventionalisten (Bette & Schimank, 1995, 2006; Arndt, Singler & Treutlein, 2004), die Moralisten (Lenk, 2007; Meinberg, 2007), die Anti-Moralisten (König, 1996; Gebauer, 1997), die Konstruktivisten (Gamper, 2000; Trümpler, 2007) und die Freigeber (Daumann, 2008; Tamburini, 2000) kategorisieren. Die Freigeber argumentieren auf der Basis einer grundsätzlichen Unlösbarkeit des Dopingproblems im Sport, die sich im historischen Verlauf zeige (Daumann, 2008, S. 150). infolge dessen bliebe als letzte Konsequenz übrig, Doping im Hochleistungssport für Erwachsene zu liberalisieren, was die Gesundheit der aus der Illegalität befreiten und nun unter ärztlicher Aufsicht befindlichen Sportler verbessere (ebd. S. 153). Nach rationalen Aspekten erscheint dieser Zusammenhang nachvollziehbar. Da der Mensch allerdings auch unter emotionalem Einfluss steht, kann die praktische Durchführbarkeit dieses Ansatzes vor
  • 12. 12 dem Hintergrund der staatlichen Förderung des Spitzensports und der Wahrung des Kulturguts Sport, inklusive seiner Vorbildfunktion in Zweifel gezogen werden. Dementsprechend verfolgen die Verschärfer keinen Umsturz, sondern eine Anpassung des bestehenden Sportsystems. Da das Doping den Sport ermorde (Franke & Ludwig, 2007, S. 10), entwerfen die Autoren einen „Rettungskatalog“ (ebd. S. 231-235), der im Rahmen eines rigideren Umgangs mit dem Phänomen unter anderem eine Verschärfung der Kontrollen und lebenslange Sperrung für überführte Sportler fordert. Im Gegensatz dazu sind die Präventionalisten nicht, wie im Falle der Freigabe oder des strikteren Verbots, der Ansicht, dass das Dopingproblem lösbar ist, sondern verfolgen das Ziel, „Doping so unwahrscheinlich, wie möglich zu machen“ (Arndt, Singler, & Treutlein, 2004, S. 19). Dies soll durch eine argumentative Erziehung der Sportler und deren Verantwortungsträgern erreicht werden. Bette und Schimank (1995, 2006) gehen in ihrem systemtheoretischen Ansatz grundlegend davon aus, „daß mehrere Akteure durch ihre Interessenverschränkung transintentinal dazu beitragen, die Dopingfalle herzustellen und am Leben zu halten“ (Bette & Schimank, 2006, S. 13). Doping entstehe folglich aus der Tatsache, dass Medien, Wirtschaft, Verbände und der Staat durch die Verfolgung ihrer individuellen Ziele in Form von positiver Aufmerksamkeit und finanziellen Erträgen den Sportler dazu bringen, Substanzen einzunehmen, gegen die er sich zu Beginn seiner Karriere verwehrt hätte. Aus Sicht der Prävention besteht der beste Lösungsansatz darin, biographische Risiken für den Sportler zu verringern, indem er sich mehr Misserfolg erlauben kann, wenn ihm sein Umfeld bessere Verdienstmöglichkeiten nach Ende der sportlichen Karriere in Aussicht stellt (vgl. Bette & Schimank, 2006, S. 236). Die Ergebnisse von Bette und Schimank erweisen sich als entscheidende Grundlage für das Verständnis des Dopingphänomens, da nicht nur das Doping, sondern auch das System des Spitzensports als ein Teil von ihm untersucht wird. Dieser Aspekt ist eine entscheidende Weiterentwicklung gegenüber der verschärfenden Sichtweise, die es überwiegend dabei belässt, »Dopingtäter« an den moralischen Pranger zu stellen. Philosophisch und ethisch begründet wird dieser Pranger durch die Moralisten. Sie setzen sich zum Ziel, eine „Humanisierung“ (Lenk, 2007, S. 60) des Wettkampfes zu bewirken. Dabei dient die Ethik als theoretische Leitlinie, nach der die Moral als praktische Handlung ausgerichtet werden soll (vgl. Meinberg, 2007, S. 17). Doping werde in Anlehnung an Bette und Schimank strukturell erzeugt, verstoße gegen die
  • 13. 13 Fairness und solle, wenn das Problem schon nicht lösbar sei, zumindest „kontrollierbar(er)“ (Lenk, 2007, S. 68) gemacht werden. Demgegenüber argumentieren die Anti-Moralisten, dass eine ebensolche Sichtweise für die Analyse des Dopingphänomen hinderlich ist, da der wissenschaftlichen Blick zur Wahrung ethischer Ziele beschränkt wird. „Unter ethischem Aspekt betrachtet, lebt die Antidoping-Moral im Sport von der Annahme, daß Doping und Sport Antipoden seien, und genau damit verspielt sie die Chance, am Beispiel des Sports Wesentliches über den Sport in Erfahrung zu bringen“ (König, 1996, S. 233). Wer die Moral mitsamt ihrer traditionellen Prinzipien wie Chancengleichheit, Fairness und Gesundheit auf den Spitzensport anzuwenden versucht, impliziert damit eine grundlegende Ethik in diesem kommerziellen Feld, die nach Gebauer (1997, S. 69-70) nicht vorhanden ist. „Ein ethischer Sport […] unterstellt dem gegenwärtigen Sport eine geschönte Praxis, verspricht den punktuellen Einsatz von Heilungskräften der Ethik und läßt alles, wie es ist. Ein hochwillkommenes intellektuelles Schlafpulver“. Die Kritik an den verschärfenden und moralisierenden Ansätzen zielt darauf ab, die Systemimmanenz des Dopings im Spitzensport (vgl. Haug 2006, S. 226; Stygermeer, 1999, S. 129) nicht anzuerkennen. Als problematisch an dem umfassenden Untersuchungsansatz von Bette und Schimank (1995, 2006) zeigt sich hingegen die Starrheit des systemtheoretischen Modells. Es stellt zwar alle entscheidenden Akteure in ihrem gegenseitigen Handeln vor, aber gibt keine Auskunft über die sich verändernden Machtverhältnisse untereinander. Wie sich im Laufe der Arbeit zeigt, sind die öffentlichen Ansichten in Verbindung mit definitorischen Entwürfen und dazugehörigen Repressionen gegenüber dem Doping einem stetigen Wandel unterworfen. Weil es noch bis zur Mitte des 20. Jahrunderts kein Dopingverbot gab, wurden Sportler mitunter vom Publikum ermutigt, leistungssteigernde Mittel einzunehmen, während sie in der heutigen Zeit bei einer entdeckten Anwendung von Dopingmitteln öffentlich als »Sünder« gelten. Diejenigen Akteure, die dazu beitragen, die öffentliche Wahrnehmung des Dopingphänomens in ihrem Sinne zu beeinflussen, üben mehr Macht aus als Akteure, die nicht daran beteiligt sind. Von dieser Annahme gehen die Konstruktivisten aus, die auf Basis der Anti-Moralisten aus argumentieren. „Die Kontrolle über den Dopingdiskurs gehört so zu den zentralen Machterhaltungsstrategien des Sportsystems, an dem vor allem diejenigen
  • 14. 14 interessiert sind, welche in der Machtkonstellation gute Positionen inne haben“ (Gamper, 2000, S. 56). Basierend auf der Annahme, dass Doping auf der einen Seite untrennbar mit dem kommerziellen Spitzensport verbunden ist, auf der anderen Seite aber eine massive Gefährdung dieses Systems zu sein scheint, soll es im Rahmen dieser Untersuchung darum gehen, auf welche Art und Weise das Dopingphänomen im Laufe der Zeit öffentlich be- und verhandelt wird. Im Rahmen einer konstruktivistischen Perspektive soll eine rekonstruktive Diskursanalyse Auskunft darüber geben, auf welche Art und Weise das gesellschaftliche Wissen über das Doping generiert und aktualisiert wird und welche Auswirkungen damit verbunden sind. 2. Theoretischer Bezugsrahmen Im Folgenden werden soziologische Theorien als Grundlage eingeführt und die in der vorliegenden Arbeit verwandte Terminologie erläutert, um begrifflich bedingte Missverständnisse zu vermeiden. Zentrale Begriffe der in dieser Arbeit verwendeten Theorien und Untersuchungen sind die Rollentheorie, die Rahmentheorie und der Diskursbegriff. 2.1 Einführung Man stelle sich vor, dass ein amerikanischer Austauschschüler zum ersten Mal in seinem Leben mit dem Fußballspiel in Kontakt gerät. Wie er es vom American Football in seiner Heimat gewöhnt ist, könnte er den Ball mit der Hand aufnehmen und zu einem Mitspieler nach vorne werfen. Kinder, die in der europäischen Variante des Fußballs vertraut sind und mit dem Amerikaner spielen, würden ihn auf seinen Regelverstoß aufmerksam machen und bei erneutem Verstoß möglicherweise aus dem Spiel aussondern. Will der amerikanische Junge weiterhin mitspielen, wird es für ihn sinnvoll sein, sich dem gegebenen Regelwerk anzupassen. Wollen die anderen Kinder auf diesen Spieler nicht verzichten, werden sie sich
  • 15. 15 Mühe geben, ihn an die neuen Regeln zu gewöhnen. In Bezug auf die Theorie des »Symbolischen Interaktionismus« soll dieses fiktive Geschehen verdeutlichen, dass der Mensch die Fähigkeit besitzt, sein soziales Umfeld zu interpretieren, um angemessen handeln zu können. Schlicht und Strauß (2003, S. 11) betonen in Anlehnung an George Herbert Mead die Flexibilität der sozialen Umgebung. Demnach gibt es keine starren Handlungsmuster, die bei bestimmten Reizen abgespult werden, sondern eine soziale Realität, die durch die Interaktion einem steten Anpassungs- und Veränderungsprozess unterworfen ist. Die Art des Reizes bestimmt die Reaktion und die Reaktion bietet wiederum einen neuen Reiz im Rahmen einer „wechselseitigen Beeinflussung“ (Mummendey, 1995, S. 113). Basierend auf Gesprächen oder Handlungen mit anderen Menschen schreiben wir Personen oder Dingen Bedeutungen zu, um in Abgrenzung zu oder Teilnahme mit anderen zur eigenen Identität zu gelangen (vgl. Schlicht & Strauß, 2003, S. 11). Um in sozialen Situationen gemeinsames Verhalten gewährleisten zu können, also eine Kommunikationsgrundlage herzustellen, obliegt es den sozialen Akteuren, einen „sozialen Konsenz“ (Mummendey, 1995, S. 113), wie im Falle der gemeinsamen Fußballregeln, in der Deutung der Situation herzustellen. Dies wird vor allem durch „signifikante Symbole“ (ebd.) deutlich, die eine erlernte Reaktion bei Interaktionspartnern auslösen können. Wenn der Amerikaner nun in Bezug auf das Fußballspiel anhand des Balles lernt, wie andere ihn nicht mit der Hand spielen, kommt es zur „Übernahme der Rolle des anderen“ (ebd. 114), wenn er den Ball in der Folge ausschließlich mit dem Fuß spielt. Symbolische Bedeutungsträger können im Rahmen der Interaktion auch Sprache oder Personen sein (vgl. ebd.). Im ersten Falle lösen zum Beispiel ein Hilferuf bestimmte, erlernte Reaktion hervor, während im zweiten Fall Menschen gegenüber einem Kassierer ein anderes Verhalten zeigen, als gegenüber einem Polizisten (vgl. ebd.). „Soziales Handeln ist immer Handeln-in-Rolle, sowohl im Verstehen des Handelns anderer wie auch in der Reflektion auf eigenes Handeln“ (Rapp, 1973, S. 101). Als Rollen werden demnach Positionsinhabern zugehörige Bedeutungs- oder Wertzuschreibungen bezeichnet, die dessen Verhalten und das seiner sozialen Umwelt in einem bestimmten Interaktionszusammenhang bestimmen (vgl. ebd. S. 115). In dem Moment, wo zwei Menschen interagieren, beziehen sie ihre Selbstdarstellung auf die Selbstdarstellung des anderen. Die Rolle ist dabei „das Dritte, was zwischen Personen
  • 16. 16 kommuniziert wird“ (Rapp, 1973, S. 101). Erst die soziale Rolle ermöglicht die Interaktion, weil sie eine soziale Position zuweist. „Indem der Einzelne soziale Positionen einnimmt, wird er zur Person des Dramas, das die Gesellschaft in dem er lebt, geschrieben hat. […] Soziale Rollen bezeichnen Ansprüche der Gesellschaft an die Träger von Positionen, die von zweierlei Art sein können: zum einen Ansprüche an das Verhalten der Träger von Positionen (Rollenverhalten), zum anderen Ansprüche an sein Aussehen und seinen »Charakter« (Rollenattribute)“ (Dahrendorf, 2006, S. 37). So verlangt auch die Position eines Leistungssportlers bestimmte Verhaltensweisen. Die Gesellschaft erwartet von ihm ein auf Leistung ausgerichtetes Leben, das nicht in Berührung mit dem Laster zu kommen hat und insofern eine gesellschaftliche Vorbildfunktion erfüllen kann. Sportler haben sich diesen Anforderungen anzupassen. Beispielhaft wurde dieser Zusammenhang an Michael Phelps, US-amerikanischer Schwimmer und erfolgreichster Olympionike aller Zeiten. Ein britisches Boulevardblatt hatte Phelps mit einer Wasserpfeife am Mund abgebildet. Ohne Anti-Doping Regeln zu verletzen, „habe der achtmalige Goldmedaillengewinner […] viele Menschen enttäuscht“ (o.V., 02.06.2009). In der Folge sperrte der US-Schwimmverband den Athleten für drei Monate. 2.2 Theorie der Selbstdarstellung im Alltag Auf der Grundlage des aufgezeigten sozialtheoretischen Verständnisses entwirft der Soziologe Erving Goffman in seinem Werk „The Presentation of Self in Everyday Life“ ein Analyse-Modell, um alltägliche, symbolische Interaktionsmuster zu beschreiben. Ihm geht es dabei um den Versuch von interagierenden Menschen, das gegenseitige Verhalten zu kontrollieren (vgl. Goffman, 1969, S. 7). Der Einzelne ist bestrebt bei anderen einen Eindruck hervorzurufen, der sie dazu bringt, „freiwillig mit seinen Plänen übereinzustimmen“ (Goffman, 1969, S. 8). Goffman benutzt zur Beschreibung dieser Vorgänge basierend auf dem Konzept der sozialen Rolle des Symbolischen Aktionismus, eine Metaphorik aus der Welt des Theaters. Soziales Verhalten gleicht demnach einem wechselseitigen Einfluss zwischen der schauspielerischen Darstellung einer Rolle und dessen Publikum (vgl Mummendey, 1995, S. 118). Dabei geht es nicht um Fragen der Schauspielkunst oder
  • 17. 17 Bühnentechnik, sondern um die dramaturgischen Aspekte eines sozialen Schauspielers bei seiner Darstellung (vgl. Goffman, 1969, S. 18). Goffman interessiert als Dramatologe, wie die Schauspieler „ihre ‚Rollen‘ meistern, welche Drehbücher sie benutzen, und welches Publikum sie wie ansprechen“ (Hitzler, 1998, S. 93). Goffman geht nicht davon aus, dass Menschen untereinander ein bereits vohandenes Skript abspulen, sondern begreift sein Modell als eine mögliche Perspektive zum Verständnis sozialer Interaktionsprozesse (vgl. Früchtl & Zimmermann, 2001, S. 12). Der Nutzen dieses Theoriekonstruktes liegt in der Gewinnung neuer Erkenntnisse durch die Verfremdung scheinbar selbtverständlicher Sichtweisen (vgl. Willems, 1998, S. 25). Das Alltägliche wird sichtbar gemacht, indem man es in einen anderen Zusammenhang transferiert. Diesen soziologischen »Verfremdungseffekt«, den bereits Bertold Brecht im Rahmen seines Theaterkonzeptes verfolgte, soll den Leser bzw. Zuschauer zur Reflektion über den auf der Bühne stattfindenden Alltag anregen, ihn eine kritische Perspektive einnehmen lassen und abschließend zu einem Lerneffekt führen (vgl. Langer, 1996, S. 95). Der Darsteller4 kann verschiedene Strategien anwenden, um sein Publikum in seinem Sinne zu beeinflussen. Entscheidend dabei ist, dass er sein Publikum von der Richtigkeit seines Rollenspiels auf der Bühne überzeugt (vgl. Langer, 1996, S. 72). Erst wenn er dies schafft, vermag er sein Publikum von seiner Darstellung zu „verzaubern“ (ebd. 74) und damit nach seinen Zielen in Richtung soziale Akzeptanz lenken. Insofern ist es in Bezug auf eine erfolgreiche Darstellung wichtig, dass der Schauspieler „während der Interaktion das ausdrückt, was er mitteilen will“ (Goffman, 1969, S. 31). Die Interaktion verläuft daher nicht ungeplant, sondern wird arrangiert und für andere mit „Deutungs- und Regieanweisungen“ (Soeffner, 2004, 171) versehen. Der Einzelne oder eine Gruppe von Darstellern ist bestrebt die Intepretation des sie umgebenden sozialen Umfelds in ihrem Sinne zu beeinflussen, damit sich deren Interpretation nicht als nachteilig für sie auswirkt. Ziel der Darstellung ist ein für ihre Bestrebungen vorteilhaftes Image als „eine Art schnell lesbarer charkterliche Kurzbeschreibung“ (Früchtl & Zimmermann, 2001, S. 12). So können die Darsteller ihre Interaktionsprozesse „dramatisch gestalten“ (Goffman, 1969, S. 31), indem sie durch Überzeichnungen ihre Aussagekraft erhöhen. Sie können ihre 4 Aus Gründen der Lesbarkeit soll in der folgenden Arbeit in der männlichen Form auch die weibliche enthalten sein.
  • 18. 18 Interaktionen zudem auch „idealisieren“ (ebd. S. 35), indem sie sich besonders eindringlich auf angesehene, gesellschaftliche Werte beziehen. Gerade bei der Taktik der Idealisierung wird es nötig, Eindrücke, die nicht mit den gewünschten übereinstimmen, zu verbergen. Darsteller betreiben demnach „Ausdruckskontrolle“ (ebd. S. 54), indem sie soziale Disziplin an den Tag legen. Sollten nämlich Tatsachen ans Licht kommen, die mit der erzeugten sozialen Rolle unvereinbar erscheinen, kann es den gesamten Status des Darstellers bedrohen (vgl. ebd. S.60). Wenn sich das Publikum während einer bestimmten Darstellung getäuscht fühlt, hat ein Betrüger kein Recht mehr auf das Spielen seiner in dieser Situation vorgeführten Rolle und es wird für ihn unmöglich, die Zuschauer in seinem Sinne zu beeinflussen. Stimmen die Verhaltensweisen nicht mit der sozialen Rolle überein, fehlt die Interaktionsgrundlage. „Die Verkörperung besagt, dass das Individuum sich verbindet mit der in einer Situation erforderlichen Gestalt. Um sich mit den Partnern verständigen zu können, muss es Verhaltensweisen annehmen, die eine Interaktion ermöglichen“ (Langer, 1996, S. 10) Im Umkehrschluss hängt eine erfolgreiche Darstellung davon ab, ob das Publikum die Darstellung als ehrlich ansieht, unabhängig davon, ob dies zutrifft oder nicht (vgl. Goffman, 1969, S. 66). Wenn mehrere Individuen gemeinsam eine Rolle bilden und damit eine kollektive Zielsetzung verfolgen, handelt es sich um ein „Ensemble“ (ebd. S. 79). Die Ensemblemitglieder unterstehen überwiegend den Anweisungen eines „Regisseurs“ (ebd. S. 91-92), der ihre Darstellung koordiniert. Dieser ist innerhalb der Gruppe dafür zuständig, durch Beruhigung, Maßregelung oder Bestrafung auf unvorteilhafte Darstellungen einzuwirken, Darsteller gegebenfalls aus der Besetzungsliste zu streichen, aber auch die Rollenvergabe innerhalb des Ensembles zu übernehmen. Neben der Regie existiert als zweite Machtposition die des „Hauptdarstellers“ (ebd. S. 92), der meist besonders gekennzeichnet in der Mitte der Bühne steht und in ähnlicher Weise wie der Regisseur auf das Publikum einwirken kann. Allen Gruppenmitgliedern ist gemein, den gewünschten Eindruck auf der dem Publikum zugewandten „Vorderbühne“ (ebd. S. 100) aufrechtzuerhalten und sich in Folge dessen an die aufgestellten Regeln des Ensembles zu halten (vgl. Willems, 1977, S. 286). Handlungen, die davon abweichen, werden auf die „Hinterbühne“ (Goffman, 1969, S. 104) verlegt und somit der Publikumseindruck durch eine Zugangskontrolle „manipuliert“
  • 19. 19 (ebd S.107). Jedes einzelne Gruppenmitglied trägt die Verantwortung „Gruppengeheimnisse“ (ebd. S. 130), über die nur ein Mitglied des entsprechenden Ensembles verfügt, zu bewahren. So kann ein „Wir-Gefühl“ (Langer, 1996, S. 93) entstehen. Ein „Denunziant“ verstößt gegen diese Regel, indem er als Teil des Ensembles „destruktive Informationen“ (Goffman, 1969, S. 133) von der Hinterbühne an das Publikum verrät. Neben „Publikums“- und „Darstellungsensemble“ gibt es noch die „Außenseiter“ (ebd. S. 132), die weder auf die Vor- noch auf die Hinterbühne zugreifen können. Aus ihnen besteht das soziale Umfeld, die das Schauspiel zwar verfolgen, aber nicht direkt in die Interaktion eingreifen. Eine besondere Rolle innerhalb der Zuschauer nimmt der „Clacqueur“ (ebd. S. 134) ein. Er handelt im Interesse der Darsteller auf der Bühne, weiß um die Zielsetzung des darstellenden Ensembles, sitzt aber im Zuschauerraum und wird deshalb von dem zuschauenden Ensemble als einer der ihren wahrgenommen. Genau andersherum verhält es sich mit dem „Kontrolleur“ (ebd. S. 134-135). Dieser aus Sicht der Darsteller vermeintlich harmlose Zuschauer ist formell oder informell legitimiert, sich verborgenes Wissen anzueignen, um das vorgezeigte Stück im Rahmen „ethischer Strenge“ (ebd. S. 135) zu überwachen. Die Rolle des „Vermittlers“ (ebd. S. 136-137) lässt sich als eine Art Claqueur in beide Richtungen beschreiben. Er dient sowohl der Darstellung auf der Bühne, indem er den gewünschten Eindruck unterstützt, als auch der Kontrolle der Darstellung. Um auf der Vorderbühne einen vorteilhaften Eindruck gegen Denunzianten und Kontrolleure bewahren zu können, müssen alle Ensemblemitglieder konform, beherrscht und achtsam handeln. „Ensemble-Verschwörungen“ (ebd. 162-163) bezeichnen geheime Kommunikationsformen im Sinne von Regieanweisungen, die Ensemblekollegen vom Publikum unbemerkt austauschen, um die gegenseitige Vorstellung unter anderem vor Enthüllungen zu schützen. Allerdings sind sowohl das Publikum als auch die Außenseiter innerhalb ihrer Rolle bis zu einem gewissen Grad bestrebt, die Darstellung auf der Bühne zu sichern. So gebietet es der „Takt“ (ebd. 210), nicht ohne Vorwarnung an die Darsteller die Hinterbühne zu betreten, sowie sich während der Vorstellung möglichst ruhig zu verhalten, aber auch Fehler, die von den Darstellern begangen werden, bis zu einem gewissen Maß unbeachtet lassen zu können. Sowohl das Publikum als auch die Schauspieler sind in diesem Sinne aufeinander angewiesen, um eine erfolgreiche Darstellung zu erleben. Der Zuschauer ist bestrebt, von der Rolle überzeugt zu werden (vgl. Langer, 1996, S. 76), um sich einfühlen zu können
  • 20. 20 (Goffman, 1969, S. 211). Und der Darsteller kann überzeugend spielen, wenn sich das Publikum an die Regeln ihrer Rolle hält (vgl. Langer, 1996, S. 76). Zusammengefasst verpflichten sich alle Akteure zur Einhaltung eines bestimmten Ethos, einer Moral dessen Einhaltung nur im Sinne der Rolle nötig ist und das Spiel erst ermöglicht (vgl. Goffman, 1969, S. 230). „Der ganze Apparat der Selbstinzenierung ist natürlich umständlich; er bricht manchmal zusammen und enthüllt dann seine Bestandteile: Kontrolle über die Hinterbühne, Ensembleverschwörung, Publikumstakt usw. Wenn er aber gut geölt ist, dann bringt er die Eindrücke schnell genug hervor, um uns in einem unserer Realitätstypen gefangenzunehmen – die Vorstellung gelingt, und das fixierte Selbst, das jeder dargestellten Rolle zugeschrieben wird, scheint seinem Darsteller selbst zu entströmen“ (Goffman, 1983, S. 231-232). 2.2.1 Status der Goffmanschen Theorie Goffman gilt als eigentlicher Motor der Rollentheorie (Miebach, 2006, S. 101). Seine soziologische Handlungstheorie findet bis heute Verwendung und fand ebenfalls Eingang in die Sozialpsychologie. Mummendey (1995) erarbeitete eine Kategorisierung von positiven und negativen Selbstdarstellungstechniken im Sinne der Theorie der Goffmanschen Theorie der Selbstdarstellung. Mit der erstgenannten Form versucht eine Person sich selbst in erhöhender Weise darzustellen, indem sie ihre positiven Merkmale betont. Wenn die Person sich eher entschuldigt oder andere diffamiert, wendet sie negative Darstellungstechniken an (Mummendey, 1995, S. 140-141; vgl. Mummendey, 2006). Somit behalten die Annahmen Goffmans nach derzeitigem experimentell überprüftem Forschungsstand ihre Gültigkeit. Diese Tatsache ist insofern erwähnenswert, da Goffman nahezu unmethodisch vorzugehen scheint. Sein qualitatives Vorgehen wird von ihm kaum reflektiert, so dass seine Methoden bis heute Rätsel aufgeben (Willems, 1997, S. 290). Kritik an seinem Ansatz formuliert Münch (2003), der die Rolle übergeordneter gesellschaftlicher Einflüsse, wie zum Beispiel von Macht oder Herrschaft auf die Individuen (vgl. Münch, 2003, S. 307) in seiner Theorie vermisst. Die Kritik von Haug (1972) geht in die gleiche Richtung, indem sie die allumfassende Anwendbarkeit der Rollentheorie kritisiert.
  • 21. 21 Durch die Rollenmetapher würden alle Menschen ihrer Unterschiede beraubt. Es interessiere weder Herkunft noch Status, sondern lediglich die Art und Weise wie die Rolle ausgefüllt werde (vgl. Haug, 1972, S. 123). So werden die Hintergründe der Interaktionen nicht beleuchtet. Die Rollentheorie verhülle gar den Einfluss von Macht und Herrschaft. „Es scheint als ob die Welt vorab strukturiert wäre, um im nachhinein die Menschen in Rollen einzusetzen. Als Aggregatzustand der Bühnenhaftigkeit interessieren Autor und Inhalt des vorgegebenen Stücks nicht mehr“ (Haug, 1972, S.123). Mit anderen Worten fragt Goffman nur nach dem Wie, aber nicht nach dem Warum. Wie Goffman selbst einräumt, bleibt der Widerspruch zwischen künstlichem Schauspiel und realer Handlung im Endeeffekt unauflösbar, so dass man die Theatermetaphorik lediglich als Gerüst betrachten sollte. Ein Modell, das man errichtet, um es anschließend wieder auseinanderzunehmen (vgl. Goffman, 1969, S. 232). Was bleibt, ist ein Analyse-Schemata mittels eines soziologischen Beschreibungsinstrumentariums für soziale Interaktionen. Mit Hilfe der hier aufgezeigten Metaphorik lassen sich soziale Situationen beschreiben, in denen sich Menschen vor anderen Menschen darstellen, sich wechselseitig wahrnehmen und ihr Schauspiel ineinander verschränken (vgl. Hitzler, 1998, S. 96). Gerade der Aspekt der Ausdruckskontrolle bietet eine interessante Perspektive, um selbstverständlich gewordenen Ansichten in Bezug auf das im Verborgenen stattfindende Doping zu verfremden und damit zu neuen Einsichten zu gelangen. In Bezug auf die Ausdruckskontrolle sozialer Akteure stellt sich die Frage nach deren Wahrnehmung im sozialen Umfeld. 2.2.2 Die Rahmentheorie Goffman (1977) vertieft die Prinzipien seiner „Theorie der Selbstdarstellung im Alltag“ in Form der „Rahmenanalyse“. Der Fokus liegt nun weniger auf der Dramaturgie des Darstellers, sondern mehr auf der Deutung ihres Spiels. Goffman strebt an, aus der Perspektive eines Neuankömmlings in einer sozialen Situation eine Antwort auf die Frage zu finden: „Was geht hier eigentlich vor?“ (Goffman, 1977, S. 35). Er beschreibt die Erfassung der sozialen Umstände, an deren Interpretation der Darsteller sein zielgerichtetes Handeln ausrichtet und damit wiederum für seine Zuschauer eine Interpretation derselben Situation ermöglicht. Menschen versuchen im ersten Schritt, Situationen in denen sie sich befinden, zu
  • 22. 22 deuten, bevor sie darauf durch ihre Handlung im zweiten Schritt antworten. Diese Deutungen erfolgen durch die Analyse von „Rahmen“ (Goffman, 1977, S. 19). Je nach dem, welche Rahmen das Individuum aufgrund von Deutungen sozialer Symbole identifiziert, vermutet es, welche Handlungen ihm aufgrund der gedeuteten Beobachtung erlaubt sind und welche aus dem Rahmen fallen würden (vgl. Soeffner, 2004, S. 164). „Durch jene metakommunikativen Beigaben erhält tendenziell jeder Kommunikationsakt eine fiktionale Qualität: Ich muß anzeigen, daß etwas so und nicht anders gemeint ist, weil es auch anders gedeutet werden könnte (Soeffner, 2004 , S. 170-171). So gilt es zum Beispiel, für das Individuum zu klären, ob eine bestimmte direkte oder indirekte Verhaltensaufforderung aus Sicht des Adressaten ernst zu nehmen oder aber als ironischen Ursprungs zu werten ist. Im ersten Fall würde die Person aufgrund von identifizierten, symbolischen Äußerungen oder Gesten der Aufforderung Folge leisten und im zweiten Fall womöglich lediglich darüber lachen, ohne weitere Handlungen folgen zu lassen. In beiden Fällen wirkt das Individuum zurück auf seine soziale Umwelt. Aufgrund der individuellen Deutung der Situation und der darauffolgenden Handlung „hat das Individuum die Möglichkeit, der Rahmung eine persönliche Note zu verleihen und damit die anderen Interaktionsteilnehmer zu reizen, darauf zu reagieren“ (Miebach, 2006, S. 66). Erfolgreiches Handeln im Sinne der Durchsetzung individueller, strategischer Interessen setzt im Endeffekt eine Identifizierung des geltenden Rahmens voraus, in welchem die Interaktion stattfindet (vgl. Willems, 1997, S. 40). Somit kann ein „Rahmen“ (ebd. S. 113) vereinfacht als Schemata symbolhafter sozialer Normen verstanden werden, wohingegen die „Rahmung“ (ebd.) die Interpretation dieser Normen und die darauf folgende Handlung meint. Willems (1997, S. 46) versteht die Begriffe als „sozialen Sinn und sinnaktualisierende Praxis“. Während der Rahmen relativ stabil erscheint, kann eine unpassende Rahmung zu einem Verhalten führen, das aus dem Rahmen fällt. Wie bereits bei der Ausdruckskontrolle beschrieben, bemühen sich die Darsteller, einen gewünschten Eindruck bei ihrem Publikum zu hinterlassen. Unter Eindrucksmanagement kann in diesem Zusammenhang verstanden werden, eine Situation im Sinne der eigenen Ziele zu rahmen. Somit kommt es zu einem „Wettbewerb zwischen den Akteuren und Gruppen, die verschiedene Techniken der Rahmung einer Situation voll ins Spiel zu bringen und zwar so, wie es für ihre Ziele am günstigsten ist“ (Münch, 2003, S. 285).
  • 23. 23 Rahmungen einer Situation werden insofern wiederum dramaturgisch produziert. Als Deutender bildet sich aus vielen Handlungseindrücken ein Sinnmuster heraus, als Handelnder fügt sich aus vielen Teilhandlungen eine Darstellung zusammen (vgl. Soeffner, 2004, S. 174). „Alle Interakteure bilden […] im Norm- und Normalfall ein Team im Dienst der »Framing Order«“ (Willems, 1997, S. 67). Dazu gehören - wie bereits bei der Theorie der Selbstdarstellung angedeutet - „dramaturgische Loyalität […], dramaturgische Disziplin […] und dramaturgische Sorgfalt […] “ (Goffman, 1969, S. 193-198). Das Rahmenkonstrukt vermag in Erweiterung zur Theatertheorie nicht nur Interaktionen in der empirisch vorliegenden Gegenwart zu untersuchen, sondern auch in ihrem historischen Verlauf. Das zeigt sich beispielhaft an der Überführung einer sozialen Situation in einen anderen Interaktionskontext. Goffman führt dies unter anderem am Beispiel des Sports vor. Ein ursprünglicher Kampf zwischen Menschen wird mittels eines Systems von Konventionen in einen Wettkampf überführt bzw. moduliert (vgl. Goffman, 1977, S. 69). Im Falle eines Faustkampfes, der von allen Beteiligten als dieser wahrgenommen wird, spricht Goffman von einem „primären Rahmen“ (ebd. S.31) als wirkliche Erfahrung. Ein sportlicher Box- Wettkampf hingegen bildet den primären Rahmen einer kämpferischen Auseinandersetzung nach, lässt sich nun allerdings von seinen Interaktionspartnern als etwas anderes interpretieren (vgl. Wittmann, 2007, S. 85), nämlich als Sport. So verhindern die Regeln, dass die Sportler beim Versuch, die Interaktionen auf dem Spielfeld zu deuten, ihre Handlungen vor dem Hintergrund einer reellen kämpferischen Auseinandersetzung bis zum blutigen Ende ausführen. Im historischen Verlauf ändert sich zum Beispiel im Hinblick auf den Regel- Rahmen der Grundsatz von ‚alles ist erlaubt‘ bis hin zu einer gegenwärtigen Definition davon, was einen Regelverstoß darstellt und wie dieser geahndet wird (Goffman, 1977, S. 69). Eine weitere Transformation von ursprünglichen, daher primären Rahmen, führt er mit dem Begriff der „Täuschung“ (Goffman, 1977, S. 98) an. Diese Umdeutung ist gegeben, wenn ein Täuschender andere Interaktionsteilnehmer hinters Licht führt und sie somit zu Getäuschten macht. Zur Wahrung der Ziele des Darstellers wird es in diesem Zusammenhang notwendig, den Zuschauern einen unwahren Eindruck davon zu vermitteln, was vor sich geht (vgl. ebd.). Wenn ein Sportler dopt, dieses öffentlich aber nicht zugibt, wird die Analogie zur Täuschung im Goffmanschen Sinne offensichtlich.
  • 24. 24 Zusammengefasst geht es Goffman darum, die handlungsleitenden Rahmen zu analysieren und damit zu identifizieren. „Man muß sich ein Bild von dem oder den Rahmen einer Gruppe, ihrem System von Vorstellungen, ihrer »Kosmologie« zu machen versuchen […] (Goffman, 1977, S. 37). Die Rahmenanalyse vertieft das Beschreibungsinstrumentarium für soziale Interaktionen, das Goffman innerhalb seiner Theatertheorie entwickelt hat. Der Fokus liegt nun insbesondere auf dem Rahmungswettbewerb der sozialen Akteure um die Verwirklichung ihrer persönlichen Ziele. „Was Goffman lehrt, ist die Ökonomie des symbolischen Eindrucksmanagements“ (Münch, 2003, S. 306). Gerade dieser Aspekt erweist sich als fruchtbar für die Analyse der Dopingthematik, da es sich dabei nicht um etwas Feststehendes, sondern um ein verhandeltes Gut handelt. Davon ausgehend, dass soziale Interaktionen im Rahmen massenmedialer Vermittlung auf der Grundlage theatraler Metaphoriken beschrieben werden kann, soll versucht werden, dieses theoretische Konzept für das Dopingphänomen nutzbar zu machen. Um jedoch einen Erkenntniszuwachs durch einen »Verfremdungseffekt« zu erzielen, bedarf es eines zusätzlichen erkenntnisgenerierenden Ansatzes, wie auch Früchtl & Zimmermann (2001, S. 13) betonen. Auf der einen Seite gilt es, der bereits beschriebenen methodischen Rätselhaftigkeit Goffmans Herr zu werden. Da er kaum die Grundlagen seiner empirischen Datensammlung offenlegt5 , ließe sich seine Theorie schwerlich eins zu eins auf die Dopingthematik übertragen. Weiterhin sollen die Defizite einer Beschreibung auf der Oberfläche durch eine stärkere Akzentuierung der gesellschaftlichen Hintergründe sozialer Handlungen innerhalb der medialen Dopingthematisierung herausgearbeitet werden. So bleibt auch die Rahmentheorie trotz ihrer neuartigen historischen Komponente bei der Beschreibung des Ist und erwähnt nicht welche Umstände dazu geführt haben (vgl. Willems, 1997, S. 66). Bei einer soziologischen Analyse des Dopingphänomens interessieren gerade die »Autoren« und deren kommunikative Zielsetzungen in einem Stück namens Leistungssport. Als problematisch zeigt sich dabei jedoch, dass nicht davon ausgegangen werden kann, einen ungehinderten Zugang zu der Hinterbühne des Spitzensports zu erhalten. Die am Spitzensport beteiligten Akteure würden sich infolge dessen als wenig auskunftsfreudig über 5 Goffman erläutert lediglich die Wahl seiner Quellen. Neben Bezugnahme auf frühere Forschungsergebnisse (Goffman, 1969, S. 4) bezieht er sich vor allem auf Presseerzeugnisse (Goffman 1977, S. 23). „Diese Daten haben eine schwache Seite. Ich habe sie im Lauf der Jahre aufs Geratewohl gesammelt[…]. Auch hier liegt eine Karikatur einer systematischen Auswahl vor“ (Goffman, 1977, S. 24).
  • 25. 25 die Hintergründe einer im Geheimen stattfindenden Praxis zeigen, wonach eine Befragung keinen Erkenntniszuwachs bescheren könnte. „Es pflegt Situationen zu geben, in denen ein Beobachter auf das angewiesen ist, was er von einem Beobachteten erfahren kann, weil es keine ausreichenden anderen Informationsquellen gibt, und in denen der Beobachtete darauf aus ist, diese Einschätzung zu hintertreiben oder aber unter schwierigen Verhältnissen zu erleichtern. Es können sich hier spielähnliche Überlegungen entwickeln, auch wenn es um sehr schwerwiegende Dinge geht. Es kommt zu einem Wettkampf der Einschätzung. […] Die Information gewinnt strategische Bedeutung , und es kommt zu Ausdrucksspielen“ (Goffman, 1981, S. 18). Folglich gilt es, die beschriebenen theoretischen Konzepte in Bezug auf diese Ausdrucksspiele zu untersuchen. Dabei sollen allerdings „kollektive Akteure“ (Keller, Diskursanalyse, 1997, S. 314) an Stelle von einzelnen oder Gruppen von Akteuren treten. In der soziologischen Perspektive erscheint der Schritt von akteurszentrierten Mikroebene im Sinne Goffmans zu einer gesellschaftlichen Makroebene sinnvoll. Es bedarf eines ergänzenden Konzepts zur methodologischen Umsetzung des Goffmanschen Beschreibungsinstrumentariums sozialer Interaktionen in Bezug auf die Dopingthematik: Die Theorie des Diskurses. 2.3 Die Macht des Diskurses Die Diskurstheorie – zurück gehend auf den Philosophen Michel Foucault - nimmt als konstruktivistischer Ansatz ebenso wie die Soziologie Goffmans an, dass das menschliche Wissen nicht unmittelbar durch das Individuum erfahren wird, sondern erst durch soziale Bedeutungszuschreibungen zusammengesetzt, folglich konstruiert wird (vgl. Keller, 1997, S. 315). Wissen wird danach durch eine symbolische Ordnung erzeugt: den Diskurs (vgl. ebd.). Dabei handelt es sich um Vorgänge des Sprechens oder Schreibens, die beispielsweise im wissenschaftlichen Umfeld teilöffentlichen oder im Rahmen massenmedialer Verbreitung allgemeinöffentlichen Charakter besitzen (vgl. ebd. S. 312-314). Ein Diskurs kann somit verstanden werden als „strukturierte und zusammenhängende (Sprach-) Praktiken, die
  • 26. 26 Gegenstände und gesellschaftliche Wissensverhältnisse konstituieren“ (Keller, 2005 , S. 182) und dadurch zu einer Etablierung allgemeingültiger, symbolischer Ordnungen führen. Diskurse reduzieren die Vielfalt sozialer Wirklichkeit, indem sie Interpretationsweisen fixieren und stabilisieren (vgl. Keller, 2004, S. 52). In Bezug auf den Diskurs über das Doping schafft die Art und Weise, wie darüber in der Öffentlichkeit gesprochen wird, das Wissen über die Praktik der unerlaubten Leistungssteigerung. Verschiedene, gesellschaftliche Institutionen kommen darin zu Wort, die basierend auf unterschiedlichen Zielsetzungen voneinander abweichende Standpunkte, Meinungen und Ansichten in die Doping-Debatte einbringen können. An diesem Punkt offenbart sich die Ähnlichkeit des Diskurskonzeptes im Sinne Kellers im Vergleich zu den Rahmungswettbewerben Erving Goffmans. „Gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktion ist ein andauernder und fortschreitender Prozeß, in dem kollektive Akteure in einem symbolischen Kampf um die Durchsetzung ihrer Deutungen […] stehen“ (Keller, 1997, S. 314). Das Diskurskonzept ermöglicht es nun, diese Prozesse analysierbar zu machen. So geht es der „Wissenssoziologischen Diskursanalyse“ in Anlehnung an den französischen Philosophen Michel Foucault darum, zu ergründen, auf welche Weise „spezifisches Wissen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit wird“ (Keller, 2005, S. 190). Äußerungen von sozialen Akteuren werden nicht als einzelne Aussagen, sondern als typisierbares Resultat ihrer sozialen Rolle aufgefasst, da die Äußerungen bestimmten Gemeinsamkeiten und Regeln ihres jeweiligen historischen Umfelds unterliegen (vgl. ebd. S. 182). Somit werden auch hier soziale Akteure als Rollenspieler verstanden (vgl. ebd. S. 212), die durch den Diskurs Auskunft über Institutionen und Organisationen geben, in denen sie sich befinden (vgl. Keller, 1997, S. 319). Somit kann auch das soziologische Rollen-Vokabular Goffmans für eine „Analyse der Strukturierungen von Sprecherpositionen in Diskursen genutzt werden“ (Keller, 2005 , S. 212). Innerhalb des Diskurses fungiert ein Verbot dabei als eine Kontrollinstanz. Diejenigen Akteure, die eine entscheidende Rolle innerhalb eines Diskurses ausüben, sind in der Lage, anderen Diskursteilnehmer die Grenzen des Äußerbaren aufzuzeigen und üben damit Macht aus (vgl. Foucault, 2003, S. 11). „Macht entscheidet also darüber, was wer – vor einem Horizont unendlicher Möglichkeiten des Sag- und Machbaren – darf und was nicht“ (Karis, 2008, S. 39). Unabhängig von den getätigten Äußerungen ist man nur dann „im Wahren […], wenn man den Regeln einer diskursiven »Polizei« gehorcht, die man in jedem
  • 27. 27 seiner Diskurse reaktivieren muss“ (Foucault, 2003, S. 25). Die Konstruktion von Wirklichkeit gleicht demnach einem zyklischen Prozess. In den Diskursen gestalten die Akteure gleichsam ihre Welt nach den Regeln des Diskurses (vgl. Sarasin, 2005, S. 105), wodurch in jedem Diskurs die geltenden Regeln aktualisiert werden (vgl. Foucault, 2003, S. 25). Ziel der Analyse ist nun die Rekonstruktion dieses Regelwerks der Bedeutungsgenerierung (vgl. Keller, 2004, S. 44). Die Aufgabe der Diskursanalyse definiert sich als Suche hinter „widersprüchlichen Argumenten, Aussagen und Meinungen […] nach dem Algorithmus […], mit dem bestimmte Aussagen generiert und andere ausgeschlossen werden können“ (Sarasin, 2005, S. 110). Auf diese Weise lassen sich Denkstrukturen einer Epoche identifizieren (vgl. ebd. S. 71), die in bestimmten „Schemata“ (Foucault zitiert nach Sarasin, 2005, S. 109) vorliegen. Aufgrund der Ähnlichkeit zu Goffman lassen sich diese Strukturen auch als die Rahmen des Diskurses identifizieren (vgl. Keller, 1997, S. 315). Diskursrahmen legen somit im Endeffekt Machtstrukturen offen, die auf den Diskurs und deren Produktion von Wissen einwirken. Wissen ist dabei als eine Tatsache zu verstehen, die in einer Gesellschaft zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt als wahr akzeptiert wird (vgl. Seier. 1999, S. 77). Insofern wirkt der Diskurs auf machtvolle Weise, da er soziale Wirklichkeit erschafft, indem er Wissen produziert (vgl. Seier, 1999, S. 76-77). Nach Foucault ist in Bezug auf den Diskurs nicht das bessere Argument, sondern das mächtigere von zentraler Bedeutung (Tümpler, 2007, S. 15). „Der Diskurs […] ist dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht“ (Foucault, 2003, S. 11). Macht ist insofern dafür verantwortlich, was gemacht oder gesagt werden darf und was nicht (vgl. Karis, 2008, S. 39). Dabei geht es nicht um eine analytische Identifizierung einer Macht, sondern von Machtverhältnissen (vgl. Engelmann, 1999, S. 191). Foucault spricht in diesem Zusammenhang auch von „Kräften“, die sich auf einer ortlosen „Bühne“ (Foucault zitiert nach Sarasin, 2005, S. 118-119) in den Diskursen gegenüberstehen. Zusammenfassend macht sich die Diskursanalyse auf die Suche nach dem Prozesshaften, also immer wieder veränderlichen Strukturen, die den Diskurs hervorbringen und fragt zweitens nach ihren gesellschaftlichen Wirkungen. „Es geht um eine Betonung der Materialität des Prozessierens von symbolischen Ordnungen und um ihre wirklichkeitskonstituierenden Effekte“ (Keller et. al., 2005, S. 71). Es geht der Diskursanalyse darum, was kommuniziert wurde, Stabilität in Form von Rahmen erlangte, bevor es von
  • 28. 28 einer anderen Rahmung verdrängt wurde (vgl. Sarasin, 2005, S. 106). In Bezug auf die Wahrnehmung des gesamten Spitzensports, dessen Teil das Doping ist, fällt jedoch auf, dass der Großteil der Interaktion zwischen Athlet und Publikum nicht direkt an der Sportstätte, sondern indirekt über die Nutzung massenmedialer Angebote erfolgt. Es stellt sich folglich die Frage nach dem Rahmen der Wahrnehmung. „Medien produzieren, regulieren und modifizieren gesellschaftliches Wissen und üben damit Macht aus“ (Karis, 2008, S. 40). In Bezug auf das Doping gilt es deshalb, die Dopingberichterstattung auf ihre Rahmung hin zu untersuchen. 2.4 Die Mediale Vermittlung des Sports In Bezug auf die Dopingthematik schiebt sich durch die Massenmedien eine „Beobachtungsanordnung zwischen Publikum und Bühne“ (Soeffner, 2004, S. 297). Damit bilden diese Institutionen die Ebene, auf der sich die Interaktionen der Akteure und damit ihre Rahmungswettkämpfe nachvollziehen lassen. Bei der Aufführung des Spitzensports spielen die Massenmedien eine Schlüsselrolle. Diese können dabei grundlegend als alle gesellschaftlichen Einrichtungen verstanden werden, die sich technischer Hilfsmittel zur Vervielfältigung ihrer Kommunikation bedienen (vgl. Luhmann, 1996, S. 10). Dazu zählen Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Radio und das Internet, folglich alle, die der Verbreitung von Kommunikation an unbestimmte Adressaten dienen. Erst die Massenmedien machen den Spitzensport und damit die Dopingthematik durch ihre Berichterstattung gesellschaftlich wahrnehmbar, da nach Luhmann (2006, S.9) das gesellschaftliche Wissen durch die Massenmedien erfahren wird. Insofern sind die Kommunikationsmittel als zentrales Forum für die Bedeutungsvielfalt des Sports zu verstehen (vgl. Schwier, 2002, S.2), da sie besonders für das Leitmedium Fernsehen, als „elektronische Erweiterung“ (Pöttinger, 1989, S. 279) der Stadien, von hohem wirtschaftlichen Wert sind. Damit bietet das Buch, die Zeitung oder der Bildschirm einen Ausschnitt der Realität. „Dieser äußere Rahmen setzt dann eine Welt frei, in der eine eigene fiktionale Realität gilt“ (Luhmann, 1996, S.98). In Abgrenzung zu anderen Medientheoretikern geht Luhmann allerdings nicht davon aus, dass dieser Kommunikationsprozess eine manipulierte, sondern eine nach den Gesetzmäßigkeiten des
  • 29. 29 Mediums konstruierte Realität schafft (vgl. Luhmann, 1996, S. 10). Die Konstruktionsbedingungen der Medienrealität ergeben sich dabei als eine Folge des grundlegenden Berichterstattungsbedarfes der Massenmedien. Die Unternehmen müssen regelmäßig Informationen produzieren, um sich durch dessen Verkauf Gewinne zu erwirtschaften. Je mehr nun über den Sport berichtet wird, desto stärker steigt das Bedürfnis der interessierten Zuschauer, noch mehr darüber zu erfahren. Da bei der Wiederholung immer gleicher Informationen Langeweile entstünde, könnte ein wesentlicher Faktor des Konsumreizes für den Zuschauer in Form der Unterhaltung nicht mehr aufrecht erhalten werden und einen Verkaufsrückgang bewirken. Da sich eine Information nur einmal verwenden lässt, folgt daraus, dass die Berichterstattung durch die Vermittlung von Informationen gleichzeitig einen Mangel an Informationen verursachen (vgl. Berghaus, 2003, S.201). „Die Informationen machen nicht satt, sondern im Gegenteil immer hungriger nach neuer Information“ (ebd). Daraus folgt, dass immer wieder etwas Neues und Außergewöhnliches berichtet werden muss. Es erfolgt eine Dramatisierung des spitzensportlichen Handelns mit dem Kalkül, Aufmerksamkeit für sich oder ein Thema zu verschaffen, das Objekt „in Szene“ Horky, 2001, S. 18) zu setzen. Massenmedien vermitteln somit kein reales Bild der Sportwirklichkeit, sondern ein konstruierte Mediensportwirklichkeit (vgl. ebd. S. 148). Horky (2001) definiert vier Vorgänge der dramaturgischen Aufladung, die darauf abzielen, die sportliche Spannung im Sinne des Zuschauers zu erhöhen, da es dem Spitzensport als Unterhaltungsprodukt obliegt, affektive Gipfelpunkte zu erzeugen (vgl. Gebauer, 1986, S. 8). Zwei dieser Prozesse stehen in direktem Zusammenhang mit der Doping-Berichterstattung. Als erstes führt er den „Inszenierungsprozess Thema“ (Horky, 2001, S. 178-181) ein, bei dem es sich um eine konstante Struktur der Berichterstattung handelt. Durch die Auswahl von bestimmten Themen und die Auslassung von anderen wird ein Rahmen erzeugt, indem vor allem besondere Leistungen oder kontroverse Auseinandersetzungen vorgeführt werden. An zweiter Stelle folgt der „Inszenierungsprozess Person“ (ebd. S. 182-183). Hierbei wird das sportliche Geschehen anhand von Sportlerpersönlichkeiten erzählt, deren Erfolg die Grundlage für eine intensive mediale Beschäftigung mit der betreffenden Person zur Folge hat. Auf diese Weise werden Stars erzeugt, was wiederum ermöglicht Skandale oder Misserfolge derselben Person medial zu verwerten, da sie gesellschaftliche Aufmerksamkeit
  • 30. 30 erzeugen. Beiden Inszenierungsprozessen ist gemein, thematisch strukturierte Informationen über die Realität zu verbreiten, die dazu dienen, der Gesellschaft ein gemeinsames Hintergrundwissen zu ermöglichen. Massenmedien schaffen somit ein „soziales Gedächtnis, auf das sich die Gesellschaft in ihrer gesamten Kommunikation stützen kann“ (Berghaus, 2003, S. 242). Auf diese Art und Weise bildet sich ein Rahmen, der das gesellschaftliche Bild der spitzensportlichen Realität darstellt. Die massenmedialen Erzeugnisse werden somit zum symbolischen Bedeutungsträger der sportlichen Akteure. Massenmedien, die über den Spitzensport berichten, liefern dem Rezipienten einen Rahmen als Orientierungsmuster, der er ihnen erstens Antwort auf die Frage gibt: „Was geht da eigentlich vor?“ und damit zweitens ein entsprechendes Handlungsmuster offeriert: „Schauen sie zu. Dies ist ein Spiel zu ihrer Unterhaltung“. Vor diesem Hintergrund gilt es, übergeordnete Muster im medialen Dopingdiskurs zu identifizieren. 3. Rekonstruktion diskursiver Dopingpraxis bei der Tour de France Die am Dopingdiskurs beteiligten spitzensportlichen Akteure interagieren nach bestimmten Schemata und interagieren dabei sowohl im privaten als auch im öffentlichen Rahmen. Aufgrund des fehlenden Forschungszugangs kann die Analyse der Dopingthematik bei der Tour de France lediglich den letzteren Rahmen beschreiben. Dieser öffentliche Diskurs stellt allerdings auch die entscheidende Analyseperspektive dar, weil der Forscher in diesem Zusammenhang die Rolle des Zuschauers einnimmt, an den schließlich die gezeigte Vorstellung adressiert ist. Für die Akteure erweist es sich dabei als taktischer Vorteil, die anderen Interaktionsteilnehmer inklusive des Publikums über ihre wahren Hintergründe und Ziele der Interaktion im Unklaren zu lassen. Im Einzelnen soll es nun weniger darum gehen, die »Wahrheit«, wenn diese als objektive Kategorie überhaupt möglich ist, herauszufinden, sondern vielmehr Aufschluss über das Regelwerk der Aussagen zu erhalten. Was darf gesagt werden, was nicht und welche Konsequenzen haben beide Arten von Aussagen. Dabei ist grundlegend darauf hinzuweisen, dass die Interaktionen der Akteure zu dem Zeitpunkt ihres Stattfindens einen prozesshaften Charakter besitzen, die Folgen ihres Tuns also nicht abgesehen werden können (vgl. Soeffner, 2004 , S. 165). Im Gegensatz dazu findet sich in der
  • 31. 31 Forschungsperspektive das fertige Ergebnis der Interaktion in Form eines fixierten Textes (vgl. ebd.). Dieser Text soll mit Hilfe des rekonstruktiven Ansatzes der Diskursforschung wieder geöffnet werden, „um die in ihm als Handlungshorizont noch enthaltenen, später dann ausgeschlossenen Handlungsalternativen zu erschließen“ (ebd.). Auf diese Weise tritt der darstellende Charakter des Interaktionszusammenhanges zu Tage, da sich aus den nicht- verfolgten Strategien der Nutzen der angewandten Diskursstrategie erschließen lässt. Im Zuge der Untersuchung gilt es nun die verwendeten Rahmen im öffentlichen, medial vermittelten Dopingdiskurs über die Tour de France nachzuzeichnen. Für die Durchführung der Untersuchung werden dafür im ersten Schritt Zeitpunkte im historischen Verlauf aufgespürt, in denen das Doping umfassend thematisiert wird. Dreyfus und Rabinow (1987, S. 301) sprechen in diesem Zusammenhang von „Problematisierungen“ als geschichtliche Momente, in denen sich ein Rahmen bildet, der die zugrunde liegenden Normen dieser Zeit widerspiegelt. Grundlage dafür bieten „natürliche Daten“ (Keller, 2008, S. 66), folglich wissenschaftliche Publikationen, Zeitungs- bzw. Magazintexte, Agenturmeldungen und audiovisuelle Dokumente wie Dokumentationen. Dabei ist eine vollständige Abbildung eines identifizierten Zeitraumes schwerlich möglich, so dass an Stelle dessen eine problemzentrierte Analyse und Rekonstruktion erfolgt (ebd. S. 68). In Anlehnung an Keller (1997, S. 318-319) geht es dabei um folgende Fragestellungen: • Wie sind die Dopingdiskurse entstanden? • Welche Veränderung haben Sie im Lauf der Zeit erfahren? • Welche kognitiven Wahrnehmungs-, moralische und ästhetische Bewertungsschemata transportieren sie? • Wer sind ihre Träger? • Wie erfolgreich sind ihre Träger, d.h. welche Auswirkungen haben die Diskurse? Im Versuch diese Fragen zu klären soll der Dopingdiskurs bei der Tour de France rekonstruiert wird werden, um der Frage nach zu gehen, welche übergeordneten Schemata, folglich Rahmen, im Dopingdiskurs verwendet werden und in welcher Form die Thematik einen Bedeutungswandel vollzogen hat. So stellt sich reskonstruktive Analytik anhand von vier Problematisierungen in einem Vierschritt dar. An erster Stelle werden in jedem der Zeitabschnitte die diskursiven Rahmenbedingungen aufgezeigt. Im Anschluss wird der medial vermittelte Dopingdiskurs nachgezeichnet, bevor die Konsequenzen aus dieser öffentlichen
  • 32. 32 Verhandlung aufgezeigt werden. Beendet werden die Problematisierungsabschnitte mit einer Interpretation des Diskurses unter Zuhilfenahme der Goffmanschen Metaphoriken. 3.1 Die Gründung der Tour de France „Es ist ein Fest im wahrsten Sinn, das heißt die Gelegenheit für jeden, den Alltag zu unterbrechen, seine Sorgen zu vergessen, an Orte zu fahren, wo ein fröhliches und spannendes Schauspiel geboten wird, das schön und bunt ist, fesselnd, attraktiver Mittelpunkt einer Präsentation des kommerziellen Einfallsreichtums dank der Werbekarawane, die die langen Wartezeiten rechtfertigt und ausfüllt […]“ Tourdirektor Jacques Goddet, 1963 6 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts beginnt die französische Mittelklasse dank sinkender Arbeitszeiten und steigender Löhne, sich für Sport im Allgemeinen und Radsport im Speziellen als eine Form der Freizeitgestaltung zu interessieren (vgl. Thompson, 2006, S. 9). So entsteht die erste professionalisierte Sportart neben dem Boxen (vgl. Gamper, 15.09.2006) als Konsequenz aus einem lukrativen Markt für Radrennveranstalter, dem Kampf der Fahrradindustrie um die besten Sportler und dem finanziellen Interesse der Athleten, bereits um 1895 (vgl. Schröder, 2002 S. 40). Dank ihrer umfangreichen Berichterstattung leisten die Massenmedien einen erheblichen Beitrag für die Professionalisierung des Radrennsports, indem sie aufgrund der leistungs- und fortschrittsbezogenen Charakteristiken des Radsports das vorhandene Interesse des Publikums bedienen und noch weiter steigern. „Die sportlichen ‚Fortschritte‘ sind einfach so faszinierend oder gar abstoßend, daß die Presse zur Popularität der Radprofessionals geradezu beitragen muß“ (Rabenstein, 1996 , S. 89). Aus Sicht der Rennveranstalter wird es durch ein Überangebot an Steher-, Sechstagerennen oder Distanzfahrten immer schwieriger, die Unterhaltungslust des Publikums zu befriedigen. Zwei Unternehmer stehen sich gegenüber. Auf der einen Seite befindet sich Pierre Giffard, Chefredakteur der Le Vélo, der mit täglich 80.000 verkauften Exemplaren größten Sportzeitung Frankreichs. Giffard ist ebenfalls Veranstalter der Langstreckenrennen Paris- Brest-Paris, Paris-Roubaix und Bordeaux-Paris über Distanzen von rund 600-1200 Kilometern (vgl. Renggli, 2000, S. 141). Ihm gegenüber steht Henri Desgrange, Chefredakteur der Sportzeitung L’Auto. Beide realisieren, dass nur eine der beiden Sportzeitschriften den 6 (zitiert nach Nora, 2005, S. 467).
  • 33. 33 gegenseitigen Verdrängungswettbewerb überleben kann (vgl. Krämer, 1998, S. 11). So entschließt sich Desgrange die Idee seines Mitarbeiters Geo Lefévre von einer neuartigen Etappen-Rundfahrt durch Frankreich in die Tat umzusetzen. Nach knapp sechsmonatiger Planungszeit erfolgt am 1. Juli 1903 für 60 Fahrer der Startschuss zur ersten Tour de France, die mit einem Umfang von 2428 Kilometer und einem Preisgeld von 20.000 Francs die erforderlichen Superlative bietet (vgl. Renggli, 2000, S. 141). Henri Desgrange kommentiert das Ereignis in einem Leitartikel seiner Zeitung: „Mit […] mächtigem Elan, […] lanciert L’Auto als Zeitung mit avantgardistischem Mut heute das größte Rennen der Welt mit den prächtigsten, unerschrockensten aller Athleten“ (zitiert nach ebd.). Der Franzose Maurice Garin kann die erste Auflage des Rennens nach insgesamt 94 Stunden für sich entscheiden (vgl. Thompson, 2006, S. 33). Dabei verbringt er durchschnittlich 15,35 Stunden pro Tag auf dem Rad (vgl. Rabenstein, 1996, S. 79). Doch die Mühen lohnen sich für Garin. Mit 6075 Francs, die er unterwegs an Prämien verdient, wird er zu einem der bestbezahltesten Sportler seiner Zeit (vgl. Siemes, 26.06.2003). Begleitet von den „epischen Reportagen über den heldenhaften Kampf verwegener Männer“ (Krämer, 1998, S. 12) erreicht auch Desgrange sein Ziel. Die Verkaufsauflage der L’Auto verdoppelt sich innerhalb der Tour von 30.000 auf 65.000 Exemplare, während Giffard seine »Le Vélo« bereits Ende 1903 vom Markt nehmen muss (vgl. ebd. S. 13). Von Beginn an tritt das Dopingphänomen am deutlichsten in Verbindung mit dem Radsport in Erscheinung, den der österreichische Mediziner Clemens Prokop als „Brutstätte des Dopings“ (o.V., 1985/15, S. 184) bezeichnet. Doping im Radsport werde von Generation zu Generation vererbt (vgl. Rabenstein, 1996, S.177). Dieser Ruf steht in engem Zusammenhang mit der Tour de France, da sie schon nach kurzer Zeit zur „wichtigsten Bühne“ (Schröder & Dahlkamp, 2003, S. 10) für die Radprofis wurde. Der hohe Stellenwert der Veranstaltung gilt in Verbindung mit der hohen ökonomischen Verwertbarkeit eines erfolgreichen Abschneidens als Hintergrund des angewandten Dopings und soll im Folgenden nachvollzogen werden (vgl. ebd.). 3.2 Rahmung I: Der noch uneingeschränkte Dopingdiskurs
  • 34. 34 „Ich bin kein Sportler, ich bin Profi“ 7 Rudi Altig, Radrennfahrer 3.2.1 Festlegung des Anforderungsprofils Um das gesellschaftliche Interesse an der Tour erstens zu konservieren, zweitens auszubauen und drittens die Profite der Organisatoren zu steigern, experimentieren die Tour-Verantwortlichen mit der Streckenplanung und dem Reglement, um ein spannendes, ereignisreiches Rennen präsentieren zu können. Während 1903 die Fahrer das Tour-Ziel als Erster zu erreichen haben, um das Rennen zu gewinnen, ändert sich im darauffolgenden Jahr das Reglement. Die Anzahl an Etappen wird auf elf erhöht und die Abstände in ein Punktesystem umgerechnet. Damit kann auch ein Fahrer das Tour-Ziel als Vierter erreichen und trotzdem den Gesamtsieg erreichen, wenn er vorher entsprechend viele Punkte errungen hat. So bleibt die Spannung des Rennens länger erhalten, da ein Fahrer auch nach einem schlechten Tagesergebnis noch den Gesamtsieg erreichen kann. Dieses System wird 1912 von dem bis heute üblichen Modus der akkumulierten Zeitrechnung abgelöst, das die Zeitabstände zwischen dem ersten und den nachfolgenden Fahrern in einem Gesamtklassement addiert (vgl. Thompson, 2006, 33). Eine fundamentale Neuerung gegenüber den damaligen Distanzfahrten stellen die Bergüberquerungen dar. Ab 1910 werden mit dem 2.115 Meter hohen Tourmalet die ersten Hochgebirgspässe der Pyrenäen in das Streckendesign integriert (vgl. ebd. S.34). Diese zusätzlichen Belastungen fallen zusammen mit ebenfalls steigenden Streckenlängen. Von 1903 bis 1926 verdoppelt sich die Renndistanz sukzessive auf 5741 Kilometer (vgl. ebd. S. 33). Die Rennbelastungen fordern ihren Tribut: Zwischen 1903 und 1929 kann das Rennen von nur 30 Prozent aller gestarteten Fahrer beendet werden (vgl. ebd. S. 112). Neben der Akkumulierung von Spannung muss Desgrange gleichzeitig den Wünschen seiner Sponsoren Rechnung tragen, die für die Durchführung des Rennens aus wirtschaftlicher Sicht unerlässlich sind. Ab 1909 leistet der Renndirektor dem Begehren der werbetreibenden Wirtschaft folge, die die Gewinnchancen ihre jeweiligen Spitzenfahrer erhöhen möchte, indem die Gründung von Teams erlaubt wird. Der gesponserte Spitzenfahrer kann somit seine Risiken minimieren und damit seine Erfolgswahrscheinlichkeit und die seiner 7 (zitiert nach Gremliza H. L., 2008, S. 30).
  • 35. 35 Sponsoren in Form von positivem Imagetransfer erhöhen, wenn ihm Helfer zur Seite gestellt werden. Diese »Wasserträger« versorgen ihren »Kapitän« während des Rennens mit neuem Material oder Verpflegung, spenden Windschatten und halten das Tempo hoch, um Ausreißversuche zu verhindern. Auf diese Weise kann der Star der Mannschaft für die rennentscheidenden Momente geschont werden (vgl. ebd. S. 36-37). Im Zuge dieser Entwicklung erfindet Desgrange 1919 das gelbe Trikot, das den Gesamtführenden im Rennen erkenntlich machen soll. Dies erhöht für die Zuschauer an der Strecke die Nachvollziehbarkeit des Rennverlaufs und erhöht damit wiederum deren Spannungserleben (vgl. Boßdorf, 2004, S. 24). Die frühen Jahre des Dopings bei der Tour de France sind gekennzeichnet von einem unwissenschaftlichen Prinzip des Versuch-und-Irrtums. Die Fahrer und ihr Umfeld experimentieren mit pflanzlichen Stoffen wie Koffein, Mate-Extrakten, Opiaten, Kokain, Alkoholen wie Äther oder Strychnin, aber auch mit synthetischen Stoffen wie Nitroglyzerin und Amphetaminen (vgl. Thompson, 2006, S. 225). Die Einnahme dieser Substanzen erfolgt einzeln oder in Kombination von mehreren Stoffen mit dem Ziel, entweder die Leistungsfähigkeit des Athleten zu erhöhen oder seine Regeneration zu beschleunigen. Um die Wirkung in höherer Dosis im Wettkampf zu erfahren, setzen sich die Fahrer außerhalb des Wettkampfes geringen Dosen aus (ebd.). Der erste bekannt gewordene Dopingfall der Tour de France ereignet sich beim französischen Fahrer Paul Duboc im Jahre 1911. Nach der Einnahme einer „zweifelhaften Flüssigkeit“ (o.V., www.radsport-news.com, 04.07.2003) zieht er sich eine Vergiftung zu und gibt das Rennen auf. Die Radsportler müssen sich zur damaligen Zeit nicht vor öffentlicher Ächtung fürchten. Die Zuschauer unterstützen die Fahrer beim Doping, indem sie unter anderem Champagner oder Cognac, zur damaligen Zeit als stimulierend bekannt, an die Tourteilnehmer reichen (vgl. Thompson, 2006, S. 225). Bis zum ersten Weltkrieg gibt es selbst unter Medizinern kein Problembewusstsein für Stimulanzien wie das Kokain (vgl. Rabenstein, 1996 , S. 175). So äußert sich auch Henri Desgrange in zustimmender Weise in Bezug auf das Doping: „Ich habe nichts dagegen, wenn ein Fahrer sich vorübergehend künstlich stimuliert, wenn es nicht mehr anders geht“ (Moll, 2007/07, S. 154). 3.2.2 1924 - Die Affäre Péllissier
  • 36. 36 1924 steigen die Vorjahressieger Henri und sein Bruder Francis Péllissier zusammen mit dem an zweiter Stelle liegenden Maurice Ville aus Protest gegen die Behandlung durch die Rennleitung aus dem Wettbewerb aus (vgl. Boßdorf, 2004, S. 26). Henri Péllissier ist bei dieser Tour bereits mehrmals mit den Tour-Kontrolleuren aneinander geraten, bis schließlich eine zweiminütige Zeitstrafe für ein weggeworfenes Trikot zum Rennabbruch führt. In der Folge treffen sich die drei Athleten mit einem Reporter der Zeitung Le Petit Parisien, um ihre Behandlung publik zu machen (vgl. Schröder & Dahlkamp, 2003, S. 56). Henri Pélisser: „We do things you would not force mules to do. […] We don´t want to be humiliated!”8 (zitiert nach Thompson 2006, S. 191). Darüber hinaus zeigen sie dem betreffenden Journalisten Albert Londres mitgeführtes Kokain, Chloroform, Cremes und Pillen, sogenanntes »Dynamit«. Obwohl ihnen die Schädlichkeit dieser Substanzen bewusst sei, fühlten sie sich zur Einnahme dieser Stoffe aufgrund der Rennbelastung gezwungen. Ersteres zur Leistungssteigerung, letzteres zur Schmerzstillung (vgl. Schröder & Dahlkamp, 2003, S. 56). Die drei Fahrer sprechen damit erstmals aus, dass Doping bei der Tour de France von Beginn an mit dem Rennen verknüpft ist (vgl. ebd.). Am folgenden Tag berichtet Londres von der Rundfahrt als „Tour der Leiden“ (zitiert nach Thompson, 2006, S. 191). Die Fahrer glichen leeren Kadavern und seien „Zwangsarbeiter der Landstraße“ (ebd.). So dreht sich die öffentliche Diskussion, die dem Zeitungsartikel folgt, nicht um Doping, sondern um die Rolle der „Pedal-Arbeiter“ (ebd. S. 180). Die kommunistische Tageszeitung L’Humanité kritisiert, dass die Fahrer Krankheiten, Hunger, Durst und Todesfälle erleiden müssten, nur um Desgranges Reichtum zu mehren. Außerdem müssten sie zu der heißesten Zeit des Tages fahren, damit L’Auto die Ergebnisse den Franzosen am nächsten morgen zum Frühstück präsentieren könne (vgl. ebd S. 196-197). Desgrange beantwortert die Kritik von Péllissier und L’Humanité in seiner Zeitung mit dem Argument, dass kein Fahrer gezwungen sei an der Tour teilzunehmen und sie eine Möglichkeit des sozialen Aufstiegs für die Teilnehmer darstelle (vgl. ebd S.198). Zuletzt schreibt Desgrange in L’Auto, dass sich nur derjenige über eine sogenannte Sklaventätigkeit beklagen könne, dem es an Kraft und Tapferkeit fehle (vgl. ebd. 208). 8 Übersetzung des Verfassers: “Wir machen Dinge, zu denen man noch nicht einmal Maultiere zwingen würde. […] Wir wollen nicht erniedrigt werden!”
  • 37. 37 3.2.3 Hauptsache im Gespräch Dem Rennen wird erstmals öffentliche Kritik im umfassenden und langanhaltenden Maßstab in Frankreich zu Teil, nachdem vorher vor allem elaborierte Kreise die Auswirkungen des professionellen Radsports in Zweifel gezogen haben. Berufsfahrer gelten dort als eine Art moderner Schaukämpfer, die ihre Gesundheit und ihr Leben der Unterhaltung der Massen und dem Werbebedarf der Fahrradindustrie opfern (vgl. Rabenstein, 1996, S. 97). Als Reaktion auf die öffentliche Kritik der drei streikenden Fahrer, belegt Desgrange die Athleten mit der Zahlung von jeweils 600 Francs und vermerkt im Regelwerk der Tour ab 1925, dass imageschädigendes Verhalten in Bezug auf das Rennen oder das Anstiften dazu mit einem Startverbot im folgenden Jahr bestraft werde (vgl. Thompson, 2006, S. 207). Weiterhin spricht er den Fahrern das Recht ab, sich für kollektive Aktionen zu versammeln. Desgrange ist in Sorge, dass mögliche Geschwindigkeitsreduzierungen die Attraktivität des Rennens mindern könnten (vgl. ebd.). Zugeständnisse macht er den Athleten in Form des Rennumfangs. Während die Renndistanz bis 1926 auf 5745 Kilometer kontinuierlich gesteigert wird, verringert sie sich ab diesem Zeitpunkt sukzessive bis sie sich 1933 über Jahre um 4400 Kilometer bewegt (vgl. Boßdorf, 2004, S. 134). Damit liegen die Umfänge allerdings immer noch rund 1000 Kilometer über den heutigen Ausmaßen. Die Auflage von L’Auto steigt trotz der öffentlichen Kritik und der Verkürzung des Rennens. Zwischen 1920 und 1930 erzielt die Zeitung eine Auflagensteigerung von 100.000 auf 300.000 Exemplare (vgl. Thompson, 2006, S. 42). Während der Tour verdoppelt sich die Auflage noch einmal und findet besonderen Absatz in den Jahren 1923 (500.000) und 1933 (730.000) als jeweils ein Franzose die Tour gewinnt (vgl. ebd.). Die Tour hat sich zusammenfassend als erfolgreiches Marketinginstrument behauptet. Öffentliche Kritik kann Desgrange wirkungsvoll abfedern und das Preisgeld der Tour von 20.000 Francs auf 1.059.350 Francs steigern (vgl. ebd. 39-41). Damit scheint sich zu bestätigen, was Desgrange bereits 1905 vermutet, als mehrere Regelübertretungen der Fahrer das Rennen bereits als gescheitertes Projekt haben erscheinen lassen: „Besser üble Nachrede als gar kein Gerede“ (Krämer, 1998, S. 15). 3.2.4 Etablierung des politischen Schemas
  • 38. 38 Der von dem Radsporthistoriker Rüdiger Rabenstein (1996, S. 95) attestierte „Gigantismus“, der in dieser Zeit den Bereichen von Technik und Sport auftritt, resultiert aus einer „Rekordsucht“ des Publikums. Desgrange übernimmt in Bezug auf die Tour de France die Rolle des Regisseurs, der durch die Realisierung seines sportlichen Theaterstücks mit den daran interessierten Zuschauern in Kontakt tritt. Das Drehbuch des Stücks muss daher vor allem spannende Unterhaltung versprechen und industrielle Prinzipien in Form der Professionalisierung, des stetigen Überbietungsanspruchs und der sozialen Aufstiegsmöglichkeit durch Leistung vorgeben. Durch die Ähnlichkeit zu der gesellschaftlichen Realität, erhofft der Regisseur, eine Einfühlung des Zuschauers in die Darsteller zu ermöglichen. Desgrange arrangiert im Goffmanschen Sinne die Interaktion, um das Publikum zu verzaubern und infolge dessen mit seinen Zielen der Aufmerksamkeitsgenerierung übereinstimmen zu lassen. Dabei kann Desgrange auf zwei Ebenen der Vermittlung zurückgreifen, um sicher zu gehen, das auszudrücken, was er mitteilen will. Auf der ersten Bühne stellt sich der sportliche Wettkampf für die Zuschauer am Straßenrand in natura dar. Der Regisseur dramatisiert diesen Interaktionsprozess, indem er die Fahrer unter strengen Auflagen gegen sich selbst, ihre direkten Gegner und die gerade in den Höhen der Berge noch vielfach unbezähmte Natur antreten lässt. Je härter die vorgegebenen Bedingungen, desto größer erscheint der im Erfolgsfalle daraus hervorgehende, erzeugte Held, der noch umso heller strahlt, je weniger Fahrer in das Ziel kommen. Das Doping wird somit zur notwendigen Requisite für den professionellen Fahrer, der dafür im Erfolgsfalle überdurchschnittlich gut entlohnt wird und offen darüber sprechen darf. Auf der zweiten, medial vermittelten Bühne, kann Desgrange mit Hilfe seiner Theaterzeitung »L’Auto« den Interaktionsprozess idealisieren. Hier verwandelt sich ein Rennfahrer zu einem Helden „von anderem Blut, von anderem Fleisch als wir“ (Hénard, 2001, S. 45). Aus einem Menschen wird ein „Kampftier von außergewöhnlichem Format […] mit Atemzügen wie ein Schmiedebalg“ (ebd.). Zuschauer, die zum ersten Mal dem Spektakel beiwohnen, erschließt sich auf die Goffmansche Frage, »Was geht hier eigentlich vor?« eine eindeutige Antwort, wenn in der Zeitung von den »Giganten der Landstraße« die Rede ist. L’Auto erfüllt damit die Rolle des Clacquers. Nicht im Drehbuch steht jedoch der öffentliche Protest seiner Darsteller gegen ihre Arbeitsbedingungen, der sich in dreifacher Hinsicht negativ für Desgrange auswirken kann.
  • 39. 39 Erstens können Denunzianten wie die Pélissiers ein Einfühlen des Zuschauers verhindern, weil sie einen Einblick auf die Hinterbühne ermöglichen, der desillusionieren kann. Zweitens können politische Gegner die entstehende Diskussion dafür nutzen, das gesamte Theaterstück in Frage zu stellen. Abschließend handelt es sich drittens um einen Machtkampf um die Kontrolle im Stück, da die Péllisiers, die für das Publikum aufgrund ihrer besonderen Schauspielleistungen in der Vergangenheit sehr populär sind, gegen Desgramges Führungsgewalt opponieren. Der Regisseur muss die Revolte gewinnen, um innerhalb seines Schauspielensembles weiterhin den Ton im Drehbuch angeben zu können. Eine mögliche Absenkung des Anforderungsprofils hätte einen erheblichen Verlust an Dramatik und damit an Aufmerksamkeitspotential des Publikums zur Folge. Desgrange ist in Folge dessen gezwungen, sein Darsteller-Ensemble an die Wahrung ihrer Ausdruckskontrolle zu erinnern. Da es sich bei den betreffenden Fahrer allerdings um Protagonisten des Stücks handelt, kann er sie nicht einfach aus der Besetzungsliste streichen, sondern muss sie diskreditieren, finanziell sanktionieren und zusammen mit entsprechenden Änderung des Regelwerkes seinem Ensemble verdeutlichen, dass solch ein Verhalten Konsequenzen in Form eines Spielverbotes haben kann. Da Desgrange als Theaterregisseur allerdings auch darauf angewiesen ist, dass weiterhin Darsteller Teil seines Stücks werden möchten, muss er sich auch nach ihren Bedürfnissen richten. Allerdings nur insoweit, als es für das Publikum keine Spannungseinbußen zur Folge hat. Obwohl es Desgrange vermochte, die Darsteller-Revolte siegreich zu überstehen, haben sich basierend auf der öffentlichen Auseinandersetzung zwei Lager gebildet, die sich innerhalb der öffentlichen Rahmungswettkämpfe über das Stück jahzehntelang gegenüberstehen werden. Auf der einen Seite befindet sich der marktwirtschaftlich orientierte Desgrange, der mit seinem Theater eine Möglichkeit des sozialen Aufstiegs für alle Beteiligten postuliert und den Darstellern freie Entscheidungsgewalt über Ruhm und Gesundheit einräumt. Auf der anderen Seite formiert sich eine linkspolitisch ausgerichtete Akteurskonstellation, die den Mensch im sozialen Gefüge vor den Verlockungen des Kapitals und den damit verbundenden Schattenseiten bewahren möchte. Der mediale Diskurs spiegelt diese Strömungen im ersten Falle durch Zeitungen wie L‘Auto, die sich darum bemüht, ein glorifizierendes Heldenbild der Darsteller zu entwerfen. Ihr gegenüber stehen Presse-Organe wie L’Humanité, die den Schauspieler als Opfer des kapitalistischen Regisseurs begreifen. Dieser
  • 40. 40 Rahmungswettberwerb beeinflusst das Stück in diesem Fall und in der Folge erheblich auf seiner zweiten, medialen Wahrnehmungsebene im Sinne einer politischen Grundsatzdebatte, die von außen in das Stück integriert im Sinne des Ausdrucksmanagements auf die erste Wahrnehmungsebene zurückwirkt. Das Doping tritt im Rahmen dieses politischen Schemas der Berichterstattung als ein Argument unter vielen in Erscheinung, da es aufgrund der allgemeinen Akzeptanz und der noch größtenteils unbekannten gesundheitlichen Folgen zu wenig Polarisierungspotential besitzt. Der Dopingdiskurs erweist sich dahingehend als nahezu unbegrenzt. Abgesehen von den politischen Lagern, dessen Sicht sich in Wahlfreiheit contra Opferrolle darstellt, besteht noch keine Eingrenzung in Form des Sag- oder Machbaren. 3.3 Rahmung II: Kurzfristige Problematisierung eines Kavalierdeliktes „To take start of the Tour is to sign a moral contract. You accept the rules and all their implications, or you don´t enter the race” 9 Alec Taylor, Teammanager von Tom Simpson 3.3.1 Profit- und Dopingmaximierung 1947, Desgrange ist mittlerweile verstorben, kommt es zur Wiederaufnahme der großen Schleife durch Frankreich. Mit dem Rennen sind auch die »Giganten der Landstraße« als ein Symbol zur nationalen Wiedergeburt der Franzosen zurück (vgl. Thompson, 2006, S. 204- 214). Unterbrochen nur vom ersten Weltkrieg organisiert Desgrange mit seiner Zeitung die Tour bis 1939 bevor der zweite Weltkrieg eine Pause bis 1947 und gleichzeitig das Ende von L’Auto zur Folge hat. Jacques Goddet, der bereits unter Desgrange gearbeitet hat, gründet 1946 die Zeitung L’Équipe, mit der er die Restbestände von L’Auto und die Hälfte der Rechte an der Tour übernimmt. Die andere Hälfte erwirbt die Zeitung Le Parisien Libéré hinter der wiederum die Verlagsgruppe Éditions Philippe Amaury (EPA) steht. Beide Zeitungen sind knapp 20 Jahre für die Austragung der Tour verantwortlich sind, bis 1964 die L’Équipe ebenfalls von der EPA gekauft wird (vgl. ebd. S. 35). Diese gründet für die Organisation von Sport-Events wie der Tour die Amaury Sport Organisation (ASO), die sich neben dem 9 Übersetzung des Verfassers: „Bei der Tour zu starten, bedeutet, einen moralischen Vertrag zu unterzeichnen. Du akzeptierst die Regeln und all ihre Auswirkungen oder du startest nicht im Rennen” (zitiert nach Thompson, 2006, S. 236).