2. Die physiologische Entwicklung der Beinachsen im Kindesalter weist bestimmte Charakte-
ristika auf. Um pathologische Abweichungen von physiologischen unterscheiden zu kön-
nen, ist die genaue Kenntnis der physiologischen Beinachsenentwicklung in allen 3 Ebe-
nen des Raums eine wesentliche Voraussetzung. Diese soll in diesem Artikel vermittelt
werden.
Achsdeviationen sind ein häufiger Grund für die Vorstellung von Kindern beim Orthopäden oder
Kinderarzt. Vorwiegend handelt es sich dabei um:
F Kleinkinder mit O-Beinen,
F Kleinkinder mit einem Innenrotationsgang sowie
F 3- bis 6-Jährige mit X-Beinen.
Die Beurteilung, ob eine Beinachse noch normal oder schon pathologisch ist, setzt voraus, dass die
Während des Wachstums kommt es physiologischen Verhältnisse bekannt sind.
zu charakteristischen Veränderungen Während des Wachstums kommt es zu charakteristischen Veränderungen der Achs- und Torsi-
der Achs- und Torsionsverhältnisse onsverhältnisse, die sich an Ober- und Unterschenkel sowie am Fuß gegenseitig beeinflussen. Wäh-
rend der Gestationsphase werden die unteren Extremitäten bei eingeschränktem Platzangebot in ei-
7 Buddha-Position ne so genannte 7 Buddha-Position mit flektierten Hüft- und Kniegelenken sowie Innenrotation der
Tibia und der Füße gedrängt. Diese Haltung ist typisch zum Zeitpunkt der Geburt und ursächlich
für die dann bestehende Verkürzung der medialen Kniegelenkkapsel, insbesondere der posterioren
schrägen Anteile. Während des ersten Lebensjahrs führt diese Innenrotationskontraktur des Knies
zu einer Außenrotation der gesamten unteren Extremität und zu einer Genu-varum-Haltung [4].
Entwicklung der Beinachse
Frontalebene
Im Säuglingsalter findet sich typischer Weise eine varische Beinachse von durchschnittlich 15°. Die
O-Bein-Stellung ist einerseits durch ein Genu varum bedingt, aber auch durch ein Crus varum. Ihr
Aspekt wird durch die physiologische Außenrotationsbeugehaltung im Hüftgelenk verstärkt.
Im Alter von etwa 1 Jahr kommt es mit Beginn der Vertikalisierung zu asymmetrischen Belastun-
Mit Beginn der Vertikalisierung gen der kniegelenknahen Wachstumsfugen: Medial dominiert die Druckbelastung, lateral die Zugbe-
kommt es zu asymmetrischen Belas- lastung. Dies führt zur asymmetrischen biomechanischen Beeinflussung des Knorpels und löst da-
tungen der kniegelenknahen Wachs- mit ein asymmetrisches Wachstum mit der Folge eines überproportionalen Wachstums medialseitig
tumsfugen aus. Damit wandert die Traglinie – die Achse zwischen Hüftkopfzentrum und Zentrum des oberen
Sprunggelenks – die primär medial des Kniegelenks verläuft, nach lateral. Typischerweise kommt es
7 Valgische Beinachse bis zum 3./4. Lebensjahr zu einer 7 valgischen Beinachse von etwa 10°. Die Traglinie verläuft dann
lateral der Kniegelenkmitte. Dies hat wieder ein asymmetrisches Wachstum zur Folge, nun mit ei-
Die physiologische Valgusstellung ner Wachstumsstimulation lateralseitig, bis die physiologische Valgusstellung des Kniegelenks von
des Kniegelenks nach Wachstumsab- 5–7° im Alter von etwa 8–10 Jahren entwickelt ist.
schluss beträgt 5–7° Die anfänglich äußerst große Streubreite des Normalen im Kleinkindalter wird mit zunehmender
Skelettreife geringer. Von Salenius u. Vanka [15] wurde dieser natürliche Verlauf anhand von 1480
Die anfänglich äußerst große Streu- Untersuchungen bei 1279 Kindern dokumentiert (. Abb. 1).
breite des Normalen im Kleinkindal-
ter wird mit zunehmender Skelett- Sagittalebene
reife geringer
Bei Neugeborenen findet sich in der Regel eine leichte Hüft- und Kniebeugekontraktur, die sich spon-
tan rasch auflöst. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist am Kniegelenk eine Hyperextension von 10–
15° möglich, die Flexionsfähigkeit beträgt je nach Weichteilmantel etwa 150°. Die Überstreckbarkeit
7 Genu recurvatum nimmt bis zum Wachstumsabschluss um etwa 5° ab. Von einem echten 7 Genu recurvatum spricht
man, wenn sich das Kniegelenk ohne Verschieben der Tibia gegenüber dem Femur um mehr als 15°
im Kindesalter und um mehr als 10° nach Wachstumsabschluss überstrecken lässt.
486 | Der Orthopäde 5 · 2007
3. CME
+20°
+15°
Varus
+10°
+5°
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 Alter
0 (Jahre)
-5°
Valgus
-10°
-15°
+34±0 +21–13 +20–20+13–19 +4–17 ±0–11 ±0–11 ±0–10 ±0–14 ±0–13 ±0–12 ±0–10 ±0–12 ±0–11
Extremwerte
Abb. 1 8 Physiologische Entwicklung der Beinachse in der Frontalebene, Mittellinie entspricht
Mittelwert, Werte oberhalb und unterhalb entsprechen Extremwerten der Streubreite, Fehler
des Mittelwerts durchschnittlich ±4,4°; Standardabweichung ±8° (nach [15])
Abb. 2 9 Antetorsion des Femurs,
bestimmt als Winkel zwischen
Schenkelhals- und Kondylenachse
Transversalebene
Während des Wachstums verändern sich die Torsionsverhältnisse an Ober- und Unterschenkel in
typischer Weise.
Femur
Physiologisch besteht zwischen der Schenkelhalsachse und der Kondylenebene des Femurs ein nach
ventral offener Winkel, der als 7 Antetorsion des Femurs bezeichnet wird (. Abb. 2). 7 Antetorsion
In der 4. intrauterinen Woche entsteht die primäre Anlage der unteren Extremität mit einer Au-
ßenrotationseinstellung. Im weiteren Schwangerschaftsverlauf kommt es zunächst zu einer Innenro-
tation der Gesamtachse und zum Ende der Schwangerschaft erneut zu einer Außenrotationsentwick-
lung. Die intrauterine Bandbreite der femoralen Antetorsion liegt in der ersten Hälfte der Schwan-
gerschaft bis zur 24. Schwangerschaftswoche zwischen −10° und +30°.
Zum Zeitpunkt der Geburt befindet sich das Hüftgelenk neben der Flexionsstellung typischerwei-
se spontan in Außenrotationsstellung mit Einschränkung der Innenrotationsfähigkeit. Die Antetor-
Der Orthopäde 5 · 2007 | 487
4. 60°
55° P
50° N
5
45°
40°
3
35° 1
AT- Winkel
30° 4
25° 2
20°
6
15°
10°
5°
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 >20
Alter [Jahre]
Abb. 3 8 Physiologische Entwicklung der femoralen Antetorsion [3], Kurve 1 anatomische
Untersuchung durch Schmidt [16], Kurve 2 radiologische Untersuchung von Fabry et al. [5],
Kurve 3 radiologische Untersuchung von Hamacher [6], Kurve 4 radiologische Untersuchung
von Shands u. Steel [17], Kurve 5 radiologische Untersuchung von Zippel [20],
Kurve 6 anatomische Untersuchung von Lanz u. Wachsmuth [11], N Grenzen des Normbereichs,
P Grenzen zu pathologisch erhöhten Antetorsionswerten
Abb. 4 9 Torsion des Unterschen-
kels, bestimmt als Winkel
zwischen der Tangente an die
dorsalen Tibiakondylen und der
Intermalleolarachse
sion beträgt im Durchschnitt 31°. Diese paradox erscheinende Situation – einerseits im Hinblick auf
die weitere Entwicklung maximale Antetorsionsstellung, die eine vermehrte Innenrotationsfähigkeit
7 Außenrotationskontraktur der zulassen sollte, andererseits Außenrotationsstellung – ist bedingt durch eine 7 Außenrotationskon-
Hüftgelenke traktur der Hüftgelenke als Resultat der intrauterinen Lage; dadurch wird der Effekt der Schenkel-
halsantetorsion in der Neugeborenenperiode maskiert. Im Rahmen der weiteren Entwicklung kommt
es zu einer Rückbildung der Außenrotationskontraktur, sodass die Antetorsionsverhältnisse zuneh-
mend die Rotationsfähigkeit des Hüftgelenks bestimmen. Die Antetorsion reduziert sich über die ge-
7 Beschleunigte Detorsionsschübe samte Wachstumsphase insbesondere in 2 7 beschleunigten Detorsionsschüben im Alter zwischen
6 und 8 Jahren sowie 12 und 14 Jahren [9]. Bei Wachstumsende besteht eine femorale Antetorsion
Bei Wachstumsende besteht eine fe- von durchschnittlich 15°. Für die Rückbildung der Antetorsion sind v. a. dynamische Kräfte verant-
morale Antetorsion von durchschnitt- wortlich, die beim Gehen wirksam werden, gleichzeitig aber auch das enchondrale Wachstum der
lich 15° proximalen Femurepiphysenfuge, da sie nicht senkrecht zum Schenkelhals steht, sondern mit ihm
einen nach dorsal spitzen Winkel bildet.
Die Entwicklung der femoralen Antetorsion zeigt . Abb. 3. Bei einer vermehrten Antetorsion
Bei einer vermehrten Antetorsion be- besteht klinisch eine vermehrte Innenrotationsfähigkeit im Hüftgelenk, diese manifestiert sich beim
steht klinisch eine vermehrte Innen- Gehen in einem Innenrotationsgang. Typischerweise werden viele Kinder im Alter von 2–4 Jahren
rotationsfähigkeit im Hüftgelenk wegen solch einer Problematik beim Arzt vorgestellt.
488 | Der Orthopäde 5 · 2007
5. CME
Abb. 6 8 Klinische Untersuchung von Rotationsfehlern. Bei dem jungen
Abb. 5 9 Genua vara mit Mann besteht eine Unterschenkelaußentorsionsfehlstellung; die Position
Crura vara bei Achondropla- der Patella ist markiert. a Ansicht in Innenrotation des Hüftgelenks; der
sie, zusätzlich ausgeprägte Fußöffnungswinkel erscheint physiologisch. b Bei orthograder Einstellung
Innentorsionsfehlstellung der Beinachsen zeigt sich der Unterschenkelaußendrehfehler, der Fußöff-
der Unterschenkel nungswinkel ist deutlich erhöht
Unterschenkel
Die Unterschenkeltorsion ist definiert als Winkel zwischen der Tangente, die von dorsal an die pro- Zum Zeitpunkt der Geburt bestehen
ximalen Tibiakondylen angelegt wird, und der Intermalleolarachse (. Abb. 4). Zum Zeitpunkt der meist eine Innentorsion oder eine
Geburt bestehen meist eine Innentorsion oder eine Neutralstellung. In den ersten Lebensjahren ent- Neutralstellung des Unterschenkels
wickelt sich physiologischerweise eine Außentorsion von durchschnittlich 15°, die bis ins Erwach-
senenalter bestehen bleibt.
Pathologische Beinachsen
Sie entwickeln sich selten und sind oft erst nach mehrfacher Beobachtung über einen längeren Zeit-
raum zu erkennen. Abweichungen von mehr als 2 Standardabweichungen gelten als pathologisch. In
der Frontalebene sind v. a. Achsabweichungen im Kniegelenk- und Unterschenkelbereich klinisch
auffällig. Sie können am Kniegelenk zu einer lokalen Überbeanspruchung führen und sind daher als
7 präarthrotische Deformität zu werten. Das Arthroserisiko scheint beim Genu varum größer als 7 Präarthrotische Deformität
beim Genu valgum zu sein [7].
In der transversalen Ebene stellt eine vermehrte Antetorsion im Sinne einer Coxa antetorta keine
präarthrotische Deformität dar. Eine Antetorsion ≥50° wird bei Kindern als pathologisch eingestuft In der transversalen Ebene stellt ei-
und kann zu einer Hüftgelenkinstabiltät beitragen. Aber auch diese Stellungen normalisieren sich im ne vermehrte Antetorsion keine prä-
Laufe des Wachstums in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle spontan, nur selten findet keine De- arthrotische Deformität dar
rotation statt [9]. Die Ursache hierfür kann eine Zerebralparese mit asymmetrischer Muskelfunkti-
on der Agonisten und Antagonisten sein oder die Antetorsion persistiert als Kompensationsmecha-
nismus bei einer verstärkten Unterschenkelaußentorsion (kombinierter Torsionsfehler). Eine Coxa retrotorta ist mit einem er-
Die verminderte Antetorsion entsprechend einer Coxa retrotorta ist im Gegensatz zur Coxa an- höhten Arthroserisiko verbunden
tetorta mit einem erhöhten Arthroserisiko verbunden und entspricht damit einer präarthrotischen
Deformität. Des Weiteren stellt sie einen Risikofaktor für das Auftreten einer 7 Epiphyseolysis ca- 7 Epiphyseolysis capitis femoris
pitis femoris dar.
Eine vermehrte Unterschenkelaußentorsion führt dazu, dass der Impuls zur Korrektur der femo-
ralen Antetorsion im Wachstum ausbleibt. Biomechanisch führt die übermäßige Außentorsion zu
einer Veränderung der Hebelverhältnisse, die sich insbesondere während der Abstoßphase zeigt, so-
wie zu einem Fersenvalgus mit Pronation des Rückfußes.
Der Orthopäde 5 · 2007 | 489
6. Abb. 7 8 Klinische Bestimmung der femoralen Antetorsion: in Bauchlage
Palpation des Trochanter major mit der einen Hand, Rotation des
Unterschenkels bei 90° flektiertem Kniegelenk mit der anderen Hand
bis Trochanter major maximal lateral tastbar; Bestimmung des Winkels
zwischen der Unterschenkelachse und der Vertikalen
Abb. 8 7 Klinische Bestimmung der
Unterschenkeltorsion:
90°-Flexion des Kniegelenks in
Bauchlage, Halten des Sprung-
gelenks in Neutralstellung, Winkel
zwischen Oberschenkel- und
Fußlängsachse (Achse zwischen
Fersenmittelpunkt und 2. Strahl)
entspricht Unterschenkeltorsion
Die pathologische Innentorsion des Unterschenkels ist seltener als die Außentorsion. Man findet
7 Morbus Blount sie typischerweise bei einem Genu varum oder in Kombination mit einem 7 Morbus Blount.
Ätiologie
Sekundär bedingte Beinachsenabwei- Pathologische Achsabweichungen, insbesondere symmetrische, sind vielfach idiopathisch bedingt.
chungen finden sich oft nach Schädi- Dagegen ist v. a. bei einseitigen Abweichungen eine sekundäre Ursache auszuschließen. Sekundär be-
gung der Wachstumsfuge dingte Beinachsenabweichungen finden sich häufig infolge einer Schädigung der Wachstumsfuge z.
B. nach Traumen, Infektionen oder Tumoren. Ausgesprochen typisch ist die Entwicklung eines Ge-
7 Proximale metaphysäre Tibia- nu valgum bei 7 proximalen metaphysären Tibiafrakturen (Biegungsfraktur). Hier kommt es ei-
fraktur nerseits zu einer schnellen Konsolidierung im Bereich der lateralen Biegungskomponente, anderer-
seits zu einer verzögerten Heilung der vollständig frakturierten, medialen Zugseite mit gesteigerter
medialer Durchblutung und der Folge eines asymmetrischen Fugenwachstums. Weitere Ursachen
für Achsabweichungen sind Stoffwechselerkrankungen, kongenitale Fehlbildungen der Extremitäten,
Skelettdysplasien usw. Mögliche Ursachen für Achsabweichungen sind . Tab. 1, 2 und 3 im Einzel-
nen zu entnehmen. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.
Diagnostik
Klinische Untersuchung
Die Untersuchung der Beinachsen erfolgt im:
F Stehen,
F Gehen und
F Liegen.
Untersuchung im Stand. Bei ihr ist zuerst darauf zu achten, dass die Patellae nach vorn zeigen und
die Knie beidseits nicht flektiert sind. Dann kann in der Frontalebene der tibio-femorale Winkel be-
490 | Der Orthopäde 5 · 2007
7. CME
1
2
3
4
5
Abb. 10 8 Schematische Darstellung der Bestimmung des Kniegelenk-
zentrums [13], 1 Spitze der femoralen Grube, 2 Mitte zwischen den
Femurkondylen, 3 Mitte der Eminentia intercondylaris, 4 Mitte des
Weichteilschattens auf Gelenkebene, 5 Mitte des Tibiaplateaus
Abb. 9 8 Schematische Darstellung der Bestimmung des Hüftkopfzent-
rums nach Mose anhand konzentrischer Kreise [13]
stimmt werden. Bei Genua valga sollten zusätzlich der Abstand zwischen den beiden Malleoli me-
diales (7 Intermalleolarabstand) und bei Genua vara der Abstand zwischen den medialen Femur- 7 Intermalleolarabstand
kondylen (7 Interkondylenabstand) bestimmt werden. Diese Maße sind gute Parameter für die Ver- 7 Interkondylenabstand
laufsbeobachtung. Beim Blick von der Seite kann die Beinachse in der Sagittalebene beurteilt wer-
den.
Untersuchung im Gehen. Hierbei achtet man zunächst auf die Position des Fußes in Relation zur Der Fußöffnungswinkel beträgt
Laufrichtung. Typischerweise beträgt der Winkel zwischen der Längsachse des Fußes und der Fort- 10–15°
bewegungsrichtung 10–15° (Fußöffnungswinkel).
Des Weiteren ist auf die 7 Position der Patella zu achten: Bei physiologischen Torsionsverhältnis- 7 Position der Patella
sen zeigt sie während des Gehens in die Fortbewegungsrichtung; bei vermehrter Antetorsion des Fe-
murs weist sie nach medial. Eine vermehrte Unterschenkelaußentorsionsfehlstellung kann über eine
Innenrotation der Hüfte kompensiert werden, die sich ebenfalls in einer relativen Innenrotation der
Patella manifestiert; umgekehrt werden eine Coxa retrotorta, eine vermehrte Innentorsion des Un-
terschenkels oder eine Adduktionsfehlstellung des Vorfußes durch eine nach außen weisende Patel-
la klinisch manifest (. Abb. 6).
Des Weiteren ist insbesondere bei varischen Beinachsen darauf zu achten, ob es während der
Standphase durch einen Lateralschub des Unterschenkels zu einer Translationsbewegung im Knie-
gelenk nach lateral kommt. Dies ist, wenn auch nicht pathognomonisch, ein Hinweis auf einen Mor-
bus Blount und stellt eine Indikation für eine Röntgenuntersuchung dar.
Untersuchung im Liegen. Sie dient v. a. der Feststellung der Torsionsverhältnisse in Hüfte, Unter-
schenkel und Fuß. Die Rotationsverhältnisse des Hüftgelenks sollten sowohl in 90° als auch in 45°
Beugung als auch bei extendiertem Gelenk untersucht werden, d. h. entweder in Bauch- oder in Rü- Die Rotationsverhältnisse des Hüft-
ckenlage bei jeweils rechtwinklig gebeugten Kniegelenken, die Unterschenkel über die Kante herab- gelenks sollten in 90° und in 45° Beu-
hängend. So kann der mittlere Bewegungsumfang, der beim Gehen genutzt wird, beurteilt werden. gung sowie bei extendiertem Gelenk
Die Abschätzung der Antetorsion erfolgt klinisch, indem man mit der einen Hand den Trochan- untersucht werden
ter major palpiert und mit der anderen den Unterschenkel in Bauchlage so weit nach außen dreht,
bis man die stärkste Lateralisierung des Trochanter major spürt. In dieser Stellung wird der Winkel
Der Orthopäde 5 · 2007 | 491
8. 1
2
3
Abb. 11 9 Schematische Darstel-
lung der Bestimmung des
Sprunggelenkzentrums [13],
1 Mitte des Weichteilschattens auf
Gelenkebene, 2 Mitte von Tibia und
Fibula auf Gelenkebene, 3 Mitte des
Talus
zwischen der Unterschenkelachse und der Vertikalen gemessen. Dieser entspricht der Antetorsion
(. Abb. 7). Bei ausreichender Erfahrung stimmen die Werte sehr gut mit denjenigen aus Röntgen-
und Ultraschallmessungen überein.
Die Torsion des Unterschenkels wird Die Torsion des Unterschenkels wird in Bauchlage beurteilt. Bei 90° gebeugtem Kniegelenk wer-
in Bauchlage beurteilt den die Malleolenachse in Relation zur Knieachse bzw. die Fußachse in Relation zur Oberschenkel-
achse beurteilt. Der Fuß sollte eine Außentorsion von 10–20° aufweisen (. Abb. 8).
In dieser Position wird auch die Stellung des Fußes bei Neutralstellung im oberen Sprunggelenk
beurteilt. Dabei werden eine vermehrte Adduktions- (charakteristisch für Klump- und Sichelfuß)
oder Abduktionsstellung (charakteristisch für Plattfuß) diagnostiziert, die ebenfalls das klinische Bild
eines Innen- oder Außenrotationsgangs hervorrufen können.
Die Untersuchung des Kniegelenks in Rückenlage gibt Hinweise auf Abweichungen in der Sagit-
talebene. Die Messung des Abstands der Ferse von der Untersuchungsliege bei maximaler Extensi-
7 Bandstabilität on ist ein Maß für die Rekurvierbarkeit im Kniegelenk. Die Untersuchung der 7 Bandstabilität ist
ein weiterer, wesentlicher Parameter für die Beurteilung von Beinachsen und deren mögliche Aus-
wirkungen auf die Funktion.
Apparative Diagnostik
Frontalebene. Die Indikation zur radiologischen Diagnostik einer Beinachsenfehlstellung in der
Frontalebene ist insbesondere im Kleinkindalter zurückhaltend zu stellen. Sie ist gegeben:
F bei unilateralen Fehlstellungen sowie
F bei Hinweisen auf sekundäre Beinachsendeviationen.
Bei der Ganzbeinstandaufnahme ist
darauf zu achten, dass die Patella or- Des Weiteren dient die Ganzbeinstandaufnahme der Verlaufsdokumentation bei pathologischen
thograd eingestellt ist Achsabweichungen sowie zur Planung operativer Korrekturen. Dabei ist darauf zu achten, dass die
Patella orthograd eingestellt ist, d. h., die Kniescheibe sollte nach vorn ausgerichtet sein.
7 Mechanische Beinachse Die 7 mechanische Beinachse wird mit der Mikulicz-Linie bestimmt, die das Hüftkopfzentrum
mit dem Sprunggelenkzentrum verbindet. Physiologischerweise verläuft sie durch das Kniegelenk-
7 Kreisbogenschablone nach Mose zentrum oder geringfügig medial davon. Das Hüftkopfzentrum wird mittels der 7 Kreisbogenschab-
lone nach Mose ermittelt (. Abb. 9). Das Kniegelenkzentrum kann unterschiedlich bestimmt wer-
den, wobei die Abweichungen zwischen den einzelnen Methoden geringfügig sind (. Abb. 10):
F Spitze der femoralen Grube
F Mitte zwischen Femurkondylen
F Mitte der tibialen Eminentia intercondylaris
492 | Der Orthopäde 5 · 2007
9. CME
F Mitte des Tibiaplateaus
F Mitte des Weichteilschattens auf Gelenkebene
Zur Bestimmung des Sprunggelenkzentrums sind ebenfalls verschie-
dene Techniken möglich, die sich auch nur geringfügig unterschei-
den (. Abb. 11).
F Mitte der Talusbreite
F Mitte der Tibia- und Fibulabreite auf Höhe des Gelenks
F Mitte des Weichteilschattens auf Gelenkebene
Die mechanische Beinachse ist der wichtigste Parameter zur Beur-
teilung der Beinachse in der Frontalebene (. Abb. 12). Ihre Abwei-
chung wird bestimmt durch den Abstand der Mikulicz-Linie vom Der Normwert des Abstands der Mi-
Kniegelenkzentrum in cm, der Normwert nach Wachstumsabschluss kulicz-Linie vom Kniegelenkzentrum
beträgt 0,8±0,7 cm. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Bestim- beträgt 0,8±0,7 cm
mung des Winkels zwischen den Verbindungslinien zwischen Hüft-
kopf- und Kniegelenkzentrum sowie Knie- und Sprunggelenkzent-
rum (Norm 1±2°).
Die 7 anatomische Achse wird beschrieben durch den Winkel 7 Anatomische Achse
zwischen der Femur- und der Tibiaschaftachse (. Abb. 12), er be-
trägt nach Wachstumsabschluss normalerweise 5–9° Valgus.
Zur Bestimmung der Achsabweichungen innerhalb des Femurs
und der Tibia ist der so genannte 7 CORA-Test („center of rotation 7 CORA-Test
of angulation“) notwendig. Dabei werden jeweils proximal und dis-
tal einer Krümmung die mechanische und anatomische Achse nach
definierten Kriterien festgelegt und der Schnittpunkt der Achsen als
Drehzentrum der Deformität bestimmt. Auf dieser Grundlage kön-
nen korrigierende Eingriffe exakt geplant werden [13].
Transversalebene. Röntgenologisch werden die 7 femoralen Tor- 7 Femorale Torsionsverhältnisse
sionsverhältnisse mittels einer Beckenübersichtsaufnahme und ei-
ner 7 Antetorsionsaufnahme nach Dunn und Rippstein bestimmt. 7 Antetorsionsaufnahme
Hierbei befindet sich der Patient in Rückenlage. Die Hüft- und Knie-
gelenke sind 90° gebeugt und beide Hüftgelenke sind um 20° abdu-
ziert. Auf der a.-p. Röntgenaufnahme wird der projizierte CCD-Win-
Abb. 12 8 Schematische kel und auf der Antetorsionsaufnahme der projizierte AT-Winkel –
Darstellung der radiologischen als Winkel zwischen der Schenkelhalsachse und der Horizontalen –
Vermessung der Beinachse in bestimmt. Der reelle AT-Winkel sowie der reelle CCD-Winkel kön-
der a.-p. Projektion,
rote Linie Mikulicz-Linie (mecha-
nen in einer Tabelle abgelesen werden. Eine Bestimmung der Torsion des Un-
nische Beinachse, Verbindungs- Eine Bestimmung der Torsion des Unterschenkels ist durch kon- terschenkels ist durch konventionelle
linie zwischen Hüftkopf- und ventionelle Röntgenaufnahmen nicht möglich. Am genausten kön- Röntgenaufnahmen nicht möglich
Sprunggelenkzentrum), nen die Torsionsverhältnisse des Femurs und des Unterschenkels
blaue Linie anatomische Bein- mittels 7 Computertomographie ermittelt werden. Hierzu werden 7 Computertomographie
achse (Winkel zwischen Femur-
Schnitte in Höhe des proximalen Femurs, der Femurkondylenebene
und Tibiaschaftachse)
sowie der proximalen Tibia und der Malleolengabel angelegt. Die fe-
morale Torsion wird bestimmt als Winkel zwischen der Schenkelhalsachse und der Tangente, die an
die Femurkondylen dorsal angelegt wird. Die Torsion des Unterschenkels wird bestimmt als Winkel
zwischen der dorsalen Tibiakondylenbegrenzung und der Achse durch die Malleolengabel. Nach-
teil der CT-Untersuchung ist die Strahlenbelastung. Dem kann durch Bestimmung mittels 7 Ma- 7 Magnetresonanztomographie
gnetresonanztomographie begegnet werden. Allerdings ist diese Methode wesentlich teurer und
aufwändiger.
Die femorale und die Unterschenkeltorsion können auch sonographisch ermittelt werden. Die Er-
gebnisse sind vergleichbar mit klinischen Messungen.
Sagittalebene. Zur Bestimmung der Achsverhältnisse wird eine seitliche Ganzbeinstan-
daufnahme angefertigt. Dabei werden der Winkel zwischen Femur- und Tibiaschaft sowie
Der Orthopäde 5 · 2007 | 493
10. Abb. 13 8 Tibiavalgisationsosteotomie bei einem 4-jährigen Mädchen mit Morbus Blount beidseits (von links nach
rechts), a Genu varum, rechts deutlich ausgeprägter als links, b Ganzbeinstandaufnahme rechts präoperativ,
c Zustand nach valgisierender Pendelosteotomie der Tibia infrakondylär mit Kirschner-Draht-Osteosynthese und
Osteotomie der Fibula
7 Tibiaplateauneigungswinkel der 7 Tibiaplateauneigungswinkel bestimmt. Letzterer wird zwischen der Achse der Tibiagelenk-
fläche und der Horizontalen gebildet. Physiologischerweise ist das Tibiaplateau nach dorsal geneigt
(Norm 4°).
Die exakteste Messung zur Bestimmung aller Achsen, Torsionen und Längen bietet das so genann-
7 Questorgerät te 7 Questorgerät. Hierbei werden standardisierte Röntgenbilder in einem Rahmen mit Kalibrati-
onspunkten aufgenommen, digitalisiert und dreidimensional ausgemessen [2]. Allerdings hat dieses
Gerät bisher noch keine weite Verbreitung gefunden.
Therapie
Abweichung in der Frontalebene
Die Indikation zu einem therapeutischen Eingreifen hängt wesentlich vom Ausmaß der Fehlstellung,
deren Ursache sowie insbesondere dem Alter des Kindes ab. Im Kleinkindalter ist die Bandbreite des
Normalen äußerst weit, sodass bei alterstypischem symmetrischem Befund und ansonsten unauf-
Im Kleinkindalter wird bei altersty- fälliger Anamnese ein abwartendes, beobachtendes Vorgehen empfohlen wird. Als Verlaufsparame-
pischem symmetrischem Befund ein ter empfehlen sich:
abwartendes, beobachtendes Vorge- F die klinische Bestimmung der Beinachse sowie
hen empfohlen F die Messung des Intermalleolar- (bei Genu valgum) bzw. Interkondylenabstands (bei Genu
varum).
Weitere Möglichkeiten sind die Fotodokumentation sowie die Anfertigung von Umrissskizzen. In
der Regel kommt es zu einer spontanen Korrektur der Beinachsen.
494 | Der Orthopäde 5 · 2007
11. CME
Tab. 1 Ätiologie von Achsabweichungen in der Frontalebene (Genu varum/valgum) Tab. 2 Ätiologie von Unterschen-
Idiopathisch keltorsionsfehler
Adipositas (bevorzugt Genua valga) Idiopathisch
Schädigung der Wachstumsfuge (Trauma, Infekt, Tumor) Spastizität, infantile Zerebralparese
Stoffwechselerkrankungen [Rachitis (bevorzugt Genua vara), Phosphatdiabetes, renale Osteodystrophie (bevor- Spina bifida
zugt Genua valga)] Posttraumatisch (in Fehlstellung
Kongenitale Systemerkrankungen [z. B. multiple kartilaginäre Exostosenkrankheit, Achondroplasie (. Abb. 5), ausgeheilte Fraktur)
Osteogenesis imperfecta, Marfan-Syndrom (Genua valga), spondyloepiphysäre Dysplasie, metaphysäre Sekundär bei persistierender
Chondrodysplasie] Klumpfußdeformität
Lähmungen Kompensatorisch bei vermehrter
Morbus Blount (Genu varum) Antetorsion des Schenkelhalses
Fokale fibrokartilaginäre Dysplasie (Genu varum) (Außentorsion)
Rheumatoide Arthritis (Genu valgum) Kontraktur des Tractus iliotibialis
Fibulaaplasie/-hypoplasie (Genu valgum) (Außentorsion)
Fibulaaplasie (Außentorsion)
Fibröse Dysplasie, Morbus Ollier (Genu valgum)
Genu varum (Innentorsion)
Tab. 3 Ätiologie eines Genu recurvatum Hypoplasie der Tibia (Innentorsion)
Idiopathisch Morbus Blount (Innentorsion)
Intrauterine Zwangslage bei Beckenendlage
Bindegewebserkrankungen (z. B. Ehlers-Danlos-Syndrom, Larsen-Syndrom)
Schädigung der Wachstumsfuge (Trauma, Epiphysenlösung, Infekt, Tumor)
Kontrakter Spitzfuß
Neurologische Erkrankungen (Quadrizepsparalyse z. B. bei Zustand nach Poliomyelitis, Spastik)
Bei Kindern mit Übergewicht kann
Im Grundschulalter finden sich bei ansonsten unauffälliger Anamnese gelegentlich Genua valga, oft bereits durch Gewichtsreduktion
insbesondere bei Kindern mit Übergewicht. Hier empfiehlt sich zunächst eine Gewichtsreduktion. eine Normalisierung der Beinachsen
Häufig kann dadurch eine Normalisierung der Beinachsen erzielt werden. erzielt werden
Unterstützende konservative Maßnahmen sind wenig Erfolg versprechend und umstritten: kran-
kengymnastische Übungsbehandlung beeinflusst die Achsenfehlstellung nicht; der Effekt von Orthe- Konservative Maßnahmen sind wenig
sen im Kleinkindalter, insbesondere Oberschenkelnachtlagerungsschienen, ist umstritten; sie sind al- Erfolg versprechend
lenfalls bei extremen Fehlstellungen anzuwenden und sicher ineffektiv im Schulalter. Die Problema-
tik liegt darin, dass die Schienen nur bei Nacht eingesetzt werden, wenn keine dynamischen Kräfte
wirken; des Weiteren findet die Korrektur eher im Gelenk und nicht an den Knochen statt, da die Li-
gamente elastischer sind. 7 Schuhzurichtungen wie eine Innenranderhöhung bei Genua valga bzw. 7 Schuhzurichtungen
Außenranderhöhung bei Genua vara von etwa 5 mm sollen die Belastungsachse beeinflussen und
dadurch eine Entlastung des vermehrt belasteten Kniegelenkabschnitts bewirken; dadurch soll ein
ausgleichendes Wachstum ermöglicht werden. Die Wirksamkeit solch einer Maßnahme konnte bis-
lang nicht belegt werden, jedoch ist sie so wenig belastend und aufwändig, dass sie selbst unter sozi-
oökonomischen Gesichtspunkten gut zu vertreten ist.
Operative Therapie. Bei 7 idiopathischem Genu varum stellen wir die Indikation zur operativen 7 Idiopathisches Genu varum
Korrektur bei Progredienz der Deformität erst nach dem 4. Lebensjahr. In dieser Altersgruppe er-
folgt die Korrektur der Beinachse über eine 7 proximale Tibiakorrekturosteotomie, die infrakon- 7 Proximale Tibiakorrekturosteo-
dylär entweder quer, schräg oder domförmig durchgeführt wird. Sie kann mit 2–4 gekreuzten Kirsch- tomie
ner-Drähten transkutan fixiert und bis zur Konsolidierung mit einem Oberschenkelliegegips gesi-
chert werden (. Abb. 13). Die Fibula sollte über einen separaten Zugang ebenfalls osteotomiert
werden. Bei älteren Kindern kann die Korrektur auch mit einem Fixateur externe erfolgen, mit dem
Vorteil, dass das Bein sofort belastungsfähig ist. Nach Wachstumsabschluss erfolgt die Osteotomie
transkondylär. Ein möglicherweise ebenfalls bestehender Rotationsfehler kann in jedem Fall gleich-
zeitig korrigiert werden.
Alternativ können zum Ende des Wachstums eine 7 Hemiepiphyseodese der lateralen proxima- 7 Hemiepiphyseodese
len Tibia- und ggf. Femurepiphyse durchgeführt werden. Die laterale Epiphysenfuge wird dabei ent-
weder perkutan oder offen unter BV-Kontrolle kürettiert. Das Problem dieses Verfahrens liegt in der Das Problem der Hemiepiphyseodese
Festsetzung des richtigen Operationszeitpunkts: Ein zu früh gewählter OP-Termin endet in einer liegt in der Festsetzung des richtigen
Überkorrektur, wird der Eingriff zu spät durchgeführt, kommt es zu keiner ausreichenden Korrektur. Operationszeitpunkts
Der Orthopäde 5 · 2007 | 495
12. Abb. 14 9 Temporäre Hemiepiphy-
seodese bei Genua valga (von links
nach rechts), a 13-jährige Patientin,
Genua valga beidseits,
temporäre Hemiepiphyseodese,
Aufnahme zum Zeitpunkt der
Materialentfernung mit (gewünsch-
ter) leichter Überkorrektur,
b im Alter von 15 Jahren physiolo-
gische Beinachsen
Anhand der Wachstumskurven von Green-Anderson und der Breite der Epiphysen kann der korrekte
Zeitpunkt für eine permanente unilaterale Epiphyseodese relativ präzise bestimmt werden [1].
Alternativ zur Hemiepiphyseodese bietet die temporäre Hemiepiphyseodese bei der die Epiphy-
senfuge mit 2–3 Blount-Klammern von lateral fixiert wird, die Möglichkeit der Entfernung der Klam-
mern nach Erreichen der physiologischen Beinachse. Alternativ zu Blount-Klammern findet die so
genannte „eight-plate“ zunehmend Verbreitung. Die Operation sollte bei Mädchen zwischen dem 9.
und 12. Lebensjahr und bei Jungen zwischen dem 11. und 14. Lebensjahr durchgeführt werden. In
3- bis 4-monatigen Abständen erfolgen klinische Kontrolluntersuchungen; bei leichter Überkorrek-
7 „Rebound“-Phänomens tur ist die Entfernung der Klammern indiziert. Eine Überkorrektur von 3–5° wird wegen des 7 „Re-
bound“-Phänomen mit einer vorübergehenden Wachstumsbeschleunigung empfohlen [14]. Nach-
teile des Verfahrens sind:
F die Möglichkeit eines Rezidivs,
F die Möglichkeit der asymmetrischen Wachstumsbeeinflussung in der Sagittalebene mit der Fol-
ge eines Genu recurvatum oder einer Flexionsdeformität sowie
F Probleme durch Lockerung, Wanderung und Bruch der Klammern.
Für das Genu valgum gelten im Wesentlichen die gleichen Behandlungsprinzipien wie für das Ge-
nu varum. Vor dem 9. Lebensjahr ist allerdings bei einem idiopathischen Genu valgum eine opera-
tive Korrektur nur äußerst selten indiziert. Ein Genu valgum nach Biegungsfraktur der Tibia ist in
der Regel progredient und kann durchaus eine frühzeitige operative Korrektur erfordern. Indikation
für die Korrektur eines Genu valgum können sein:
F Gangstörungen,
F Kniebeschwerden,
F Patellalateralisation,
496 | Der Orthopäde 5 · 2007
13. CME
F Patellasubluxationsphänomene sowie
F kosmetische Probleme.
Die operative Korrektur wird je nach CORA am distalen Femur und/oder an der proximalen Tibia
vorgenommen. Eine 7 distale Femurosteotomie sollte kurz vor oder nach Wachstumsabschluss er- 7 Distale Femurosteotomie
folgen. Sie wird entweder subtraktiv mit Resektion eines medialbasigen Keils oder additiv mit Ein-
bringen eines lateralbasigen Knochenkeils, der z. B. aus dem Beckenkamm gewonnen werden kann,
durchgeführt. Alternativ kann Allograft transplantiert werden. Die proximale Tibiaosteotomie er-
folgt mit Resektion eines medialbasigen knöchernen Keils, in Abhängigkeit vom Alter infrakondylär
bei noch offenen Fugen und transkondylär bei oder nach Wachstumsabschluss. Das Komplikations-
risiko ist für eine Schädigung des N. peroneus höher als für die lateral durchgeführte Tibiavalgisati- Das Komplikationsrisiko für eine
onsosteotomie. Vor Wachstumsabschluss kann eine Korrektur auch mittels temporärer (. Abb. 14) Schädigung des N. peroneus ist bei
oder permanenter Hemiepihyseodese durchgeführt werden. proximaler Tibiaosteotomie höher
Transversalebene
Coxa antetorta. Wie Jani et al. [9] zeigen konnten, kann auch bei ausgeprägter Coxa antetorta in
einem großen Prozentsatz mit einer spontane Rückbildung der Fehlstellung gerechnet werden, nur
12,5% wiesen bei Wachstumsabschluss einen Antetorsionswinkel ≥35° auf. Dieser Prozess kann
durch konservative Maßnahmen nicht unterstützt werden. Dies gilt auch für die so genannten „twis-
ter cables“, die lateral am Bein von einem Hüftgurt zu einer Unterschenkelorthese ziehen und den
Fuß in die Außenrotationsstellung zwingen. Auch durch Einlagen können keine positiven Effekte
erzielt werden.
Die Indikation zur Derotationsosteotomie ist in Anbetracht des günstigen Spontanverlaufs mit
größter Zurückhaltung zu stellen. Allenfalls bei persistierendem Stolpern über die eigenen Füße Die Indikation zur Derotationsosteo-
kann solch eine Maßnahme in Erwägung gezogen werden. Sie wird entweder intertrochantär oder tomie ist in Anbetracht des günstigen
suprakondylär vorgenommen. Spontanverlaufs mit größter Zurück-
Aufgrund der pathologischen Biomechanik mit veränderten Zug- und Druckkräften findet sich haltung zu stellen
eine Coxa valga et antetorta auch gehäuft bei der Hüfgelenkdysplasie.
Coxa retrotorta. Sie stellt eine präarthrotische Deformität dar und wird häufig im jugendlichen und
frühen Erwachsenenalter mit Knie- und/oder Hüftgelenkbeschwerden klinisch manifest. Insbeson-
dere bei zugleich verminderter Anteversion des Azetabulums kommt es zu einem Hüftimpingement
mit Einklemmungssymptomatik und potenzieller Labrumschädigung bei endgradiger Bewegung.
Hier sollte die Indikation zur Rotationsosteotomie großzügig und frühzeitig gestellt werden. Bei Hüftimpingement sollte die Indi-
kation zur Rotationsosteotomie groß-
Unterschenkeltorsion. Torsionsfehler des Unterschenkels korrigieren sich in den meisten Fällen zügig und frühzeitig gestellt werden
spontan während des Wachstums. Konservative Maßnahmen mit Schiene oder Ähnlichem sind er-
folglos. Wie bereits erwähnt, führt eine vermehrte Außentorsion zu einer fehlenden Korrektur der
femoralen Antetorsion. Daher ist bei einer Persistenz der Außentorsion von mehr als 30° nach dem
8. Lebensjahr eine supramalleoläre Tibiarotationsosteotomie indiziert. Wird dieser Eingriff vor dem Bei einer Persistenz der Außentorsi-
pubertären Wachstumsschub vorgenommen, ist noch eine Detorsion des Femurs möglich. Die Oste- on >30° nach dem 8. Lebensjahr soll-
otomie erfolgt supramalleolar, die Osteosynthese kann mittels gekreuzter Kirschner-Drähte, die per- te eine supramalleoläre Tibiarotati-
kutan ausgeleitet werden, mit anschließender Gipsruhigstellung durchgeführt werden oder aber mit onsosteotomie durchgeführt werden
einer Plattenosteosynthese. Gleichzeitig ist eine Fibulaosteotomie erforderlich.
Sagittalebene
Genu recurvatum. Als konservative Maßnahme kann das Kniegelenk mittels einer 7 Orthese, mit 7 Orthese
der die Überstreckung verhindert wird, stabilisiert werden. Operative Maßnahmen vor Abschluss des
Wachstums sind selten indiziert und notwendig und müssen dann in Abhängigkeit von Alter und
Ätiologie individuell geplant werden.
Der Orthopäde 5 · 2007 | 497
14. Für die Korrektur komplexer multidirektionaler Fehlstellungen, die u. U. auch mit Beinverkür-
Für die Korrektur komplexer multidi- zungen kombiniert sind, bieten sich Ringfixateursysteme, insbesondere der Taylor-Spatial-Frame, an.
rektionaler Fehlstellungen bieten sich Die Korrektur muss sorgfältig geplant werden und sollte möglichst in Höhe der Deformität erfolgen;
Ringfixateursysteme an diese Region kann wie bereits beschrieben, mittels des CORA-Tests festgelegt werden.
Korrespondenzadresse
PD Dr. B. Westhoff
Orthopädische Klinik, Universitätsklinikum Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität
Moorenstraße 5, 40225 Düsseldorf
Westhoff@med.uni-duesseldorf.de
Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass keine Verbindungen mit ei-
ner Firma, deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentati-
on des Themas ist unabhängig und die Darstellung der Inhalte produktneutral.
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498 | Der Orthopäde 5 · 2007
15. CME
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CME-Fragebogen individuell zusammengestellt.
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Eine Mutter stellt ihre 4 Jah- im weiteren Wachstumsverlauf o Korrigiert sich in der überwie- III. Es kan aus einer Kombina-
re alte Tochter in der ortho- physiologischerweise... genden Anzahl der Fälle spon- tion aus I und II ursächlich re-
pädischen Sprechstunde vor o Zu. tan und sollte klinisch im Ver- sultieren.
und berichtet über eine zuneh- o Ab. lauf beobachtet werden. IV. Es basiert nicht auf patho-
mende Valgusstellung beider o Bleibt konstant bestehen. o Führt nach Wachstumsab- logischen Rotationsstellungen
Kniegelenke des Kindes, wel- o Liefert keine klinischen Hin- schluss in der Regel zu einem im Hüftgelenk.
che klinisch etwa 10° beträgt. weise für ein Genu recurva- Crus varum. o Nur Aussage I ist richtig.
Was empfehlen Sie? tum. o Ist stets konservativ zu thera- o Nur Aussage II ist richtig
o Eine operative Therapie zur o Eine Hyperextension im Knie- pieren. o Aussagen I und II sind richtig.
Achskorrektur ist zwingend er- gelenk ist bei einem Säugling o Bedarf keiner Therapie. o Aussage IV ist richtig.
forderlich. unphysiologisch und bedarf o Alle Aussagen sind richtig.
o Eine Schuheinlagenverord- der weiteren bildgebenden Welche Aussage trifft zu?
nung mit Schuhinnenrander- Abklärung. o Unter einem CORA-Test ver- Die Coxa retrotorta...
höhung ist indiziert und hilft steht man die Bestimmung o Stellt eine präarthrotische De-
Folgeschäden zu vermeiden. Welche Aussagen treffen zu? der mechanischen und anato- formität dar.
o Es besteht die Indikation zu I. Die operative Korrektur eines mischen Achsen proximal und o Stellt im Gegensatz zur Co-
weiterführenden diagnosti- Genu recurvatum im Kindes- distal einer Deformität und an- xa antetorta keine präarthro-
schen Maßnahmen, insbeson- und Jugendalter ist im Ver- schließende Festlegung des tische Deformität dar.
dere zur CT-Diagnostik. gleich zur nichtoperativen The- Drehzentrums der Deformität. o Findet sich vermehrt bei der
o Es liegt eine physiologische X- rapie vergleichsweise häufig o Unter einem CORA-Test ver- Hüftgelenkdysplasie.
Bein-Stellung vor. indiziert. steht man die Abweichung der o Hat keine Bedeutung für die
o Es ist keine weitere Vorstellung II. Torsionsfehler im Unter- pathologischen im Vergleich Außenrotationsfähigkeit der
notwendig. schenkel korrigieren sich wäh- zur physiologischen Achse ei- unteren Extremität.
rend des Wachstums meist ner Deformität. o Ist im Kindesalter physiolo-
Welche Aussage ist richtig? nicht spontan. o Blount-Klammern wer- gisch.
Während der Entwicklung III. Eine aufklappende varisie- den meist am Hüfgelenk zur
im Kindes- und Jugendalter rende proximale Tibiaosteoto- Wachstumslenkung einge- Welche Aussagen zur Unter-
kommt es zu einer... mie ist nicht mit einem erhöh- setzt. schenkeltorsion treffen zu?
o Zunahme der femoralen und ten Risiko einer N.-peroneus- o Während der Embryonalent- I. Zum Geburtszeitpunkt liegen
tibialen Antetorsion. Läsion verbunden. wicklung besteht nur eine ge- physiologischerweise meist ei-
o Abnahme der femoralen und IV. Mit einem Questorgerät ge- ringe Standabweichung im ne leichte Unterschenkelinnen-
tibialen Antetorsion. lingt eine Bestimmung der Rotationsausmaß des Schen- torsion oder Neutraltorsion
o Zunahme der femoralen und Beinachsen mit hoher Genau- kelhalses. vor.
Abnahme der tibialen Antetor- igkeit. o Zum Geburtszeitpunkt liegt II. Zum Geburtszeitpunkt liegt
sion. o Aussagen I und III sind richtig. physiologischerweise ein X- physiologischerweise meist ei-
o Abnahme der femoralen und o Aussagen II und III sind richtig. Bein vor. ne Unterschenkelaußentorsi-
Zunahme der tibialen Antetor- o Nur Aussage II ist richtig. on vor.
sion. o Nur Aussage IV ist richtig. Welche Aussagen zum Hüftim- III Die zum Geburtszeitpunkt
o Abnahme der femoralen Ante- o Alle Aussage sind richtig. pingement im Erwachsenenal- physiologischerweise vorlie-
torsion und Zunahme der tibi- ter sind richtig? gende 0°-Rotation im Unter-
alen Außenrotation. Eine Crus valgum im frühen I. Es kann auf einer reduzierten schenkel entwickelt sich im
Kindesalter aufgrund einer Bie- Antetorsion im Schenkelhals weiteren Wachstum in Rich-
Das Ausmaß einer Hyperexten- gungsfraktur... beruhen. tung einer Innenrotation.
sion im Kniegelenk bei einem o Verläuft häufig progredient II. Es kan auf einer reduzierten IV. Die Unterschenkeltorsion
5 Monate alten Säugling nimmt und indiziert eine frühzeitige Anteversion des Azetabulums wird durch axiale konventio-
operative Korrektur. beruhen.
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Der Orthopäde 5 · 2007 | 499
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o Nur Aussage I ist richtig.
o Aussagen II und III sind richtig.
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o Aussagen I und IV sind richtig. Österreich anerkannt
o Nur Aussage III ist richtig
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500 | Der Orthopäde 5 · 2007