Konzept "Manipulation" aus konstruktivistischer Sicht von Dr. Leon Tsvasman
Konzept "Manipulation" aus mediendidaktischer Sicht
mediendidaktik, instructional design, leon tsvasman, philosophy of mediality
1. 226 Manipulation
tionswissenschaft, Bd. I: Grundlagen, Münster. MER- in Kommunikationssystemen nicht ganz
TEN, K. (1999b): Gewalt durch Gewalt im Fernsehen?, ausgeschlossen werden, wohl aber in be-
Opladen. NOLLE-NEUMANN, E. (1977): Der getarnte stimmten Kontexten als solche erkannt,
Elefant. Über die Wirkung des Fernsehens, in: Ders. ggf. durch Regelwerke in ihrer Wirkung
[Hrsg.]: Öffentlichkeit als Bedrohung, S. 114-126, Frei- präventiv beeinflusst (z.B. ignoriert, kom-
burg. PLATON (1969): Der Staat, München. pensiert) oder je nach Interaktionsdyna-
mik individuell abgewehrt werden.
[M. als Subjekt-Objekt-Differenz] Die
traditionell-logische Subjekt/Objekt-Unter-
scheidung scheint dem Ausgangsbegriff
Manipulation [manipulation] (terminus a quo) immanent. Alternative
Differenzen (System/Umwelt bei einer sys-
temtheoret. oder Erkenntnis/Gegenstand
Als Konzept von einer Interaktion, bei einer erkenntnistheoret. Betrachtung)
durch die eine tendenziell absichtliche würden bei dem Praxiskonzept der M. die
und interessengeleitete (Zschaber 1993: funktionale Einheit ihres Subjekts relati-
138ff.) Handlungsbeeinflussung unter- vieren und damit ihre tradierte begriffli-
schwellig ggf. zum fremden Nutzen (Lay che Integrität auflösen. Mithilfe des Sub-
1980: 17ff.) bezweckt wird, variiert der jekt-Objekt-Erklärungsmodells lassen sich
M.sbegriff je nach Diskurskontext. Ety- Akteure entweder als manipulierende
mologisch stammt das Wort von lat. „ma- Subjekte (aktive Handlung) oder als mani-
nipulus“ bzw. von fr. „manipulation“ pulierte Objekte (passive Rolle) auffassen.
(Handhabung). Der „agitatorische“ Ur- Die Beschaffenheit/Komplexität des Ob-
sprung (Zschaber 1993: 139) und die oft jekts (als Gegenstand, bewusstes Wesen,
spekulative Verwendung in Medientex- Gruppe oder ein System) bestimmt das
ten erschweren die Begriffseingrenzung. entsprechende M.sverfahren. Vom Ob-
Wiss. wird der M.sbegriff aus mehreren jekt hängt auch der ethische, kulturelle
Perspektiven betrachtet. oder rechtliche Charakter des jeweiligen
[Handlungstheoret. Perspektive] M.sbestands ab und somit variiert die
In Kategorien der soziol. Theorie des Kom- Konnotation des M.sbegriffs im öffentli-
munikativen Handelns von ↑ Habermas chen Diskurs. Tendenziell wird z.B. der
(1995) kann M. als erfolgorientiertes und Handgriff an einem Gegenstand (vgl. „in-
somit entweder strategisches (wenn „an strumentelles Handeln“ nach Habermas)
der Einflussnahme auf einen Interakti- als wertneutral konnotiert (techn., che-
onspartner im Interesse eigener Zwecke mische, nukleare M.). Die manipulative
orientiert“, Kuhlmann 2002: 183) oder Beeinflussung des Menschen und seiner
instrumentelles („nicht-soziale Eingriffe in Komm. (Humankomm.), der Produkte
die Außenwelt“, Kuhlmann 2002: 183) seiner Handlung ggf. soz. Regelwerke (vgl.
Handeln interpretiert werden. „strategisches Handeln“ nach Habermas)
[Interdisziplinäre Perspektive] Für wird dagegen meistens negativ belegt
Psychologen bezweckt M. vor allem Ver- (wie Fremdbestimmung oder Verführen
haltensänderung, für Pädagogen ist sie der Konsumenten durch eine Werbemaß-
oft Bestandteil der Erziehungskonzepte nahme oder etwa staatliche Zensur von
und im Diskurs radikal-konstruktivistischer Forschungsergebnissen).
Medienforschung ist von manipulativer „Er- Zu beachten sind der konzeptuelle Cha-
zeugung von Wirklichkeit“, die nur „im rakter von M.shandlungen, der in einer
Medium“ erfolgen kann, die Rede (vgl. Zielvorstellung resultiert, und ihr Poten-
Schmidt 1998). zial der subjektübergreifenden Kontinui-
Aus holistischer Sicht ist M. ein natürl. tät (so können die Betroffenen u.U. selbst
Bestandteil jeder Humankomm. Sie kann zu Subjekten der M. nach dem vergleich-
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baren Muster werden). Andererseits kann das auf einem zweckgemäß entwickel-
M., je nach Anwendungsbereich, unter- ten Know-how basiert (z.B. M. am PKW-
schiedl. motiviert sein (Erlangung oder Tachometer, chirurgische Operation als
Aufrechterhaltung von Macht oder ↑ Auf- therapeutisches Verfahren), eine Inter-
merksamkeit) und gestaltet werden. Zum aktionstechnologie (z.B. audiovisuelle
Beispiel manipulieren Kinder gerne ihre Beeinflussung einer Gruppendynamik
Bezugspersonen (Eltern). mittels Propaganda) zu Grunde. Solange
[M. im Diskurs von Kommunikati- sie nicht mit gesellschaftl. Regulations-
ons- und Medienwiss.] Im Kontext der mechanismen (Werten, Gesetzen) kol-
soziol. Kommunikations- und Medienfor- lidiert, bleibt der M.sbegriff neutral. Vor
schung wird der M.sbestand von Akten allem der Endzweck einer M. (Täuschung
medialisierter Humankomm. untersucht; wie in den illusionistischen Zaubershows
das wiss. Interesse gilt vor allem der men- oder Optimierung wie z.B. in der ↑ Kyber-
schen- bzw. gruppengerichteten M. Ge- netik) determiniert ihre soziokulturel-
sellschaftl. bedeutend ist der Aspekt des le Bewertung. Oft bleibt ein bestimmter
fremden Nutzens, der Medien-M. zum M.sbestand je nach Auslegung ambivalent
ethischen Problem macht (↑ Ethik). In der (z.B. gentechnische Optimierung land-
deutschsprachigen Diskussion wird seit wirtschaftl. Erzeugnisse oder Optimie-
Mitte des 20 Jh. mit Begriffen wie Fremd- rung der Sprache im Laufe einer Schreib-
steuerung, Lenkung (vgl. Lay 1980) operiert reform). In der besonders verzwickten
und M. vor allem in Verbindung mit pol. Diskussion über die Manipulierbarkeit des
Instrumenten wie Propaganda und Indokt- Menschen und seiner Wirklichkeit durch
rination thematisiert. Traditionell werden Medien lassen sich zwei gegensätzliche
Sprache und Bild als Mittel der manipu- Thesen erkennen: die medienskeptische
lativen Beeinflussung gesehen, auch non- und die medienoptimistische. Prinzipiell hat
und paraverbale Kommunikationsformen jedes Medium M.spotential; bereits Sok-
(z.B. Körpersprache) werden im Zusam- rates kritisierte die Instrumentalisierung
menhang mit M. erkannt. In diesem Dis- des logos für Machtzwecke. Nur scheint
kurs hat der M.sbegriff eine ausgeprägte das Ausmaß der Möglichkeiten in einer
geisteswissenschaftliche Relevanz. Ten- Informationsges. unbegrenzt. So spricht
denziell streben Disziplinen wie Rechts- z.B. die Frankfurter Schule von globalem
wiss., Psychologie, Marktforschung, Po- Massenbetrug (vgl. Maresch 1995). Die
litikwiss. und ↑ Pädagogik ein fundiertes grundsätzliche Frage ist, inwiefern ggf.
Verständnis manipulativer Prozesse an. unter welchen Bedingungen M. durch
Auch erkenntnistheoret. Fragen zum Medien für den Einzelnen oder für die
Wahrheitsbegriff spielen für das Ver- aktuell dominierende Form der Verge-
ständnis der M., besonders in Bezug auf sellschaftung nachhaltig destruktiv sein
informations-, komm.- und medienethi- kann. Denn wenn man Komm. ohnehin
sche Problematiken, eine entscheidende als gegenseitige Handlungsbeeinflussung
Rolle. Es bedarf einer fachübergreifenden betrachten kann (vgl. Ungeheuer 1987),
Betrachtung, um Zusammenhänge der entsteht M. als Störung erst aus dem mo-
M. zu verstehen. Je nach Ansatz wird M. mentanen Verlust eines Gleichgewichts.
mit Begriffen wie Macht, Moral, Freiheit, Neben individueller M. werden vor
↑ Kunst etc. in Verbindung gebracht. Eine allem Techniken der (pol. motivierten)
knappe Def. der bewusstseinsbeeinflussenden Öffentlichkeitsm. durch die Presse, das
M. findet sich im entsprechenden Kapitel ↑ Fernsehen, die Neuen Medien oder
unten. Kunst untersucht. Die ↑ Medienpsycho-
[Zu Mechanismen der M. in/durch logie erklärt M. durch Medien z.B. mit
Medien] Fachübergreifend betrachtet selektivem Wahrnehmungsverhalten der
liegt im Ansatz jeder M. ein Verfahren, Menschen. Viele Motivationskonzepte,
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die primär für Führungspersonen in der lichen. Um seine Vorhaben zu verbergen,
Wirtschaft entwickelt werden (etwa Neu- kann das Subjekt erfundene Ziele, die
rolinguistisches Programmieren, NLP), gelten nicht seinen reellen Plänen entsprechen,
als manipulativ, weil sie z.B. den Ausgang angeben. Die wirklichen Ziele und das ge-
der Gespräche mit nicht-inhaltl. Mitteln samte Drehbuch der M. werden geheim
beeinflussen können. Aufgrund der Kom- gehalten. Falls dem Objekt die Absicht der
plexität des Diskurses birgt eine interdis- manipulativen Komm. bekannt ist, wer-
ziplinäre Betrachtung der M. Potenzial den die Ziele der M. ggf. nicht erreicht;
für ihre wiss. Erforschung und das tiefere – Fehlen offensichtlicher Verhaltensforde-
Verständnis ihrer prakt. Bedeutung, vor rungen, indirekter Einfluss. Das M.ssubjekt
allem in einer Informationsges. stellt dem Objekt keine Forderungen
bzgl. seiner Verhaltensweise und offen-
Leon Tsvasman bart nicht den vom Objekt erwarteten
Handlungscharakter. Der Kommunikator
[Faktoren und Merkmale der M.] Sys- beeinflusst unter Ausnutzung der Ge-
tematisch im Koordinatensystem der Sub- setzmäßigkeiten der Psyche sowohl die
jekt-Objekt-Unterscheidung konzipiert, Ebenen des Bewussten als auch des Un-
erscheint der kommunikations- und me- terbewussten des Rezipienten, die das
dienbezogene M.sbegriff von einer Reihe vom M.ssubjekt erwartete Verhalten des
wesentl. Faktoren konstituiert. Bei den Objektes determinieren. Die gesamte
meisten intersubjektiven Handlungen mit Zielorientierung und die Techniken des
einem erkennbaren manipulativen Hin- M.sprozesses werden vor dem Manipu-
tergrund sind demnach folgende Merk- lierten sorgfältig verheimlicht. Deswegen
male beobachtbar, die auch Manipulati- bleibt ihm die Illusion der Wahlfreiheit,
onsformen ausmachen: der selbständigen Verhaltensentscheidung
– Inkongruenz der Ziele des Manipulators und folglich auch der Verantwortung für
mit den aktuellen Wünschen und Zielen des dieselbe erhalten. Dies nimmt den Mani-
Manipulierten. M. wird angewendet um pulator von der Kritik aus und erlaubt es
das Objekt zu veranlassen, so zu handeln, dem Manipulierten nicht, ihn der materi-
wie es aus freiem Willen, ohne speziellen ellen oder psych. Schädigung zu beschul-
Einfluss seitens des Manipulators (Sub- digen.
jekt) nicht handeln würde. Die Ziele der – motivierendes Einwirken auf eine Person
M. widersprechen den natürlichen Inter- (Gruppe), um bestimmte, für sie unerwünschte
essen und Absichten des Objekts; Handlungen zu bewirken. M. als Komm. be-
– Beziehung des Manipulators zum Mani- rücksichtigt die psych. Mechanismen des
pulierten als einem Mittel zum Erreichen seiner Determinationsverhaltens. Sie beabsichtigt
Ziele. Bei der M. als Komm. nimmt das die Veränderung von Motivstrukturen,
Subjekt keinerlei Interessen und Wün- wobei dominierende Motive durch von
sche des Objekts wahr, Kompromisse sol- außen in die Psyche eindringende neue
len nicht gefunden, rationale Argumente Motive oder die Verstärkung und Aktuali-
und Überzeugungen nicht angewendet sierung von schwachen Motivstrukturen,
werden. Sie ist nur einseitig auf die Zieler- welche keine Bedeutung für das Verhal-
reichung ausgerichtet; ten haben, verdrängt werden. Durch den
– Geheimhaltung von Zielen, Mitteln und Konflikt zw. dem neuen Motiv und der
dem Zweck („Drehbuch“) des Handelns. Die aktuellen Struktur des Determinierungs-
Divergenz der Vorhaben bzw. der deutli- mechanismus des Verhaltens hat die M.
che Zielkonflikt der Teilnehmer (Agenten) als Komm. normalerweise keinen Einfluss
der manipulativen Komm. veranlasst das auf den Verstand (Ratio), sondern auf das
Subjekt, die wirklichen Ziele zu verheim- Unbewusste eines Menschen;
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