1. as System beeindruckt Schweizer Nutzer wie deut-
sche Partner gleichermaßen: Täglich können zahl-
reiche Entscheider aus Politik und Verwaltung
mittels einer modernen BI-Lösung flexibel über das Inter-
net auf die Daten der Arbeitsmarktstatistik des Staatsse-
kretariates für Wirtschaft (Seco) zugreifen. Per E-Mail und
SMS informieren sie sich dort über die neuesten Arbeitslo-
senzahlen. Das war nicht immer so.
Das Arbeitslosenversicherungsgesetz (AVIG) von 1995
brachte einen Paradigmenwechsel von der passiven Ver-
waltung der Arbeitslosen zu einer aktiven Arbeitsmarkt-
politik, beispielsweise mit dem Aufbau der regionalen
Arbeitsvermittlungszentren RAV. Diese Neuerung führte
dazu, dass nicht nur das Seco-Management immer mehr
zusätzliche Daten für den Vollzug des AVIG benötigte, son-
dern auch die Kantone hatten Bedarf an Daten zu Steue-
rungszwecken.
Die Experten der Arbeitsmarktstatistik stießen mit den
damaligen Methoden jedoch bald an Grenzen. Mittels pa
rallel verlaufender, individueller Programmierungen mus-
sten mühsam Tausende von Papiertabellen erzeugt und
an die interessierten Stellen versandt werden: allein für
den Bereich der offiziellen Arbeitsmarktstatistik monat-
lich 17’000 Seiten. Es galt, den stetig steigenden Anfor-
derungen der unterschiedlichen Bedarfsträger aus Politik,
Vollzug und Öffentlichkeit nachzukommen und die Infor-
mationen mit weniger Aufwand kundengerechter und ak-
tueller zu präsentieren.
Aus diesen Gründen entschied sich das Seco-Manage-
ment für den Aufbau eines ersten BI-Systems – in der Form
eines klassischen Data Warehouse (DWH). Die föderalen,
heterogenen Strukturen des Seco erleichterten den Ver-
antwortlichen die Entscheidung, die Auswertungen voll-
ständig internetbasiert anzubieten. Ab 2003 konnten die
Benutzer in den Kantonen und bei den Arbeitslosenkassen
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Analytisches E-GovernmenT
Staatsstärke.
Rubrik Thema
Öffentliche Stellen setzen in punkto Business Intelligence (BI) zunehmend Benchmarks.
Ein starkes Beispiel ist Lamda X, das BI-System der Schweizerischen Arbeitsmarktstatistik.
D
«Informationen mit weniger Aufwand
kundengerechter präsentieren.»
Mit spitzem Stift: Die Schweizerische Arbeitsmarktstatis
tik misst die Erfolgsindikatoren sehr genau.
Von Dr. Elmar Benelli*
*Der Autor
Dr. Elmar Benelli ist Leiter
Lamda bei der Arbeitsmarkt-
statistik des Schweizerischen
Staatssekretariats für Wirt-
schaft (Seco) in Bern.
elmar.benelli@seco.admin.ch
2. (ALK) mit ihren Browsern die ersten, monatlich aktuali-
sierten Auswertungen vornehmen: vor allem beim Stan-
dard-, teils auch beim Ad-hoc-Reporting.
Die Ablösung des für die Vermittlung benutzten Systems
machte die Erneuerung des DWH erforderlich. Die Grund-
strukturen (Oracle und Informatica) hatten sich bewährt
und wurden übernommen, aber im Bereich des Frontend
entschieden sich die Verantwortlichen, mittels einer WTO-
Ausschreibung eine neue Lösung zu suchen. Nach einer in-
tensiven, anforderungsreichen Evaluation begann mit Hilfe
des Ausschreibungsgewinners Microstrategy die Entwick-
lung der neuen Auswertungen. Schon im April 2009 wech-
seltendieProjektverantwortlichenaufdiegeradeeingeführte
neueste Version 9.0, um den mehrsprachigen Benutzerkreis
besser ansprechen zu können. Nach kurzer Realisierungs-
und Schulungszeit konnten ab Juli 2009 die Statistiken mit
den neuen Strukturen und dem neuen BI-Frontend in allen
drei Landessprachen ausgewertet werden.
Die für die Arbeitslosenversicherung (ALV), neben den
offiziellen Arbeitslosenzahlen, wohl relevanteste Anwen-
dung ist die Wirkungsmessung. In der schweizerischen
ALV überwiegen, im Gegensatz zu Deutschland, födera-
listische Strukturen und Organisationsformen. Die Aus-
gleichsstelle kann nur mit Überzeugungsarbeit versuchen,
alle beteiligten Organisationen – 26 kantonale Amtstellen,
43 ALK – auf eine gemeinsame Strategie festzulegen und
anschließend die Ziele über eine Art Staatsvertrag mit je-
dem einzelnen Kanton zu vereinbaren.
Zuerst überwog die Leistungsmessung, die sogenannte
Input-Steuerung, bevor alle Beteiligten realisierten, dass
es sinnvoller wäre, das Erreichen gewisser Ziele zu mes-
sen – also den Output. In der Folge wurden die heute ver-
wendeten vier Wirkungsindikatoren vereinbart: Neben
der raschen Wiedereingliederung und des Verhinderns von
Langzeitarbeitslosigkeit umfasst dies das Vermeiden von
Aussteuerungen und Wiederanmeldungen – also der Rück-
kehr in die Arbeitslosigkeit.
Der Nutzen der Wirkungsmessung orientiert sich nicht
am klassischen Zielvereinbarungssystem, das einen be-
Business Intelligence Magazine 2/10 39
Mit Argusaugen: Auch junge Arbeitssuchende profitieren von dem flexiblen System. Es hilft zu erkennen, wenn zum
Beispiel keine Plätze mehr in Beschäftigungsprogrammen frei sind, dafür aber bei Sprachkursen.
«Das BI-System passt sich an die
dezentralen politischen Strukturen an.»
Innovative Brücke Schweiz – Deutschland
Das BI-System der Seco profitiert auch von der
Zusammenarbeit der Ausgleichsstelle der Schweiz
erischen Arbeitslosenversicherung (ALV) und
deutschen Bundesagentur für Arbeit (BA): Beide
Organisationen haben die Aufgabe, die Arbeitslo-
sigkeit zu vermeiden und ihre Dauer zu verkürzen.
Entsprechend findet auch ein regelmäßiger Aus-
tausch unter anderem über Kennzahlen statt.
Die deutsche BA ist nicht nur zuständig für die
deutsche Arbeitslosenversicherung (Vermittlung
und Zahlungen), sondern auch für die Berufsbera-
tung und die Förderung der beruflichen Eingliede-
rung behinderter Menschen.
In der Schweiz werden zentral nur Regeln vor-
gegeben und die Kantone und unabhängigen Ar-
beitslosenkassen für die Ausgaben (entsprechend
der Anzahl der betreuten Stellensuchenden) ent-
schädigt. Die Kantone erhöhen oder verringern die
Zahl der Mitarbeiter je nach Konjunkturverlauf.
Das BI-System der Arbeitsmarktstatistik verbindet
die Daten der operativen Systeme der sehr unter-
schiedlichen Organisationen.
3. 40 Business Intelligence Magazine 2/10
Anwendungen des Lamda X-Systems
Wirkungsindikatoren: Messungen der zwischen
Bund und Kantonen vereinbarten Wirkungen mit
dem Ziel einer schnellen Wiedereingliederung.
Arbeitsmarktstatistik: Bestände an Stellensuchen-
den, Arbeitslosen und offenen Stellen, «offizielle
Arbeitsmarktstatistik».
Auszahlungen: Kennzahlen zu den Ausgaben der
Arbeitslosenversicherung (ALV) wie zum Beispiel
die Anzahl der Bezüger, ausbezahlte Leistungen
oder Kosten der AMM.
Leistungsindikatoren: Messungen der Leistungen
der RAV (Beratungsgespräche, Zuweisungen auf
offene Stellen, Sanktionen usw.).
Statistiken der Arbeitsmarktmaßnahmen (AMM):
Diese helfen bei der Steuerung der AMM mit einer
Plafonierung der Ausgaben pro Stellensuchenden,
die die Kantone bezahlen dürfen.
Führungskennzahlen: Diese stellen der Führung
der kantonalen Amtsstellen die wichtigsten Kenn-
zahlen zur Verfügung.
Rubrik Thema
stimmten Grenzwert definiert. Ziel ist es vielmehr, dass ein
Kanton nicht zu sehr unter den Durchschnitt aller Kantone
fallen sollte. Die Seco-Philosophie lautet: Festgelegt wird
nicht die in einem Marathon zu erreichende Zeit, sondern
der Rang: unter den Besten. Wenn einige hart trainieren,
müssen die anderen dies auch.
Das Business Intelligence-System passt sich somit den
besonderen Anforderungen des dezentralen politischen
Systems an: Da die Kantone nicht direkt angeleitet werden
können, wird das Ziel einer verbesserten Wirkung indirekt
erreicht – durch Transparenz. Die Kantone vergleichen
ihre Werte untereinander, wenn einmal im Jahr die Jahres
resultate veröffentlicht werden. Das Seco erstellt keine
Rangliste. Die unterdurchschnittlichen Werte sind jedoch
erkennbar und meist gefolgt von Anfragen kantonaler Par-
lamentarier oder der Presse.
Nach übereinstimmender Expertenmeinung hat sich
das System inzwischen sehr gut eingespielt. Eine unabhän-
gige, externe Studie rechnet mit Einsparungen der ALV von
mehreren hundert Millionen Schweizer Franken jährlich
(Gesamtausgaben 2008: 6,4 Milliarden Franken).
Zählbaren Nutzen erreicht das BI-System auch bei den
Arbeitsmarktmaßnahmen (AMM). Um ein zu starkes An-
steigen der Ausgaben für die AMM in den einzelnen Kan-
tonen zu verhindern, wurde jeweils ein jährlicher Plafond
vereinbart, der von der Anzahl der Stellensuchenden im
Kanton abhängt. Das System errechnet für die Kantone
täglich, wie viele AMM schon bestellt wurden, wie viele
Stellensuchende schon auf solche zugewiesen wurden und
wie hoch die im aktuellen Jahr aufgelaufenen Kosten sind
– und zwar im Verhältnis zum Plafond.
Die Kantone erhalten somit ein wichtiges Instrument,
das sie bei der kantonalen Führung und Steuerung unter-
stützt. So können sie erfahren, ob und wo weitere AMM
beschafft werden können. Dies hilft, wenn zum Beispiel
noch Plätze bei Sprachkursen frei sind, aber keine mehr in
Beschäftigungsprogrammen. Die Kantone erzielen so hohe
Effizienzgewinne – in einem Bereich, der jährlich Kosten
von 600 bis 800 Millionen Franken verursacht.
Auch der organisatorische Nutzen kann sich sehen
lassen: Die gewählte BI-Architektur stellt eine vielfäl-
tig nutzbare Plattform dar, auf welcher die Kantone ei-
gene Auswertungen und Systeme entwerfen, die sowohl
kantonsintern zur Verfügung gestellt werden als auch zur
kantonsübergreifenden Kollaboration nutzbar sind. Be-
reits 200 bis 300 Dienststellen mit 600 bis 700 Benutzern
arbeiten an ihren verschiedenen Standorten in der Schweiz
mit diesen Kennzahlen – stufengerecht und flexibel. Die
Verantwortung für das BI-System liegt dabei vollständig
bei der Arbeitsmarktstatistik, verstärkt durch einige Mit-
arbeiter der Saracus AG. Die hauseigene IT-Abteilung ver-
antwortet den Infrastrukturbetrieb.
In diesem Zusammenspiel werden Menge und Qualität
der verfügbaren Daten im Seco-System laufend ausgebaut.
Aktuell laufen die Vorbereitungen, den Benutzern zukünf-
tig einen Zugriff per Smartphone zu ermöglichen.
Profil:
Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) –
Ausgleichsstelle der Arbeitslosenversicherung
Sitz: Bern
Markt: Öffentliche Verwaltung
Mitarbeiter: 175
IT-Lösung: Microstrategy, Informatica, Oracle
«Wichtiges Instrument, das bei der
Führung und Steuerung unterstützt.»