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Artikel aus der NZZ (nzz.ch) von Friedemann Bartu vom 30.5.2014 zum thema Geschaeftsreisen in
Russland; auch im Interview Birger Oldorff von International SOS
http://www.nzz.ch/russland-als-schwieriges-pflaster-fuer-geschaeftsreisende-1.18311685
Geschäftsreisen
Russland als schwieriges Pflaster für
Geschäftsreisende
von Friedemann Bartu30.5.2014, 05:33 Uhr
Die Länder hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang warten mit unterschiedlichsten
Herausforderungen auf.
Die St. Basilius-Kathedrale (eigentlich Kathedrale des Basilius des Glueckseligen) in Moskau, Russland. (Bild:
Alessandro Della Bella / Keystone)
Auf den ersten Blick wirkt vieles vertraut. Doch trotz äusserlichen Ähnlichkeiten mit
dem Westen ist die Welt hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang noch immer eine
andere. «Verstehen kann man Russland nicht, und auch nicht messen mit Verstand. Es
hat sein eigenes Gesicht, nur glauben kann man an das Land», lautet ein rund 150 Jahre
altes Gedicht des Poeten Fjodor Tjuttschew, das in Russland noch heute an vielen
Schulen vermittelt wird.
Sorge um die Sicherheit
Seit dem Ende des Kalten Kriegs glaubt aber auch das Ausland an Russland und die
Staaten der GUS. Waren es anfangs vor allem Grosskonzerne, die diese neuen Märkte
für sich erschlossen, so sind inzwischen auch Abertausende von kleinen und
mittelständischen Unternehmen im Geschäft. Sie alle stellen jeweils rasch fest, dass
Russland gewaltige Dimensionen aufweist: Liegt der Osten bereits im Dunkeln, ist es im
Westen noch taghell. Dazu kommt, dass Sprache und Schrift eine grosse
Herausforderung darstellen.
«Trotzdem lassen sich unerfahrene Reisende gerne zum Irrglauben verleiten, es
bestünden eigentlich kaum ernsthafte Unterschiede zwischen Ost und West», mahnt
Birger Oldorff, Russlandexperte und Leiter der Zürcher Niederlassung von International
SOS. Dieser weltweit tätige Anbieter für medizinische Beratung und
Reisesicherheitsdienste ist um die Gesundheit und die Sicherheit von
Geschäftsreisenden und Expatriates besorgt.
«Sicherheit spielt nicht erst seit dem Konflikt um die Ukraine eine wichtige Rolle»,
betont auch Beat Bürer, Managing Director Europe Central bei HRG, dem Anbieter für
Geschäftsreisen-Management. Bührer und Oldorff warnen vor allem vor Gefahren im
Alltag: etwa davor, ohne Sprachkenntnisse in ein Taxi an russischen Flughäfen, die
meistens weit ausserhalb der Städte liegen, einzusteigen. Wenn der Gast kein Russisch
und der Chauffeur kein Englisch spreche, könne es gewollt oder ungewollt zu
unliebsamen Missverständnissen kommen oder könne der Gast sogar Opfer krimineller
Machenschaften werden. Man erlebe das immer wieder.
Zudem müsse man wissen, dass man als Ausländer in Russland auffalle. «Der Russe
wird den Fremden immer und überall erkennen», erinnert sich Oldorff an seine Zeit in
Moskau – nicht zuletzt auch im Strassenverkehr, wo weit rauere Sitten herrschen als im
nördlichen Europa. Will heissen: Der Autoverkehr in Russland – wie in anderen Staaten
der GUS – birgt viele Gefahren in sich. Bei einem Unfall könne es selbst in Moskau
Stunden dauern, ehe eine Ambulanz eintreffe und man einen Arzt sehe; auf dem Land
sei die Situation noch einiges prekärer. Deshalb sei die Fahrt im Auto vom Flughafen in
die Stadt meist gefährlicher als der Flug selbst.
Über 130 Airlines in Russland
Dies obgleich, wie Bürer anmerkt, es in Russland über 130 Inlandfluggesellschaften
unterschiedlichen Sicherheitsniveaus gibt. Deren Angebot sei sogar für den Fachmann
intransparent. Deshalb habe HRG eine «preferred list» von russischen Airlines erstellt,
auf der nur etwa 60 Gesellschaften figurierten. Leider lassen sich die wenigsten davon
über die internationalen Systeme buchen, sondern bloss über das russische Sirena-
Buchungssystem. Birger Oldorff seinerseits empfiehlt als Alternative zum Flug die
Eisenbahn. Auf Strecken bis zu tausend Kilometer sei eine Zugreise sinnvoll, weil sie
nicht nur sicher und bequem, sondern auch informativ sei.
Anderes Zeitverständnis
Dazu kommt, dass Zeit in Russland, wie in Osteuropa, eine andere Rolle spielt als in
unseren Breitengraden. Bei uns besteht ein monochrones Zeitverständnis, das
Pünktlichkeit und Einhalten von Terminen verlangt und erwartet, dass Arbeiten linear
sequenziell erledigt werden. Nicht so im Osten. Dort regiert – wie auch im Süden – ein
polychrones Zeitgefühl, das sich durch hohe Flexibilität bezüglich Pünktlichkeit und
Termine auszeichnet und bei Verspätungen viel Toleranz zeigt. Schliesslich kann es in
Russland ja passieren, dass ein Flug wegen schlechten Wetters ausfällt und die nächste
Maschine erst Tage später fliegt. «Die Russen leben damit», erinnert sich Oldorff.
Ihr polychrones System fördert zudem Improvisation und Multitasking, was einem Gast
aus dem deutschsprachigen Raum wegen der mangelnden Fokussierung allerdings
Kopfweh bereiten kann. Trotzdem tun Geschäftsreisende gut daran, solche Eigenheiten
zu respektieren, um den Stolz der Einheimischen nicht zu verletzen. Ähnliches gilt in
abgeschwächter Form auch für die Trinkfestigkeit. Sie ist nach einhelliger Meinung aber
bestenfalls ein nötiges, aber keinesfalls ein hinreichendes Mittel zum Geschäftserfolg.
Lähmend ist dagegen die Bürokratie. Das zeigen Aufzeichnungen der Weltbank, wonach
sogar in Moskau im Jahre 2012 noch Dutzende von Behördengängen nötig waren und
281 Tage verstrichen, ehe ein normales Grundstück an das öffentliche Stromnetz
angeschlossen werden konnte. Zudem verlangte die Behörde dafür horrende 5,5
Millionen Rubel. Wie die deutsche Agentur Ost-West-Partner, berichtet, soll sich dieses
Prozedere heuer auf vier Behördengänge und 146 Tage reduzieren sowie auf Kosten von
noch 426 000 Rubel.
Eine weitere russische Besonderheit ist laut Bürer die vehemente Ablehnung von
Kreditkarten. Er nennt zwei Gründe dafür: erstens eine traditionelle 60-tägige
Zahlungsfrist und zweitens ein historisch bedingter Widerstand gegen alles, was Spuren
hinterlässt. Deshalb wird in Russland sehr gerne bar bezahlt. Das kann für ausländische
Geschäftsreisende unter Umständen ein Problem sein; nicht nur, weil auch etliche
Hotels Vorauszahlungen in bar erwarten, sondern auch, weil damit der Korruption
Vorschub geleistet wird. Doch das ist ein anderes Thema.

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Geschaftsreisen_in_Russland_2015

  • 1. Artikel aus der NZZ (nzz.ch) von Friedemann Bartu vom 30.5.2014 zum thema Geschaeftsreisen in Russland; auch im Interview Birger Oldorff von International SOS http://www.nzz.ch/russland-als-schwieriges-pflaster-fuer-geschaeftsreisende-1.18311685 Geschäftsreisen Russland als schwieriges Pflaster für Geschäftsreisende von Friedemann Bartu30.5.2014, 05:33 Uhr Die Länder hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang warten mit unterschiedlichsten Herausforderungen auf. Die St. Basilius-Kathedrale (eigentlich Kathedrale des Basilius des Glueckseligen) in Moskau, Russland. (Bild: Alessandro Della Bella / Keystone) Auf den ersten Blick wirkt vieles vertraut. Doch trotz äusserlichen Ähnlichkeiten mit dem Westen ist die Welt hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang noch immer eine andere. «Verstehen kann man Russland nicht, und auch nicht messen mit Verstand. Es hat sein eigenes Gesicht, nur glauben kann man an das Land», lautet ein rund 150 Jahre altes Gedicht des Poeten Fjodor Tjuttschew, das in Russland noch heute an vielen Schulen vermittelt wird. Sorge um die Sicherheit Seit dem Ende des Kalten Kriegs glaubt aber auch das Ausland an Russland und die Staaten der GUS. Waren es anfangs vor allem Grosskonzerne, die diese neuen Märkte
  • 2. für sich erschlossen, so sind inzwischen auch Abertausende von kleinen und mittelständischen Unternehmen im Geschäft. Sie alle stellen jeweils rasch fest, dass Russland gewaltige Dimensionen aufweist: Liegt der Osten bereits im Dunkeln, ist es im Westen noch taghell. Dazu kommt, dass Sprache und Schrift eine grosse Herausforderung darstellen. «Trotzdem lassen sich unerfahrene Reisende gerne zum Irrglauben verleiten, es bestünden eigentlich kaum ernsthafte Unterschiede zwischen Ost und West», mahnt Birger Oldorff, Russlandexperte und Leiter der Zürcher Niederlassung von International SOS. Dieser weltweit tätige Anbieter für medizinische Beratung und Reisesicherheitsdienste ist um die Gesundheit und die Sicherheit von Geschäftsreisenden und Expatriates besorgt. «Sicherheit spielt nicht erst seit dem Konflikt um die Ukraine eine wichtige Rolle», betont auch Beat Bürer, Managing Director Europe Central bei HRG, dem Anbieter für Geschäftsreisen-Management. Bührer und Oldorff warnen vor allem vor Gefahren im Alltag: etwa davor, ohne Sprachkenntnisse in ein Taxi an russischen Flughäfen, die meistens weit ausserhalb der Städte liegen, einzusteigen. Wenn der Gast kein Russisch und der Chauffeur kein Englisch spreche, könne es gewollt oder ungewollt zu unliebsamen Missverständnissen kommen oder könne der Gast sogar Opfer krimineller Machenschaften werden. Man erlebe das immer wieder. Zudem müsse man wissen, dass man als Ausländer in Russland auffalle. «Der Russe wird den Fremden immer und überall erkennen», erinnert sich Oldorff an seine Zeit in Moskau – nicht zuletzt auch im Strassenverkehr, wo weit rauere Sitten herrschen als im nördlichen Europa. Will heissen: Der Autoverkehr in Russland – wie in anderen Staaten der GUS – birgt viele Gefahren in sich. Bei einem Unfall könne es selbst in Moskau Stunden dauern, ehe eine Ambulanz eintreffe und man einen Arzt sehe; auf dem Land sei die Situation noch einiges prekärer. Deshalb sei die Fahrt im Auto vom Flughafen in die Stadt meist gefährlicher als der Flug selbst. Über 130 Airlines in Russland Dies obgleich, wie Bürer anmerkt, es in Russland über 130 Inlandfluggesellschaften unterschiedlichen Sicherheitsniveaus gibt. Deren Angebot sei sogar für den Fachmann intransparent. Deshalb habe HRG eine «preferred list» von russischen Airlines erstellt, auf der nur etwa 60 Gesellschaften figurierten. Leider lassen sich die wenigsten davon über die internationalen Systeme buchen, sondern bloss über das russische Sirena- Buchungssystem. Birger Oldorff seinerseits empfiehlt als Alternative zum Flug die Eisenbahn. Auf Strecken bis zu tausend Kilometer sei eine Zugreise sinnvoll, weil sie nicht nur sicher und bequem, sondern auch informativ sei. Anderes Zeitverständnis Dazu kommt, dass Zeit in Russland, wie in Osteuropa, eine andere Rolle spielt als in unseren Breitengraden. Bei uns besteht ein monochrones Zeitverständnis, das
  • 3. Pünktlichkeit und Einhalten von Terminen verlangt und erwartet, dass Arbeiten linear sequenziell erledigt werden. Nicht so im Osten. Dort regiert – wie auch im Süden – ein polychrones Zeitgefühl, das sich durch hohe Flexibilität bezüglich Pünktlichkeit und Termine auszeichnet und bei Verspätungen viel Toleranz zeigt. Schliesslich kann es in Russland ja passieren, dass ein Flug wegen schlechten Wetters ausfällt und die nächste Maschine erst Tage später fliegt. «Die Russen leben damit», erinnert sich Oldorff. Ihr polychrones System fördert zudem Improvisation und Multitasking, was einem Gast aus dem deutschsprachigen Raum wegen der mangelnden Fokussierung allerdings Kopfweh bereiten kann. Trotzdem tun Geschäftsreisende gut daran, solche Eigenheiten zu respektieren, um den Stolz der Einheimischen nicht zu verletzen. Ähnliches gilt in abgeschwächter Form auch für die Trinkfestigkeit. Sie ist nach einhelliger Meinung aber bestenfalls ein nötiges, aber keinesfalls ein hinreichendes Mittel zum Geschäftserfolg. Lähmend ist dagegen die Bürokratie. Das zeigen Aufzeichnungen der Weltbank, wonach sogar in Moskau im Jahre 2012 noch Dutzende von Behördengängen nötig waren und 281 Tage verstrichen, ehe ein normales Grundstück an das öffentliche Stromnetz angeschlossen werden konnte. Zudem verlangte die Behörde dafür horrende 5,5 Millionen Rubel. Wie die deutsche Agentur Ost-West-Partner, berichtet, soll sich dieses Prozedere heuer auf vier Behördengänge und 146 Tage reduzieren sowie auf Kosten von noch 426 000 Rubel. Eine weitere russische Besonderheit ist laut Bürer die vehemente Ablehnung von Kreditkarten. Er nennt zwei Gründe dafür: erstens eine traditionelle 60-tägige Zahlungsfrist und zweitens ein historisch bedingter Widerstand gegen alles, was Spuren hinterlässt. Deshalb wird in Russland sehr gerne bar bezahlt. Das kann für ausländische Geschäftsreisende unter Umständen ein Problem sein; nicht nur, weil auch etliche Hotels Vorauszahlungen in bar erwarten, sondern auch, weil damit der Korruption Vorschub geleistet wird. Doch das ist ein anderes Thema.