Benclowitz: Die Kunst ist frei!? Teil I: Tendenzschutz im Betriebs- und Perso...
Dr. Julia Frohne: Marketingstrategien für kulturelle Großereignisse am Beispiel der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010
1. H 2.15
Marketingstrategien für kulturelle Großereignisse am
Beispiel der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010
Dr. Julia Frohne
Dieser Beitrag behandelt die strategische Herangehensweise im Marketing für kulturelle Großpro-
jekte am Beispiel der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010. Beschrieben werden die Grundlagen
einer systematischen Marketingarbeit und die Besonderheiten der strategischen Marketingplanung
in Kulturbetrieben. Programm und Öffentlichkeitsarbeit sollten nicht losgelöst voneinander gese-
hen werden, eine Trennung von Inhalt und „Verpackung“ ist nicht sinnvoll. Der Beitrag zeigt die
wesentlichen Marketing- und Kommunikationsziele auf, gibt einen Überblick über Aufgabenstel-
lung und Situation in den einzelnen Themenbereichen und skizziert die Elemente der Kampagnen-
planung in Kooperation mit verschiedenen Partnern.
Gliederung Seite
1. Handlungsfelder des Marketings 2
1.1 Marketingauftrag 2
1.2 Leitbild, Vision und Mission Statement 3
1.3 Marketingbudget 4
2. Besonderheiten im Marketingmanagement für Kulturprojekte 5
3. Planungsprozess im Marketing für Kulturprojekte 8
3.1 Situationsanalyse 9
3.2 Potenzialanalyse: Kultur als Motor für die touristische Entwicklung 11
4. Kampagnenplanung 20
4.1 Inszenierung 20
4.2 Themen 22
4.3 Kooperationen 23
5. Marketingphasen kultureller Großereignisse 25
1
2. H 2.15 Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Marketingkonzepte
1. Handlungsfelder des Marketings
Strategisches Marketing stellt immer eine Ableitung aus den grundle-
genden Zielen des Kulturbetriebs und der generellen Programmpla-
nung dar. Bei der strategischen Planung kultureller Großereignisse
spielt das Marketing eine wichtige Rolle, denn es hat die Aufgabe, das
Ereignis nach außen zu repräsentieren, potenzielle Zielgruppen anzu-
sprechen und zum Besuch oder der Teilnahme an Veranstaltungen zu
motivieren. Marketing ist zumeist der Bereich, der mit der Analyse der
Umwelt- und Unternehmenssituation, der Wettbewerbslage, der Erar-
beitung von strategischen Vermarktungskonzepten und Kommunikati-
onsinstrumenten und nicht zuletzt der Umsetzung betraut ist.
Für das Marketing der „RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas
GmbH“ sind die Ziele der Gesellschaft ausschlaggebend, wie sie im
Gesellschaftsvertrag definiert sind: „Wesentliche Ziele der RUHR.2010
GmbH sind die Realisierung des Kulturhauptstadtprogramms ein-
schließlich der damit verbundenen Marketing- und Tourismusaktivitä-
ten, die Entwicklung von nachhaltig wirkenden Strukturen für die Kul-
turmetropole Ruhr und der effektive Einsatz der bereitgestellten sowie
weiterer zu akquirierender Finanzmittel.“1
EU-Kriterien Die Unternehmens- und Kommunikationsziele kultureller Großereig-
nisse leiten sich aber häufig nicht nur aus der veranstaltenden Organi-
sation ab, sondern sind durch externe Faktoren mitdeterminiert. So
finden sich auch in den Kriterien zur Titelvergabe einer Europäischen
Kulturhauptstadt neben den wesentlichen Kriterien zur kulturellen
Partizipation, zur Förderung des Dialogs zwischen den europäischen
Kulturen und der Wirtschaftstätigkeit, zu künstlerischen Innovationen
und zur Kulturförderung eine Reihe von Aspekten, die sich mit der
Außenwirkung von Kulturhauptstädten befassen.
Projekt und Kommunika- Dazu zählen u.a., die europäische Öffentlichkeit mit Persönlichkeiten
tionsaufgabe von inter- und Ereignissen aus der Geschichte und Kultur der Region vertraut zu
nationaler Dimension machen, die Bevölkerung innerhalb und außerhalb der Region durch
Informationen in mehreren Sprachen und über verschiedene Medien
zu informieren und einen anspruchsvollen und innovativen Kulturtou-
rismus zu fördern mit dem Ziel, das Kulturgut der Region langfristig
zu erhalten. Diese Grundsätze verdeutlichen, dass die Kulturhaupt-
stadt Europas ein Auftrag von internationaler Dimension und zugleich
eine Kommunikationsaufgabe ist.
1.1 Marketingauftrag
Dem Bereich Marketing und Kommunikation kommt damit innerhalb
der RUHR.2010 eine zentrale Funktion zu. Er gehört zu den Kernauf-
gaben der GmbH und steht nach der Programmgestaltung an zweiter
Stelle der im Gesellschaftsvertrag definierten Ziele und Aufgaben:
2
3. Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit H 2.15
Marketingkonzepte
„Die Kommunikation und Vermarktung für sämtliche Programmbe-
standteile ist ein weiteres Hauptziel der Gesellschaft. Das Ruhrgebiet
hat die einmalige Chance, sich mit der ‚Marke‘ Europäische Kultur-
hauptstadt in der nationalen und internationalen Öffentlichkeit neu zu
positionieren. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die Marketing-
und Tourismusaktivitäten bedürfen daher nationaler und internationa-
ler Ausrichtung, wobei die Mobilisierung der Region selbst wie schon
in der Bewerbungsphase weiterhin Ziel bleibt.“2
In diesen Zielsetzungen findet sich bereits der hohe Stellenwert wie- Marke „Ruhr“
der, der neben der Entwicklung des Programms auch dessen Vermitt- positionieren
lung beigemessen werden sollte. Zudem hat das Ruhrgebiet die einma-
lige Chance, sich mit der „Marke“ Europäische Kulturhauptstadt in
der nationalen und internationalen Öffentlichkeit neu zu positionieren.
Das Leitmotiv von RUHR.2010 dokumentiert diese Zielsetzungen:
„Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“.
Zentrale Aufgaben von RUHR.2010 sind, die Marke RUHR.2010
bekannt zu machen, das Programm im In- und Ausland zu vermarkten
und das sogenannte Special-Interest-Marketing zu bedienen, also die-
jenige Zielgruppen und -personen zu identifizieren, die von dem Pro-
gramm jeweils in besonderer Weise angesprochen werden, und diese
für das Projekt zu interessieren. Dafür waren die Planung und der Auf-
bau einer detaillierten Media- und Vertriebsplanung notwendig.
1.2 Leitbild, Vision und Mission Statement
Im Falle von RUHR.2010 waren die relevanten Fragen: Wofür steht Kernbotschaft
die Region jetzt nach dem Strukturwandel? Welche Botschaften und
Bilder soll die Kulturhauptstadt Europas 2010 transportieren? Zur
Beantwortung führte RUHR.2010 verschiedene Workshops durch, die
das Selbst- und Fremdbild der Menschen ge-
nauer analysierten. Ziel war es, eine Kernbot-
schaft zu finden, welche der Region, den
Menschen und den künftigen Perspektiven
entspricht. Mit dem Leitmotiv „Wandel durch
Kultur – Kultur durch Wandel“ konnte
RUHR.2010 seine Absichten formulieren: In Grundsätzlich ist die Formulierung eines Leit-
den Mitteln von Kunst und Kultur liegen bildes und einer „Vision“, die plakativ die zent-
Chancen für eine Region, die dabei ist, sich ralen Unternehmensaufgaben formulieren, zu
selbst neu zu definieren. Die Vision dahinter Beginn der Projektentwicklung sehr hilfreich.
Ein darüber hinaus gehendes Mission State-
lautet: RUHR – Europas neue Metropole.
ment, das die zentralen Botschaften genauer
definiert, ist ebenfalls sehr sinnvoll, weil alle
Im Zuge der zahlreichen Gespräche zur Ent- zukünftigen Aktivitäten immer wieder dahinge-
wicklung der Vision und der Mission von hend überprüft werden können, ob sie das
RUHR.2010 wurden ferner zwei zentrale Leitbild transportieren und die gestellten Aufga-
Eigenschaften der Ruhrgebietsbevölkerung ben und Fragestellungen stützen.
identifiziert, die RUHR.2010 im Bereich der
3
4. H 2.15 Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Marketingkonzepte
Bevölkerungsansprache in das Zentrum seiner Kommunikation ge-
rückt hat: Stolz und Mut kennzeichnen die Bevölkerung des Ruhrge-
biets, die allen Entwicklungen und Einflüssen zum Trotz ihre Region
immer wieder aufbauen, weiterentwickeln und neu definieren. Diese
zentralen Emotionen sollten deshalb eine wichtige Rolle in der Kom-
munikation von RUHR.2010 spielen und wurden manifestiert im Mis-
sion Statement:
Mission Statement „Das Ruhrgebiet ist Kulturhauptstadt Europas 2010. Es ist auf dem
Weg, als unkonventionelle Metropole im Werden ein neues Zentrum
Europas zu bilden. Ein Erfolg wurde die Bewerbung ‚Essen für das
Ruhrgebiet‘, indem sich die in 53 Städte und Kommunen gegliederte
Region geschlossen zu dem Motto ‚Wandel durch Kultur – Kultur
durch Wandel‘ bekannt hat. Mit Toleranz, Fleiß und großer Solidarität
begründeten die Industriearbeiter aus aller Welt den Mythos Ruhrge-
biet und blickten mit Stolz auf das Erreichte. Dem Ende der Montan-
industrie begegnen die Menschen seither mit Mut zum Aufbruch und
zur Gestaltung eines beispiellosen Wandels. Die Kulturhauptstadt
Europas 2010 ‚Essen für das Ruhrgebiet‘ präsentiert sich als Gastge-
ber für alle, die den atemberaubenden Wandel von Europas legendärer
Kohle- und Stahlregion zu einer polyzentrischen Kulturmetropole
neuen Typs erleben wollen. Die RUHR.2010 GmbH ist die verant-
wortliche Gesellschaft zur Vorbereitung und Realisierung des Kultur-
hauptstadtprogramms einschließlich der damit verbundenen Marke-
ting- und Tourismusaktivitäten. Gemeinsam mit ihren Partnern unter-
stützt sie die Entwicklung von nachhaltig wirkenden Strukturen für die
Kulturmetropole Ruhr. RUHR.2010 führt die regionalen Akteure aus
Kultur, Politik und Wirtschaft in kreativen Allianzen zusammen. Sie
alle verfolgen das ambitionierte Ziel, dass die Metropole Ruhr eine
bedeutende Rolle in der Zukunft Europas spielt und zu einer neuen,
unverwechselbaren Städtemarke auf der Landkarte Europas wird.“
1.3 Marketingbudget
Je unbekannter, Elementar für die Planung ist die Höhe des zur Verfügung stehenden
desto teurer Budgets. Grundsätzlich gilt die Faustregel: Je unbekannter ein Thema,
ein Projekt oder eine Marke ist und je komplizierter die Vermittlung
der Inhalte, umso höher sollte der Anteil sein, der in die Außendarstel-
lung investiert wird. Denn das beste Programm nützt nichts, wenn es
niemand kennt. Dabei kann der Anteil am Gesamtbudget zwischen
10 % und 35 % schwanken. Mit einem Budget von rund 11 Mio. € für
Marketing, Presse und Internet liegt der Anteil knapp unter 20 % des
Gesamtbudgets der RUHR.2010 GmbH. Insgesamt ist das Budget
damit nicht allzu üppig für eine Kulturhauptstadt dieser Größe. Allein
für die umfassende Information der Bevölkerung innerhalb der Metro-
pole Ruhr (5,3 Mio. €) ist erheblich mehr Budget notwendig als bei
Kulturhauptstädten mit geringerer Einwohnerzahl (Bsp.: Linz 2009:
180.000 Einwohner, Marketingetat rund 12 Mio. €; Marseille 2013:
2,2 Mio. Einwohner, Marketingetat 11 Mio. €).
4