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WIE DIE DIGITALE
TRANSFORMATION GELINGT
KOMMENTAR VON
MCKINSEY & COMPANY
Beim Aufbau ihrer Online-Kundenservices haben viele Unternehmen noch
Nachholbedarf. Die zunehmende Digitalisierung hat zu einem tiefgreifen-
den Wandel im Kundenservice geführt. Nach Banken und Finanzdienstleis-
tern haben weitere Branchen die Bedeutung von digitalen Kundenservices
erkannt und erbringen Dienstleistungen für ihre Kunden zunehmend über
webgestützte Nutzerkonten, soziale Netzwerke, Mobiltelefone und das In-
ternet. Gleichzeitig verlieren Call Center oder Service Counter etwa im sta-
tionären Einzelhandel an Bedeutung. Der Aufwand für die Einführung dieser
Services zahlt sich aus: Ob Kabelbetreiber, Krankenkasse, Versorger oder
Hersteller von Unterhaltungselektronik – jedes Unternehmen mit engen
Kundenbeziehungen kann davon profitieren.
INTREPERFORM
Fortsetzung auf S45 ç
© McKinsey
RAFFAELLA BIANCHI
Senior Expert, McKinsey & Company, Mailand
KATRIN BASTIAN
Knowledge Specialist, McKinsey & Company, Düsseldorf
© McKinsey
Was die Kunden erwarten
Kunden sind daran gewöhnt, sich auf digitalen Plattfor-
men über Produkte zu informieren, Bewertungen abzu-
geben oder ihr Wissen in Communities zu teilen. Auch
beim Service wünschen es die Kunden schnell, flexibel,
mobil. Dennoch sind Ansagen wie „Die Wartezeit beträgt
etwa 15 Minuten“ nicht selten die Realität. In einer Markt-
forschungsstudie hat McKinsey rund 2.000 Kunden von
Telekommunikationsunternehmen
in Westeuropa befragt: Rund 70 %
aller Käufe werden in dieser Branche
teilweise oder ganz über das Inter-
net abgewickelt. Das Gleiche gilt für
90 % aller Serviceinteraktionen. Für
Unternehmen bieten digitale Kun-
denservices damit die große Chan-
ce, sich zu profilieren und die Kundenzufriedenheit zu
steigern. Tatsächlich ergab die McKinsey-Studie, dass
von den Telekommunikationskunden, die rein digitale
Services wie E-Chat oder Social Media genutzt haben,
76 % mit der Leistung zufrieden waren. Damit lag der
Wert deutlich über dem bei traditionellen Kanälen wie Te-
lefon oder Mail – hier betrug die Zufriedenheit nur 57 %.
Gleichzeitig erlaubt die Digitalisierung den Unterneh-
men, die Kosten für Serviceprozesse spürbar zu senken,
etwa wenn das Anrufvolumen sinkt. Ein Telekommuni-
kationsunternehmen beispielsweise musste seine Ser-
vicekosten dringend reduzieren, fürchtete aber mögliche
Umsatzeinbußen beim Cross-Selling – ein Bereich, den
die traditionellen Call Center bislang besonders gut ge-
meistert hatten. Eine genaue Analyse zeigte: Für 70 %
der Kundenservicekontakte gab es digitale Lösungen,
die sich bereits in anderen Branchen bewährt hatten.
Das Unternehmen entschied
sich zur sukzessiven Migration
und reduzierte so die Kosten
in diesem Bereich um 30 %
– ohne Umsatz zu verlieren.
Potenziale in dieser Höhe sind
keine Ausnahme: Auch in an-
deren kundennahen Branchen
lassen sich erfahrungsgemäß 25 % bis 30 % der rele-
vanten Kosten einsparen.
Wo viele Unternehmen noch Schwächen zeigen
Doch wie lassen sich digitale Kundenservices am besten
nutzen und umsetzen? Natürlich genügt es nicht, die
traditionellen Kundenservicekanäle einfach nur durch
„Eine McKinsey-Umfrage unter europäischen
Telekommunikationsunternehmen hat
ergeben, dass nicht einmal 40 % der
Unternehmen bei ihren mobilen Kanälen
Kennzahlen zum Kundenerlebnis
überwachen, bei Online-Kontakten sind
es rund 50 %.“
IN SECHS PHASEN ZUR DIGITALEN TRANSFORMATION
1 Leistungscheck machen. Zunächst gilt es, einen voll-
ständigen Überblick über alle digitalen Kundenservices
zu gewinnen und eine Faktenbasis aus Perspektive der
Kunden zu schaffen: Welche digitalen Serviceschnitt-
stellen und -funktionen bietet das Unternehmen heute?
Wie sind sie zugänglich, was hat sich bewährt und was
möglicherweise nicht? Bei einer solchen Analyse stellte
beispielsweise ein Telekommunikationsunternehmen
fest, dass es versäumt hatte, bestimmte Funktionen
anzubieten, die gerade für die Kunden besonders wich-
tig gewesen wären. Auch erwies sich das Kundenerleb-
nis im Web-Kanal als unzureichend – die dort verfüg-
baren Informationen führten letztlich zu mehr statt zu
weniger Anrufen im Call Center. Ein anderes Unterneh-
men fand heraus, dass Kunden ca. 2.000 verschiede-
ne Gründe für einen Anruf im Call Center hatten. 60
davon – also nur 3 % – verursachten zwei Drittel des
Anrufaufkommens und rund die Hälfte der Kosten.
Eine Online-Lösung gab es aber nur für 15 dieser 60
Probleme. Damit waren die Prioritäten klar: Die Ent-
wicklung von Online-Lösungen für die verbleibenden
45 wichtigsten Anrufgründe würde das Aufkommen in
den Call Centern samt Kosten signifikant reduzieren.
2 Strategischen Fahrplan aufstellen. Liegen die Ergeb-
nisse einer solchen kritischen Bestandsaufnahme vor,
wird eine Übersicht erstellt, welche Kundenanfragen
über welche Kontaktpunkte bearbeitet und wo damit
digitale Funktionen aufgebaut werden sollten. Dabei
ist auch zu entscheiden, welche Arten von Servicean-
fragen möglicherweise erst später oder gar nicht in
digitale Kanäle zu verlagern sind, um nicht kostbares
Cross-Selling-Potenzial aufs Spiel zu setzen. Gegebe-
nenfalls können einige digitale Kontaktpunkte auch
Service-to-Sales-Funktionen enthalten. So führte ein
europäischer Telekommunikationsanbieter erfolgreich
Videochats ein, die Cross-Selling erlauben.
3 Dashboard entwickeln. Nur wer das Kundenerlebnis
nach Kanälen und ihrem Zusammenspiel regelmäßig
misst, schafft die nötige Transparenz für kontinuierliche
Verbesserungen. Einem Unternehmen gelang es, durch
kanalübergreifende Auswertung der Serviceanfragen
die Bedürfnisse der Kunden genauer zu verstehen und
Schwachpunkte in der eigenen Leistung aufzuzeigen.
So stellte sich zum Beispiel heraus, dass 37 % der Kun-
den, die im Internet einen Fehler meldeten, innerhalb
eines Tages auch das Call Center kontaktierten.
4 Klare Ziele setzen. Die ersten Kennzahlen, die erhoben
werden sollten, sind Zahlen zur Nutzung von Selfser-
vice-Funktionen und zu operativen Einsparungen in
Call Centern. Auch hier sollten die Ziele konkret und
auf Ebene individueller Kontaktgründe definiert wer-
den. Ein Telekommunikationsanbieter etwa legte Ziele
für ausgewählte Online-Themen wie Reparaturleistun-
gen und administrative Informationen fest und machte
die klare Ansage, das Anrufaufkommen in zwei Jahren
um 20 % zu senken.
5 Kombination aus „Pull“- und „Push“-Strategien ver-
folgen. Die Einführung von digitalen Kundenservices
lässt sich beschleunigen, wenn dem Kunden ein be-
sonderer Nutzen geboten wird (Pull) – wenn er etwa
im Internet Anfragen einfacher und unkomplizierter
erledigen kann als am Telefon. So wies ein Unterneh-
men seine Kunden bereits beim Produktkauf am Point
of Sale auf seine digitalen Kundenservices hin und be-
warb diese über Anrufbeantworter und Agenten in den
Call Centern. Eine andere Organisation warb auf Social
Media-Plattformen mit Testimonials zufriedener Nut-
zer für die Vorteile digitaler Kontaktpunkte. Eine Push-
Strategie könnte zum Beispiel vorsehen, Aktivierung,
Konfiguration und Reparatur nur über digitale Kanäle
zu ermöglichen.
6 Veränderungsmaßnahmen synchronisieren. Das Pro-
jektmanagement übernimmt idealerweise ein funk-
tionsübergreifendes Team, das direkt an die Unter-
nehmensleitung berichtet. Es stimmt sämtliche Maß-
nahmen in der Organisation ab und koordiniert die
Durchführung der einzelnen Projekte. Dazu gehört
auch, Investitionen in den Aufbau leistungsfähiger Da-
tenmodelle zu veranlassen.
Mit einem solchen systematischen Transformationsan-
satz lassen sich nicht nur die Kosten senken und der
Service verbessern. Das Unternehmen rückt viel näher
an seine Kunden heran: Über digitale Plattformen kön-
nen sich die Kunden – rund um die Uhr – informieren,
Produkte bewerten, Probleme melden und Services be-
ziehen. Der Aufwand für die Umstellung ist nicht uner-
heblich. Doch die Zukunft im digitalen Kundenservice
hat längst begonnen. Für Unternehmen mit hohem
Anspruch an Kundenpflege und Kundenzufriedenheit
wird sich die Anstrengung lohnen.
 
  Quelle: www.mckinsey.com
INTREPERFORM
INTREPERFORM
ç Fortsetzung von S43
Je digitaler das Erlebnis, desto höher die Zufriedenheit.
digitale Optionen zu ergänzen. Denn trotz aller Fort-
schritte: Nur wenige Prozesse werden bislang vollstän-
dig digital abgewickelt, die meisten Kunden wechseln
bei der Suche nach der Lösung von Serviceproblemen
zwischen Kanälen hin und her: Sie suchen beispielsweise
zunächst auf der Website des Unternehmens nach einer
Antwort und wechseln dann zur mobilen App, posten ei-
nen Kommentar oder eine Frage in sozialen Medien und
rufen schließlich im Call Center an, wenn sie nicht fündig
geworden sind. Zwar beginnen 41 % aller Serviceinterak-
tionen mit Telekommunikationsunternehmen auf einer
digitalen Plattform, aber nur 15 % werden wirklich voll-
ständig online abgewickelt. Der gewünschte Digitalisie-
rungsgrad muss also sorgsam durchdacht werden. Doch
in vielen Unternehmen fehlt dafür die Faktenbasis. Eine
McKinsey-Umfrage unter europäischen Telekommunika-
tionsunternehmen hat ergeben, dass nicht einmal 40 %
der Unternehmen bei ihren mobilen Kanälen Kennzahlen
zum Kundenerlebnis überwachen,
bei Onlinekontakten sind es rund
50 %. Im Gegensatz dazu kontrol-
liert ein typisches Call Center fünf
und mehr Kennzahlen, die für das
Kundenerlebnis relevant sind.
Zudem versäumen es viele Unter-
nehmen bislang, die Effektivität di-
gitaler Kundenservices im Zusammenspiel aller Kanäle
zu bewerten: Wie viele Anrufe im Call Center entfallen,
weil der Kunde sein Problem über digitale Optionen
lösen kann? Wie viele Kunden nutzen ausschließlich
digitale Kanäle, wie viele eine Mischung? Wie viele An-
fragen kommen bei einem Kanal an und werden dann
– kostensteigernd – in einem zweiten bearbeitet? Solche
und ähnliche Daten sind häufig nicht verfügbar, sollten
aber mindestens monatlich erfasst werden, um alle In-
teraktionen mit einem Kunden durchgängig steuern zu
können.
Wie die digitale Transformation gelingt
Digitale Kundenservices lassen sich angesichts der kom-
plexen Zusammenhänge nicht nebenbei einführen. Auch
geht es nicht bloß darum, zusätzliche
Kompetenzen aufzubauen. Erfolgreiche
Unternehmen verstehen die Umset-
zung des digitalen Wandels im Kun-
denservice als langfristige strategische
Aufgabe, die in einem ein- bis zweijäh-
rigen Programm angegangen werden
sollte. Die digitale Transformation for-
dert dabei den gleichen Planungsaufwand und dieselbe
Konsequenz wie ein wichtiger Produktlaunch oder ande-
re strategische Maßnahmen. Auch eine
intensive Unterstützung durch das
Topmanagement ist unverzichtbar.
autorinnen:
raffaella bianchi
Senior Expert, McKinsey & Company, Mailand
katrin bastian
Knowledge Specialist, McKinsey & Company, Düsseldorf
„Nur wenige Prozesse werden bislang
vollständig digital abgewickelt.
Die meisten Kunden wechseln bei
der Suche nach der Lösung von
Serviceproblemen zwischen
verschiedenen Kanälen hin und her.“

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  • 1. WIE DIE DIGITALE TRANSFORMATION GELINGT KOMMENTAR VON MCKINSEY & COMPANY Beim Aufbau ihrer Online-Kundenservices haben viele Unternehmen noch Nachholbedarf. Die zunehmende Digitalisierung hat zu einem tiefgreifen- den Wandel im Kundenservice geführt. Nach Banken und Finanzdienstleis- tern haben weitere Branchen die Bedeutung von digitalen Kundenservices erkannt und erbringen Dienstleistungen für ihre Kunden zunehmend über webgestützte Nutzerkonten, soziale Netzwerke, Mobiltelefone und das In- ternet. Gleichzeitig verlieren Call Center oder Service Counter etwa im sta- tionären Einzelhandel an Bedeutung. Der Aufwand für die Einführung dieser Services zahlt sich aus: Ob Kabelbetreiber, Krankenkasse, Versorger oder Hersteller von Unterhaltungselektronik – jedes Unternehmen mit engen Kundenbeziehungen kann davon profitieren.
  • 2. INTREPERFORM Fortsetzung auf S45 ç © McKinsey RAFFAELLA BIANCHI Senior Expert, McKinsey & Company, Mailand KATRIN BASTIAN Knowledge Specialist, McKinsey & Company, Düsseldorf © McKinsey Was die Kunden erwarten Kunden sind daran gewöhnt, sich auf digitalen Plattfor- men über Produkte zu informieren, Bewertungen abzu- geben oder ihr Wissen in Communities zu teilen. Auch beim Service wünschen es die Kunden schnell, flexibel, mobil. Dennoch sind Ansagen wie „Die Wartezeit beträgt etwa 15 Minuten“ nicht selten die Realität. In einer Markt- forschungsstudie hat McKinsey rund 2.000 Kunden von Telekommunikationsunternehmen in Westeuropa befragt: Rund 70 % aller Käufe werden in dieser Branche teilweise oder ganz über das Inter- net abgewickelt. Das Gleiche gilt für 90 % aller Serviceinteraktionen. Für Unternehmen bieten digitale Kun- denservices damit die große Chan- ce, sich zu profilieren und die Kundenzufriedenheit zu steigern. Tatsächlich ergab die McKinsey-Studie, dass von den Telekommunikationskunden, die rein digitale Services wie E-Chat oder Social Media genutzt haben, 76 % mit der Leistung zufrieden waren. Damit lag der Wert deutlich über dem bei traditionellen Kanälen wie Te- lefon oder Mail – hier betrug die Zufriedenheit nur 57 %. Gleichzeitig erlaubt die Digitalisierung den Unterneh- men, die Kosten für Serviceprozesse spürbar zu senken, etwa wenn das Anrufvolumen sinkt. Ein Telekommuni- kationsunternehmen beispielsweise musste seine Ser- vicekosten dringend reduzieren, fürchtete aber mögliche Umsatzeinbußen beim Cross-Selling – ein Bereich, den die traditionellen Call Center bislang besonders gut ge- meistert hatten. Eine genaue Analyse zeigte: Für 70 % der Kundenservicekontakte gab es digitale Lösungen, die sich bereits in anderen Branchen bewährt hatten. Das Unternehmen entschied sich zur sukzessiven Migration und reduzierte so die Kosten in diesem Bereich um 30 % – ohne Umsatz zu verlieren. Potenziale in dieser Höhe sind keine Ausnahme: Auch in an- deren kundennahen Branchen lassen sich erfahrungsgemäß 25 % bis 30 % der rele- vanten Kosten einsparen. Wo viele Unternehmen noch Schwächen zeigen Doch wie lassen sich digitale Kundenservices am besten nutzen und umsetzen? Natürlich genügt es nicht, die traditionellen Kundenservicekanäle einfach nur durch „Eine McKinsey-Umfrage unter europäischen Telekommunikationsunternehmen hat ergeben, dass nicht einmal 40 % der Unternehmen bei ihren mobilen Kanälen Kennzahlen zum Kundenerlebnis überwachen, bei Online-Kontakten sind es rund 50 %.“
  • 3. IN SECHS PHASEN ZUR DIGITALEN TRANSFORMATION 1 Leistungscheck machen. Zunächst gilt es, einen voll- ständigen Überblick über alle digitalen Kundenservices zu gewinnen und eine Faktenbasis aus Perspektive der Kunden zu schaffen: Welche digitalen Serviceschnitt- stellen und -funktionen bietet das Unternehmen heute? Wie sind sie zugänglich, was hat sich bewährt und was möglicherweise nicht? Bei einer solchen Analyse stellte beispielsweise ein Telekommunikationsunternehmen fest, dass es versäumt hatte, bestimmte Funktionen anzubieten, die gerade für die Kunden besonders wich- tig gewesen wären. Auch erwies sich das Kundenerleb- nis im Web-Kanal als unzureichend – die dort verfüg- baren Informationen führten letztlich zu mehr statt zu weniger Anrufen im Call Center. Ein anderes Unterneh- men fand heraus, dass Kunden ca. 2.000 verschiede- ne Gründe für einen Anruf im Call Center hatten. 60 davon – also nur 3 % – verursachten zwei Drittel des Anrufaufkommens und rund die Hälfte der Kosten. Eine Online-Lösung gab es aber nur für 15 dieser 60 Probleme. Damit waren die Prioritäten klar: Die Ent- wicklung von Online-Lösungen für die verbleibenden 45 wichtigsten Anrufgründe würde das Aufkommen in den Call Centern samt Kosten signifikant reduzieren. 2 Strategischen Fahrplan aufstellen. Liegen die Ergeb- nisse einer solchen kritischen Bestandsaufnahme vor, wird eine Übersicht erstellt, welche Kundenanfragen über welche Kontaktpunkte bearbeitet und wo damit digitale Funktionen aufgebaut werden sollten. Dabei ist auch zu entscheiden, welche Arten von Servicean- fragen möglicherweise erst später oder gar nicht in digitale Kanäle zu verlagern sind, um nicht kostbares Cross-Selling-Potenzial aufs Spiel zu setzen. Gegebe- nenfalls können einige digitale Kontaktpunkte auch Service-to-Sales-Funktionen enthalten. So führte ein europäischer Telekommunikationsanbieter erfolgreich Videochats ein, die Cross-Selling erlauben. 3 Dashboard entwickeln. Nur wer das Kundenerlebnis nach Kanälen und ihrem Zusammenspiel regelmäßig misst, schafft die nötige Transparenz für kontinuierliche Verbesserungen. Einem Unternehmen gelang es, durch kanalübergreifende Auswertung der Serviceanfragen die Bedürfnisse der Kunden genauer zu verstehen und Schwachpunkte in der eigenen Leistung aufzuzeigen. So stellte sich zum Beispiel heraus, dass 37 % der Kun- den, die im Internet einen Fehler meldeten, innerhalb eines Tages auch das Call Center kontaktierten. 4 Klare Ziele setzen. Die ersten Kennzahlen, die erhoben werden sollten, sind Zahlen zur Nutzung von Selfser- vice-Funktionen und zu operativen Einsparungen in Call Centern. Auch hier sollten die Ziele konkret und auf Ebene individueller Kontaktgründe definiert wer- den. Ein Telekommunikationsanbieter etwa legte Ziele für ausgewählte Online-Themen wie Reparaturleistun- gen und administrative Informationen fest und machte die klare Ansage, das Anrufaufkommen in zwei Jahren um 20 % zu senken. 5 Kombination aus „Pull“- und „Push“-Strategien ver- folgen. Die Einführung von digitalen Kundenservices lässt sich beschleunigen, wenn dem Kunden ein be- sonderer Nutzen geboten wird (Pull) – wenn er etwa im Internet Anfragen einfacher und unkomplizierter erledigen kann als am Telefon. So wies ein Unterneh- men seine Kunden bereits beim Produktkauf am Point of Sale auf seine digitalen Kundenservices hin und be- warb diese über Anrufbeantworter und Agenten in den Call Centern. Eine andere Organisation warb auf Social Media-Plattformen mit Testimonials zufriedener Nut- zer für die Vorteile digitaler Kontaktpunkte. Eine Push- Strategie könnte zum Beispiel vorsehen, Aktivierung, Konfiguration und Reparatur nur über digitale Kanäle zu ermöglichen. 6 Veränderungsmaßnahmen synchronisieren. Das Pro- jektmanagement übernimmt idealerweise ein funk- tionsübergreifendes Team, das direkt an die Unter- nehmensleitung berichtet. Es stimmt sämtliche Maß- nahmen in der Organisation ab und koordiniert die Durchführung der einzelnen Projekte. Dazu gehört auch, Investitionen in den Aufbau leistungsfähiger Da- tenmodelle zu veranlassen. Mit einem solchen systematischen Transformationsan- satz lassen sich nicht nur die Kosten senken und der Service verbessern. Das Unternehmen rückt viel näher an seine Kunden heran: Über digitale Plattformen kön- nen sich die Kunden – rund um die Uhr – informieren, Produkte bewerten, Probleme melden und Services be- ziehen. Der Aufwand für die Umstellung ist nicht uner- heblich. Doch die Zukunft im digitalen Kundenservice hat längst begonnen. Für Unternehmen mit hohem Anspruch an Kundenpflege und Kundenzufriedenheit wird sich die Anstrengung lohnen.     Quelle: www.mckinsey.com INTREPERFORM
  • 4. INTREPERFORM ç Fortsetzung von S43 Je digitaler das Erlebnis, desto höher die Zufriedenheit. digitale Optionen zu ergänzen. Denn trotz aller Fort- schritte: Nur wenige Prozesse werden bislang vollstän- dig digital abgewickelt, die meisten Kunden wechseln bei der Suche nach der Lösung von Serviceproblemen zwischen Kanälen hin und her: Sie suchen beispielsweise zunächst auf der Website des Unternehmens nach einer Antwort und wechseln dann zur mobilen App, posten ei- nen Kommentar oder eine Frage in sozialen Medien und rufen schließlich im Call Center an, wenn sie nicht fündig geworden sind. Zwar beginnen 41 % aller Serviceinterak- tionen mit Telekommunikationsunternehmen auf einer digitalen Plattform, aber nur 15 % werden wirklich voll- ständig online abgewickelt. Der gewünschte Digitalisie- rungsgrad muss also sorgsam durchdacht werden. Doch in vielen Unternehmen fehlt dafür die Faktenbasis. Eine McKinsey-Umfrage unter europäischen Telekommunika- tionsunternehmen hat ergeben, dass nicht einmal 40 % der Unternehmen bei ihren mobilen Kanälen Kennzahlen zum Kundenerlebnis überwachen, bei Onlinekontakten sind es rund 50 %. Im Gegensatz dazu kontrol- liert ein typisches Call Center fünf und mehr Kennzahlen, die für das Kundenerlebnis relevant sind. Zudem versäumen es viele Unter- nehmen bislang, die Effektivität di- gitaler Kundenservices im Zusammenspiel aller Kanäle zu bewerten: Wie viele Anrufe im Call Center entfallen, weil der Kunde sein Problem über digitale Optionen lösen kann? Wie viele Kunden nutzen ausschließlich digitale Kanäle, wie viele eine Mischung? Wie viele An- fragen kommen bei einem Kanal an und werden dann – kostensteigernd – in einem zweiten bearbeitet? Solche und ähnliche Daten sind häufig nicht verfügbar, sollten aber mindestens monatlich erfasst werden, um alle In- teraktionen mit einem Kunden durchgängig steuern zu können. Wie die digitale Transformation gelingt Digitale Kundenservices lassen sich angesichts der kom- plexen Zusammenhänge nicht nebenbei einführen. Auch geht es nicht bloß darum, zusätzliche Kompetenzen aufzubauen. Erfolgreiche Unternehmen verstehen die Umset- zung des digitalen Wandels im Kun- denservice als langfristige strategische Aufgabe, die in einem ein- bis zweijäh- rigen Programm angegangen werden sollte. Die digitale Transformation for- dert dabei den gleichen Planungsaufwand und dieselbe Konsequenz wie ein wichtiger Produktlaunch oder ande- re strategische Maßnahmen. Auch eine intensive Unterstützung durch das Topmanagement ist unverzichtbar. autorinnen: raffaella bianchi Senior Expert, McKinsey & Company, Mailand katrin bastian Knowledge Specialist, McKinsey & Company, Düsseldorf „Nur wenige Prozesse werden bislang vollständig digital abgewickelt. Die meisten Kunden wechseln bei der Suche nach der Lösung von Serviceproblemen zwischen verschiedenen Kanälen hin und her.“