1. Süddeutsche Zeitung SPORT Freitag, 25. Januar 2013
München Seite 25
Anstoß im Kasernenhof
Der Jahrestag der Auschwitz-Befreiung ist aus gutem Grund auch für die Bundesliga ein Thema: In vielen Konzentrationslagern spielte der Sport eine große Rolle
Oded Breda schaut die Szene immer wie- Bundesligen gibt es seit acht Jahren einen Die Gewissheit über seinen Onkel war verwaltung gestanden. „Es gab Zeichen- gen angestoßen, zum Beispiel Veronika Als Oded Breda sich ein Bild von Theresi-
der an, auch in Zeitlupe. Die National- Holocaust-Erinnerungstag. Zu diesem für Oded Breda vor einigen Jahren der kurse, Theater, Konzerte – und Sport“, Springmann von der Humboldt-Universi- enstadt gemacht hatte, beschloss er, sei-
sozialisten hatten 1944 einen Propaganda- gibt es Gedenkveranstaltungen, Stadion- Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Er sagt Breda. „Die Häftlinge wollten ihre tät in Berlin. Ihre Doktorarbeit über Sport nen Job in einem High-Tech-Unterneh-
film über das Konzentrationslager There- choreografien, Lesungen. Die Rolle der reiste nach Theresienstadt, nordwestlich Würde bewahren, so gut es eben ging.“ in den KZ heißt „Gunst und Gewalt“. War- men aufzugeben. Er trug Dokumente und
sienstadt gedreht. Der Titel: „Der Führer deutschen Vereine im Dritten Reich ist in von Prag gelegen, las Bücher und Zeitzeu- Breda arbeitete alte Zeitungen durch, um Gunst? Während des Krieges wurden Fotos zusammen, mit Freunden eröffnete
schenkt den Juden eine Stadt.“ In dem den vergangenen Jahren verstärkt aufgear- gen-Berichte: Das Sammel- und Durch- die jüdische Waisenkinder im KZ in kleiner aus der Rüstungsindustrie Arbeiter an die er in einem Kibbuz nördlich von Tel Aviv
Film ist im Innenhof einer Kaserne ein beitet worden. Außen vor blieb der organi- gangslager, von den Nazis als Musterghet- Stückzahl auf ihren Schreibmaschinen ge- Front gezogen, die SS ersetzte sie durch Ge- die Gedenkstätte Beit Terezin. Breda lädt
Fußballspiel zu sehen, gesäumt von Hun- sierte Sport in Konzentrationslagern. to bezeichnet, hatte zum Teil unter Selbst- tippt hatten, und rekonstruierte so den fangene. SS-Reichsführer Heinrich zu Zeitzeugengesprächen und organisiert
derten Zuschauern, dicht gedrängt auf Fußballbetrieb der „Liga Terezin“: Häftlin- Himmler führte 1942 ein Prämiensystem Turniere. „Die Jugendlichen schauen sich
drei Balkongalerien. Oded Breda, ein ge hatten eine Fachgruppe gebildet. Spie- ein, um die Zwangsarbeiter bei Laune zu unser Museum an und gehen dann auf den
Computerexperte aus Israel, achtet im ler benannten Mannschaften nach ihren halten. „Fußball sollte Anreize schaffen“, Fußballplatz. Dort tragen sie Trikots, die
Film auf jeden Spieler, auf Körpersprache, Arbeitsstellen, sie hießen „Kleiderkam- erzählt Springmann. mit den Teamnamen aus dem Ghetto be-
Gesicht, Alter. Er ist auf der Suche nach sei- mer“ oder „Ghettowache“. Andere Teams druckt sind. Durch das Hobby Fußball er-
nem Onkel Pavel aus Brünn, 1942 depor- nannten sich „Sparta Prag“ oder „Fortuna Es gab Boxkämpfe vor Soldaten. reichen wir Gruppen, die sich sonst nie mit
tiert nach Theresienstadt, mit nicht einmal Köln“. Der Onkel von Oded Breda kickte Wer verlor, wurde erschossen dem Holocaust beschäftigen.“
18 Jahren. für die Jugendfürsorge. Gespielt wurde Im Dezember 2012 erhielt Breda Besuch
Oded Breda, 59, gleicht die Filmszene sonntags auf einem Kasernenhof, sechs So organisiert wie in Theresienstadt war vom Deutschen Fußball-Bund. Präsident
mit einem vergilbten Foto seines Onkels Partien nacheinander, jeweils siebzig Mi- der Betrieb sonst nirgends, meist erhielt Wolfgang Niersbach überreichte eine
ab. Darauf ist ein junger Mann mit hoher nuten, manchmal mit 3000 Zuschauern. nur eine Minderheit die Chance sich zu be- 5000-Euro-Spende. Niersbach kam ins
Stirn zu sehen, der den Fußballplatz in The- Eine der Sportzeitungen trug den Titel Rim- tätigen. Springmann zeichnet ein Span- Gespräch mit Peter Erben, einst Häftling
resienstadt betritt, auf seinem weißen Tri- Rim-Rim, benannt nach einem Anfeue- nungsfeld zwischen Drohung und Folter: und Kicker in Theresienstadt. Zum Ab-
kot prangt der Judenstern. „Ich wollte un- rungsruf. „Fußball bedeutete für einen „Sport war für die SS meist Belustigung. Ei- schied überreichte er ihm ein Trikot des Na-
bedingt mehr erfahren“, sagt Breda. Der kurzen Moment Ablenkung“, sagt Breda. nige Wärter haben Häftlinge auf den Platz tionalteams, mit Unterschriften der Spie-
Propagandafilm gibt ihm keine Gewiss- Rund 150 000 Menschen wurden nach geschickt, die körperlich dazu nicht mehr ler. „Wenn Deutschland Weltmeister wird,
heit, und so sucht er Zeitzeugen. Er findet Theresienstadt deportiert, fast 90 000 fähig waren.“ Es sind Schlägereien zwi- dann jubeln Sie?“, fragte Niersbach. Erban
Peter Erben, heute 92 Jahre alt. Und tat- kamen später in den Vernichtungslagern schen SS-Leuten überliefert, ausgelöst antwortete: „Das ist versprochen.“
sächlich: Erben und Pavel Breda haben in um. 35 000 starben noch im Ghetto, an durch Spiele im KZ. Ringkämpfe zwischen Als Oded Breda in seiner Kindheit die
einem Team gespielt. Erben überlebte den Krankheiten, Altersschwäche, durch kleinwüchsigen Häftlingen und Liegestüt- deutsche Fußball-Mannschaft im Fernse-
Krieg, Pavel Breda starb an Typhus, in Mord. Von allen Gefangenen in Theresien- ze bis zur Erschöpfung sind ebenso doku- hen verfolgte, sah er in ihr „elf starke SS-
Auschwitz, mit zwanzig Jahren. stadt überlebten: 4136. mentiert wie Boxkämpfe vor betrunkenen Männer“. Heute, sagt er, sei das völlig
An diesem Sonntag jährt sich die Befrei- Von vielen bestaunt laufen im Lager Theresienstadt Fußball-Teams auf. Rechts: In den vergangenen Jahren hat eine Soldaten, die Verlierer wurden erschossen, anders. Dabei soll es bleiben, das ist sein
ung von Auschwitz. Auch in den Fußball- Pavel Breda, der auf seinem weißen Trikot den Judenstern trägt. FOTO: BEIT TEREZIN/OH junge Forscher-Generation Untersuchun- noch im Ring. Antrieb. RONNY BLASCHKE
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