1. Medientreff NRW - Lokalfunk trifft Zeitgeist,
Hörer im Fokus
Hörerorientierung: Ansätze und Erfahrungen
Bad Honef, 4. September 2012
Prof. Dr. Vinzenz Wyss
Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
vinzenz.wyss@zhaw.ch
Zürcher Fachhochschule 1
2. Selbstbeobachtung und Synchronisation von
Gesellschaft über die Rezeption journalistischer
Kommunikationsangebote durch das Publikums
Politik
Wirtschaft Demonstration Recht
ÖffentlichkeitUrteil
Public Relations Forschungs-
bericht
Film Journalismus Wissenschaft
Kunst
Public Relations
Verkündigung
Religion Bildung etc.
Zürcher Fachhochschule
13. «Wir stützen unsere Vorstellungen auf
Daten der Publikumsforschung»
• alle untersuchen Redaktionen verfügen über Daten
der Markt- & Publikumsforschung
• aber:
Ergebnisse führen nur selten zu revidierten
Publikumskonzeptionen
(2 von 10 Redaktionen), weil Daten z.T. nicht
brauchbar (quantitative Reichweitendaten)
Zürcher Fachhochschule 13
14. «Bei der Vorbereitung eines Beitrags gehe
ich vom Nutzen für das Publikum aus»
Relevanz
Interesse
Nutzen
-Vage Vorstellung
-Primär ökonomische Orientierung (Zielpublikum,
Soziodemographie etc.)
Zürcher Fachhochschule 14
15. Der Aussagewunsch
Zum Beispiel:
«Die Hörerinnen/Hörer sollen miterleben, warum der
gehbehinderte Herr X immer noch gerne zur Arbeit geht,
obwohl er dabei jeden Tag einen Spießrutenlauf absolvieren
muss.»
Der Aussagewunsch ist eine verbindliche Vereinbarung zwischen
der Redaktion und dem Autor über das Ziel des Beitrages. Dabei
wird explizit ein Bezug zum Publikum hergestellt. Der Beitrag wird
auf eine klar fokussierte Geschichte reduziert.
Zürcher Fachhochschule 15
16. Satzteil Bedeutung der Satzteile
„Die Hörerinnen und Hörer Der Adressat des Aussagewunsches ist immer das Publikum, nicht die
sollen… Macherin oder der Macher. Dieser erste Teil des Satzes bleibt immer gleich.
…miterleben / erfahren / Das erste Verb (im Aktiv) gibt bereits einen wichtigen Hinweis auf die Art
verstehen / kennenlernen / des Beitrags: Geht es um Information, Wissensvermittlung, Mitreisen,
erkennen etc. … Beobachten…?
…warum / dass / weshalb / ob / Das Bindewort zum Nebensatz spezifiziert die inhaltliche Ausrichtung. Es
wie / wieviel etc. … ist ein Unterschied, ob wir einen Sachverhalt („dass“) umschreiben oder
etwas herausfinden wollen („warum“).
… Herr X / Frau Y / die Gruppe Das Subjekt des Nebensatzes bezeichnet in der Regel den Handlungsträger
X / die Sache Z etc. … oder die Heldin der Geschichte.
… gehbehindert / die Sache, das Das Objekt bezeichnet den Sachverhalt oder das Problem.
Ereignis, den Sachverhalt,
Protagonist A etc. …
… gerne / schwierig / stockend / Adverbien und Adjektive geben einen Hinweis auf die emotionale Richtung
gut / erfolgreich / entschieden etc. oder Wertigkeit der Geschichte.
…
… zur Arbeit geht / lebt / sich Das zweite Verb schliesst den Satz ab und bezeichnet die Bewegung des
entwickelt / Regie führt / Subjekts.
weiterlebt etc. …
… obwohl / trotzdem / auch wenn Lässt sich ein präzisierender/ relativierender dritter Satzteil anfügen, kann
er … etc. dadurch schon die Fallhöhe / der Widerpart / der Konflikt sichtbar werden.
Zürcher Fachhochschule
18. 'Andockmodell'
Quelle: KROPF, Thomas (2011): Pyramide und Andockmodell:
Zürcher Fachhochschule
Form und kommunikative Verankerung.
19. Andockmodell: Verstehen
Information 1 Information 2
w
hilft verstehen
hilft verstehen
w
ird
ird
Te
Te
il
il
vo
vo
n
n
'Welt-Wissen'
Zürcher Fachhochschule
20. Pyramide vs. Andockmodell
Pyramidenmodell Andockmodell
KOMMUNIKATIONS-
INHALTS-orientiert
orientiert
Es blendet das Publikum
Die zentrale Frage: Wie
aus.
muss das Neue
Die zentrale Frage: Was transportiert werden,
ist neu? damit es verstanden wird?
'Neues' kommt vor 'verstehen' kommt vor
'verstehen' 'Neues'
Zürcher Fachhochschule 20
21. Pyramide vs. Andockmodell
Pyramidenmodell Andockmodell
Es war das bisher grösste
Das Amtsgericht Olten-
Pensionskassen-Debakel in
Gösgen hat im Fall der
der Schweiz:
Pensionskassen-
Stiftungen "Vera" und Mitte der 90er-Jahre
"Pevos" ein Urteil gefällt. gerieten die beiden Oltner
Die sieben Pensionskassen-Stiftungen
Verantwortlichen der "Vera" und "Pevos" in den
beiden Stiftungen wurden Strudel der Immobilien-
freigesprochen und krise.
erhalten nun
Genugtuungs-Zahlungen.
Zürcher Fachhochschule 21
24. «Die Publikumsperspektive wird bei der
Sendungskritik jeweils thematisiert»
• Diskrepanz
- Selbsteinschätzung vs. Beobachtungen
- implizit vs. explizit
(«das interessiert doch die Leute jetzt»)
• An Kritikrunden sind Publikumsvertreter so gut wie nie
eingeladen
Publikumsperspektive in der redaktionellen
Diskussions- und Kritik-Kultur nicht institutionalisiert
Zürcher Fachhochschule 24
26. Kontakt mit dem Publikum (Online)
Kommentarfunktion
Social Media?
Publikum Ambivalenz
+ -
„Kontrollmöglichkeit“ Barometer „aufwändig“, „aufgeregt“
Forumseintrag/
„Inspirationsquelle“ „keine Schranken“,
Kommentar
„Inputs“, Kontakt zu Publikum „Reflexe“„Affekt„Geschwätz“,
„Inspirationsquellen“ Social Media / „Müll“, Valenzproblem,
„Personalisierung“ „Facebook“ etc. „zeitaufwändig“
„Anpassungsdruck“
„Orientierung“, Publikum kennen
„Klick“-Referenz „gefährliches Tool“
Seismograph „Demokratisierung“ Nivellierung
Interaktion bleibt eher einseitig, Potenzial der Inklusion wenig ausgeschöpft
erhöhter Ressourcenbedarf, erhöhte Anforderungen an Professionalität
Zürcher Fachhochschule 26
27. Publikumsrat –
institutionalisiertes externes Feedback
• In regelmäßigem Turnus werden (relevante) Hörer
rekrutiert, die frei oder nach Wunschkriterien ein paar
Sendungen begutachten.
• Ein bewusst zusammengesetztes Gremium trifft sich
in regelmässigen Abständen zur Besprechung der
Programmqualität.
• Ombudsstelle / Umgang mit Beanstandungen
Zürcher Fachhochschule 27
3 . Theoretische Annäherung: 3.1 Leitdifferenz Mehrsystemrelevanz Vor dem Hintergrund einer systemtheoretischen Perspektive wird Journalismus als ein eigenständiges – autonomes, aber zu seiner Umwelt hin auch offenes System - konzipiert, das für die Gesellschaft und eine ganz bestimmte - eigene Funktion erfüllt. Selbstbeobachtung und Synchronisation von Gesellschaft Mit dieser Funktion löst Journalismus für die Gesellschaft und für andere Teilsysteme ein Problem; nämlich die gleichzeitige Beobachtung der jeweiligen Umwelten. Gesellschaftliche Funktionssysteme wie Politik, Wirtschaft, Religion etc. versuchen sich in ihrer Eigenständigkeit ihren Umwelten anzupassen und andere Systeme zu beeinflussen. Einfluss können sie jedoch nur über Kommunikation nehmen. Durch direkte Kommunikation oder eben durch Öffentlichkeit versuchen sie andere Systeme zu irritieren. Zur Ausübung seiner Funktion greift Journalismus solche Kommunikationsangebote nach systemeigenen Aufmerksamkeitsregeln auf, setzt sie mit anderen Angeboten in Zusammenhang - dies unter Berücksichtigung des Irritations- oder Konfliktpotenzials. Wenn Journalismus Religion als Thema aufgreift und bearbeitet, zieht er die gleichen Regeln und Routinen heran wie bei der Inszenierung anderer Themen auch – wie etwa bei Politik-, Wirtschafts-, oder Wissenschafts-Themen. Gesellschaftliche Sachverhalte und Ereignisse werden für den Journalismus dann relevant, wenn sie gleichzeitig in mehr als nur einem gesellschaftlichen Systembezug auf Resonanz stossen bzw. Anschlusskommunikation auslösen. Aus systemtheoretischer Perspektive kann nun behauptet werden, dass die Wahrscheinlichkeit der Thematisierung steigt, wenn ein Thema in mehr als einem Systemkontext Resonanz bzw. Irritatiion auslöst. Mehrsystemrelevanz wird dann realisiert, wenn Journalismus Themen bearbeitet, die über den Bereich und Ort hinaus, in dem sie passieren, Bedeutung erlangen können. Journalisten berichten deshalb, weil ein Thema gleichzeitig (zeitliche Dimension) in mehr als einem und in möglichst vielen gesellschaftlichen Teilsystemen als relevant (sachliche Dimension) erscheint und aktuell Resonanz (Anschlusskommunikation) erzeugt. Die Sinnstruktur Religion hat vor allem dann Chancen vom Journalismus aufgegriffen zu werden, wenn auch andere gesellschaftliche Teilsysteme davon betroffen sind. Um vom Journalismus beobachtet und thematisiert zu werden, müssten Kommunikationsangebote des Religionssystems – das ja nach der Leitdifferenz immanent/transzendent operiert – dem journalistischen Code der Mehrsystemrelevanz untergeordnet werden können.