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VATTENFALL CYCLASSICS
HAMBURG 2013
Upsolut/HOCHZWEI
10 Vattenfall Cyclassics Hamburg Vattenfall Cyclassics Hamburg 11
W
as um alles in der
Welt mache ich
hier? Um mich her-
um sehe ich Tausende Men-
schen in diesen komischen
Radklamotten, die mit ihren
Schuhen klackend über den
Asphalt eiern. Zum Fahren ist
es ja auch viel zu voll. Und ich
mittendrin – in Radklamotten
und klackenden Schuhen.
Warum habe ich mich bloß
auf diese Schnapsidee meines
vom Rennrad besessenen
Mannes eingelassen?
Vor wenigen Wochen schlug
Felix mir den Rollentausch
vor: „Ich habe mir überlegt,
dass du doch einfach bei den
Cyclassics in Hamburg mit-
fahren kannst. Und ich hüte
die Kinder solange.“ Ein
Scherz, dachte ich. Und sagte
zu. War aber kein Scherz. Und
jetzt stehe ich hier. In den en-
gen Klamotten und mit einem
wahnsinnig hochwertigen
Rennrad fühle ich mich wie
die letzte Hochstaplerin. Muss
doch jeder merken, dass ich
keine Ahnung habe von die-
sen Dingern mit den viel zu
schmalen Reifen.
Dabei könnte es so schön
sein. Ich könnte ganz gemüt-
lich mit den Kindern in einem
netten Café sitzen und warten,
bis mein Mann ins Ziel
kommt. Stattdessen sind wir
auf dem Weg zu Startblock C.
Dem Frauenstartblock. Mei-
nem Startblock. Weit kann es
nicht mehr sein. Und so lang-
sam müsste ich auch mal
dringend für kleine Rennrad-
Anfängerinnen. Dumm nur,
dass vor den einzigen Dixi-
Klos in Sichtweite eine meter-
lange Schlange steht. Und uns
bleiben gerade noch 5 Minu-
ten, bis ich im Startblock sein
muss. Der Klogang hat sich da-
mit wohl erledigt. Mist.
A
lso schnell die Familie
verabschieden und
rein in den Startblock.
Meine beiden Mädels winken
und wirken leicht irritiert. Ich
wahrscheinlich auch. Im
Block sortiere ich mich ganz
rechts ein. War ein Tipp von
meinem Mann. So kann ich
mich an der Absperrung fest-
halten, falls das mit dem Ein-
klicken nicht so klappt. Habe
ich schließlich gestern Abend
zum ersten Mal probiert.
Langsam kommt Bewegung
in den vorderen Teil des Start-
blocks. Offenbar fahren die
ersten bereits los. Ich mustere
die um mich herumstehenden
Fahrer, um zu sehen, wie sie
sich verhalten. Vielleicht kann
ich mir ja noch etwas Nützli-
ches abgucken.
Dann setzen sich langsam
die Fahrer vier, drei, zwei Rei-
hen vor mir in Bewegung. Es
geht los! Das Einklicken
klappt erstaunlich gut, und
ich starte! Mein erstes Radren-
nen. Und eigentlich auch mein
erstes Mal auf einem Rennrad.
Die 1,5 Versuche zuvor zählen
nicht, finde ich. Der allererste
liegt schließlich schon be-
Aus dem Frauenstartblock ins kalte Wasser des
Hamburger Jedermann-Rennens.
ALS RADSPORT- NOVIZE BEI DEN CYCLASSICS
DAS ERSTE MAL
TEXT | KRISTINA JUDITH
Rund um Hamburg Mit einem 27er-
Schnitt ging es 55 km lang um die
Hansestadt. Gar nicht mal so
schlecht – für das erste Mal.
Abschied vor dem Rollentausch: Während Mann sich um den Nachwuchs kümmert, schwingt sich Frau aufs Rennrad und erkundet die Straßen der Hansestadt.
FelixKrakow(1),HOCHZWEI/HenningAngerer(1),marathon-photos.com(1)
12 Vattenfall Cyclassics Hamburg Vattenfall Cyclassics Hamburg 13
aus dem Leib gestrampelt,
jetzt komme ich endlich vor-
wärts. Sofort scheint die Son-
ne wieder heller. Zum ersten
Mal nehme ich etwas von mei-
ner Umgebung wahr: Wir fah-
ren an grünen Wiesen und Fel-
dern vorbei. Sieht gar nicht
aus wie Hamburg.
Nach etwa 20 Kilometern
merke ich, dass ich zu wenig
gefrühstückt und getrunken
habe. Beim Griff zur Flasche
fühle ich mich noch sehr
wacklig. Ich traue mich nicht
zu trinken, wenn ich überholt
werde – also fast ständig. Gut,
dass es eine Verpflegungssta-
tion gibt. „Da solltest du auf je-
den Fall anhalten“, hatte mir
mein Mann geraten. „Dann
musst du auch nichts zu essen
für unterwegs mitnehmen. Du
fährst ja nicht solange.“
Ich beginne die Kilometer
herunterzuzählen. Vor allem
müsste ich jetzt wirklich mal
aufs Klo. Noch 10 Kilometer
bis zur Station. Noch 8. 6. 5. 4.
Noch 200 Meter. 100. Oh. Da
war sie. Vorbeigefahren. 50
Meter weiter biege ich in die
Ausfahrt und frage den Stre-
ckenposten, ob ich da reinfah-
ren darf. Er schaut sich um
und meint dann: „Na gut,
rechts fahren und ganz vor-
sichtig. Ist ja grad nicht viel
los.“ Zum Glück! Sonst wäre
ich jetzt wohl zusammenge-
brochen.
A
ls ich die ersten Schrit-
te zu Fuß gehe, fühle
ich mich etwas zittrig.
Aber nach einer Stärkung aus
Banane, Energieriegel und viel
Wasser geht’s mir wieder rich-
tig gut. Vor allem habe ich
jetzt wahnsinnige Lust, wieder
aufs Rad zu steigen. Irgendwo
auf den letzten Kilometern hat
die Sache offensichtlich still
und heimlich angefangen, mir
Spaß zu machen.
Die nächsten Kilometer ver-
fliegen nur so. Was für ein
schöner Tag. Die Sonne
scheint, es ist warm und fast
windstill. Außerdem jubeln
uns immer wieder Zuschauer
vom Straßenrand aus zu. Dann
sehe ich das Schild: Start der
Bergwertung. Ach ja, da war ja
noch was. Erst finde ich es tat-
sächlich ziemlich anstrengend
und ich befürchte, dass mir
der Anstieg die letzten Kräfte
raubt. Aber nach einigen Me-
tern läuft’s gut und ich über-
hole sogar andere Fahrer, die
nörgeln und keuchen, als wür-
den sie durch die Alpen fah-
ren. Luschis. Leider gleichen
die das bei der Abfahrt direkt
wieder aus. Da nörgle ich.
Schließlich kenne ich die
Strecke nicht und überhaupt:
Das ist doch viel zu schnell!
N
ach der Bergstrecke
wird es städtischer.
Plötzlich riecht es
stark nach Bier. Ich sehe mich
um: Wir fahren durch St. Pau-
li. Hatte ich doch irgendwo ge-
lesen, dass es über die Reeper-
bahn geht. Jetzt sehe ich auch
die einschlägigen Kneipen.
Aber dass man am Geruch er-
kennt, wo man sich befindet ...
Irgendwann steht „5 Kilome-
ter“ auf einem Schild. Wirk-
lich? Was dann? Ist das Ren-
nen dann schon zu Ende?
Habe ich es etwa wirklich ge-
schafft? Aber: Ist dann alles
vorbei? Jetzt könnte ich mir
gerade vorstellen, noch ein
bisschen weiter zu fahren.
75 Meter. 50. 25. Die Ziellinie!
I did it! Ich bin bei einem Rad-
rennen mitgefahren. Und ich
bin nicht als letzte Sportlerin
direkt vor dem Besenwagen
ins Ziel gekommen. Wahn-
sinn! Hinter der Linie nimmt
mich meine Familie in Emp-
fang. Die Kinder freuen sich,
als hätten sie mich ewig nicht
gesehen. Dann streiten sie sich
um die Finisher-Medaille. Ich
bin überglücklich, stolz auf
mich, habe einen Riesenhun-
ger – und würde mich am
liebsten noch vor dem Du-
schen für die Cyclassics 2014
anmelden. Aber dann für die
100 Kilometer. RB
stimmt 5 Jahre zurück und
war ein 10-Kilometer-Desaster,
das mich davon überzeugt hat,
dass das kein Sport für mich
ist. Beim zweiten Versuch vor
wenigen Wochen waren wir
mit Straßenschuhen und Kin-
dern im Gepäck unterwegs.
Die Durchschnittsgeschwin-
digkeit lag wahrscheinlich un-
ter 10 km/h. Aber immerhin
hatte die Tour zur Folge, dass
ich mir ein eigenes Rennrad
bestellt habe.
E
igentlich sollte ich jetzt
schon auf meinem eige-
nen Flitzer sitzen, der
verschläft die Veranstaltung
aber auf irgendeinem Contai-
nerschiff. Zur Entschädigung
gab es für mich ein Leihrad –
ein sündhaft teures, wie ich
erst später erfahre. Ob ich es
darauf 55 Kilometer lang
durchhalte, muss sich erst
noch zeigen, aber nach den
ersten Metern bin ich optimis-
tisch: „Das könnte doch ganz
nett werden.“
Langsam entzerrt sich das
Feld. Ein Fahrer nach dem an-
deren rast an mir vorbei. Sind
die schnell! Ich hatte ver-
drängt, dass das Ganze ein
Rennen ist – nicht einfach ei-
ne Ausfahrt. Da höre ich mei-
ne Tochter vom Straßenrand
rufen: „Mami! Schwung ho-
len!“ Ich winke und versuche,
schneller zu fahren, werde
aber trotzdem ständig über-
holt. Gut, das war am Anfang
ja zu erwarten. Nach einer
ganzen Weile schaue ich das
erste Mal auf den Tacho. 878
Meter. Bitte? Ich habe noch
nicht mal einen Kilometer ge-
schafft? Und ich habe davon
noch 54 vor mir? Oh je, wie
soll ich das bloß schaffen?
Die nächsten Kilometer
läuft es trotzdem ganz gut. Ich
schließe zu einer Frau auf, die
mich gleich anspricht: „Ja,
schön die Kräfte einteilen, ne?
Mache ich auch so.“ Äh, na ja.
Ich eigentlich nicht, aber das
muss ich ihr ja nicht auf die
Nase binden. Wir unterhalten
uns ein bisschen. Dann zieht
sie mir davon. Ich fahre doch
nicht langsamer als vorher?
Aber irgendwie überholen
mich immer mehr Fahrer. Ich
falle zurück, versuche es,
durch mehr Druck auf die Pe-
dale auszugleichen. Doch ich
komme kaum vom Fleck. Da-
bei fahre ich doch im höchs-
ten Gang? Ich strample inzwi-
schen wie wild und werde
doch nur überholt – während
alle anderen so geschmeidig
dahingleiten. So halte ich kei-
ne 5 Kilometer mehr durch.
Wer hatte bloß diese blöde
Idee? Ich glaube, ich lasse das
Rad gleich einfach stehen und
laufe zurück.
D
eine Trittfrequenz ist
zu hoch“, ruft mir auch
noch einer zu. Danke,
das weiß ich auch. Aber wie
ändere ich das? Wo sind die
Safer Cycling Guides, von de-
nen ich gelesen habe? Die sol-
len doch schwächere Fahrer
motivieren und ihnen bei Pro-
blemen helfen. Weit und breit
nicht zu sehen. Ich teste noch
mal alles, was an Hebeln am
Rad ist. Und auf einmal kann
ich schalten. Hätte ich bei
meiner Mini-Einweisung am
Vortag vielleicht besser zuhö-
ren müssen? Ist aber mit
quengelnden Kindern auf dem
Arm nicht immer so leicht.
Egal, jetzt geht’s ja. 11,5 Kilome-
ter lang habe ich mir die Seele
SPIEGELDERRADGESELLSCHAFT
Frauen und Radsport – das ist auch in Hamburg kein ganz einfaches
Thema. Frank Bertling vom Veranstalter Upsolut im Interview.
F. Bertling, Geschäfts-
führer Upsolut
Wie hat sich die
Zahl der Cyclassics-
Starterinnen über
die vergangenen
Jahre entwickelt?
Wir liegen recht kon-
stant bei etwa 2300
Frauen, die Jahr für
Jahr bei den Vatten-
fall Cyclassics an den
Start gehen. Etwas
mehr als 10 Prozent
aller Teilnehmer sind
also weiblich.
10 Prozent, stellt
Sie das zufrieden?
Nein, absolut nicht.
Zumal wir ja in den
vergangenen Jahren
viele Anstrengungen
unternommen ha-
ben, um Frauen an-
zusprechen.
Was waren das
denn für Anstren-
gungen?
Wir haben zum Bei-
spiel spezielle Trai-
ningskurse angebo-
ten, etwa mit Hanka
Kupfernagel. Und wir
haben die Frauen-
startblöcke einge-
führt. Die werden
zwar auch gut ange-
nommen, aber eben
nur von Frauen, die
sonst wohl aus ei-
nem anderen Block
gestartet wären. Die
Gesamtzahl der Star-
terinnen steigt je-
denfalls nicht.
Wo vermuten Sie
die Ursachen für
das eher zurückhal-
tende Interesse?
Ich glaube, viele Frau-
en suchen einfach
diesen direkten
sportlichen Vergleich
nicht. Die brauchen
kein Ranking, son-
dern wollen einfach
nur gemeinsam
Rennrad fahren.
Und wenn man das
Ranking einfach
weglassen würde?
Dann kommen die
Männer nicht mehr
nach Hamburg. Wir
haben das mal abge-
fragt. 50 Prozent der
Teilnehmer haben die
Idee abgelehnt. Es ist
eben genau dieser di-
rekte Vergleich mitei-
nander, der die Cy-
classics zu einem we-
sentlichen Teil aus-
macht.
Also sehen Sie
kaum noch Chan-
cen, den Frauenan-
teil nennenswert zu
erhöhen?
Na ja, mit unseren
10 Prozent spiegeln
wir einfach ziemlich
genau die Verteilung
zwischen Frauen und
Männern im Renn-
radsport insgesamt
wider.
Und ein eigenes
Event nur für die
Frauen?
Das wäre interessant,
aber finanziell und
organisatorisch
kaum zu stemmen.
Wo,bitte,geht’s zum Start? Dank des aufmerksamen
Lageplan-Studiums war der Weg zum Frauenblock kein
Problem. Und auch das Ziel wurde erfolgreich gefunden.
Zum Lohn gab es die schicke Medaille, glückliche Kinder
und alkoholfreie Gerstenkaltschale.
Arbeitsgerät: Weil das erste eigene
Rennrad noch im Container schlum-
merte, ging es auf einem Leihrenner
ins Abenteuer Vattenfall Cyclassics.
FelixKrakow(3),HOCHZWEI/HenningAngerer(1),Upsolut(1)
Cyclassics 2013 pdf
Cyclassics 2013 pdf
Cyclassics 2013 pdf
Cyclassics 2013 pdf
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  • 2. 10 Vattenfall Cyclassics Hamburg Vattenfall Cyclassics Hamburg 11 W as um alles in der Welt mache ich hier? Um mich her- um sehe ich Tausende Men- schen in diesen komischen Radklamotten, die mit ihren Schuhen klackend über den Asphalt eiern. Zum Fahren ist es ja auch viel zu voll. Und ich mittendrin – in Radklamotten und klackenden Schuhen. Warum habe ich mich bloß auf diese Schnapsidee meines vom Rennrad besessenen Mannes eingelassen? Vor wenigen Wochen schlug Felix mir den Rollentausch vor: „Ich habe mir überlegt, dass du doch einfach bei den Cyclassics in Hamburg mit- fahren kannst. Und ich hüte die Kinder solange.“ Ein Scherz, dachte ich. Und sagte zu. War aber kein Scherz. Und jetzt stehe ich hier. In den en- gen Klamotten und mit einem wahnsinnig hochwertigen Rennrad fühle ich mich wie die letzte Hochstaplerin. Muss doch jeder merken, dass ich keine Ahnung habe von die- sen Dingern mit den viel zu schmalen Reifen. Dabei könnte es so schön sein. Ich könnte ganz gemüt- lich mit den Kindern in einem netten Café sitzen und warten, bis mein Mann ins Ziel kommt. Stattdessen sind wir auf dem Weg zu Startblock C. Dem Frauenstartblock. Mei- nem Startblock. Weit kann es nicht mehr sein. Und so lang- sam müsste ich auch mal dringend für kleine Rennrad- Anfängerinnen. Dumm nur, dass vor den einzigen Dixi- Klos in Sichtweite eine meter- lange Schlange steht. Und uns bleiben gerade noch 5 Minu- ten, bis ich im Startblock sein muss. Der Klogang hat sich da- mit wohl erledigt. Mist. A lso schnell die Familie verabschieden und rein in den Startblock. Meine beiden Mädels winken und wirken leicht irritiert. Ich wahrscheinlich auch. Im Block sortiere ich mich ganz rechts ein. War ein Tipp von meinem Mann. So kann ich mich an der Absperrung fest- halten, falls das mit dem Ein- klicken nicht so klappt. Habe ich schließlich gestern Abend zum ersten Mal probiert. Langsam kommt Bewegung in den vorderen Teil des Start- blocks. Offenbar fahren die ersten bereits los. Ich mustere die um mich herumstehenden Fahrer, um zu sehen, wie sie sich verhalten. Vielleicht kann ich mir ja noch etwas Nützli- ches abgucken. Dann setzen sich langsam die Fahrer vier, drei, zwei Rei- hen vor mir in Bewegung. Es geht los! Das Einklicken klappt erstaunlich gut, und ich starte! Mein erstes Radren- nen. Und eigentlich auch mein erstes Mal auf einem Rennrad. Die 1,5 Versuche zuvor zählen nicht, finde ich. Der allererste liegt schließlich schon be- Aus dem Frauenstartblock ins kalte Wasser des Hamburger Jedermann-Rennens. ALS RADSPORT- NOVIZE BEI DEN CYCLASSICS DAS ERSTE MAL TEXT | KRISTINA JUDITH Rund um Hamburg Mit einem 27er- Schnitt ging es 55 km lang um die Hansestadt. Gar nicht mal so schlecht – für das erste Mal. Abschied vor dem Rollentausch: Während Mann sich um den Nachwuchs kümmert, schwingt sich Frau aufs Rennrad und erkundet die Straßen der Hansestadt. FelixKrakow(1),HOCHZWEI/HenningAngerer(1),marathon-photos.com(1)
  • 3. 12 Vattenfall Cyclassics Hamburg Vattenfall Cyclassics Hamburg 13 aus dem Leib gestrampelt, jetzt komme ich endlich vor- wärts. Sofort scheint die Son- ne wieder heller. Zum ersten Mal nehme ich etwas von mei- ner Umgebung wahr: Wir fah- ren an grünen Wiesen und Fel- dern vorbei. Sieht gar nicht aus wie Hamburg. Nach etwa 20 Kilometern merke ich, dass ich zu wenig gefrühstückt und getrunken habe. Beim Griff zur Flasche fühle ich mich noch sehr wacklig. Ich traue mich nicht zu trinken, wenn ich überholt werde – also fast ständig. Gut, dass es eine Verpflegungssta- tion gibt. „Da solltest du auf je- den Fall anhalten“, hatte mir mein Mann geraten. „Dann musst du auch nichts zu essen für unterwegs mitnehmen. Du fährst ja nicht solange.“ Ich beginne die Kilometer herunterzuzählen. Vor allem müsste ich jetzt wirklich mal aufs Klo. Noch 10 Kilometer bis zur Station. Noch 8. 6. 5. 4. Noch 200 Meter. 100. Oh. Da war sie. Vorbeigefahren. 50 Meter weiter biege ich in die Ausfahrt und frage den Stre- ckenposten, ob ich da reinfah- ren darf. Er schaut sich um und meint dann: „Na gut, rechts fahren und ganz vor- sichtig. Ist ja grad nicht viel los.“ Zum Glück! Sonst wäre ich jetzt wohl zusammenge- brochen. A ls ich die ersten Schrit- te zu Fuß gehe, fühle ich mich etwas zittrig. Aber nach einer Stärkung aus Banane, Energieriegel und viel Wasser geht’s mir wieder rich- tig gut. Vor allem habe ich jetzt wahnsinnige Lust, wieder aufs Rad zu steigen. Irgendwo auf den letzten Kilometern hat die Sache offensichtlich still und heimlich angefangen, mir Spaß zu machen. Die nächsten Kilometer ver- fliegen nur so. Was für ein schöner Tag. Die Sonne scheint, es ist warm und fast windstill. Außerdem jubeln uns immer wieder Zuschauer vom Straßenrand aus zu. Dann sehe ich das Schild: Start der Bergwertung. Ach ja, da war ja noch was. Erst finde ich es tat- sächlich ziemlich anstrengend und ich befürchte, dass mir der Anstieg die letzten Kräfte raubt. Aber nach einigen Me- tern läuft’s gut und ich über- hole sogar andere Fahrer, die nörgeln und keuchen, als wür- den sie durch die Alpen fah- ren. Luschis. Leider gleichen die das bei der Abfahrt direkt wieder aus. Da nörgle ich. Schließlich kenne ich die Strecke nicht und überhaupt: Das ist doch viel zu schnell! N ach der Bergstrecke wird es städtischer. Plötzlich riecht es stark nach Bier. Ich sehe mich um: Wir fahren durch St. Pau- li. Hatte ich doch irgendwo ge- lesen, dass es über die Reeper- bahn geht. Jetzt sehe ich auch die einschlägigen Kneipen. Aber dass man am Geruch er- kennt, wo man sich befindet ... Irgendwann steht „5 Kilome- ter“ auf einem Schild. Wirk- lich? Was dann? Ist das Ren- nen dann schon zu Ende? Habe ich es etwa wirklich ge- schafft? Aber: Ist dann alles vorbei? Jetzt könnte ich mir gerade vorstellen, noch ein bisschen weiter zu fahren. 75 Meter. 50. 25. Die Ziellinie! I did it! Ich bin bei einem Rad- rennen mitgefahren. Und ich bin nicht als letzte Sportlerin direkt vor dem Besenwagen ins Ziel gekommen. Wahn- sinn! Hinter der Linie nimmt mich meine Familie in Emp- fang. Die Kinder freuen sich, als hätten sie mich ewig nicht gesehen. Dann streiten sie sich um die Finisher-Medaille. Ich bin überglücklich, stolz auf mich, habe einen Riesenhun- ger – und würde mich am liebsten noch vor dem Du- schen für die Cyclassics 2014 anmelden. Aber dann für die 100 Kilometer. RB stimmt 5 Jahre zurück und war ein 10-Kilometer-Desaster, das mich davon überzeugt hat, dass das kein Sport für mich ist. Beim zweiten Versuch vor wenigen Wochen waren wir mit Straßenschuhen und Kin- dern im Gepäck unterwegs. Die Durchschnittsgeschwin- digkeit lag wahrscheinlich un- ter 10 km/h. Aber immerhin hatte die Tour zur Folge, dass ich mir ein eigenes Rennrad bestellt habe. E igentlich sollte ich jetzt schon auf meinem eige- nen Flitzer sitzen, der verschläft die Veranstaltung aber auf irgendeinem Contai- nerschiff. Zur Entschädigung gab es für mich ein Leihrad – ein sündhaft teures, wie ich erst später erfahre. Ob ich es darauf 55 Kilometer lang durchhalte, muss sich erst noch zeigen, aber nach den ersten Metern bin ich optimis- tisch: „Das könnte doch ganz nett werden.“ Langsam entzerrt sich das Feld. Ein Fahrer nach dem an- deren rast an mir vorbei. Sind die schnell! Ich hatte ver- drängt, dass das Ganze ein Rennen ist – nicht einfach ei- ne Ausfahrt. Da höre ich mei- ne Tochter vom Straßenrand rufen: „Mami! Schwung ho- len!“ Ich winke und versuche, schneller zu fahren, werde aber trotzdem ständig über- holt. Gut, das war am Anfang ja zu erwarten. Nach einer ganzen Weile schaue ich das erste Mal auf den Tacho. 878 Meter. Bitte? Ich habe noch nicht mal einen Kilometer ge- schafft? Und ich habe davon noch 54 vor mir? Oh je, wie soll ich das bloß schaffen? Die nächsten Kilometer läuft es trotzdem ganz gut. Ich schließe zu einer Frau auf, die mich gleich anspricht: „Ja, schön die Kräfte einteilen, ne? Mache ich auch so.“ Äh, na ja. Ich eigentlich nicht, aber das muss ich ihr ja nicht auf die Nase binden. Wir unterhalten uns ein bisschen. Dann zieht sie mir davon. Ich fahre doch nicht langsamer als vorher? Aber irgendwie überholen mich immer mehr Fahrer. Ich falle zurück, versuche es, durch mehr Druck auf die Pe- dale auszugleichen. Doch ich komme kaum vom Fleck. Da- bei fahre ich doch im höchs- ten Gang? Ich strample inzwi- schen wie wild und werde doch nur überholt – während alle anderen so geschmeidig dahingleiten. So halte ich kei- ne 5 Kilometer mehr durch. Wer hatte bloß diese blöde Idee? Ich glaube, ich lasse das Rad gleich einfach stehen und laufe zurück. D eine Trittfrequenz ist zu hoch“, ruft mir auch noch einer zu. Danke, das weiß ich auch. Aber wie ändere ich das? 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Nein, absolut nicht. Zumal wir ja in den vergangenen Jahren viele Anstrengungen unternommen ha- ben, um Frauen an- zusprechen. Was waren das denn für Anstren- gungen? Wir haben zum Bei- spiel spezielle Trai- ningskurse angebo- ten, etwa mit Hanka Kupfernagel. Und wir haben die Frauen- startblöcke einge- führt. Die werden zwar auch gut ange- nommen, aber eben nur von Frauen, die sonst wohl aus ei- nem anderen Block gestartet wären. Die Gesamtzahl der Star- terinnen steigt je- denfalls nicht. Wo vermuten Sie die Ursachen für das eher zurückhal- tende Interesse? Ich glaube, viele Frau- en suchen einfach diesen direkten sportlichen Vergleich nicht. Die brauchen kein Ranking, son- dern wollen einfach nur gemeinsam Rennrad fahren. Und wenn man das Ranking einfach weglassen würde? Dann kommen die Männer nicht mehr nach Hamburg. Wir haben das mal abge- fragt. 50 Prozent der Teilnehmer haben die Idee abgelehnt. Es ist eben genau dieser di- rekte Vergleich mitei- nander, der die Cy- classics zu einem we- sentlichen Teil aus- macht. Also sehen Sie kaum noch Chan- cen, den Frauenan- teil nennenswert zu erhöhen? Na ja, mit unseren 10 Prozent spiegeln wir einfach ziemlich genau die Verteilung zwischen Frauen und Männern im Renn- radsport insgesamt wider. Und ein eigenes Event nur für die Frauen? Das wäre interessant, aber finanziell und organisatorisch kaum zu stemmen. Wo,bitte,geht’s zum Start? Dank des aufmerksamen Lageplan-Studiums war der Weg zum Frauenblock kein Problem. Und auch das Ziel wurde erfolgreich gefunden. Zum Lohn gab es die schicke Medaille, glückliche Kinder und alkoholfreie Gerstenkaltschale. Arbeitsgerät: Weil das erste eigene Rennrad noch im Container schlum- merte, ging es auf einem Leihrenner ins Abenteuer Vattenfall Cyclassics. FelixKrakow(3),HOCHZWEI/HenningAngerer(1),Upsolut(1)