Hengl & Gould (2002) "Rules of Thumb of Writing a Research Article"
Kirchler (2011) Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat - Zusammenfassung
1. 1 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
KAPITELÜBERSICHT
KAPITEL 1 - INHALT UND GRENZEN DER ÖKONOMISCHEN PSYCHOLOGIE
KAPITEL 2 - ÜBER DIE BRÜCHIGKEIT DER ÖKONOMISCHEN GRUNDANNAHMEN
KAPITEL 3 - ALLTAGSVERSTÄNDNIS VON ÖKONOMIE
KAPITEL 4 - MÄRKTE: KONSUMGÜTER, ARBEIT UND KAPITAL
KAPITEL 5 - KONSUMGÜTERMÄRKTE: ÖKONOMISCHE ENTSCHEIDUNGEN IM PRIVATEN HAUSHALT
KAPITEL 6 - KONSUMGÜTERMÄRKTE: ABSATZPOLITIK
KAPITEL 7 - ARBEITSMÄRKTE: ANGEBOT UND NACHFRAGE NACH ARBEIT
KAPITEL 8 - FINANZMÄRKTE
KAPITEL 9 - GELD, INFLATION UND WÄHRUNGSUMSTELLUNG
KAPITEL 10 - IM SCHATTEN DER OFFIZIELLEN WIRTSCHAFT
KAPITEL 11 - WOHLSTAND UND WOHLBEFINDEN
Verständnisfragen
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Online-Glossar – Alle wichtige Begriffe zum Nachschlagen
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2. 2 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
INHALT
Kapitel 1 - Inhalte und Grenzen der ökonomischen Psychologie ................................................... 3
Kapitel 2 - Über die Brüchigkeit der ökonomischen Grundannahmen .......................................... 9
Kapitel 3 - Alltagsverständnis von Ökonomie .................................................................................. 31
Kapitel 4 - Märkte: Konsumgüter, Arbeit und Kapital ..................................................................... 36
Kapitel 5 - Konsumgütermärkte: Ökonomische Entscheidungen im privaten Haushalt ............. 38
Kapitel 6 - Konsumgütermärkte und Absatzpolitik .......................................................................... 48
Kapitel 7 - Arbeitsmärkte: Angebot und Nachfrage nach Arbeit (S.455) .................................... 81
Kapitel 8 - Finanzmärkte ..................................................................................................................... 99
Kapitel 9 - Geld, Inflation und Währungsumstellung ..................................................................... 111
Kapitel 10 - Im Schatten der offiziellen Wirtschaft ......................................................................... 122
Kapitel 11 - Wohlstand und Wohlbefinden .................................................................................... 135
3. 3 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
TEIL I. GRUNDLAGEN DER ÖKONOMISCHEN PSYCHOLOGIE
KAPITEL 1 - INHALTE UND GRENZEN DER ÖKONOMISCHEN
PSYCHOLOGIE
Wirtschaftspsychologie = interdisziplinäres Forschungsfeld zwischen Psychologie und
Wirtschaftswissensschaften. Sie befasst sich mit dem Verhalten von Menschen am
Arbeitsplatz, in Organisationen, am Markt und mit deren Verständnis gesamtwirtschaftlicher
Zusammenhänge und entsprechenden Handlungen. Ziel: Anwendbarkeit theoretischen
Wissens im Kontext praktischer wirtschaftlicher Probleme.
Wirtschaftspsychologie im weiteren Sinn = Arbeits-, Organisations-, Konsumenten- und
Marktpsychologie.
Wirtschaftspsychologie im engeren Sinn = ökonomische Psychologie
4 Bereiche der Wirtschaftspsychologie
Arbeitspsychologie
Organisationspsychologie
Konsumenten- und Marktpsychologie
Ökonomische Psychologie
Ökonomische Psychologie = bestrebt, eine Brücke zwischen Psychologie und Ökonomie zu
schlagen. Sie beschäftigt sich mit dem Erleben und Verhalten im Zusammenhang mit
gesamtwirtschaftlichen Fragestellungen.
Ökonomie vs. Psychologie (siehe Tabelle 1.2, Seite 20)
Ökonomie geht von normativen Verhaltensmodellen aus und ist am Verhalten auf
aggregierter Ebene (nationalstaatlicher Ebene) interessiert. Das vorherrschende
Menschenbild unterstellt wirtschaftlich handelnden Akteuren Rationalität und
Nutzenmaximierung.
Psychologie konzentriert sich auf das Individuum, auf Unterschiede zw. Menschen und auf die
Dynamik in Gruppen. Sie arbeitet nicht an der Entwicklung eines grundlegenden
Verhaltensmodells sondern bietet zahlreiche Theorien zur Erklärung der Komplexität des
Verhaltens auf Mikroebene, die begrenzt gültig sind und sich häufig widersprechen.
4. 4 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
1.1 ÖKONOMISCHE PSYCHOLOGIE IM WEITEREN SINNE
1.2 ÖKONOMISCHE PSYCHOLOGIE IM ENGEREN SINNE
1.2.1 ANNAHMEN ÜBER MENSCHLICHES VERHALTEN IN DER ÖKONOMIE
Homo oeconomicus: Es wird davon ausgegangen, dass jene Alternative, die von einem
Individuum aus einem Bündel von Alternativen ausgewählt wurde, die bevorzugte ist.
Grundannahme: Menschen können aus einem Set von Alternativen wählen.
Wirtschaften bedeutet, Entscheidungen nach bestimmten Kriterien zu treffen und eine
Auswahl vorzunehmen. Wirtschaftende Individuen können nicht all ihre Bedürfnisse
befriedigen. Sie sind sich bewusst, dass die Auswahl einer Alternative den Verzicht auf die
anderen Alternativen und deren Vorteile mit sich bringt = Nutzenentgang =
Opportunitätskosten.
Fragestellungen und Themengebiete der Volkswirtschaftslehre, Woll, 1981, S. 7:
Haushaltstheorie: Wie ändert sich die Nachfrage nach bestimmten Gütern bei Veränderung
des Einkommens und der Preise?
Unternehmenstheorie: Angebotsvariationen in Abhängigkeit von Preisänderungen,
Angebot/Nachfrage nach Arbeit?
Preistheorie: Welche Auswirkungen haben Nachfrage- und Angebotsänderungen auf die
Preisentwicklung?
Verteilungstheorie: Verteilung von Arbeit, Kapital und Boden?
Geld-, Finanz-, Beschäftigung-, Konjunktur-, Wachstums- und Außenwirtschaftstheorie:
Makroökonomische Fragestellungen (u.a. Auswirkungen von staatlichen Eingriffen auf das
Wirtschaftsgeschehen).
Wirtschaften heißt nach bestimmten Kriterien Entscheidungen treffen und eine
Auswahlvorzunehmen.
Aufgrund der Knappheit der Ressourcen bedeutet die Wahl einer Alternative den Verzicht
auf die anderen Alternativen und damit auch den Entgang des Nutzens der nicht gewählten
Alternativen = Opportunitätskosten. Auch Volkswirtschaften müssen eine Entscheidung
darüber treffen, welche Güter aus einer Menge von möglichen Gütern ausgewählt und
produziert werden sollen.
Transformationskurve (Produktionsmöglichkeitenkurve) S. 8.
Menge der
Konsumgüter
D
A
B
C
Menge der
Verteidigungsgüt
5. 5 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Wenn die Produktionskosten der einen genau den Kosten der anderen Güter entspricht, so
ergibt sich eine Kurve von Produktionsmöglichkeiten. Entscheidet sich die Volkswirtschaft für
die Mengenkombination B unter Verzicht auf die Mengenkombination A, so kostet der
Zuwachs der Verteidigungsgüter von Menge a auf b den Verlust der Konsumgüter von
Menge d auf c. Wenn alle Produktivkräfte ausgeschöpft sind, kann nicht gleichzeitig die
Konsumgütermenge d und die Verteidigungsmenge b produziert werden. Maximal sind alle
Mengenkombinationen auf der Kurve mit den Punkten A und B möglich. Auch Realisationen
unterhalb der Kurve sind möglich (C) und zwar dann, wenn nicht alle
Produktionsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, z.B. aufgrund von Konjunktur- und
Beschäftigungsproblemen. Die Realisation von Mengenkombinationen oberhalb der
Transformationskurve (D) ist nur mittel- oder langfristig möglich, wenn z.B. der technische
Fortschritt zu einem Wirtschaftswachstum führt.
Die Transformationskurve dient der Verdeutlichung von Problemen, die sich bei der Aufteilung
von knappen Mitteln auf verschiedene Bedürfnisse, bei der Auslastung und Ineffizienz
produktiver Faktoren und beim Wirtschaftswachstum ergeben. Überlegungen zur
Transformationskurve gehen davon aus, dass handelnde Individuen und Institutionen bestrebt
sind, Ressourcen bestmöglich einzusetzen und nach dem Maximalprinzip (größtmöglicher
Erfolg durch bestehende Mittel) sowie nach dem Minimal- oder Sparprinzip (sparsamster
Einsatz der Mittel) handeln Optimierungsproblem. Anhand weniger Axiome wird
versucht, die Ziele der handelnden Akteure zu erfassen und das Optimierungsverhalten zu
beschreiben. In der Ökonomie wird statt von „Zielen“ auch oft vom „Nutzen“ der handelnden
Person gesprochen, was verwirrend ist, denn Nutzen bedeutet nicht notwendigerweise einen
Gewinn für die Person selbst. Die Ökonomie geht allerdings eher von egoistischen Zielen aus,
also vom persönlichen Nutzen.
Axiome zur Beschreibung des Optimierungsverhaltens (Eigenschaften der Präferenz-
Indifferenz- Relation):
1. Vollständigkeit: aus einem Bündel von Alternativen soll die Bevorzugte
ausgewählt werden.
2. Transitivität: Individuen schaffen konsistente Ordnungen und ändern ihre
Präferenzen nicht beliebig. Ist a besser als b und b besser als c, so muss a auch besser
als c sein. Ist a gleich gut wie b und b gleich gut wie c, dann ist a auch gleich gut wie
c. Eine Alternative kann nur einem Indifferenzset angehören!
3. Reflexivität: Jedes Alternativenbündel ist gleich gut wie es selbst, damit ist
sichergestellt, dass jede Alternative einem Indifferenzset zugehört.
Schlussfolgerung: Jede Alternative (Vollständigkeit) gehört einem (Reflexivität), aber
nur einem Indifferenzset (Transitivität) an.
4. Nicht-Sättigung: Ein Alternativenbündel wird einem anderen gegenüber bevorzugt,
wenn es zumindest ein vergleichbares Gut mehr enthält. Individuen wollen also
grundsätzlich lieber mehr von einem Gut haben (außer es handelt sich um ein „bad“).
5. Stetigkeit: Es ist möglich den Entgang einer bestimmten Menge des Gutes a durch
eine bestimmte Menge des Gutes b zu kompensieren (Indifferenz).
6. Konvexivität: Hat man von Gut a eine kleine Menge, von Gut b jedoch eine große
Menge, so steht man dem Entzug eines Teiles von a nur dann indifferent gegenüber,
wenn man dafür eine verhältnismäßig große Menge von b zusätzlich bekommt. Das
entspricht dem Sättigungsgesetz, wonach der relative Nutzenzuwachs einer
Mengeneinheit eines Gutes mit Zunahme des Gutes abnimmt.
6. 6 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Rekapitulation Grundannahmen:
- Nutzenmaximierung
- Rationalität
Entsprechend den Grundannahmen der neoklassischen Theorie ist jene Alternative, die
wirtschaftende Akteure aus einem Set von Alternativen auswählen, die Bevorzugte. Akteure
streben danach ihren Nutzen zu maximieren, sie vergleichen die Alternativen miteinander
und bilden stabile, konsistente Präferenzordnungen = rationales Verhalten. Grundannahmen
der Ökonomie sind somit: Nutzenmaximierung und Rationalität. Handelnde Individuen
werden nicht in ihrem sozialen Kontext gesehen sondern von anderen Menschen isoliert
betrachtet. Dieses Denken hat auch viele psychologische Theorien inspiriert, vor allem die
Austauschtheorien, die soziales Verhalten zu erklären vorgeben, basieren auf ökonomischen
Überlegungen. Das Menschenbild in der Ökonomie ist durchaus nicht immer derart
überzeichnet. Allerdings wird der Mensch auch nicht als triebgesteuertes, in seinen kognitiven
Leistungen beschränktes und deshalb oft inkonsistentes Wesen gesehen. Die Frage, die an
den Grundfesten der Ökonomie rüttelt, ist, ob Menschen ihre Ziele tatsächlich in
bestmöglicher ökonomischer Weise verfolgen.
1.2.2 GESCHICHTE DER ÖKONOMISCHEN PSYCHOLOGIE
Ökonomische Psychologie: beschäftigt sich mit Motiven von Wirtschaftstreibenden und dem
Wohlbefinden von Individuen, Gruppen und gesamten Nationen, mit dem Wissen über
wirtschaftliche Zusammenhänge, Ursachen des Verhaltens, Entscheidungen und
wirtschaftlichen Handlungen.
Sie ist bestrebt, wirtschaftliches Verhalten in Abhängigkeit von persönl. Dispositionen und den
gegebenen situativen Umständen zu erklären.
Ökonomie – nicht Verhalten des Einzelnen sondern der Bürger insgesamt im Staat ist von
Interesse. Volkswirtschaftliche Variablen sind aggregierte (summierte, gemittelte) Größen.
Zu Beginn der Wirtschaftswissenschaften mit Adam Smith (1776) wurde die Psychologie aus
den formalen ökonomischen Modellen hinausgedrängt. Konzept des Nutzens wurde
formuliert.
Edgeworth (1881) ging von kardinalem Nutzen aus und wollte diesen messen
Robbins (1932) bezweifelte, dass man Nutzen messen könne - Analyse sei nur indirekt
über Wahlhandlungen möglich. Ordinales Nutzenkonzept
Samuelson (1938) formulierte noch heute gültige Standardtheorie in der Ökonomie:
der Nutzen entspricht der Präferenzordnung der Alternativen eines Akteurs. Nutzen
wird daher im Verhalten reflektiert – gewählte Alternative = nützlichste. Um aus dem
Wahlverhalten auf den Nutzen schließen zu können, müssen Akteure entsprechend
der Axiome urteilen.
Gegen Ende des 19. Jhdts mehrten sich Stimmen gegen die klassische Ökonomie –
Ökonomie gehe von rational eigennützigen Entscheidungsverhalten aus. Thorstein Veblen
(1899) fand, dass manche Güter dann besonders nachgefragt werden, wenn ihr Preis steigt.
Er bemängelte, dass kulturelle Eigenheiten und gesellschaftlicher Wandel in der Ökonomie
keine Berücksichtigung finden. Wesley Mitchell (1914) prognostizierte der Ökonomie eine
Bewegung hin zur Psychologie. Ökonomen, die psychologische Variablen, wie
7. 7 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Statusüberlegungen, Affiliationsbedürfnisse oder gesellschaftliche Normen, in ihre Studien
einbezogen haben, fanden seitens der Psychologie kaum Unterstützung, ihre
psychologischen Konzepte wurden als laienhaft abgetan.
Die Kritik der Psychologie an der Ökonomie befindet, dass Ökonomie zum größten Teil
aggregierte Psychologie ist. Gabriel Tarde (F,1902) bemerkte die Notwendigkeit,
wirtschaftliches Handeln aus psychologischer Sicht zu analysieren und gebrauchte
wahrscheinlich als erster den Begriff „Ökonomische Psychologie“. Hugo Münsterberg betonte
die Notwendigkeit einer Kooperation von Psychologie und Nationalökonomie. Ende 1940er
schrieben Katona und Schmölders eine Psychologie gesamtwirtschaflticher Prozesse.
Katona und Strümpel kritisierten das implizite Modell der Wirtschaftstheorien, wonach sich
gesamtwirtschaftliche Größen gegenseitig determinieren. Der handelnde Mensch wird als
anonyme „black box“ ausgeblendet.
1970er: Gründung der International Association for Research in Economic
Psychology (IAREP) hauptsächl. von europäischen Psychologen und
Ökonomen, die seit 1981 das „Journal of Economic Psychology“ herausgibt.
USA: 2 verwandte Vereinigungen, die Society for the Advancement of Socio-
Economics (SASE) und die Society for the Advancement of Behavioral
Economics (SABE). Herausgabe des Journals of Socio-Economics.
Charakteritika der Ökonomie und der Psychologie, Wärneryd, 1993, S. 14
Ökonomie Psychologie
Gründet auf einigen wenigen fundamentalen Hauptsächlich induktive Vorgehensweise,
Annahmen wie Nutzenmaximierung, stabile viele empirische Theorien auf niedrigem
Präferenzen (Rationalität) und Niveau, Erklärung individuellen Verhaltens,
Marktequilibrium => davon leiten sich alle intensive Bestrebungen, Details zu
ökonomischen Gesetze ab beschreiben
Objektive Daten Beobachtungsdaten und subjektive
Daten, auch über Emotionen
Mathematische Formelsprache und Modelle Experimentelle und statistische Methoden,
Skalierungstechniken
Interesse für Makrogrößen Interesse für allgemeine und differentielle
Gesetzmäßigkeiten des Verhaltens
Annahmen über individuelles Verhalten Annahmen über individuelles Verhalten
dienen der Prognose von Phänomenen müssen realistisch sein
(“as-if” Annahmen”)
Psychologische Konzepte werden in Kontext-, Struktur- und Systemvariablen
ökonomoische Termini übersetzt, um mit dem üblicherweise vernachlässigt
Rationalitätskonzept kompatibel zu sein
1.2.3 THEMENBEREICHE DER ÖKONOMISCHEN PSYCHOLOGIE
Ökonomische Handlungen, beziehungsweise Entscheidungen, werden von persönlichen,
kulturellen, situativen und allgemein ökonomischen Gegebenheiten beeinflusst. Die
8. 8 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Psychologie fragt v.a. nach Motiven des Verhaltens, die Ökonomie versucht zu verstehen, wie
sich das Verhalten unter wechselnden Bedingungen verändert. Die ökonomische
Psychologie beschäftigt sich mit den Ursachen und Änderungen des Verhaltens im
wirtschaftlichen Kontext.Van Raaij (1981) fasst die Variablen zusammen.
Modell ökonomisch- psychologischer Fragestellungen, van Raaj, 1981, S. 16
Persönlichkeits- Umgebungs-
merkmale bedingungen
Wahrgenommener Kaufverhalten,
Arbeitsverhalten
Wirtschaftskontext
Wirtschaftlicher Kontext Subjektives Wohlbefinden
Allg. Wirtschafts- Gesamtgesellschaft-
bedingungen liche Stimmung
1) Allgemeine Wirtschaftsbedingungen (staatliches Wirtschaftssystem, Konjunkturlage,
Wirtschaftspolitik, ökologische Bedingungen etc.) beeinflussen den wirtschaftlichen
Kontext (Marktlage, persönliche Finanzlage, Art der Beschäftigung etc.). Beziehungen
zwischen allg. Wirtschaftslage und Möglichkeiten der Haushalte und Firmen.
2) Persönlichkeitsmerkmale und der wirtschaftliche Kontext beeinflussen die
Interpretation wirtschaftlicher Bedingungen (wahrgenommener Wirtschaftskontext;
erwartete Preisentwicklung, subjektiv wahrgenommene Einkommensverteilung,
beurteilte Gerechtigkeit etc.).
3) Das Verhalten der Konsumenten und Unternehmer hängt überwiegend von der
wahrgenommenen Wirtschaftslage ab. Das Studium der Beziehungen zwischen
Einstellungen und Verhalten dient dem Verständnis ökonomischer Veränderungen.
Aus ökonomischer Sicht ist v.a. die Beziehung zwischen Verhalten und wirtschaftlichem
Kontext, formuliert als Angebot- und Nachfragerelation, analysiert worden.
4) Situative Einflüsse (Umgebungsbedingungen, z.B. Arbeitslosigkeit) können Handlungen
(Verhalten) trotz des Wunsches, sie auszuführen (z.B. Konsumwünsche), verhindern.
5) Ökonomisches Verhalten beeinflusst das subjektive Wohlbefinden
(Zufriedenheit/Frustration nach dem Kauf eines Gutes). Die Zufriedenheit mit Gütern
führt zu einer Veränderung der wahrgenommenen Wirtschaftslage.
6) Das subjektive Wohlbefinden (Diskrepanzerlebnis zwischen Erwartungen und Realität)
über Personen aggregiert, drückt sich in der Zufriedenheit oder Missstimmung im Staat
aus. Zusammenhang zwischen dem Befinden in wirtschaftlichen Belangen und allg.
Zufriedenheit? Zusammenhang zwischen individuellem Befinden und Konsumenten-
und Produzentenstimmung?
7) Das subjektive Wohlbefinden der Konsumenten determiniert wirtschaftliche
Entwicklungen (Werbestrategien, Güter werden bedürfnisgerecht gestaltet, Wünsche
der Konsumenten werden berücksichtigt). Auch das Konsumentenverhalten (Konsum-
und Sparneigungen, Investitionstendenzen etc.) determiniert die Wirtschaftslage.
9. 9 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
KAPITEL 2 - ÜBER DIE BRÜCHIGKEIT DER ÖKONOMISCHEN
GRUNDANNAHMEN
Die Kritik der Psychologie richtet sich gegen die Annahme, wonach wirtschaftlich
handelnde Menschen immer in der Lage sein sollten, rationale, den subjektiven Nutzen
maximierende Entscheidungen zu treffen. Das klassische ökonomische Leitbild
menschlichen Handelns unterstellt das Rationalitätsprinzip als Verhaltensmaxime und
Nutzen- oder Gewinnmaximierung als Ziel. Beide Prinzipien werden vor allem
formalwissenschaftlich normativ verstanden. Da aber auch Aussagen über faktisches
Verhalten gemacht werden und daher eine realwissenschaftlich-deskriptive
Bedeutung hinzukommt, sind beide Prinzipien kritisierbar.
Empirische Untersuchungen zeigen, dass die menschliche
Informationsverarbeitungskapazität beschränkt ist, es kommt zu Urteilsheuristiken =
Entscheidungsregeln, die zwar eine Zeit und Energie sparende Entscheidung
ermöglichen, aber zu fehleranfälligen Urteilen führen. In deskriptiven
Entscheidungsmodellen wird angenommen, dass Menschen nicht unbedingt nach der
optimalen Lösung sondern nach einer zufrieden stellenden Lösung streben.
Auch Risikoverhalten bringt die Grundannahmen ins Wanken. Wenn sich Individuen
zwischen einer riskanten Alternative und einem sicheren Gewinn entscheiden müssen,
agieren sie meist risikoscheu. Wenn allerdings ein Verlust droht, wählen Menschen eher
die riskante als die sichere Alternative (z.B. Besitzeffekt). Menschen sind weiters kaum in
der Lage, längerfristig die Konsequenzen ihrer Handlungen zu überblicken und
bevorzugen die momentan günstigere, langfristig aber schädliche Alternative
gegenüber augenblicklich wenig attraktiven aber langfristig gewinnbringenderen
Alternativen.
Dem Rationalitätsmodell kann zum einen auf kognitiver Ebene widersprochen werden,
indem nämlich gezeigt wird, dass Entscheidungen aufgrund begrenzter
Informationsverarbeitungskapazitäten inkonsistent getroffen werden, zudem
Kontextvariablen mit hineinspielen. Zum anderen aus mehr sozialpsychologischer
Perspektive, indem argumentiert wird, dass in Gruppenentscheidungen auch
interpersonale Dynamiken eine Rolle spielen.
2.1 ENTSCHEIDUNGEN
Wenn eine Vielzahl von Bedürfnissen befriedigt werden müssen und die verfügbaren Ressourcen
begrenzt sind, muss entschieden werden, welche Ressourcen wofür und wie eingesetzt werden.
Entscheidungen werden umso schwieriger, je mehr die Anzahl der möglichen Entscheidungsalternativen
zunimmt, je weniger Zeit zur Bewertung der Alternativen und der Konsequenzen zur Verfügung steht und
Unsicherheit über Ereignisse und deren Ergebnisse oder gar Unwissenheit besteht.
Entscheidungen werden entweder intuitiv oder analytisch getroffen. (Siehe Tabelle 2.1, Seite 35).
Experten sind in der Regel in der Lage, intuitiv gute Entscheidungen zu treffen. Intuitive Entscheidungen
sind in hoch validen Umgebungen häufig gut. Umgebung ist hoch valide, wenn stabile Beziehungen
zwischen Bedingungen und der Transformation der Bedingungen gegeben sind. Affektheuristik –
10. 10 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Situationen oder Entscheidungen werden danach beurteilt, ob sie angenehm oder unangenehm sind.
Intuitive Entscheidungen können sich als schlecht herausstellen, wenn Unklarheit und Unwissenheit
vorherrscht.
Im Fall hoch emotionalisierender Konsequenzen werden niedrige Eintrittswahrscheinlichkeiten oft
überschätzt. Im Fall hoher Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses, wird diese oft massiv unterschätzt.
Laien urteilen häufiger nach der Affektheuristik als Experten.
Affektpriming = Aufmerksamkeit von Personen wir durch nicht bewusste Voraktivierung der
Wahrnehmung auf emotionale Sachverhalte gelenkt.
2.1.1 Sicherheit, Risiko und Ambiguität
Entscheidungen werden unter Sicherheit getroffen, wenn der Entscheidungsträger
vollständige Info über die wählbaren Alternativen und Sicherheiten über deren
Konsequenzen hat und die Person sensibel hinsichtlich der Unterschiede zw. den
Entscheidungsalternativen ist und sie nach subjektiven Präferenzen reihen kann. – in
der Praxis kaum der Fall.
Risikoentscheidungen sind Entscheidungen über Alternativen mit Konsequenzen, welche mit
einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eintreten können. Es besteht Unsicherheit über Ereignisse und
deren Konsequenzen. Beispiel S. 38.
Entscheidungen unter Ambiguität liegen vor, wenn die Wahrscheinlichkeit, mit der
Konsequenzen auftreten können, nicht numerisch bestimmt werden kann.
Ungewisse Entscheidungen : Folgen sind nicht abschätzbar, es ist unbekannt was passieren
wird.
Menschen bevorzugen sichere Entscheidungen gegenüber riskanten. Insbesondere vermeiden sie
ambigue Entscheidungen.
Ellsberg-Paradoxon : Individuen, aber auch Gruppen, lehnen Ambiguität ab und verhalten sich
inkonsistent. Somit verhalten sie sich nicht entsprechend der Axiome der ökonomischen Theorie. Vp
wurde gesagt, dass sich in einer Urne 30 rote Kugeln und zusammen 60 schwarze und gelbe Bälle
befinden. Rein logisch gesehen müssten die Teilnehmer den Alternativpaaren gegenüber indifferent
sein, da der mögliche Gewinn in allen Fällen mathematisch ident ist, sind sie aber nicht. Sie mussten sich
entscheiden zwischen den Alternativen:
(1a) Falls ein roter Ball aus der Urne gezogen wird, gewinnt ein Teilnehmer.
(2a) Falls ein schwarzer Ball aus der Urne gezogen wird, gewinnt ein
Teilnehmer.
(1b) Falls ein roter oder gelber Ball gezogen wird, gewinnt ein Teilnehmer.
(2b) Falls ein schwarzer oder gelber Ball gezogen wird, gewinnt ein Teilnehmer.
11. 11 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Die meisten bevorzugten (1a) vor (2a), aber (2b) vor (1b), weil die Wahrscheinlichkeit, mit welcher ein
roter Ball geuogen wird bekannt ist (p=0,33). Im zweiten Spiel ist die Wahrscheinlichkeit, mit der ein
schwarzer oder gelber Ball gezogen wird bekannt (p=0,76).
Ambiguitätseffekt: bei unsicheren Handlungsalternativen beeinflusst der Grad der Info über die
zugrunde liegende Wahrscheinlichkeitsverteilung die Präferenz des Entscheidungsträgers.
Entscheidungsträger bevorzugt Situationen, in denen er sich ein klares Bild von den
Eintrittswahrscheinlichkeiten machen kann. Dadurch kann das Unabhängigkeitsaxiom der
Erwartungstheorie verletzt werden. Bsp. siehe S.40
2.1.2 Klassische Entscheidungstheorien
Erwartungswert = Produkt der Gewinnhöhe und der Wahrscheinlichkeit, mit welcher der Gewinn eintritt.
Nutzenfunktion = Zusammenhang zwischen Geldwert und Nutzen. Funktion ist konkav.
Normative Modelle – beziehen sich auf optimale Entscheidungen. Sie geben vor, wie idealisierte
Individuen optimale Entscheidungen treffen.
Deskriptive Modelle – beschreiben, wie Individuen tatsächlich Entscheidungen treffen
Präskriptive Modelle – bieten auf Basis einer Entscheidungstheorie Vorschläge an, wie in einer
Entscheidungssituation schrittweise vorgegangen werden soll, um eine optimale Entscheidung zu treffen
Subjektive Erwartungsnutzentheorie
Subjektives Erwartungsnutzenmodell (SEU)/subjective expected utility model
= Maximierungsmodell, normatives Modell
Entscheidungsträger bestimmen in einer Entscheidungssituation für alle wählbaren Alternativen den
erwarteten subjektiven Nutzen und wählen dann jene Alternative, die den maximalen Nutzen bringt.
Entscheidungsträger kennen die Eigenschaften der verfügbaren Alternativen, berücksichtigen, wie
wahrscheinlich eine Eigenschaft zutrifft und wie wertvoll diese Eigenschaften sind. Summe der Produkte
der subjektiven Wahrscheinlichkeiten und Werte der Eigenschaften ergibt den subjektiven
Erwartungsnutzen einer Alternative.
Entscheidungsträger können risikoscheu, risikoneutral oder risikofreudig sein. Manche Eigenschaften
bedeuten einer Person mehr als einer anderen. Unterschiedliche Personen entscheiden sich daher trotz
gleicher Auswahlmöglichkeiten konsistent für unterschiedliche Alternativen.
Allgemeine Charakteristika der Entscheidungssituation nach Kühberger:
1. Es gibt einen bestimmten identifizierbaren Entscheider.
2. Alle Alternativen sind im Voraus festgelegt und der Entscheider ist darüber vollständig
informiert.
3. Alle möglichen Konsequenzen können vorweggenommen und bewertet oder in eine
Rangordnung gebracht werden.
4. Die Bewertung von Konsequenzen geschieht anhand von beständigen Zielen.
5. Allen möglichen Ereignissen können Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden.
6. Die Relevanz von Informationen kann beurteilt und relevante Information kann
gesucht und gesammelt werden.
12. 12 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Unter diesen Umständen werden sichere Entscheidungen getroffen, was jedoch nicht
immer der Fall ist. Es sind zwei Gründe, die gegen das Subjective-Expected-Utility-
Model sprechen: 1. Entscheidungen werden in der Regel von Einzelpersonen nicht so
getroffen, da die 6 Prämissen kaum in ihrer Idealausprägung anzufinden sind. 2. Bei
Entscheidungen in Gruppen funken auch noch andere nicht-rationale, psychologische
Variablen dazwischen wie etwa Kooperation, Fairness, Vertrauen oder Gerechtigkeit.
Ablauf von Entscheidungen nach dem Rationalmodell:
1. Wahrnehmung einer kritischen und daher entscheidungsbedürftigen Situation; z.B. ich
brauche ein Auto
2. Definition der Entscheidungskriterien: Welche Aspekte einer Lösung oder einer
Situation sind wichtig, welche irrelevant? Z.B. Motorleistung, Preis, Farbe
3. Gewichtung der Entscheidungskriterien: Nach Isolation der Kriterien müssen sie in eine
Rangordnung gebracht und entsprechend ihrer Bedeutung für den
Entscheidungsträger gewichtet werden.
4. Entdeckung von Entscheidungsalternativen: Wenn klar ist, wie eine Option aussehen
soll, wird das Marktangebot gesichtet, alle verfügbaren Alternativen werden
berücksichtigt.
5. Bewertung der Alternativen: Alle Autos werden subjektiv, anhand der relevanten
Kriterien bewertet. Bewertung ist subjektiv und daher von Person zu Person
unterschiedlich.
6. Wahl der optimalen Alternative: Es wird jene Alternative gewählt, die dem Ideal am
nächsten kommt = beste Alternative unter den gegebenen Optionen.
2.1.3 Ultimatumspiel und Diktatorspiel
Ultimatumspiel
- es wird untersucht, wie eine Person entscheidet, wenn sie die Möglichkeit hat, ein Gut
zwischen sich und einer anderen Person aufzuteilen.
Bsp. 1: Spieler A erhält Geldbetrag g und muss Spieler B einen Teil des Betrages t
anbieten. Wenn B das Angebot akzeptiert erhält A den Betrag abzüglich seines
Angebots an B (g-t). B erhält das Angebot t. Lehnt B das Angebot ab, gehen beide
Spieler leer aus.
Unter der Rationalitäts- und Nutzenannahme ist das Ziel von Spieler A, B den geringst
möglichen Teil (t˃0) anzubieten und seinen Gewinn zu maximieren. Handelt B
ertragsorientiert wird er das Angebot akzeptieren, da 1 EUR besser als kein Geld ist.
Aufteilung weicht von der rationalen Lösung meist ab. Kleine Angebote werden als
unfair empfunden und abgelehnt.
Bsp.2 Piratenspiel: 5 rational handelnde Piraten haben 100 Goldmünzen geraubt und
sollen diese untereinander aufteilen. Die Rangordnung erfolgt nach Lebensalter. A
ranghöher als B, B ranghöher als C, C ranghöher als D und D ranghöher als E.
Verteilungsregeln
o Ranghöchste Pirat macht Vorschlag zur Aufteilung der Münzen, dann
stimmen die Piraten ab, ob sie damit einverstanden sind
13. 13 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
o Der Vorschlagende ist selbst auch stimmberechtigt und hat die
ausschlaggebende Stimme, falls sich keine Stimmmehrheit ergibt
o Wird der Vorschlag angenommen erfolgt die Aufteilung und das Spiel
endet. Wird der Vorschlag nicht angenommen, wird der Vorschlagende
über Bord geworfen und der ranghöchste verbleibende Pirat erhält die
Gelegenheit eine Aufteilung vorzuschlagen – Spiel beginnt von Neuem.
Piraten entscheiden auf Grundlage von 3 Kriterien
Jeder möchte überleben
Jeder möchte die Anzahl der Goldmünzen, die er erhält maximieren
Jeder möchte die anderen über Bord werfen, wenn die übrigen Kriterien gleich
bleiben
Auflösung
Wenn alle Piraten außer D und E bereits über Bord sind, kann D für sich 100 und
für E 0 vorschlagen. D hat die ausschlaggebende Stimme – Vorschlag wird sicher
angenommen.
Wenn 2 über Bord gingen und 3 verbleiben weiß C, dass D in der nächsten
Runde E 0 anbieten wird. C muss E daher mind. 1 anbieten um seine Stimme zu
erhalten. Verteilung bei 3 verbleibenden Piraten: C 99, D 0, E 1
Wenn 1 Pirat über Bord ging und 4 verbleiben, teilt B wie folgt auf: B 99, C 0, D 1,
E0
Bleiben alle 5 Piraten an Bord – Verteilung: A 98, B 0, C 1, D 0, E 1
Diktatorspiel
= eine Variante des Ultimatumspiels
Partner B hat keine Möglichkeit ein Angebot abzulehnen. Spieler A erhält z.B. 100EUR
und kann Spieler B einen Betrag t anbieten. t kann jeder Betrag zwischen 0 und 100EUR
sein. Das Spiel endet für Spieler A mit der Auszahlung von 100EUR-t. Meist agiert Spieler
A nicht geizig und egoistisch sondern tendiert zu einer fairen Verteilung.
Gefangenendilemma
= 2-Personen-Nicht-Nullsummen-Spiel. Dh., es ist möglich, die Gütermenge durch
Kooperation zu vermehren.
= Spiel zur Untersuchung von Kooperation. Es kann gezeigt werden, dass individuell
rationale Entscheidungen zu kollektiv schlechteren Ergebnissen führen können.
Bsp.: 2 Entscheidungsträger haben gemeinsam Delikt begangen. Polizei verdächtigt
beide Partner, besitzt aber kaum Beweise.
Gesteht einer oder beide, werden beide zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt.
Schweigen beide, reichen die Indizien nicht aus, um beide zur Höchststrafe zu
verurteilen, sondern nur zu einer Strafe von 2 Jahren. In diesem Fall ist es
vernünftig, wenn beide schweigen. Siehe S. 47 Abb.2.2 Auszahlungsmatrix A
Polizei bietet beiden getrennt an, zu kooperieren und zu gestehen. Gesteht
einer, kommt er frei, der andere wird zu 7 Jahre Gefängnis verurteilt. Gestehen
14. 14 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
beide gibt es eine Strafminderung für beide auf 5 Jahre. Gefangenen werden
getrennt verhört und können sich nicht absprechen. Siehe S.47 Abb.2.3
Auszahlungsmatrix B
Das Dilemma ist, dass beide versucht sind, sich für einseitigen Verrat zu
entscheiden, um selbst frei zu kommen (temptation T), dass sie für Kooperation
insofern belohnt werden, als beide nicht 7 sondern 2 Jahre Gefängnis
bekommen (reward R), dass ihnen eine Bestrafung bei gegenseitigem Verrat von
5 Jahren Gefängnis droht (punishment P) und dass derjenige, der dem Partner,
der das Vertrauen bricht, gutgläubig vertraut, zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt
wird (sucker’s payoff). Siehe S-48 Abb. 2.4
Die Orientierung am kollektiven bzw. am individuellen Nutzen führt zu
unterschiedlichen Entscheidungen. Insgesamt ist das Strafergebnis am geringsten,
wenn beide schweigen (2+2=4 Jahre). Aus Perspektive des Einzelnen = günstig mit
Polizei zu kooperieren, aber nicht mit dem Komplizen. Kooperieren beide mit der
Polizei, ist auf kollektiver Ebene das Ergebnis besonders ungünstig (5+5=10 Jahre).
Aus Perspektive der Rationaltheorie ist es sinnvoll, in einem einmal gespielten Spiel
den eigenen Nutzen zu maximieren und den Komplizen zu verraten – eigene
Entscheidung kann Verhalten des Partners nicht beeinflussen. Studienteilnehmer
entscheiden sich jedoch häufig für die Kooperation.
2.2 ENTSCHEIDUNGSANOMALIEN
Bei komplexen Entscheidungen im Alltag, Beruf und am Markt sind Abweichungen vom Rationalmodell
=Anomalien – die Regel. Oft sind Verluste, die bei Verzicht auf eine Alternative in Kauf genommen
werden müssen oder antizipierte Emotionen handlungsrelevant oder es genügt eine zufrieden stellende
Alternative. Meist sind rationale Entscheidungen unvernünftig, weil sie zuviel Zeit in Anspruch nehmen
und die Situation zu komplex ist. Vielfach wird implizit eine Alternative favorisiert und die nachfolgende
Infosuche dient der Bestätigung der Wahl.
Schwierigkeiten:
- nicht lineare (exponentiell verlaufende) Entwicklungen Menschen sind
gewohnt, Entwicklungen von Ereignissen linear in die Zukunft zu projizieren. Sie haben
Schwierigkeiten Prognosen über exponentielle Entwicklungen zu erstellen.
- bedingte Wahrscheinlichkeiten (Monty Hall Dilemma Gameshows, in denen
jeweils Alternativen geboten werden, von der nur eine einen Gewinn enthält – Spieler wählt eine
Alternative mit mögl. Gewinn - Spielleiter schließt, bis auf eine, alle Nieten aus und fragt die
Person, ob sie sich doch für die andere Alternative entscheiden möchte. Konsistenz und Beharren
sind hier unvernünftig, da sich die Wahrscheinlichkeit eines Gewinnes bei Alternativenwechsel um
ein Drittel erhöht. Mit jeder Wahl, die getroffen wurde, verändern sich die Wahrscheinlichkeiten,
da sie bedingt sind. Es sind nicht logische, sondern psycho-logische Gründe für das
gewinnschmälernde Beharren verantwortlich, z.B. das antizipierte Bedauern eines Verlustes bei
Wechsel.)
- Präferenzen sind nicht stabil Soll man sich zwischen einer kleinen Schokolade sofort
und einer großen morgen entscheiden, werden viele sich für die kleine sofort entscheiden. Geht
es aber um die kleine Schokolade in einer Woche oder die große in einer Woche und einem Tag,
ist die Entscheidung für die große wahrscheinlicher. Die Präferenzen sind nicht stabil geblieben,
obwohl die Alternativen dieselben blieben = Prinzip der Melioration – Menschen wählen jene
Alternative, die sie momentan besser stellt. Es kommt zu einer Diskontierung von Gewinnen über
die Zeit. Diese ist ebenfalls inkonsistent.
15. 15 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Die operante Konditionierungstheorie postuliert, dass die Wahrscheinlichkeit jenes Verhaltens steigt, das
die höchste Verstärkung erfährt. Herrnstein widerspricht. Manchmal wird die eine, manchmal die
andere Alternative gewählt, auch wenn erkannt wurde, welche Alternative die wertvollere ist, vielleicht
aufgrund von Sättigungseffekten, aus Neugier u.a. Motiven. Entsprechend dem relativen Effektgesetz
(auch Anpassungsgesetz oder matching law) ist das Verhältnis der Wahl verschiedener
Verhaltensalternativen proportional dem subjektiven Wert der Verstärkung dieser Alternativen und invers
proportional der Zeit, die zwischen Verhalten und Verstärkung liegt. Entsprechend wird Alternative A 3
Mal öfter gewählt als Alternative B, wenn die Verstärkung von A 3 Mal so viel wert ist , wie jene von B. An
Stelle der Maximierung tritt das Prinzip der Melioration („kurzfristige Besserstellung“). Menschen
und auch Tiere richten demnach ihr Verhalten an benachbarten Alternativen aus und stellen Vergleiche
an, wählen dann die momentan gewinnbringendere Alternative. Der Nutzen einer Alternative über die
Zeit kann kaum berechnet werden, die momentan bessere Alternative wird gewählt. Experiment von
Herrnstein mit Studenten: Bei einem Computerspiel kann Geld gewonnen werden. Bei Betätigung der
Tasten A und B fällt am Bildschirm eine Münze in einen Behälter. Während die Münze fällt, sind beide
Tasten blockiert. Zuerst fällt sie bei Betätigung von Taste B viel schneller, je öfter aber Taste B gedrückt
wird, desto langsamer fällt sie bei B. Letztendlich wäre nach einer Weile die Betätigung von Taste A
gewinnbringender, die meisten Teilnehmer wählen aber die maximal gewinnschmälernde Strategie,
nämlich bis Spielende immer nur oder fast immer Taste B zu drücken. Suboptimales Verhalten lässt sich im
Alltag oft beobachten, vor allem bei Suchtverhalten.
2.2.1.3 Gefühle und Entscheidungen
Nach Loomes und Sudgen (1982) hängt der subjektive Wert einer Alternative nicht nur von dem
vermuteten Konsequenzen sondern auch von den vermuteten Konsequenzen der nicht gewählten
Alternativen ab.Diese Überlegung führte zu einer Modifikation der subjektiven Erwartungswerttheorie =
Regret-Modell. Außer dem Nutzen der gewählten Alternative wird auch der Nutzenentgang durch den
Verzicht auf die anderen Alternativen berücksichtigt. Bedauern basiert auf dem Vergleich zw.
Alternativen und kann auf vergangene (retrospective regret) oder zukünftige (anticipated regret oder
prospective regret) Entscheidungen bezogen sein. Auch der Entscheidungsprozess kann zu Bedauern
führen, wenn z.B. eine Auswahl getroffen wurde, ohne bestimmte Infos zu beachten, die verfügbar
gewesen wären oder ein Urteil zu schnell gefällt wurde.
Affective forecasting = Vorhersage von emotionalen Reaktionen auf zukünftige Ereignisse. Wilson und
Gilbert (2003) unterscheiden 4 Komponenten des affective forecasting:
Vorhersagen über die Valenz der zukünftigen Gefühle
Die spezifischen Emotionen, die erlebt wurden
Die Intensität der Gefühle
Die Dauer
Personen machen meist akkurate Prognosen über die Valenz. Je weiter ein Ereignis in der Zukunft liegt,
umso fehleranfälliger sind die Prognosen über zukünftig erlebte Emotionen. Dauer (impact bias) und
Intensität der emotionalen Reaktion werden oft überschätzt. Siehe S.66 Abb 2.9 Stellt sich eine Person
ein Ereignis anders vor, als es ist (misconstrual) können die zukünftige Valenz, spezifische Emotionen,
Intensität und Dauer dieses Ereignisses falsch eingeschätzt werden. Prognosen über Gefühle nach einem
zukünftigen Ereignis hängen auch von der aktuellen Befindenslage ab (= projection bias).
2.2.1.4 Verzerrte Erinnerungen
16. 16 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Überdurchschnittlichkeitssyndrom – beschreibt den Effekt, dass Personen annehmen, besser als andere
zu sein, als überzogenen Optimismus im Vergleich mit anderen. Ausprägungen der eigenen pos.
Merkmale werden höher, jene neg. Merkmale geringer eingeschätzt, als die anderer Menschen.
Better-than-average, Above-average-Effekt = motivational verzerrte, selbstwertdienliche Urteilsstrategie.
Gilt v.a. für Eigenschaften, die eine Person als ihre Stärken ansieht.
Kahnemann weist außerdem darauf hin, dass Menschen kaum in der Lage sind anzugeben, was sie
in der Vergangenheit präferiert haben und was sie in Zukunft präferieren werden. Personen haben
Schwierigkeiten damit, ihren Nutzen über die Zeit zu maximieren. Erfahrungen werden dagegen anhand
der „ Spitzen-Ende-Regel “ (peak-end-rule) beurteilt, nicht die gesamte Erfahrung fließt also in das
Urteil ein. Weist ein Ereignis einige negative Spitzen auf und ist auch das Ende negativ, so bleibt es
negativ in Erinnerung. Ist aber das Ende relativ gesehen positiv, bleibt das Ereignis eher positiv in
Erinnerung.
Hindsight bias/Knew it all along bias – Menschen erinnern sich, nachdem sie erfahren haben, wie eine
Situation (z.B. polit. Konflikt) ausgegangen ist nicht mehr exakt an ihre ursprüngliche Prognose und
verzerren diese. Als Ursachen werden schlechtes Erinnerungsvermögen und selbstwertdienliche
Anpassung an Schätzungen vermutet. Hawkins und Hastie (1990) nehmen an, dass die Info über die
tatsächliche Entwicklung als Anker dient und zum Erinnerungszeitpunkt nicht die Schätzung erinnert wird,
sondern erneut Prognoseprozesse stattfinden.
2.2.2 Heuristiken
Heuristiken (= Faustregeln, die Urteilsprozesse erleichtern, aber zu systematischen
Fehleinschätzungen führen können). Kommen zur Anwendung, wenn Urteile in komplexen Situationen
ohne genügend Info zu fällen sind oder Zeitdruck besteht.
2.2.2.1 Verfügbarkeitsheuristik (availability heuristic)
Urteile werden gebildet auf Basis der Leichtigkeit, mit der Informationen aus dem Gedächtnis
abgerufen werden können. Oft zielführend, da einem häufige Ereignisse eher in den Sinn kommen.
Nachdem Erinnerung an Ereignisse und Verfügbarkeit von Infos nicht nur von der
Darbietungshäufigkeit abhängt, kann die Verfügbarkeitsheuristik zu Fehlurteilen führen.
Wurde von Tversky und Kahnemann (1974) einfach geprüft: beim Vorlesen von Frauen- und
Männernamen wurde jeweils bei den berühmten Namen die Häufigkeit von Frauen bzw.
Männernamen höher geschätzt. Schwierigkeit der kognitiven Operationen wurde von ihnen geprüft
anhand einer Schätzung, ob bei einer Gruppe von 10 Personen mehr Untergruppen aus jeweils 8 oder
aus jeweils 2 Personen gebildet werden können. Anhand der Kombinatorik sind es gleich viele, die
Schätzungen sagen anderes. Auch die Auffälligkeit von Ereignissen führt zu Fehlurteilen (so bei medial
präsenten aber weniger häufigen Todesursachen, wie Unfälle und Morde). Auch die Stimmung der
Person kann Fehlerquelle sein, in guter Stimmung werden eher positive Ereignisse erinnert state-
dependent- retrieval- Hypothese (Bower, 1981).
Es gibt aber auch die „Stimmung= Information- Heuristik“. Arbeitnehmer, die in guter
Stimmung nach ihrer Arbeitszufriedenheit gefragt werden, schließen aufgrund der Stimmung, dass ihre
Arbeitszufriedenheit hoch sein muss, anstatt Ereignisse aus der Vergangenheit zu erinnern.
17. 17 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
2.2.2.2 Repräsentativitätsheuristik
Darunter wird der geschätzte Grad an Übereinstimmung zwischen einem Ergebnis und einem Modell
verstanden (Element und Prototyp) und das entsprechende Urteil darüber, ob ein Element der
Kategorie des Prototyps angehört oder nicht. Vp mussten schätzen, ob eine fiktive Person Jurist oder
Ingenieur war (aus 30 Ingenieuren und 70 Juristen oder genau umgekehrt). Dabei wurde nicht einmal
die Verteilung in der Gesamtstichprobe (30:70) berücksichtigt, sondern die Urteile waren ausschließlich
auf der Basis der vagen Beschreibungen gebildet worden. Neben der Verteilung wird auch die
Stichprobengröße ignoriert, bei der Schätzung etwa ob in einem Krankenhaus mit täglich 15 Geburten
sowie in einem mit täglich 45 Geburten gleich häufig ein Geschlechterverhältnis von 6:4 vorkommt,
was zumeist bejaht wird, statistisch aber höchst unwahrscheinlich ist. Urteilsfehler beruhen auch auf
Missverständnissen über den Zufall und typisch zufällige Ereignisse. Im Lotto wird die Zahlenkombination
„7 13 24 25 30 41“ für wahrscheinlicher gehalten als „1 2 3 4 5 6“. Genauso irrig ist der Glaube, die
Chance für die Farbe rot im Roulette erhöht sich nach einer langen Sequenz von schwarz.
2.2.2.3 Anker-/Anpassungsheuristik
Personen beginnen ihre Häufigkeits- und Wahrscheinlichkeitsschätzungen mit einem Ausgangswert,
einem Anker, ihre Urteile werden in der Folge unzureichend angepasst. Vp mussten Ergebnisse
schätzen für die Multiplikationen: 8*7*6*5*4*3*2*1 oder für 1*2*3*4*5*6*7*8. Im ersten Falle wurde
systematisch ein viel höheres Ergebnis geschätzt, weil die 8 als Ankerwert fungierte. Vp sollten weiters
schätzen, wie viele afrikanische Staaten bei der UNO sind, danach würde ein Glücksrad gedreht und
ein scheinbar zufälliger Wert erreicht, für den angegeben werden sollte, ob die Anzahl der
afrikanischen UNO-Mitglieder darunter oder darüber lag. Es kam zu systematischen
Fehleinschätzungen. Der Ankereffekt ist stärker und die Bearbeitungszeit kürzer, je plausibler der Anker
ist, aber auch unplausible Anker funktionieren. Auch Experten fallen auf Anker herein, so wie die
Immobilienmakler, die sich von einer niedrigen oder hohen Preisangabe auf einem Prospekt verleiten
ließen, obwohl sie selbst über genügend Wissen zur adäquaten Schätzung der Immobilie verfügten.
Verfügbarkeits-, Repräsentativitäts-, Verankerungs- und Anpassungsheuristiken widersprechen dem
Modell eines vollkommen rationalen Menschen, aber sie sind nicht unvernünftig. Wenn Zeitdruck zum
Handeln zwingt, ist es vernünftig, sich auf Erfahrungen zu verlassen, Strategien zu nutzen, die sozusagen
Abkürzungen darstellen. Manchmal führen die Hilfsmittel aber in die Irre.
2.2.2.4 Weitere schnelle und sparsame Heuristiken
Rekognitionsheuristik
Kennen Menschen eines von 2 Objekten und das andere nicht, ziehen sie häufig den Schluss, das
bekannte Objekt habe en höheren Wert.Rekognitionsheuristik kann zu einem kontra-intuitiven Effekt
führen, dem „Less-is-more“ Effekt. D.h., dass es in manchen Fällen besser ist, weniger zu wissen.
Take the Best – Heuristik
Soll eine Wahl zwischen mehreren Alternativen getroffen werden, wird ein Charakteristikum
ausgewählt, das besonders relevant erscheint und die Optionen werden anhand dieses Merkmals
verglichen. Optionen, die nicht entsprechen werden ausgeschlossen. Dann wird das nächst beste
Charakteristikum gewählt und die verbleibenden Optionen werden an diesem Merkmal gemessen.
Wieder wird eine Selektion der Optionen vorgenommen, bis eine Entscheidung getroffen werden
kann.
Eliminationsheuristik
Merkmale der Alternativen werden sukzessiv zur Bewertung der Alternativen herangezogen und jene
Alternativen, die nicht entsprechen werden sukzessive eliminiert.
18. 18 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Tversky beschreibt individuelle Entscheidungen als sequentielle
Eliminationsprozesse. Bei Entscheidungen werden Kriterien so ausgewählt, dass die
wichtigsten mit größter Wahrscheinlichkeit zuerst zur Beurteilung von Alternativen herangezogen
werden. Die Alternativen werden sequentiell am jeweiligen Kriterium „gemessen“. Erfüllt eine
Alternative nicht den subjektiven Standard, fällt sie als unbrauchbar weg. Dann wird ein weiteres
Kriterium gewählt, die Alternativen werden danach „gesiebt“, bis schließlich eine Alternative
übrigbleibt.
2.2.3 Entscheidungen unter Unsicherheit: die Prospect-Theory
Menschen sind risikoscheu, mögen keine Ambiguität und ziehen einen sicheren
Gewinn einem möglichen, statistisch gesehen, gleich großen Gewinn vor, was
auch von Ökonomen akzeptiert wird.
Menschen sind aber nicht generell risikoscheu, sondern nur in
Situationen mit sicherem Gewinn!
In Wahlsituationen mit sicherem Verlust wird oft die riskantere Alternative gewählt, als ob die
Personen den Verlust zu reparieren suchten. Aber auch:
Je nach Problempräsentation, je nach semantischem Rahmen (framing), kann die
Aufmerksamkeit auf einen Gewinn oder Verlust gelenkt werden, und entsprechend
unterschiedlich sind die Präferenzen der Entscheidungsträger (framing effect).
In der Prospect Theory (Kahnemann und Tversky, 1979) wird
der Einfluss der subjektiven Aussichten, die durch entsprechende
Problempräsentation auf einen Gewinn oder einen Verlust hin
gelenkt werden, auf das Verhalten von Personen in
Risikosituationen beschrieben. Prospect Theory =
Weiterentwicklung der subjektiven Erwartungsnutzentheorie.
Je nachdem, ob eine Alternative als Gewinn oder Verlust präsentiert wird, sind die
Präferenzen unterschiedlich.
Beispiel einer Wertfunktion, Kahnemann & Tversky, S. 85
19. 19 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Wie auch in der subjektiven Erwartungsnutzentheorie postuliert wird, vermuten Kahneman und
Tversky, dass Menschen ihren Nutzen maximieren möchten. Deshalb wird angenommen, dass
der Nutzen der verfügbaren Alternativen und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens bestimmter
Konsequenzen Entscheidungen determinieren. Allerdings wird angenommen, dass Menschen in
komplexen Entscheidungssituationen dazu tendieren, eine Vereinfachung des Problems
vorzunehmen und anschließend die Aussichten (prospects), welche die Optionen bieten,
bewerten.
Der Entscheidungsprozess verläuft demnach über zwei Phasen:
- Editierphase: es wird überlegt, worauf ein Ereignis, eine Option und ihre Konsequenzen
bezogen werden – Referenzpunkt wird gewählt. Sämtliche Schwierigkeiten Information
korrekt ui verarbeiten und die Anwendung von Entscheidungsheuristiken werden
beobachtet. Bsp.: manchmal werden unabhängige Ereignisse als verbunden
wahrgenommen. Komplexe Sachverhalte werden vereinfacht und hervorstechende
Ereignisse besonders gewichtet. Sämtliche Schwierigkeiten
- In der Evaluationsphase wird überlegt, ob die Konsequenzen einer Option relativ zu einem
Referenzpunkt einen Gewinn oder Verlust darstellen. Die Wertfunktion bildet den Zshg zw.
einem objektiv eintretenden Gewinn oder Verlust und dem Erleben, dem subjektiven
Nutzen, ab. Weiters wird die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von Ereignissen
berücksichtigt. Siehe Abb. 2.13 und 2.14 S. 85
Wertfunktion ist im Gewinnbereich konkav und im Verlustbereich konvex. Kurve ist im
Verlustbereich steiler als im Gewinnbereich. Der subjektive Wert eines Gewinnes wird geringer
geschätzt als ein objektiv gleich großer Verlust.
Entscheidungsgewichtungsfunktion, die in der kumulativen Prospect-Theory weiterentwickelt wurde zeigt,
wie objektive Wahrscheinlichkeiten, mit welchen Konsequenzen bei der Wahl einer Option eintreten, in
subjektive umgerechnet werden. Objektiv geringe Wahrscheinlichkeiten werden eher überschätzt und
hohe Wahrscheinlichkeiten eher unterschätzt.
20. 20 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Wertfunktion muss nicht immer die Form annehmen, die in Abb.2.13 dargestellt ist. Ab einer bestimmten
Entfernung vom Referenzpunkt kann die Sensitivität einer Person für weitere Verluste wieder zunehmen.
Bsp.: Devisenhändler darf bis zu Verlust von 100.000 EUR selbst Entscheidungen treffen. Ab Verlust von
100.000 EUR muss der Vorgesetzte konsultiert werden. Ab Verlust von 150.000 EUR muss die Sachlage dem
Vorgesetzten gemeldet werden und weitere Aktivitäten dürfen nur nach Absprache durchgeführt
werden. Händler wird alles unternehmen, um Verlust von 150.000 EUR zu vermeiden und auch riskant
investieren, wenn die Möglichkeit besteht, den Verlust von über 100.000 EUR wettzumachen. Mögliche
Form der Wertfunktion Abb. 2.15
Kritik und Erweiterungen der Prospect-Theory:
Die Wertfunktion der Prospect-Theory bezieht sich nur auf aktuelle Gewinne oder Verluste. Mowen &
Mowen: Gewinne, die nicht sofort genutzt werden können, stellen subjektiv einen Verlust dar, Verluste,
die erst in der Zukunft getragen werden müssen, werden als Gewinn erlebt (Zeit- und
Ergebnisbewertungmodell nach Mowen und Mowen, 1991, S. 89).
2.2.3.1 Besitzeffekt (endowment effect)
Thaler: Wird anschließend an einen Gewinn dieser wieder zurückgenommen, wird die Zurücknahme
nicht als Rückkehr in die Ausgangslage, sondern als Verlust erlebt. Nachdem ein Gut von einer Person in
Besitz genommen worden ist, erscheint es unmittelbar subjektiv wertvoller und die Rückgabe relativ
schmerzhafter. Auf der Wertfunktion der Prospect-Theorie bedeutet dies nicht die Rückkehr in die
Ausgangslage, sondern die Werteinbuße wird intensiver erlebt als die Gewinnerfahrung bei Erhalt des
Gewinns. Experiment: Studenten, die Fragebogen ausfüllen mussten und Krug behalten durften
(„Verkäufer“) vs. Studenten, die zwischen Krug oder einem Geldbetrag wählen konnten („Wähler“).
Während die Verkäufer die Abgabe des Kruges, den sie bereits besitzen, als Verlust erleben, erleben
Wähler den Krug als Gewinn. Daher mittlerer Wert des Kruges in der Verkäufergruppe höher als in der
Wählergruppe. Dies widerspricht den klassisch-ökonomischen Nutzendiskussionen und der Annahme der
Stabilität von Präferenzen. Die Ökonomie lehrt, dass sich Indifferenzkurven einer Güterkombination nie
überschneiden können. Indifferenz bedeutet, dass ein Individuum eine Güterkombination für gleichwertig
wie eine andere Kombination hält. Es scheint aber, dass Personen vom status quo ausgehen, und einen
Gewinn schnell als Selbstverständlichkeit ansehen., ein Verlust, auch wenn er geringer ist als der
unmittelbar vorhergegangene Gewinn, wird hingegen schmerzhaft registriert. Auf den Arbeitsmarkt
gesehen würde etwa ein bestimmtes Gehalt als Null- oder Ausgangspunkt dienen. Ein Gehaltszuwachs
wird als Gewinn positiv registriert, aber bald wird das neue Gehalt als Nullpunkt wahrgenommen, von
dem aus Zuwächse und Verluste beurteilt werden. Die Wertkurve von Kahnemann & Tversky bleibt somit
nicht stabil, sondern wandert zum jeweiligen status quo, wo der Koordinaten-Nullpunkt anzusetzen ist.
Inzwischen wird die Prospect-Theory als eingeschränkt gültiges
Erklärungsmodell des Entscheidungsverhaltens angenommen.
2.2.3.2 Versunkene Kosten (sunk-costs effects)
Verluste und Gewinne wirken sich nicht nur auf aktuelle, sondern auch auf zukünftige Entscheidungen
aus. Wurden Investitionen für eine Angelegenheit getätigt, so werden zukünftige Entscheidungen über
weitere Investitionen zur Erledigung besagter Angelegenheit umso bereitwilliger gefällt, je höher die
vergangenen Investitionen waren. Etwa teurer Urlaub in den Rocky Mountains muss ebenso teuer storniert
werden, da Freunde krank sind. Obwohl ein Urlaub in den nahen Bergen ebenso teuer wäre wie die
21. 21 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Stornogebühr, wählt kaum jemand diese Alternative. Kosten müssen gerechtfertigt werden! Für
Unternehmen kann dies zu riskanten Geschäften führen!
Vergangene Kosten müssen aber nicht immer zu erhöhter Risikobereitschaft führen,
sondern können auch Risikoaversion verursachen. Zeelenberg und van Dijk (1997)
untersuchten Arbeitsleistung und Risikobereitschaft. Nach harter Arbeit $ 50 oder $ 100
mit p=0,5 bzw. $0 mit p=0,5. Viele wollten die sicheren $ 50 haben. Wenn Alternative $ 50
zusätzlich zum vereinbarten Lohn oder zusätzlich zum Lohn ein Spiel, mit Ausgängen $
100 mit p=0,5, dann wurde riskant entschieden. Neben der Risikobereitschaft ist
zusätzlich das antizipierte Bedauern bei Realisierung einer Alternative
entscheidungsrelevant.
Risikobereitschaft und die „Erblindung aller Vernunft“ in Verlustsituationen wird nicht nur
im Verhalten einzelner Personen oder von Firmen deutlich, sondern auch in
Wettbewerbssituationen (Rumiati & Bonini, 1996). Teilnehmer steigerten um eine
Banknote im Wert von 100 DM, wobei bei 10 DM gestartet wurde und der Vorgänger
jeweils um 1DM überboten werden musste. Die Banknote erhält derjenige, der das
höchste Angebot macht. Allerdings muss die Person, die das zweithöchste Angebot
macht, ebenfalls ihren angebotenen Preis zahlen, ohne dafür etwas zu erhalten. Bei
Erreichung von 100 DM wird nicht gestoppt! Selbst wenn Kontrahenten über die Fallen
aufgeklärt werden, sind kaum Lerneffekte zu erzielen. Ähnliche Entwicklungen lassen
sich auch bei Preisunterbietungen von Fluglinien beobachten.
2.2.3.3 Mentale Buchführung (mental accounting)
Die Rationalitätsannahme wird durch inkonsistente Entscheidungen aufgrund von Gewinn- bzw.
Verlustereignissen stark bedrängt. Die Annahme der Gewinnmaximierung wird außerdem durch
„ mentale Buchungsprozesse “ (Thaler, 1992) in Frage gestellt. Ereignisspezifisch erinnern und
verrechnen Personen in einem Entscheidungsprozess Kosten und Ertrag verschiedener Operationen.
Dabei werden vergangene Kosten berücksichtigt: Ist für einen Bereich das vorgesehen Budget
verbraucht, sinkt die Wahrscheinlichkeit weiterer Ausgaben für den entsprechenden Bereich. Hat man ein
Theaterticket um 10 $ verloren, so kauft man wahrscheinlich kein weiteres an der Abendkassa. Hat man
aber kurz vor Theaterbesuch 10 $ verloren, kauft man an der Abendkasse wahrscheinlich ein Ticket.
Formal betrachtet ist dieses Verhalten inkonsistent. Ist das Konto für einen Bereich voll, so fallen auch
unvernünftige Ausgaben nicht schwer. Ein praktisch relevantes Beispiel bietet das Sparverhalten von
Lohnempfängern. Bei zwei Personen mit gleichem Jahreseinkommen spart zumeist diejenige mehr, die
zwar monatlich weniger bekommt, aber am Jahresende eine Prämie bekommt. Monatseinkommen und
Sonderzahlungen werden unterschiedlich wahrgenommen und für unterschiedliche Ausgaben und
Sparvorhaben budgetiert.
Auch Erfolge und Misserfolge berichten Menschen ereignisspezifisch. Berichte können so
gestaltet werden, dass Selbstzufriedenheit hoch ist – hedonic framing, hedonic editing. Bsp.
Person leitet 4 Projekte. Projekt A – Gewinn von 100 Geldeinheiten, Projekt B – Gewinn von 50
Geldeinheiten, Projekt C – Verlust von 100 Geldeinheiten, Projekt D – Verlust von 20
Geldeinheiten. Person hat verschiedene Möglichkeiten die Gewinne und Verluste zu
berichten. Gewinne separiert und Verluste integriert zu berichten maximiert entsprechend der
Prospect-Theory die Zufriedenheit (Gewinne von 100 und 50 Geldeinheiten und einen Verlust
von insgesamt 120 Geldeinheiten). Die Summe der subjektiven Werte G(a) und G(b) ist höher
als der integrierte Wert G(a+b) und der integrierte Verlust V(c+d) schmerzt weniger als die
separierten Verluste V(c) und V(d). siehe S97 Abb. 2.18
22. 22 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
2.2.4 DESKRIPTIVE ENTSCHEIDUNGSMODELLE
2.2.4.1 INDIVIDUELLE ENTSCHEIDUNGEN
Simon kritisiert die Rationalitätsannahme als Überforderung und die Nutzenmaximierung
als eine Last, da Menschen nur begrenzte Möglichkeiten zu rationalem Verhalten haben.
Es wird angenommen, dass Menschen nur eine „gute“ Wahl treffen wollen Prinzip
zufriedenstellender Entscheidungen (satisficing principle).
Entscheidungsmodell nach dem Prinzip einer zufriedenstellenden Alternative:
Menschen treffen relativ leichte Entscheidungen, wählen die hervorstechendsten Merkmale aus
und vernachlässigen viele Merkmale der Alternativen. Die zuerst dargebotenen Alternativen
haben zudem eine größere Chance gewählt zu werden, sofern sie den Minimalanforderungen
genügen (Reihenfolge der Begutachtung bedeutend).
Mit noch weniger restriktiven Annahmen kommt das Implicit-favorite-model von
Soelberg aus (Abb. S. 99). Personen favorisieren spontan eine Alternative, die Isolation von
Kriterien und der Vergleich mit andere Alternativen, die beide dann der Rechtfertigung der
favorisierten Alternative dienen, erfolgen post hoc. Entscheidungsträger ist oft nicht bewusst, dass
23. 23 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
sie sich bereits für eine Alternative entschieden haben, bevor Vergleichsprozesse durchgeführt
werden.
2.2.4.2 Entscheidungen in Organisationen und in der Politik
Auch mehrere Personen entscheiden sich nicht immer für den maximalen Nutzen. Janis
analysierte Dokumente über die Fehlentscheidung in der Schweinebucht unter Kennedy
1961, er erklärt suboptimale Entscheidungen mit dem Phänomen des „Groupthink“. Er fand,
dass in hoch kohäsiven Gruppen, die von alternativen Informationsquellen isoliert sind und
in welchen der Führer eine bestimmte Lösung favorisiert, die Wahrscheinlichkeit des
Gruppendenkens hoch ist. Die Gefahr des Gruppendenkens ist unter hohem
Konformitätsdruck, Selbstzensur, Überschätzung der Unverletzbarkeit der Gruppe, kollektive
Rationalisierung hoch. Mangelhafte Zieldefinition, selektive Informationsverarbeitung,
ungenügende Bewertung der Konsequenzen der Alternativen, schlechte Realisierungspläne
können zu problematischen Lösungen führen.
Papierkorb- oder Mülleimermodel (garbage can modell)l von
Das
Cohen, March & Olsen (1972) soll Entscheidungen in Organisationen abbilden.
Organisationen entwickeln demnach selten selbst Entscheidungen, sondern kopieren sie
von irgendwo. Oft werden Mangelzustände oder Differenzen zwischen Ist und Soll gar nicht
wahrgenommen, es sei denn, es ist schon eine Lösung da. Organisationen sind chaotische
Arenen. Um optimale Entscheidungen treffen zu können, müsste Ordnung geschaffen
werden, Informationen müssten eingeholt werden, Rituale, Symbole, Mythen, die das
gemeinsame Tun und damit auch Entscheidungen determinieren, müssten entlarvt werden.
Wie oft müssen eingeplante Ressourcen, die am Ende einer Budgetperiode noch nicht
verbraucht wurden, schnell ausgegeben werden, um zu dokumentieren, wie notwendig
eine Erhöhung der Mittel für die nächste Budgetperiode ist? Ist dieses Problem gelöst, steht
möglicherweise eine neue, komplizierte Maschine am Institut, die eine Lösung darstellt, für
ein Problem, das noch zu finden ist, z.B. Experiment. Die Lösung sucht sozusagen nach
einem passenden Problem. In der Retrospektive wird Ordnung im Entscheidungsprozess
geschaffen:
24. 24 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Braybrooke & Lindblom (1963) beschreiben Entscheidungen als einen
schrittweisen, inkrementellen Prozess, als „ muddling through“. Je komplexer die
Situation und je knapper die Zeit, desto geringer die Wahrscheinlichkeit einer rationalen
Entscheidung. In der Politik, in der Wirtschaft und im privaten Haushalt ist die
Entscheidungssituation komplex, weil neben einer Entscheidung gleichzeitig andere
Aufgaben anfallen.
In der Politik gleicht die Entscheidungsfindung einem inkrementellen Prozess. Komplexe
Wechselwirkungen verschiedener Variablen können nicht immer vorhergesehen werden.
Die Richtung der Veränderungen wird solange beibehalten, bis eine negative Konsequenz
eintritt. Nach Park (1982) gestalten auch Partner im Haushalt ihre Entscheidungen nach
diesem Modell. Man wäre überfordert, wenn man für jedes Produkt auch die Präferenzen
des Partners und dessen Wahlstrategien vollständig kennen müsste. Park bildete in seiner
Studie für Paare, die gemeinsam ein Haus kaufen wollten, ein Entscheidungsnetz
(Abb. 2.21 S.104), aufgrund der subjektiv relevanten und weniger bedeutsamen Attribute.
Das Entscheidungsnetz wurde für jeden Partner erhoben, tatsächlich war aber die
Übereinstimmung gering. Außer den unterschiedlichen Entscheidungsnetzen stellt Park
(1982) fest, dass Partner kaum verlässlich darüber Auskunft geben können, wer wen in Bezug
auf welche Attribute beeinflusst hatte. Und wenn Einflussunterschiede berichtet wurden,
dann entsprechend der konventionellen Rollenklischees. All dies weist auf Rationalisierung
im Nachhinein hin, nicht auf bewusste Informationsverarbeitung und rationale Auswahl.
Intime Partner wursteln sich eher durch ihre Entscheidungen durch.
2.3 NUTZENMAXIMIERUNG: EGOISMUS, ALTRUISMUS UND DIE LIEBE
Entscheidungen am Heiratsmarkt werden anhand der Rational- und
Nutzenmaximierungsüberlegungen modelliert. Person, die von Vorteilen einer Partnerschaft
überzeugt ist, sucht am Heiratsmarkt nach dem optimalen Partner. Aus den vielen Alternativen
wird die potentiell beste Person gewählt. Der Heiratsmarkt wird weiter beobachtet. Findet sich
eine bessere Alternative und ist die Lösung der Partnerschaft nicht zu kostspielig, wendet sich
die Person der besseren Alternative zu. Wechsel wird nur dann unternommen, wenn die
Transferkosten (soziale Diskriminierung, Verletzung religiöser Normen) nicht zu hoch sind.
Simmel stellte Kontakte zwischen Menschen unter die Prämisse des Gebens und Nehmens.
Homans (1974), ausgehend von der Theorie der operanten Konditionierung und Grundsätzen
der Ökonomie erklärt menschliches Verhalten und auch menschliches Sozialverhalten als
Funktion der Verhaltenskonsequenzen. Blau (1964) stellt klar, dass soziale Beziehungen ein
Produkt der beteiligten Individuen sind, soziale Transaktionen sind zielorientiert, kognitiv
gesteuert und vor allem strategisch. Laut Thibaut und Kelley (1959) wiegt jeder
Interaktionspartner die Vorteile und Nachteile ab, die der Kontakt mit dem anderen bringt. Je
nachdem, ob die Differenz zwischen Vor- und Nachteilen günstig ist, werden Interaktionen
wiederholt und intensiviert oder, falls sich gewinnbringendere Alternativen anbieten, Kontakte
abgebrochen. Ausgehend von den Annehmlichkeiten vergangener Interaktionen und
antizipierten Gewinnen, die alternative Beziehungen bieten, entwickeln Personen Erwartungen
über Belohnungen in gegenwärtigen und zukünftigen Beziehungen. Werden diese nicht erfüllt
– Auflösung der Beziehung.
Folgende Thesen sind nach Nye (1979) den meisten Austauschtheorien gemeinsam:
25. 25 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
1. Menschen treffen rationale Entscheidungen. Soziale Beziehungen werden nach ihrem
Gewinn beurteilt sowie nach dem Gewinn alternativer Beziehungen.
2. Menschen agieren und reagieren in sozialen Interaktionen. Sie treffen Entscheidungen
und setzen dann Aktionen. Ihre Aktionen sind nicht allein durch kulturelle oder situative
Gegebenheiten bestimmt.
3. Belohnungen bedeuten auch Kosten (Energie und Zeit).
4. Soziale Verhaltensweisen werden wiederholt, wenn sie in der Vergangenheit belohnt
wurden.
5. Verspricht keine mögliche Verhaltensalternative einen Gewinn, so wird jenes Verhalten
gesetzt, dessen Kosten am geringsten sind.
6. Personen, die in Interaktionen das erhalten, was sie ihrer Meinung nach verdienen, sind
zufrieden. Erhalten sie weniger, sind sie verärgert; erhalten sie mehr, fühlen sie sich
schuldig. Belohnungen und Kosten werden nach bestimmten Regeln (z.B. Equity-
Gleichheits- oder Bedürfnisregel) zwischen den Partnern verteilt.
7. Sozialkontakte basieren auf der Norm der Gegenseitigkeit oder Reziprozität.
8. Denjenigen, die verletzend agieren, werden Kosten auferlegt. Die Bestrafung von
Feinden wird als belohnend erlebt.
9. Die Kosten, die eine Person durch Bestrafung oder Verletzung durch jemanden zu
tragen hat, sind höher, als die Belohnung, wenn sie selbst jemanden, der sie verletzt
hat, bestraft.
10. Interaktionspartner beurteilen den Wert verschiedener Objekte, Erfahrungen oder
Beziehungen interindividuell unterschiedlich.
11. Je mehr jemand von einer Ressource besitzt, umso weniger sind zusätzliche Einheiten
dieses Objektes oder dieser Erfahrung wert (Sättigungsthese, Homan), d.h. der Wert
einer Belohnungseinheit nimmt ab, je häufiger sie in der Vergangenheit empfangen
wurde.
Austauschtheorien liegt das Menschenbild des homo oeconomicus zugrunde.
Maccoby meint, dass die Interaktionsdynamik je nach Beziehungstyp unterschiedlich ist:
Transaktionen in Wirtschaftsbetrieben mit hierarchischem oder egalitärem Machtgefälle oder
in Beziehungen gegenseitiger Feindschaft kann man anhand der Austauschtheorien und der
Equity-Prinzipien beschreiben. Interaktionen in romantischen Beziehungen folgen hingegen
nicht profitmaximierenden Prinzipien.
Partner in harmonischen intensiven Beziehungen allerdings handeln nach einem Modell, das
Kirchler (1989) „ Liebesmodell “ nennt. Je harmonischer die Beziehung, um so dichter
sind die Gefühle, Gedanken und Handlungen der Partner miteinander verstrickt, um so eher
wird eine gemeinsame Nutzenmaximierung anstelle einer egoistischen Kosten-Nutzen-
Rechnung verfolgt, um so vielfältiger sind die Ressourcen, die einander angeboten werden,
um so großzügiger die wechselseitige Kreditgebarung, um so eher fühlen sich die Partner für
die Befriedigung der Bedürfnisse des anderen verantwortlich und um so weniger werden
Forderungen an den anderen reklamiert.
26. 26 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Ist die emotionale Bindung intimer Partner zueinander geringer, so mutiert das Liebesprinzip
zum „ Kreditprinzip “. Die Partner sind dann zwar bestrebt, einander Gefälligkeiten zu
erweisen, nehmen Rücksicht aufeinander, warten aber auf die Erwiderung ihrer Bemühungen.
Weil die Partner einander vertrauen, muss die Rückzahlung nicht unmittelbar erfolgen. Sinkt die
Beziehungsqualität weiter ab, so folgt das Interaktionsgeschehen mehr und mehr dem
„ Equityprinzip “, und die Partner verhalten sich wie zwei Geschäftspartner. Je mehr die
Beziehungsqualität sinkt, desto bedeutsamer werden Machtunterschiede zwischen den
Partnern. Ist die Beziehungsqualität so gering, dass trotz egoistischer Handlungen ein weiteres
Abkühlen der Gefühle nicht zu befürchten ist, bleibt als einziges Handlungsziel der eigene
Vorteil: „ Egoismusprinzip “.
Das Interaktionsgeschehen lässt sich anhand folgender Kriterien beschreiben:
1. Interdependenz vs. Independenz der Partner: Je enger und harmonischer die
Beziehung, desto größer ist die wechselseitige Betroffenheit und Rücksichtnahme. In
disharmonischen Beziehungen nehmen Partner kaum aufeinander Rücksicht, wenn es
um die Realisierung egoistischer Wünsche geht. Dazu Studie von Brandstädter, Kirchler
und Wagner (1987), in der Partner nach ihren Gefühlen und ihrer Entscheidung gefragt
wurden, wenn sie ein Produkt kaufen wollten, das nur ihnen nützt (egoistischer
Kaufwunsch), der Partner a) dem Kauf zustimmen oder b) nicht zustimmen würde und
sie selbst das Produkt schließlich a) kaufen oder b) darauf verzichten. Weiters stellten
sich die Befragten vor, dass der Partner ein Produkt kaufen will, während sie dem Kauf
zustimmen oder nicht. Die Studien zeigen, dass Männer und Frauen je nach
Beziehungsharmonie und Machtverteilung, die Entscheidungssituationen
unterschiedlich bewerten. Das Befinden der Partner korrelierte hoch miteinander, wenn
die Partnerschaft glücklich war und der Mann das Sagen hatte. Die Partner nahmen
aufeinander Rücksicht und fühlten sich unbehaglich, wenn sie gegen den Willen des
Partners einen egoistischen Kaufwunsch realisierten. Die geringste Korrelation bestand
in egalitären Beziehungen. Siehe Interaktionsmatrix nach Kelley und Thibaut (1978, S.
69).
2. Gemeinsame Gewinnmaximierung vs. Kosten-Nutzen-Rechnung: Je harmonischer die
Beziehung, desto geringer ist das Interesse, mit dem Partner ein Handelsgeschäft
abzuschließen. Das ökonomische Interesse an der Beziehung macht dem Interesse an
der Beziehung selbst platz. In harmonischen Beziehungen ist das, was dem einen
Belohnung ist, auch für den anderen ein Gewinn. Verhaltensweisen, die den höchsten
individuellen Gewinn versprechen, werden zugunsten kooperativen Verhaltens
aufgegeben, um den gemeinsamen Nutzen zu maximieren. Disharmonische
27. 27 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Beziehungen sind durch egoistisches Profitdenken gekennzeichnet, wo der Mächtige
seine Wünsche durchsetzt, und der Schwache klein beigibt. Vielfalt vs. Begrenzung der
Ressourcen: Nach Foa & Foa (1971) können Ressourcen eingeteilt werden in
universalistische (Geld, Güter, Informationen) und partikularistische (Liebe, Status und
Dienstleistungen). In Wirtschaftsbeziehungen werden Ressourcen einer Kategorie mit
Annehmlichkeiten aus derselben oder einer ähnlichen Kategorie vergolten. Mit
zunehmender Intensität einer Beziehung werden nicht nur Anzahl und Art der
Ressourcen sich verändern, sondern werden auch der „Wert“ von Annehmlichkeiten
und die „Kosten“ von Unannehmlichkeiten intensiver erlebt.
3. Lang- vs. kurzfristige Kreditgebahrung: Anfangs, wenn die Beziehung noch jung ist,
besteht ein starkes Bedürfnis nach Reziprozität. Wenn die Partner einander vertrauen,
verteilen sie die verfügbaren Ressourcen nach Bedürfnissen. Ein Ausgleich wird über
lange Zeit gesucht. Der unmittelbare Ausgleich, der in Austauschbeziehungen erwartet
wird, gilt nicht in glücklichen, intimen Beziehungen. Glückliche Partner sind einander
gefällig und erwarten Rückzahlungen, wenn überhaupt, allenfalls im Laufe langer
Zeiträume. In unglücklichen Beziehungen wird ein Ausgleich unmittelbar gefordert.
4. Verteilung von Annehmlichkeiten anhand von Bedürfnis- vs. Beitragsregeln: In
harmonischen Beziehungen werden Ressourcen nicht proportional zu den Beiträgen,
also nach der Equityregel, sondern entsprechend den Bedürfnissen, also nach der
Bedürfnisregel verteilt. Gute Freunde und glückliche Partner bieten einander spontan
Annehmlichkeiten an. In überdauernden Beziehungen und harmonischen
Partnerschaften macht die Norm der Reziprozität der Norm der Verantwortung Platz,
die verlangt, dass Ressourcen nach den Bedürfnissen verteilt werden. Equityregeln
werden dann bevorzugt, wenn die Leistung der Gruppenmitglieder von deren Einsatz
abhängt und die Leistung den einzelnen Mitgliedern zugeordnet werden kann. In
Freundesgruppen und intimen Beziehungen dominiert die Bedürfnisregel. Schwinger
(1986) fasst zusammen, dass in Liebesbeziehungen Ressourcen nach Bedürfnissen
verteilt werden, in Freundesgruppen egalitär und in Wirtschaftsbeziehungen und
zwischen unglücklichen Partnern nach den individuellen Beiträgen. Je nach
Beziehungstyp (Liebesbeziehung, Freundschaftsbeziehung, Wirtschaftsbeziehung) und
Ressourcenart (Liebe, Status, Dienstleistungen, Information, Güter, Geld) werden
unterschiedliche Verteilungsregeln (Bedürfnisregel, Equityregel, Equalityregel=
Gleichheitsprinzip) angewandt.
5. Spontaner Altruismus vs. Kontrolle von Forderungen und Verbindlichkeiten: Glückliche
Partner sind nicht bestrebt über Forderungen und Verbindlichkeiten Buche zu führen.
Sie handeln spontan partnerorientiert. Clark und Waddell stellten fest, dass vom Freund
nicht erwartet wird, dass er eine Gefälligkeit anbietet, wenn er um etwas bittet, wohl
aber vom Partner in Austauschbeziehungen. Sie berichten, dass Freunde umso
hilfreicher sind, je mehr der andere bedürftig ist (intrinsische vs. extrinsische Motivation).
Kirchler (1989) führte eine Studie mit Studenten durch und ließ sie Ideen produzieren,
was man in Liebesbeziehungen, Freundesbeziehungen und Arbeitsbeziehungen jeweils
fordere (Forderungen) und bereit wäre zu geben (Verbindlichkeiten). Mit Intensität der
Beziehung stieg die Anzahl der produzierten Ideen, also auch die Ressourcenvielfalt
Interaktionsmatrix nach Kelley und Thibaut (1978)
Ausgangslage: Partner A und B wählen zwischen 2 Handlungsalternativen a1 und a2 bzw. b1
und b2. Z.B. Entscheidung ob Kino- oder Theaterbesuch. Handlungsalternativen ergeben eine
2x2 Interaktionsmatrix mit 4 Handlungsalternativen. Für jede Alternative wird der erwartete
Gewinn für Partner A und B gemessen und eingetragen. Siehe S. 111 Abb.2.24
Die Matrix erlaubt die Berechnung folgender Größen
Reflexible Kontrolle – Abhängigkeit des Befindens (Gewinns) einer Person vom eigenen
Handeln ohne Berücksichtigung des Tuns des Partners
Schicksalskontrolle – Möglichkeit des einen, das Befinden des Partners zu kontrollieren
bzw. Abhängigkeit des einen vom Tun des Anderen
28. 28 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Verhaltenskontrolle – Abhängigkeit des eigenen Befindens von der Möglichkeit, die
Tätigkeit gemeinsam mit dem Partner oder allein auszuführen
Zur Berechnung der Kontrollvariablen siehe S.111 + 112 Abb 2.24 und 2.25
2.4 Analyseebenen und Entscheidungsanomalien
In Anlehnung an Frey können 4 mögliche Zustände individuellen und aggregierten
Verhaltens ausgemacht werden, je nachdem ob Anomalien auf individueller und/oder
Aggregatebene vorkommen. Siehe S. 122 Abb. 2.27
Soziales Dilemma = Konfliktsituation, in welcher Personen oder Gruppen unterschiedliche
Interessen vertreten. Zum einen soll ein Beitrag zu einem kollektiven Gut, von dem alle
profitieren, geleistet werden. Zum anderen stehen egoistische, nutzenmaximierende Ziele
entgegen, selbst einen Beitrag zu leisten. Wenn viele oder alle beteiligten ihren egoistischen
Zielen nachgeben, ist auch das angestrebte kollektive Gut in Gefahr, sodass der Egoismus der
Einzelnen zu einer Schlechterstellung aller führt.
2.5 Möglichkeiten der Fehlervermeidung und Anstöße zu
vernünftigem Verhalten
Nach Dörner (1989) können komplexe Ziele nur dann effizient realisiert werden, wenn sie in
Teilziele zerlegt werden. Teilziele müssen operationalisierbar und konkret definierbar sein, um
realisiert werden zu können. Sollen Entscheidungsträger in komplexen Systemen Ziele
erreichen, tendieren sie oft dazu, die relevanten Probleme zu lösen sondern die, die sie lösen
können. Entstehen neue Probleme entsteht ein Reperaturdienstverhalten. Im
Krisenmanagement werden Löcher gestopft wo sie scheinbar zufällig auftreten. Zeitabläufe,
die in komplexen Situationen besonders zu berücksichtigen sind, werden selten explizit
analysiert.
In seinen Ausführungen zur Logik des Gelingens meint Dörner, dass gute Akteure in komplexen
Entschiedungssituationen versuchen, konkrete Ziele zu elaborieren und dabei die Interaktion
der Ziele berücksichtigen. Sie wählen einen Schwerpunkt, ohne den Hintergrund zu
vernachlässigen. Die Abhängigkeit der Ziele wird berücksichtigt, widersprüchliche Ziele
werden balanciert und Ziele werden nach ihrer Wichtigkeit gewählt. Gute Akteure
analysieren die Situation als Netzwerk voneinander abhängiger Elemente. Die Zukunft ist für sie
nicht als lineare Projektion der Gegenwart berechenbar, sondern als Effekt der Wirkfaktoren.
Sie prüfen, ob Bedingungen für erfolgreiches Handeln gegeben sind und überwachen
während der Ausführung Effekte der eigenen Aktionen. Misserfolge werden analysiert und das
Verhalten entsprechend geändert.
Gurtner, Tschan, Semmer, Nägele: Reflexivität erhöht die Leistung von Teams. Reflexivität =
Personen sind in der Lage, ihr Wissen mit neuem Wissen zu verbinden.
Lipshitz und Strass (1997) beschreiben Taktiken, die Menschen in riskanten Situationen
anwenden.
Um in einer riskanten Situation zu einer Entscheidung zu kommen kann
29. 29 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Unsicherheit reduziert werden, indem neue Information gesucht wird, zugewartet
werden, bis neue Erkenntnisse erlangt werden
Unsicherheit akzeptiert werden und auf deren Basis eine Entscheidung getroffen
werden. Gleichzeitig wird überlegt, welche Konsequenzen potentielle Risiken haben
und wie diesen begegnet werden kann
Unsicherheit ignoriert werden
Im R.A.W.F.S.-Modell werden fünf Cluster von Taktiken zum Umgang mit Unsicherheit
erfasst:
Reduction: neue Informationen einholen; die Entscheidung verzögern,
bis neue Info einlangt, Expertenmeinungen einholen; nach normativen
Richtlinien entscheiden Reduktion von
Unsicherheit
Assumption-based-reasoning: Meinungen entwickeln und
darauf aufbauend ein mentales Modell der Entscheidungssituation
konstruieren, im Geiste durchgehen und eventuell modifizieren
Weighing pros and cons Abwägen der Vor- und Nachteile der
Alternativen
Akzeptanz von
Forestalling: Planung von Reaktionen auf ungewollte Konsequenzen
Unsicherheit
einer Entscheidung; Reservierung von Ressourcen um negativen Ereignissen
entgegenzusteuern; Planung von reversiblen Aktionen und Vermeidung
irreversibler Aktionen und deren Konsequenzen
Suppression: Ignoranz von Unsicherheit; Vertrauen auf Intuition; Unterdrückung von
Unsicherheit
Glücksspiele wie etwa Wurf einer Münze.
Wahl der Taktiken in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation – siehe Abb. 2.28 S 127
Entscheidungen werden mit dem Versuch, Klarheit über die Situation zu gewinnen, begonnen.
Gelingt dies, werden Alternativen und Konsequenzen überlegt und vielleicht mentale
Vorwegnahmen der Entscheidung vorgenommen. Falls es nicht gelingt, wird überlegt, wie
unerwünschte Entwicklungen verhindert werden könnten oder wie entgegengesteuert werden
kann. Fehlen Infos und können diese auch nicht eingeholt werden, so werden Meinungen
gebildet, auf deren Basis entschieden werden kann. Werden zwei oder mehrere
zufriedenstellende Optionen gefunden, liegt ein Entscheidungskonflikt vor, dem mit Abwägen
der Vor- und Nachteile begegnet wird. Gelingt keine Entscheidung für eine Alternative,
werden Informationen unterdrückt, Konsequenzen und Gegenmaßnahmen überlegt, oder
neue Alternativen gesucht, bis schließlich eine Entscheidung getroffen wird.
Risikoentschärfungsoperator
= Aktion, die darauf abzielt, das Risiko des Eintretens negativer Konsequenzen bei Wahl einer
bestimmten Option zu reduzieren. Man unterscheidet zwischen Risikoentschärfungsoperatoren,
die vor Eintritt einer neg. Konsequenz und solchen, die nachher angewandt werden. Bsp.
Impfung vor einer Reise in die Tropen oder Medikamente danach, falls Person mit einer
Krankheit infiziert wurde.
Entscheidungsträger wägen die Kosten für einen Risikoentschärfungsoperator und die
Wahrscheinlichkeit neg. Ereignisse ab und entscheiden sich für eine Maßnahme vor oder nach
Eintritt eines neg. Ereignisses. Kann neg. Ereignis mit Sicherheit entdeckt werden und besteht
30. 30 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
Mögl. der Reparatur – Operator nach Eintritt neg. Konsequenzen. Ist
Entdeckungswahrscheinlichkeit gering und eine Reparatur schwierig – Operator vor Eintritt
neg. Konsequenzen.
31. 31 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat
KAPITEL 3 - ALLTAGSVERSTÄNDNIS VON ÖKONOMIE
3.1 ZUM WIRTSCHAFTLICHEN WISSEN DER KINDER
Wissen und Verständnis ökonomischer Belange und wirtschaftlicher Entscheidungen setzen
einen Reifungs- und Sozialisationsprozess voraus, der dem der Intelligenzentwicklung, wie sie
von Jean Piaget postuliert wurde, ähnelt. Erst mit 14 Jahren kann eine differenzierte
Kenntnis vorausgesetzt werden. Intelligenzentwicklung ist demnach ein Prozess mit dem Ziel
des Gleichgewichts zwischen Individuum und Umwelt. Dies kann durch Angleichung der
Umwelt an das Individuum (Assimilation), oder aber durch Angleichung des Individuums an
die Umwelt (Akkommodation) vonstattengehen. Assimilationsprozesse: Integration
unbekannter Information in verfügbare Schemata; Akkomodationsleistungen:
Auseinandersetzung mit den vorerst unbekannten Sachverhalten führt schließlich zu einem
tieferen Verständnis und zu einer Anpassung der verfügbaren Erklärungsmodelle an die neuen
Sachverhalte. Von einem ursprünglich globalen Zustand gelangt das Individuum aufgrund der
Austauschprozesse mit seiner Umwelt zu einer kognitiven Struktur, die differenziert organisiert,
flexibel und überdauernd ist und logische Denkvorgänge erlaubt. Piaget teilt die
Intelligenzentwicklung in vier Stadien ein:
1. Sensumotirische Intelligenz (Geburt – 2): Erste reflexartige Verhaltensweisen,
Verknüpfung von Mitteln mit Zwecken, aktives Experimentieren bis hin zu Vorstellungen
über Ergebnisse von eigenen Handlungen bzw. Verinnerlichung eigener Handlungen
(sensu-motorische Schemata).
2. Voroperatorisches, anschauliches Denken (2 – 7): Mentale Nachahmung
(Verinnerlichung) der Außenwelt, was einem Kopierprozess ähnelt und
Symbolentwicklung, wofür Sprache notwendig ist. Egozentrismus, Beweglichkeit des
Denkens ist eingeschränkt und auf die aktuelle Situation gerichtet, Realismus und
Irreversibilität. Beispiele: Holzperlenkette (17 schwarze, 3 weiße). Auf Frage, ob mehr
Holzperlen oder mehr schwarze Perlen auf der Kette seien, Antwort der Kinder: mehr
schwarze. Kinder können sich nicht vorstellen, dass ein Gegenstand aus einer anderen
Perspektive anders gesehen wird.
3. Konkrete Operationen (7 – 11): koordiniert und reversibel gewordene
Transformationen im Denken, aber noch an konkrete Tätigkeiten gebunden; mentale
Operationen sind abstrakter vorgestellt und können gleichzeitig oder nacheinander
miteinander verbunden werden (Beweglichkeit).
4. Formale Operationen (ab 11 - 15): Unabhängigkeit der Denkoperationen vom
konkreten Gegenstand; Fähigkeit zum formalen Schlussfolgern und zur Abstraktion;
rationale Entscheidungen gelingen.
Wirtschaftliche Sozialisation scheint Piagets Theorie zu entsprechen. Burris folgert, dass Kinder
von einem diffusen und globalen Wissen über soziale und physikalische Vorgänge zu einem
differenzierten Wissen über wirtschaftliche Institutionen und Prozesse gelangen.
Die umfassendsten Untersuchungen über die Entwicklung ökonomischen Wissens wurden von
Bombi, Berti & Co durchgeführt. Anfangs kennen Kinder nur diffuse Begriffe, die sich nicht
miteinander in Verbindung bringen können. Sie wissen über die Produktion von Gütern nicht
Bescheid. Dass der Kunde dem Verkäufer Geld für ein Gut geben muss, wissen Kinder zwar,
aber sie meinen, dies gehöre zu einem Ritual. Dass ein Elternteil eine Arbeit hat, wissen Kinder
auch, aber dass die Arbeit mit dem Geldverdienst zu tun hat, ist ihnen nicht klar. Mit etwa 6
können Kinder Arbeit und Geld miteinander in Verbindung bringen und sie kennen bereits