Die Befragten kritisieren das Vergaberecht für Bauprojekte als formalistisch. Lesen Sie hier, welche Entscheidungskriterien im Fokus stehen und welche Bedeutung der Digitalisierung zugemessen wird.
2. Seite 2
Agenda
EY Real Estate
Vergabestudie 2017
Vorwort – Lutz Leide
Design der Studie
Einleitung
Vorstellung der Kernergebnisse
Vergaberecht – Dr. Michael Griem
Ergebnisse der Studie
Rückblick und Ausblick
Schlusswort EY Real Estate
4. Seite 4
Die Wahl des richtigen Vergabeverfahrens ist komplex, für die erfolgreiche Umsetzung des Verfahrens und
damit für ein Projekt aber entscheidend. Selbst professionellen Bauherren, die die Stärken und Schwächen
der Verfahren kennen, gelingt es nicht immer auf Anhieb, das gesamte in einem Vergabeprozess
steckende Potenzial zu nutzen.
Gerade Bauprojekte müssen immer individuell betrachtet werden. Jedes Projekt verfügt über
unterschiedliche Rahmenbedingungen, sei es beim Neubau auf der grünen Wiese oder bei der
Sanierung/Instandhaltung von innerstädtischen Bestandsbauten.
Letztere Aufgaben werden immer wichtiger und sind aufgrund der technischen Möglichkeiten, der
rechtlichen Vorgaben sowie der aktuellen Marktsituation interessanter denn je. Das nicht nur in der
Projektrealisierung häufig zu hörende „Das haben wir immer so gemacht“ verbietet sich aufgrund dieser
zwingend notwendigen individuellen Betrachtungsweise von Projekten dabei von selbst.
Ein tiefer Einblick in den
Vergabeprozess
Lutz Leide
Leiter Sparte Facility Management (Geschäftsbereiche Bauen und FM)
Herr Lutz Leide ist Leiter der Sparte Facility Management bei der Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben (BImA). Er ist bundesweit verantwortlich für rund 3.500
Beschäftigte, zu deren Hauptaufgaben die Verwaltung, Bewirtschaftung und
Bauaufgaben für ca. 45 Mio. m² BGF sowie ca. 37.500 Wohnungen zählen.
Vorwort – Lutz Leide
5. Seite 5
Vorwort – Lutz Leide
Ein tiefer Einblick in den
Vergabeprozess
Rechtliche Ungewissheiten fördern selten die Bereitschaft, neue Ansätze in der Vergabepraxis zu suchen
bzw. neue Wege bei der Vergabepraxis zu beschreiten. Beispielsweise ist die Bildung größerer Fachlose
häufig gekoppelt mit der elementaren Frage, ob diese denn überhaupt vergaberechtlich konform
umsetzbar sind.
Risiken sind insbesondere im Bauwesen allgegenwertig. Über entsprechende Vergabe- und
Vertragsmodelle kann aber wenigstens ein Teil der Risiken gesteuert werden. Betrachtungen dieser Art
bedürfen jedoch eines adäquaten Vorlaufs und sollten daher bereits in der Frühphase des Projekts und
demnach weit vor den eigentlichen Leistungsphasen 6 und 7 stattfinden.
Die Handlungsempfehlungen der „Reformkommission Bau von Großprojekten“, die Novellierung der
Landesbauordnung NRW im Jahr 2016, die Vergabenovellierung 2016 sowie die anstehende Novellierung
des Baurechts 2017 bieten einige Herausforderungen für die Bau- und Immobilienindustrie. Die
Vergabenovellierung von 2016 bietet insbesondere vor dem Hintergrund der E-Vergabe neue
Möglichkeiten zur effizienteren Abwicklung des Verfahrens.
Gerne haben wir uns an der Erstellung der Studie beteiligt, da auch für die öffentliche Verwaltung und
insbesondere für die BImA als eine der größten Immobilieneigentümerinnen Deutschlands das Thema
Vergabe eine besondere Bedeutung hat.
7. Seite 7
47% 49%
39%
19%
54%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
öffentliche
Einrichtungen
Bürobau Wohnungsbau Industriebau Sonderbauten
Design der Studie
Die Studie basiert auf einer Umfrage, die von November 2016 bis Februar 2017 von der Ernst & Young Real Estate GmbH (EY Real Estate)
durchgeführt wurde. Insgesamt haben knapp 100 aktive Marktteilnehmer aus der Immobilienwirtschaft Einblick in ihre jeweilige Praxis gegeben.
Teilgenommen haben Projektleiter, Führungskräfte und Bauherren aus dem Bereich Projekt- und Baumanagement.
Beleuchtet wurden dabei sowohl öffentliche als auch privatwirtschaftliche Bauprojekte: Bei der Datenerhebung wurde bewusst auf ein ausgewogenes
Verhältnis zwischen Vertretern der Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand geachtet – beide Bereiche sind gleich häufig vertreten.
Die Teilnehmer sind insbesondere im Sonderbau, Büro- und Wohnungsbau sowie beim Bau von öffentlichen Einrichtungen aktiv. Die Umfrage fokussiert
auf Planungs- und Bauleistungen, deren Beschaffungswert tendenziell bei unter 20 Mio. € liegt. Allerdings ist die Bandbreite insgesamt groß, sodass
sich hier sowohl Vergaben unterhalb als auch oberhalb der relevanten Schwellenwerte finden.
Wo liegen Ihre Schwerpunkte? Wie hoch waren die Bau- und Planungskosten Ihrer Organisation in
den letzten fünf Jahren im Durchschnitt pro Jahr?
24%
29%
20%
8%
20%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
kleiner 5 Mio.
€
5 bis 20 Mio. €20 bis 50 Mio.
€
über 50 Mio. € über 100 Mio.
€
8. Seite 8
Design der Studie
Wir bedanken uns bei allen Teilnehmern der Umfrage sowie bei den Autoren der Gastbeiträge:
• Herrn Lutz Leide (Geschäftsbereich Bauen und FM, BImA)
• Herrn Dr. Michael Griem (Präsident der Rechtsanwaltskammer Frankfurt)
Die Erhebung der Daten erfolgte online über geschlossene und halboffene Fragen. Auf offene Fragen ohne vorgegebene Kategorien wurde verzichtet,
um eine bessere Vergleichbarkeit der Antworten zu gewährleisten. Außerdem wurde die Struktur des Fragebogens über alle Themenbereiche hinweg
einheitlich gehalten.
Die aus der Datenerhebung gewonnenen Erkenntnisse wurden um die Erfahrungen und Einschätzungen von EY Real Estate ergänzt und daran
gespiegelt. Um die jeweilige Sichtweise bei privaten und öffentlichen Projekten zu vertiefen, wurden entsprechende Gastbeiträge aufgenommen.
Zudem wurde in diesem Zusammenhang der juristische Aspekt in Form eines Gastbeitrags gewürdigt.
42%
37%
21%
kleiner 10 % 10 % - 50 % größer 50 %
Wie viele Ausschreibungen der letzten
fünf Jahre lagen ungefähr oberhalb der
Schwellenwerte für Planungsleistungen?
Welcher Typ Bauherr sind Sie? Wie viele Ausschreibungen der letzten
fünf Jahre lagen ungefähr oberhalb der
Schwellenwerte für Bauleistungen?
49%51%
öffentlich privat
41%
32%
27%
kleiner 10 % 10 % - 50 % größer 50 %
10. Seite 10
Die Vergabe als wesentlicher
Baustein für den
Projekterfolg
Zwang, Zufall oder System?
Havarierte Großprojekte sind in Deutschland leider kein Einzelfall. Immer wieder ist insbesondere
von Kosten- und Terminüberschreitungen die Rede, die häufig direkt in Zusammenhang mit dem
Versagen der Projektbeteiligten gebracht werden. Diese zum Teil öffentliche Debatte wird der
Realität im Baubereich jedoch bei Weitem nicht gerecht. Verantwortlich für den Erfolg oder
Misserfolg einer Baumaßnahme sind viele Faktoren.
Ein wesentlicher Aspekt ist zweifelsfrei das jeweilige Vergabeverfahren. Die Wahl der richtigen
Vergabeart und damit das Festzurren der individuellen Vergabestrategie ist für private,
insbesondere jedoch für öffentliche Bauherren erfolgskritisch. Die Vergabewahl sollte stets wie
ein Maßanzug zum Projekt passen; sie muss auf die jeweiligen projektspezifischen
Einflussfaktoren abgestimmt sein.
Häufig sind den Bauherren die entsprechenden Einflussfaktoren für den Projekterfolg bekannt, es
gelingt ihnen jedoch nicht, diese konkret messbar und voneinander abgrenzbar zu definieren. Die
Wahl des vermeintlich richtigen Vergabeverfahrens erfolgt daher häufig eher zufällig.
Oft steht das Ergebnis auch schon mehr oder weniger im Vorfeld fest: Öffentliche Bauherren
fühlen sich häufig so stark an den vermeintlich engen rechtlichen Ordnungsrahmen gebunden,
dass sie ihre Vergabeart als alternativlos erachten und wie unter Zwang handeln. Die Frage,
welche Vergabeart am besten die projektspezifischen Einflussfaktoren aufgreifen kann, tritt
insgesamt zu oft in den Hintergrund.
Fokus der Studie
Die Studie beleuchtet die Entscheidungsfindung vor dem Hintergrund der Wirtschaftlichkeit der
Vergabewahl im Kontext des späteren Bau- und Planungsprozesses.
Sie untersucht, inwiefern die projektspezifischen Kriterien durch die Bauherren bei der Ver-
gabewahl berücksichtigt werden und diskutiert die vorherrschende Meinung vieler Auftraggeber,
die bei der Frage der Wirtschaftlichkeit über den günstigsten Preis argumentieren. Gerade diese
Betrachtung führt in der Praxis regelmäßig zu Problemen, die sich in Nachträgen und Mehrkosten
zeigen.
Einleitung
12. Seite 12
Bauherren kennen die Folgen einer falsch gewählten Vergabe. Die Umfrage zeigt, dass der überwiegende Teil daher
eine systematische Herangehensweise zur Vergabewahl durchführt.
Das Bedürfnis nach maximaler Rechtssicherheit ist jedoch so groß, dass die Spielräume der Vergaberegelungen
häufig ungenutzt bleiben.
Öffentliche und privatwirtschaftliche Bauherren unterscheiden sich bei der Beschaffung von Bau- und Planungs-
leistungen nur wenig. Die meisten Compliance-Richtlinien richten sich stark nach den einschlägigen Vergabe-
ordnungen.
Ein Indiz hierfür ist auch, dass viele Unternehmen ihre Compliance-Vorgaben nach der Novelle des Vergaberechts
erneut daran angepasst haben.
Die Befragten halten die Vergaberichtlinien grundsätzlich für eine wertvolle Hilfestellung, jedoch wird die Anwendung
und Handhabung als zu komplex erachtet. Der Grund hierfür ist insbesondere die Vielzahl von Regelungen und
Vorgaben, die aufgrund der jeweiligen Projektrahmenbedingungen beachtet und angewendet werden müssen. Die
Chancen wettbewerblicher Verfahren werden generell genutzt, weitergehende Spielräume werden in Teilen jedoch
nicht ausgeschöpft bzw. nicht gesehen. Der Großteil der Befragten hält das Vergabeverfahren für zu formalistisch
mit wenig Spielräumen. Daher werden Spielräume im Vergabeverfahren nicht immer gesehen und Risiken sind ein
Tabu.
Vorstellung der Kernergebnisse
13. Seite 13
Der Wunsch nach maximaler Rechtssicherheit basiert in weiten Teilen auf der Sorge vor Nachprüfungsverfahren.
Wirtschaftliche Gesichtspunkte werden vor diesem Hintergrund erfahrungsgemäß häufig zurückgestellt oder
vernachlässigt.
Die Befragung zeigt, dass Nachprüfungsverfahren erhebliche negative Auswirkungen auf Bauvorhaben haben –
insbesondere aufgrund langwieriger Bearbeitungsprozesse.
Die Erwartungen an die Gesetzesnovelle 2016 waren ein effizienteres, einfacheres und flexibleres Vergabewesen.
Diese Erwartungen sehen die Befragten weitgehend als nicht erfüllt.
Immerhin: Das bessere Einbinden alternativer Wertungskriterien zur Stärkung des wirtschaftlichsten Angebots wird
künftig zumindest teilweise genutzt, wenngleich der Preis als maßgebliches Entscheidungskriterium weiter
dominant bleibt.
Viele Bauherren wünschen sich ein kompaktes, übersichtliches Vergabeverfahren. Die Befragung zeigt, dass – los-
gelöst von den vergaberechtlichen Aspekten – die Vergabeform des Generalunternehmers (GU) die Wunschform
vieler Auftraggeber wäre.
Der GU ist dabei besser als sein Ruf. Die Studie zeigt jedoch auch, dass in der Realität von GU-Vergaben Abstand
genommen wird, es dominiert die Form der Einzelbeauftragung. Gründe dafür sind maßgeblich die höhere
Rechtssicherheit im Vergabeverfahren.
Vorstellung der Kernergebnisse
15. Seite 15
Vergaberecht – Dr. Michael Griem
Mit der Reform im vergangenen Jahr wurden die bei Vergaben geltenden Vorschriften für den Bereich
oberhalb der Schwellenwerte überarbeitet. Hintergrund waren die Vorgaben des europäischen
Gesetzgebers.
Die Änderungen waren erstaunlich umfangreich. Bezweckt hat der Gesetzgeber die Vereinfachung und
auch Vereinheitlichung des Vergaberechts. Mittlerweile ist die Reform mehr als ein Jahr alt – alt genug für
eine Zwischenbilanz.
Positiv ist: Das neue Vergaberecht enthält Vorschriften zu zahlreichen Fallgestaltungen, die bislang nicht
geregelt waren. Dies soll für den Anwender Klarheit schaffen. Die Praxis jedoch zeigt: Aufgrund der
gesteigerten Anzahl an Vorschriften tut sich mancher Anwender schwer, die für seinen Fall richtige Norm
überhaupt erst einmal zu identifizieren. Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen dieser Studie wider.
Neun von zehn Befragten sehen das Ziel einer anwenderfreundlichen Vergabenovellierung als nicht erfüllt
an, 45 Prozent erachten das Vergaberecht zwar noch als generell hilfreich, jedoch insgesamt als zu
komplex. Dies gilt auch deshalb, da – je nach zu vergebender Leistung – nach wie vor mindestens zwei
Rechtsgrundlagen Anwendung finden.
Soweit Dienst- und Lieferleistungen (inklusive freiberuflicher Leistungen) vergeben werden, finden der
vierte Teil des GWB und die VgV Anwendung. Der zweite Abschnitt der VOL/A sowie die VOF finden
demnach keine Anwendung mehr. Sollen Bauleistungen vergeben werden, gelten demgegenüber der
vierte Teil des GWB, Teile der VgV und der zweite Abschnitt der VOB/A.
Ohne Gedankenblockade
Dr. Michael Griem
Präsident
Rechtsanwaltskammer Frankfurt
Dr. Michael Griem ist selbstständiger Rechtsanwalt und seit 1987 Fachanwalt für
Bau- und Architektenrecht. Seit 1997 ist er Mitglied des Vorstandes der Rechts-
anwaltskammer Frankfurt am Main, von 2001 bis 2013 war er Vizepräsident und
seit 2013 ist er Präsident der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main.
16. Seite 16
Vergaberecht – Dr. Michael Griem
Den Betroffenen fällt es trotz der bezweckten Klarheit außerdem anhaltend schwer, die sich aus den
Vorschriften ergebenden Spielräume zu nutzen – eine Erfahrung aus dem juristischen Alltag, der ebenfalls
in der Studie bestätigt wird.
Lediglich 35 Prozent der Befragten sehen beziehungsweise kennen offenbar die Spielräume, die das
Vergaberecht immer noch ermöglicht; mit der Novelle kamen in Teilbereichen sogar neue hinzu.
Oftmals wird man als Rechtsanwalt aber weiterhin mit der Einschätzung konfrontiert, dass das
Vergaberecht ein Hindernis sei und sowohl den Ausschreibenden als auch die Bieter unangemessen
einenge.
Dies wird häufig damit begründet, dass es letztlich doch nur auf den Preis des Angebots ankäme, wodurch
die Qualität der Leistung tendenziell sinke sowie – im Baubereich – das Nachtragspotenzial steige.
Tatsächlich wird der überwiegende Anteil der Ausschreibungen – oberhalb wie unterhalb der
Schwellenwerte – anhand des Preises entschieden. Und die Studie zeigt, dass hiervon auch zukünftig
vonseiten der Auftraggeber nicht abgewichen werden soll. Der Gesetzgeber sieht allerdings vor, dass das
wirtschaftlichste Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis zu beauftragen ist.
Über die Aufnahme weiter gehender, insbesondere qualitativer Zuschlagskriterien hat sich nicht nur der
Spielraum der ausschreibenden Stelle in Sachen Zuschlag erhöht. Ein solches Vorgehen führt vor allem
auch dazu, dass mehr Unternehmen auf eine qualitativ bessere Leistung in ihren Angeboten setzen.
Sicherlich gilt: Gestaltungsmöglichkeiten beim Vergaberecht sind nicht immer auf den ersten Blick
ersichtlich. Um die vorhandenen Spielräume auszuschöpfen, empfiehlt es sich umso mehr, auf das
Vergaberecht spezialisierte juristische Berater hinzuzuziehen.
In der Praxis konsultieren lediglich 37 Prozent der Befragten grundsätzlich einen Juristen für ihr
Vergabeverfahren, fast 12 Prozent verzichten in Gänze auf juristische Unterstützung. So bleiben die
entsprechenden Potenziale ungenutzt.
Wie oben dargestellt, wird die Reform aus Sicht der Anwender nicht ihrem Anspruch und Zweck gerecht.
Tatsächlich beinhaltet das neue Vergaberecht aber auch durchaus Vorteile für die Anwender.
Ohne Gedankenblockade
17. Seite 17
Vergaberecht – Dr. Michael Griem
So wurde beispielsweise die Möglichkeit gestärkt, ein Verhandlungsverfahren durchzuführen. Hier wird
dem Anwender aufgrund offener Formulierungen nunmehr ein besonders großer Spielraum gewährt.
Das Verhandlungsverfahren ist unter anderem dann zulässig, wenn der Auftrag aufgrund konkreter Um-
stände, die mit der Art, der Komplexität oder dem rechtlichen oder finanziellen Rahmen oder den damit
einhergehenden Risiken zusammenhängen, nicht ohne Verhandlungen vergeben werden kann.
Auch die sogenannte Innovationspartnerschaft als neue Vergabeart sei erwähnt: Nunmehr kann ein
Verfahren mit dem Ziel der Entwicklung eines Produkts/einer Leistung mit dem anschließenden Erwerb
durchgeführt werden. Dies gilt auch für den Baubereich.
Ebenfalls positiv: Die Selbstreinigung auf Bieterseite. Sie bietet einmal ausgeschlossenen Unternehmen die
Möglichkeit, wieder an Vergabeverfahren teilzunehmen, sodass diese nicht dauerhaft von Vergabeverfah-
ren ausgeschlossen werden können.
Außerdem hat die Reform des Vergaberechts zu mehr Rechtssicherheit geführt. So ist jetzt unter anderem
klar geregelt, innerhalb welcher Fristen eine Rüge erfolgen muss beziehungsweise erfolgen kann. Die bis
zur Reform im Hinblick auf die unverzüglich auszubringende Rüge bestehende Unsicherheit ist damit
entfallen.
Vor dem Hintergrund, dass 62 Prozent der Befragten einen Gesamtverzug im Projekt aufgrund eines Nach-
prüfungsverfahrens zu beklagen haben, bleibt es jedoch ein Jahr nach der Novellierung noch abzuwarten,
ob sich die vorgenannten Regelungen positiv auf die generelle Handhabung der Rügeverfahren auswirken.
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass das reformierte Vergaberecht wesentlich flexibler ist, als viele
Marktteilnehmer annehmen. Das Korsett ist also weniger eng, als es im Allgemeinen wahrgenommen wird.
Ein erfahrener Rechtsanwalt, der ein Vergabeverfahren gestaltet, wird mit seinem Mandanten zunächst
besprechen, wie er außerhalb des Vergaberechts agieren würde: Das Korsett, so eng oder weit es im
entsprechenden Fall sein mag, wird also zunächst bewusst ausgeblendet, ähnlich wie in einem offenen
Brainstorming – ohne Gedankenblockade.
Anschließend wird nach vergaberechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gesucht, die die Vorstellungen des
Mandanten und seine Projekterfordernisse so weit abbilden, wie es das reformierte System zulässt.
Ohne Gedankenblockade
19. Seite 19
Vergabewahl - Ergebnisse
„Wie treffen Sie Ihre Vergabewahl?“
Systematik vor Bauchgefühl!
Die Wahl der Vergabeart ist in weiten Teilen entscheidend für Erfolg oder Misserfolg des Projekts. Die
Parameter, die hier greifen, sind bekanntlich in höchstem Maße komplex und vielschichtig.
Dies scheint in der Praxis entsprechend gewürdigt zu werden, denn eine knappe Mehrheit der Befrag-
ten – 53 Prozent – führt eine systematische Untersuchung der Projektrahmenbedingungen unter Ein-
beziehung einschlägiger Methoden und Analysen zur Wahl des Vergabeverfahrens durch.
38 Prozent richten ihren Fokus streng auf die entsprechenden Richtlinien, lediglich 9 Prozent verlas-
sen sich auf ihr Bauchgefühl.
Die Ergebnisse unterstreichen einerseits die generelle Sensitivität, die bei der Vergabewahl vor-
herrscht. Andererseits setzt eine systematische Analyse der Projektrahmenbedingungen im Kontext
vergaberechtlicher Kriterien (sei es nach VOB/A oder einschlägigen Compliance-Richtlinien) fundierte
Kenntnisse über die gesetzlichen Möglichkeiten voraus; häufig ist eine dezidierte juristische Unter-
stützung erforderlich.
Die Erfahrungen von EY Real Estate zeigen, dass eine systematische Analyse im Kontext der Vergabe-
verfahren unter Berufung auf den rechtlichen Ordnungsrahmen und den häufig vorhandenen termin-
lichen Druck nicht immer konsequent durchgeführt wird.
Auch scheuen Bauherren teilweise davor zurück, bereits in der Frühphase eines Projekts Juristen mit
einer vergaberechtlichen Fachausrichtung in das Projekt einzubinden. In der Summe mögen dies Grün-
de dafür sein, dass nur eine knappe Mehrheit auf eine systematische Untersuchung setzt.
9%
38%
53%
nach Bauchgefühl
streng nach Richtlinien
systematisch unter Einbeziehung
einschlägiger Methoden und Analysen
20. Seite 20
Vergabewahl – Ergebnisse
„Wie treffen Sie die Vergabewahl im Kontext von Fördermitteln?“
Wenn die Vergabe mit Fördermitteln
verbunden ist, stellt sich die Situation
anders dar – dann wird der projekt-
spezifische Rahmen für die Chancen einer
optimalen Beschaffung mehrheitlich nicht
mehr beachtet.
Die Ausrichtung des Verfahrens erfolgt
dann überwiegend rein nach vergabe-
rechtlichen Aspekten. Dabei geht es gerade
auch unter Einbeziehung von Fördermitteln
darum, das wirtschaftlichste Verfahren zu
wählen. In diesem Zusammenhang spielen
die jeweiligen Projektrahmenbedingungen
eine besondere Rolle.
Dennoch sehen sich 60 Prozent der
Befragten in diesem Kontext eng an
besagte vergaberechtliche Kriterien
gebunden, die systematische Analyse des
Projekts wird nur noch von 30 Prozent der
Befragten verfolgt.
Die Ergebnisse der Befragung decken sich
mit den Erfahrungen von EY Real Estate.
Die Gründe hierfür liegen in der Sorge der
Bauherren, gegen etwaige Fördermittel-
richtlinien zu verstoßen.
Fördermittel: Rechtssicherheit vor Systematik
10%
60%
30%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
nach Bauchgefühl streng nach Richtlinien, maximale
Rechtssicherheit
systematisch unter Einbeziehung
von Chancen, einschlägigen
Methoden und Analysen
21. Seite 21
Vergabewahl – Ergebnisse
„Stimmen Sie Ihre Vergabe mit einem Juristen ab?“
Der generellen Sensitivität und dem Wunsch
nach Rechtssicherheit zum Trotz scheinen
Juristen als Sparringspartner keinesfalls die
Regel zu sein: Nur 37 Prozent der Befragten
stimmen ihre Vergabe grundsätzlich mit
einem Juristen ab.
Jeder zweite Teilnehmer (51 Prozent) gibt
an, zumindest manchmal Juristen zur ver-
gaberechtlichen Konformität einzubinden.
Etwa jeder zehnte Befragte (12 Prozent)
verzichtet immer auf vergabejuristische
Unterstützung.
Das Ergebnis stützt die oben dargestellte
Erkenntnis, dass nur eine knappe Mehrheit
die Wahl des Vergabeverfahrens tatsächlich
systematisch unter Einbeziehung der Pro-
jektrahmenbedingungen (und somit auch
der vergaberechtlichen Vorgaben) trifft.
Es ist anzunehmen, dass keinesfalls alle
Bauherren routiniert genug im Umgang mit
dem Vergaberecht sind, um auf eine
konsequente Einbindung eines Juristen
verzichten zu können.
Eine systematische Auswahl des optimalen
Vergabeverfahrens ist so nur bedingt
möglich.
Der Jurist als wichtiger Baustein im Verfahren!
37%
51%
12%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
ja manchmal nein
22. Seite 22
32%
23%
45%
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
… hinderlich … hilfreich ... hilfreich, jedoch zu komplex
Compliance – Ergebnisse
„Wie empfinden Sie die bisherigen Regelungen nach VOB/A bzw. Ihre Compliance?“
Wie werden die Regelungen der VOB/A, VOF
bzw. der geltenden Compliance zur Durch-
führung einer Vergabe empfunden?
Knapp jeder zweite Befragte (45 Prozent)
gibt an, dass die Vergaberegelungen durch-
aus Hilfestellung bieten, jedoch in der An-
wendung zu komplex sind.
32 Prozent empfinden die Vergabe-
regelungen sogar als hinderlich, lediglich
23 Prozent sehen die geltenden Vergabe-
richtlinien tatsächlich als hilfreich an.
Es stellt sich die Frage, wo sich Hebel zur
Komplexitätsreduktion für Bauherren finden
lassen. Nach Einschätzung von EY RE liegen
hier Potenziale im frühzeitigen Einbinden
von Juristen bzw. in der Unterstützung
durch vergaberechtliche Spezialisten.
Das Vergabeverfahren ist komplex.
23. Seite 23
Compliance – Ergebnisse
„Wonach richtet sich Ihre Compliance im Vergabeverfahren?“
Private Bauherren gelten bei Beschaffungs-
vorgängen in der allgemeinen Wahrnehmung
als flexibel im Vergleich zu öffentlichen
Bauherren.
Tatsache aber ist: Bei privaten Bauherren
leitet sich der rechtliche Ordnungsrahmen für
Beschaffungsvorgänge häufig aus den jewei-
ligen Compliance-Richtlinien ab. Diese sind
gerade bei großen Unternehmen durchaus
streng.
Die Umfrage und auch die Erfahrungen von
EY Real Estate zeigen: Die Auflagen und
Hürden bei der Beschaffung sind sowohl bei
öffentlichen als auch bei privaten Bauherren
hoch. Die Unterschiede fallen hier weniger
deutlich aus, als meist unterstellt wird.
43 Prozent der befragten privaten Bauherren
richten ihre Compliance im Bereich der Be-
schaffung individuell auf das Unternehmen
aus, 42 Prozent jedoch bedienen sich der
VOB/A bzw. des öffentlichen Vergaberechts.
Lediglich 15 Prozent unterliegen keinen Com-
pliance-Richtlinien bei der Beschaffung im
privatwirtschaftlichen Bereich.
Die Flexibilität in der Privatwirtschaft wird im
Bereich der Beschaffung also offensichtlich
überbewertet.
Öffentlicher und privater Bauherr unterscheiden sich kaum!
43%
42%
15%
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
nach dem Unternehmen
(individuell)
nach der VOB/A und VOF (nach
altem Vergaberecht)
Wir verfügen über keine
Richtlinien.
24. Seite 24
Vergabeverfahren – Ergebnisse
„Spielräume und Optionen im Vergabeverfahren“
Spielräume werden im Vergabeverfahren nicht immer gesehen, Risiken sind
ein Tabu!
Viele Bauherren, insbesondere öffentliche, sehen sich im Vergaberecht regelrecht gefangen. Die
Erfahrungen von EY RE zeigen, dass Spielräume und Optionen aus unterschiedlichen Gründen nicht
beachtet oder grundsätzlich gescheut werden.
Die Umfrage stützt diese Wahrnehmung: Die Mehrheit der Befragten (65 Prozent) schätzt die Vergabe
als formalistisches Verfahren ein, bei dem es – neben der Beschaffung der entsprechenden Leistung –
primär um das Vermeiden von Fehlern geht. Die maximale Rechtssicherheit steht im Mittelpunkt.
Entsprechend bleiben Optionen ungenutzt, die die Wirtschaftlichkeit im Gesamtprozess verbessern
würden. Lediglich 35 Prozent sehen erhebliche Spielräume vor dem Hintergrund einer bestmöglichen
Wertschöpfung.
Das Ergebnis zeigt, dass 60 Prozent der Befragten ein gängiges Vergabeverfahren favorisieren, das
als risikoneutral eingestuft wird.
Darüber hinaus bevorzugen 40 Prozent der Befragten ein risikoarmes Vergabeverfahren. Vor diesem
Hintergrund verwundert es nicht, dass Vergabeverfahren insgesamt sehr defensiv durchgeführt
werden.
„Wie risikointensiv wählen Sie Ihre Vergabe?“
35%
65%
Ja, das Vergaberecht ermöglicht mir erhebliche
Spielräume im Rahmen der Vergabe.
Nein, das Vergabeverfahren ist formalistisch und
mein Fokus liegt primär auf der maximalen
Rechtssicherheit.
60%
40%
neutral risikoarm
25. Seite 25
Note 1 Note 2 Note 3 Note 4 Note 5 Note 6
Einzelvergabe 11% 44% 24% 7% 13% 0%
GU 20% 42% 29% 7% 2% 0%
Paketvergabe 12% 49% 23% 12% 5% 0%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
Vergabeverfahren – Ergebnisse
„Wie sehen Sie Ihre Fachabteilung zur Bewerkstelligung der nachfolgenden Vergabeverfahren hausintern aufgestellt?“
Es ist ein offensichtliches Dilemma: Eine Ausschreibung wird mit einer engen Interpretation rechtlicher Vorgaben mit Vergabesicherheit gleich-
gesetzt. Im Ergebnis ist häufig die Einzelvergabe der Favorit. Dabei wird allerdings zu wenig berücksichtigt, ob dies dem individuellen Projekterfolg
dienlich ist – in der Praxis ist das kontraproduktiv; gerade Großbaustellen in Einzelvergabe entpuppen sich im Laufe des Projekts oft sogar als
wirtschaftlicher Worst Case.
26. Seite 26
Vergabeverfahren – Ergebnisse
„Wie sehen Sie Ihre Fachabteilung zur Bewerkstelligung der nachfolgenden Vergabeverfahren hausintern aufgestellt?“
Das stetig wiederkehrende Thema sind hier die knappen Ressourcen der Auftraggeber, die das Verfahren sowie den daraus später resultierenden
Ablauf managen müssen. Vor allem große Bauprojekte laufen in der Regel über mehrere Jahre.
Die erforderlichen internen Ressourcen müssen während dieser Zeit fortlaufend bereitgestellt werden. Die entsprechenden Kosten sind den
Zuschlägen bei kompakteren Vergabemodellen wie GU und GP im Vergleich der Wirtschaftlichkeit gegenüberzustellen.
Plakatives Beispiel: 100 Einzelvergaben bedeuten 100 Leistungsbilder/-verzeichnisse, 100 Beauftragungen, 100 Rechnungen – zum Teil
monatlich – sowie am Ende 100 Abnahmen.
Die Liste ließe sich fortsetzen, die vorgenannten Punkte sind nicht als abschließend zu verstehen.
Auf Bauherrenseite sind es Aspekte rund um die Arbeitsrichtlinien, wie z. B. fest vorgeschriebene Arbeitsstunden, Urlaubsansprüche, Vertre-
tungsregelungen etc., die insbesondere bei Einzelvergabe den Anforderungen eines Projekts gegenüberstehen.
Um dem Rechnung zu tragen, müssten die internen Ressourcen erhöht werden oder die Einbindung externer Dienstleister erfolgen. Dadurch wird
der Aufwand für den Bauherrn höher, als dies unter Umständen bei einer Gesamt- oder Paketvergabe der Fall wäre.
Die Umfrage zeigt: Viele Auftraggeber können die Ressourcenlast offensichtlich nicht bewältigen. Lediglich 11 Prozent sehen sich als „sehr gut“
aufgestellt, eine Einzelvergabe realisieren zu können. Beachtliche 13 Prozent haben sogar erhebliche Zweifel (Schulnote 5). Zum Vergleich: Für
eine GU-Vergabe sehen sich 20 Prozent sehr gut aufgestellt, und Zweifel haben lediglich 2 Prozent.
Das Ressourcen–Dilemma, größere Losgrößen als Chance
27. Seite 27
Vergabekammer – Ergebnisse
„Welche Erfahrungen haben Sie mit der Vergabekammer gesammelt
– Stichwort ‚Rügeverfahren‘?“
Das Nachprüfungsverfahren und die Konsequenzen: Die Angst ist berechtigt!
Der dringende Wunsch nach maximaler Rechtssicherheit beruht maßgeblich auf der Sorge vor Nach-
prüfungsverfahren und den Konsequenzen für den Projektablauf aufgrund eines daraus resultierenden
Beschaffungsstopps bis zur vollständigen Klärung durch die Vergabekammern.
Nachprüfungsverfahren sind durchaus sinnvoll, um die Rechtmäßigkeit der Vergabe zu gewährleisten.
Sie bergen für die Bauherren jedoch zeitliche Risiken, die insbesondere Auswirkungen auf die Kosten
mit sich bringen können. Dies gilt auch für solche Verfahren, bei denen im Nachhinein keine Mängel
festzustellen waren.
Die Risiken sind groß genug, um Projekte in eine akute wirtschaftliche Schieflage bringen zu können.
Die Schwierigkeit für den Bauherrn liegt u. a. in der realistischen Bemessung etwaiger zeitlicher Puffer
im Vorfeld, um Nachprüfungsverfahren ggf. terminverträglich absichern zu können.
Die Mehrheit der Befragten (62 Prozent) bestätigt, dass ein Rügeverfahren zu einem Gesamtverzug im
Projekt geführt hat. Nur 38 Prozent gaben an, dass das Verfahren in angemessener Frist und
projektverträglich durchgeführt wurde.
62%
38%
hat zu einem Gesamtverzug im Projekt geführt.
in angemessener Frist durch die Vergabekammern
abgewickelt bzw. ist projektverträglich erfolgt.
28. Seite 28
50%
41%
9%
0%
20%
40%
60%
80%
immer manchmal nie
Vergabestrukturen – Ergebnisse
Die Chancen wettbewerblicher
Vergabeverfahren werden genutzt.
Die unzureichende Nutzung wettbewerb-
licher Vergabeverfahren – insbesondere bei
öffentlichen Bauherren – wurde in der Ver-
gangenheit häufig kritisiert.
Die Befragung zeigt: Zwar werden Spiel-
räume im Vergabeverfahren insgesamt nur
unzureichend genutzt, zumindest wettbe-
werbliche Verfahren aber kommen häufig
zum Einsatz.
Bei der Vergabe von Planungsleistungen
sind es 50 Prozent der Befragten, bei der
Vergabe von Bauleistungen sogar 69 Pro-
zent, die grundsätzlich auf wettbewerbliche
Verfahren setzen.
Umgekehrt liegt der Anteil der Marktteil-
nehmer, die wettbewerbliche Verfahren nie
einsetzen, bei unter 10 Prozent.
„Nutzen Sie wettbewerbliche
Vergabestrukturen bei Planungs-
leistung und Bauleistung?“
Bauleistung
Planungsleistung
69%
24%
7%
0%
20%
40%
60%
80%
immer manchmal nie
29. Seite 29
53%
47%
Einzelplaner GP
Vergabeform – Ergebnisse
„Welche Vergabeform würden Sie generell bevorzugen, wenn Sie die freie Wahl
hätten?“
Generalunternehmervergaben (GU) werden – ähnlich wie Paketvergaben – vergaberechtlich
kritisch gesehen. Auch wird bei GU-Modellen häufig angenommen, sie hätten negative
Auswirkungen auf die Kosten der jeweiligen Bauleistung.
GU-Modelle können jedoch je nach Rahmenbedingungen durchaus Vorteile für den Auftraggeber
mit sich bringen. Der wohl am häufigsten mit GU-Vergaben assoziierte Vorteil liegt in der Schnitt-
stellenminimierung im Zusammenhang mit knapp bemessenen Ressourcen auf Auftraggeber-
seite. Die Befragung untermauert dies.
Jeder zweite Teilnehmer (50 Prozent) würde einen Generalunternehmer favorisieren, wenn er
die freie Wahl hätte. Auch die Paketvergabe (30 Prozent) fände hohen Zuspruch, wenn es eine
freie Wahlmöglichkeit gäbe. Dagegen würden nur 20 Prozent eine Einzelvergabe vorziehen.
Bei Planungsleistungen zeigt sich ein ausgewogeneres Bild. Die Vergabeform „Generalplaner“
wird von 47 Prozent der Teilnehmer befürwortet – sofern hier die freie Wahl bestünde. Nur
wenige mehr (53 Prozent) favorisierten Einzelplaner bei freier Wahl.
20%
50%
30%
Einzelvergabe GU Paket
Der Wunsch nach „Kompaktheit“ scheint rund um die Bauleistung also deutlich
ausgeprägter zu sein als bei Planungsleistungen. Grundsätzlich festzustellen ist
er aber in beiden Bereichen.
30. Seite 30
45%
29%
26%
74%
26%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
Bauleistung –
Einzelvergabe
Bauleistung – GU Bauleistung – Paket Planerleistung –
Einzelplaner
Planerleistung – GP
Vergabeform – Ergebnisse
„Welche ist in der Regel die von Ihnen am häufigsten gewählte Vergabeform?“
Die Realität zeigt, dass der Wunsch nach
Kompaktheit in der Vergabe nicht erfüllt
wird.
Die Restriktionen der Praxis (resultierend
u. a. aus einer zu engen Auslegung des
Vergaberechts) führen dazu, dass sich die
Verhältnisse umkehren: Faktisch wählen
45 Prozent der Befragten die Einzelvergabe,
26 Prozent die paketweise und 29 Prozent
die GU-Vergabe.
Auch bei den Planungsleistungen gehen
Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander:
74 Prozent entscheiden sich für Einzelplaner
und nur 26 Prozent für den Generalplaner.
Die starke Tendenz zur Einzelplanung unter-
mauert einmal mehr das Bedürfnis nach
maximaler Rechtssicherheit im Kontext der
engen Auslegung der Vergaberichtlinien
zulasten der Projektrahmenbedingungen.
Oder anders gesprochen: Im Vergabever-
fahren herrscht generell Unsicherheit auf
Auftraggeberseite!
Wunsch und Wirklichkeit!
31. Seite 31
extrem sicher sicher unsicher sehr unsicher
GU 16% 64% 20% 0%
Paket 2% 59% 39% 0%
Einzelvergabe 0% 39% 46% 15%
0%
20%
40%
60%
80%
extrem sicher sicher unsicher sehr unsicher
GU 18% 71% 11% 0%
Paket 0% 68% 32% 0%
Einzelvergabe 0% 35% 52% 13%
0%
20%
40%
60%
80%
Vergabemodelle – Ergebnisse
Generalunternehmermodelle sind – wie
erwähnt – vergabetechnisch oft eine
Herausforderung.
Fakt ist jedoch auch, dass das GU-Modell
durchaus Chancen und Optionen bietet, die
sich je nach Projektrahmenbedingungen
entscheidend auf den Erfolg eines Projekts
auswirken können.
Und auch die Umfrage zeigt: Die Erfah-
rungen der Teilnehmer mit GU-Modellen
sind insgesamt positiv. 71 Prozent bewerten
die Frage, ob die jeweiligen Termine ein-
gehalten werden, bei einem GU-Modell als
„sicher“, während die Einzelvergabe hier
mehrheitlich als „unsicher“ (52 Prozent)
sowie teilweise sogar „sehr unsicher"
(13 Prozent) eingestuft wird. Die paketweise
Vergabe liegt in der Einschätzung
dazwischen.
Auch mit Blick auf die Kostensicherheit
rangiert das GU-Modell vor der Paket- und
Einzelvergabe.
„Einschätzung der Vergabemodelle
hinsichtlich …“
… Kostensicherheit
… Terminsicherheit
GU 11 – 71 %
Paket 32 – 68 %
Einzelvergabe 35 – 52 %Termin
Kosten
32. Seite 32
extrem hoch hoch niedrig schlecht
GU 4% 62% 29% 4%
Paket 0% 73% 24% 2%
Einzelvergabe 9% 64% 24% 2%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
Vergabemodelle – Ergebnisse
„Einschätzung der Vergabemodelle
hinsichtlich Qualitätssicherheit“
Bei der Qualitätssicherheit sind die Befragten
von der Einzelvergabe am meisten überzeugt.
9 Prozent bewerten diese als extrem hoch, der
GU findet hier 4 Prozent Zustimmung.
Weitere 64 Prozent sehen bei Einzelvergabe
eine hohe Qualitätssicherheit, bei der GU-
Vergabe sind es 62 Prozent.
Das GU-Modell schneidet hier insofern
insgesamt erneut gut ab und rangiert nur
knapp hinter der Einzelvergabe.
Der GU ist besser als sein Ruf!
Qualität
33. Seite 33
extrem sicher sicher unsicher sehr unsicher
GP 11% 51% 36% 2%
Einzelplaner 0% 61% 39% 0%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
Vergabemodelle – Ergebnisse
„Einschätzung des Vergabemodells GP und Einzelplanung hinsichtlich Termin-, Kosten-, Qualitätssicherheit“
Ein ähnliches Bild wie bei den Bauleistungen zeigt sich bei der Planung. Der Generalplaner (GP) punktet in allen Bereichen – Einschränkungen gibt es
lediglich bei der Qualitätssicherheit (siehe nächste Seite). Allerdings fällt der Vorsprung im Planungsfeld analog zu den bisherigen Ergebnissen
geringer aus. Die Ergebnisse im Detail: Dass die jeweiligen Termine eingehalten werden, ist bei einem GP nach Meinung von 11 Prozent der
Befragten „extrem sicher“, weitere 51 Prozent sehen dies als „sicher“ an – insgesamt demnach 62 Prozent.
Der Einzelplaner kommt hier auf 61 Prozent, wobei hier kein einziger Befragter für „extrem sicher“ votiert hat. Alle Stimmen liegen bei „sicher“. Die
Kosten werden nach Meinung von 57 Prozent der Befragten beim GP „sehr sicher“ oder „sicher“ eingehalten, beim Einzelplaner ist der Anteil ebenso
hoch. Allerdings votiert beim GP erneut ein gewisser Anteil für „extrem sicher“ (GP: 4 Prozent; Einzelplaner: 0 Prozent). Nur bei der Qualitätssicher-
heit liegt der Einzelplaner mit 76 Prozent der Befragten in den Kategorien „extrem hoch“ und „hoch“ wie erwähnt vor dem Generalplaner
(61 Prozent).
Terminsicherheit
34. Seite 34
extrem hoch hoch niedrig schlecht
GP 4% 57% 39% 0%
Einzelplaner 2% 74% 24% 0%
0%
20%
40%
60%
80%
extrem sicher sicher unsicher sehr unsicher
GP 4% 53% 38% 4%
Einzelplaner 0% 57% 43% 0%
0%
20%
40%
60%
80%
Vergabemodelle – Ergebnisse
Generalplaner versus Einzelplaner
Kostensicherheit
Qualitätssicherheit
Kosten
Qualität
GP 4 – 53 %
Einzelplaner 43 – 57 %
35. Seite 35
Vergabeart – Ergebnisse
„Klären Sie vor der Wahl der Vergabeart folgende Punkte ab?“
Eine Vergabestruktur zu finden und ein Verfahren aufzusetzen, das ein wirtschaftlich effizientes Bauprojekt ermöglicht, stellt für alle Beteiligten eine
große Herausforderung dar. Die Ressourcen müssen bewertet, relevante Schnittstellen müssen identifiziert und kritisch untersucht werden. In
diesem Zusammenhang sind Leistungen und insbesondere Vorleistungen, die nicht intern erbracht werden können, auszuschreiben und Externe zu
beauftragen. Dem vorausgehend muss die richtige Projektorganisation gefunden und aufgebaut werden.
Die Umfrage zeigt: In der Praxis liegt der Fokus am stärksten auf den Vorleistungen (100 Prozent der Befragten) sowie auf der Schnittstellenanalyse
bzw. dem Aufklären von Reibungspunkten der voraussichtlichen Schnittstellen (98 Prozent). Erfreulich ist, dass sich 81 Prozent der Befragten um
eine geeignete Projektorganisation bemühen.
ja nein
Schnittstellen 98% 2%
Notwendige Vorleistungen: Planungsstand,
lückenlose Ausgestaltung der
Verträge/Vergabeunterlagen
100% 0%
Etablierung einer Projektorganisation 81% 19%
Risikobetrachtung 79% 21%
0%
20%
40%
60%
80%
100%
36. Seite 36
80%
20%
ja nein
79%
21%
ja nein
Vergabereife – Ergebnisse
„Führen Sie einen internen Beschluss zur Vergabereife durch, bevor Sie die
Vergabe am Markt platzieren?“
Ist wirtschaftlich wirklich wirtschaftlich?!
Bauherr, Architekt, Fachplaner, Jurist, Projektsteuerer, Projektmanager etc. – die Zahl der Projekt-
beteiligten ist groß. Eine übergeordnete Abstimmung zur Vergabe mit den Projektbeteiligten ist
entsprechend aufwendig, jedoch zur Ermittlung der Vergabereife zwingend erforderlich.
In der Tat führen 79 Prozent der Auftraggeber einen Beschluss zur Vergabereife durch, bevor die
Leistung am Markt platziert wird.
Die Auswertung zeigt, dass wirtschaftliche Erwägungen in den Vergabeprozess grundsätzlich mit
einbezogen werden: 80 Prozent der Befragten führen den Nachweis der Wirtschaftlichkeit des Projekts
bzw. führen eine Überprüfung der tatsächlichen Wirtschaftlichkeit durch.
Rund ein Fünftel der Befragten geht offensichtlich intuitiv davon aus, das wirtschaftlichste Verfahren
gewählt zu haben, hat jedoch für diese Annahme aufgrund der fehlenden Überprüfung keine konkreten
Anhaltspunkte.
„Wird bei Ihnen der Nachweis der Wirtschaftlichkeit im Projekt geführt/überprüft?“
37. Seite 37
Vergabenovellierung – Ergebnisse
Mit der GWB-Novelle im Frühjahr 2015 hat das Bundeskabinett die Überarbeitung des Vergabewesens in Angriff genommen. Die Zustimmung durch
den Bundesrat erfolgte zum Jahresende 2015, sodass zum 18. April 2016 die größte Reform des Vergaberechts seit 2004 stattgefunden hat.
Insgesamt 65 Prozent der Befragten hatten sich in der kurzen Zeit bis zum Umfragestart (August 2016) bereits mit den Neuregelungen im Vergabe-
verfahren beschäftigt. Dies zeigt im Vergleich zu den Eingangsfragen, dass die Anwendung des Vergaberechts kein routinierter Vorgang ist, was in
Teilen eine gewisse Unsicherheit begründet. Professionelle Einkaufs- und Vergabeabteilungen seien hier ausdrücklich ausgenommen.
An die Novelle waren große Erwartungen geknüpft – die Vergabeverfahren sollten insbesondere effizienter, flexibler und einfacher werden. Kleinen
und mittelständischen Unternehmen sollte die Teilnahme an öffentlichen Vergabeverfahren erleichtert werden. Soziale und ökologische Aspekte der
jeweiligen Leistungen sowie auch die Wirtschaftlichkeit sollten stärker in den Fokus rücken.
Die großen Erwartungen – insbesondere an ein einfacheres Vergabesystem – haben sich den Befragten zufolge jedoch nicht erfüllt. Lediglich
14 Prozent sehen das Ziel der Vergabenovellierung als erreicht an. Der Großteil der Befragten (86 Prozent) erachtet die Ziele, die mit der
Novellierung verbunden wurden, als nicht erreicht.
Wie bereits zuvor dargestellt, unterscheiden sich öffentliche und private Bauherren in ihrem Vergabeverhalten weniger, als dies oft vermutet wird.
Das zeigt sich auch an den Folgen des novellierten Vergaberechts: Viele privatwirtschaftliche Bauherren orientieren sich eng an den öffentlichen
Vergaberichtlinien im Rahmen ihrer Compliance, und 66 Prozent der Befragten werden ihre Compliance-Richtlinien für Beschaffungsvorgänge gar an
die neuen Vergaberegelungen anpassen.
„Vergabenovellierung 2016“
38. Seite 38
65%
35%
ja nein
Werden Sie Ihre Compliance anhand
der Neuregelungen im Vergaberecht
anpassen?
Haben Sie sich bereits mit dem neuen
Vergaberecht auseinandergesetzt?
Sehen Sie das Ziel eines einfachen,
anwenderfreundlichen, unbürokratischen
Vergabewesens als erfüllt an?
Vergabenovellierung – Ergebnisse
14%
86%
ja nein
66%
15%
19%
ja nein Wir haben keine Compliance-Regelung.
Die Vergabenovellierung 2016: Die Ziele wurden nicht erreicht!
39. Seite 39
22%
78%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
negativ positiv
Digitales Vergabeverfahren – Ergebnisse
„Wie bewerten Sie die zukünftige elektronische
Abwicklung des Vergabeverfahrens?“
Das Thema Digitalisierung durchdringt der-
zeit nahezu alle Bereiche der Gesellschaft –
auch die Immobilienwirtschaft.
Stichworte sind Baustelle 4.0, 3-D-Drucker
oder auch BIM. Im Vergabewesen ist die E-
Vergabe ein wichtiger Baustein, der mit der
Novellierung auch vom Gesetzgeber gewür-
digt wurde.
Die Zustimmung am Markt ist groß:
78 Prozent der Befragten bewerten die
zukünftige elektronische Abwicklung des
Vergabeverfahrens als positiv.
Die negativen Stimmen (22 Prozent) gehen
womöglich auf Bedenken hinsichtlich einer
fehlenden Flexibilität bei der Erstellung der
Vergabeakten und der Prozesse zurück.
So sehr der Markt von der Novelle insgesamt
enttäuscht ist – die E-Vergabe zumindest
trifft auf Zustimmung.
Die Digitalisierung im Vergabeverfahren
trifft auf breite Zustimmung!
40. Seite 40
65%
35%
qualitativ mit detaillierten Stellungnahmen und
Prüfvermerken
quantitativ, z. B. nach Punkteverteilung
Wertungskriterien – Ergebnisse
„ Wie empfinden Sie Ihre Wertungskriterien vor dem Hintergrund einer Revision? “
Ziel der Vergabenovellierung war es, die Wirtschaftlichkeit noch stärker in den Fokus zu nehmen.
Zusätzlich sollten aber auch alternative Wertungskriterien wie Innovationskraft und Umweltbewusst-
sein rund um die Leistung und die Leistungsanbieter mehr in den Vordergrund rücken.
Hat dies Auswirkungen auf die individuelle Bewertungsmatrix der Bauherren? Die Mehrheit (72 Pro-
zent) der Befragten sieht ihre Wertungskriterien für das wirtschaftlichste Angebot als revisionssicher
bzw. als harte Wertungsfaktoren. Die übrigen 28 Prozent sind sich eher unsicher und sehen ihre
Faktoren als eher weich an.
Auffällig ist: Auf der einen Seite steht also mehrheitlich die Sicherheit harter Kriterien, aber auf der
anderen Seite werten lediglich 35 Prozent der Befragten die Angebote quantitativ aus.
Die meisten Teilnehmer – 65 Prozent – führen eine qualitative Bewertung mit Stellungnahmen bzw.
Prüfvermerken durch. Dies lässt eine gewisse Unsicherheit beim Vergleich der jeweiligen Leistungen
bzw. ein teilweise mangelndes Vertrauen in die quantifizierbaren Aspekte des eigenen Bewertungs-
systems vermuten.
„Wie bewerten Sie Ihre Angebote?“
72%
28%
... harten Faktor (sicher)?
... weichen Faktor (eher unsicher)?
Stabile Wertungskriterien versus qualitative Auswertung
41. Seite 41
sehr gut (1) gut ( 2) befriedigend ( 3) ausreichend (4) mangelhaft (5) ungenügend (6)
Ästhetik 13% 31% 42% 4% 6% 4%
Betriebs- und Folgekosten 37% 42% 17% 4% 0% 0%
Preis 55% 36% 6% 2% 2% 0%
Qualität 55% 42% 2% 0% 2% 0%
Technischer Wert 27% 54% 17% 0% 2% 0%
Umwelteigenschaften 11% 36% 34% 13% 6% 0%
Zweckmäßigkeit 19% 51% 26% 0% 4% 0%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
Zuschlagskriterien – Ergebnisse
„Was sind für Sie die wichtigsten Zuschlagskriterien?“
42. Seite 42
Zuschlagskriterien – Ergebnisse
„Wird für Sie der Preis als Wertungskriterium zukünftig in den Hintergrund rücken?“
Der Preis bleibt Entscheidungskriterium Nr. 1!
Die Befragung deutet also an, dass harte Wertungskriterien zur Identifikation des wirtschaftlichsten
Angebots nur vordergründig als sicher eingeschätzt werden. Dies bietet Chancen für alternative
Kriterien, die künftig eine etwas größere Rolle spielen dürften.
56 Prozent wollen zukünftig die Möglichkeiten alternativer Wertungskriterien nutzen. Neben dem Preis
werden vor allem die Aspekte Qualität und Folgekosten als weitere wichtige Zuschlagskriterien
genannt. Umwelteigenschaften und Ästhetik spielen eher eine mittelgroße Rolle.
Insbesondere der Aspekt „Qualität“ scheint zunächst ebenso wichtig zu sein wie der Preis. Dennoch
zeigt sich trotz der Option, alternative Wertungskriterien stärker in den Fokus zu nehmen, eine Fort-
setzung eher konservativer Vergabeentscheidungen.
„Wird für Sie der Preis als Wertungskriterium zukünftig in den Hintergrund rücken?“ Hierauf
antworteten 85 Prozent mit Nein.
15%
85%
ja nein
44. Seite 44
Rückblick und Ausblick
Die Vergabe ist ein wesentlicher Baustein im Projekt. Losgröße, Ressourcen, Wertungskriterien, Finanzierung und Risikoabwägungen
sind entscheidend für den Projekterfolg – oder den Misserfolg. Bauherren ist dies bekannt und sie handeln hier mit entsprechender
Vorsicht.
Allerdings gilt: Die Festlegung einer Vergabestrategie mit dem Fokus auf Wirtschaftlichkeit wird beeinflusst durch die jeweiligen
Rahmenbedingungen, die für jedes Projekt individuell zu betrachten sind. Die hier vorliegende Studie deutet an, dass die Detailtiefe und
Qualität dieser Betrachtungen je nach Bauherr unterschiedlich sind – und keinesfalls immer zum Ziel führen. Auch erfolgt die spätere
Kontrolle der Wirtschaftlichkeit nicht in allen Fällen.
Stellschrauben Rahmenbedingungen
Zudem werden Juristen nicht häufig genug frühzeitig eingebunden. Dies lässt zwar darauf schließen, dass bei vielen Auftraggebern mehr
als nur solide Grundkenntnisse im Vergaberecht vorliegen, diese reichen jedoch offenbar nicht aus, um ein latentes Unsicherheitsgefühl
im Verfahren ausschalten zu können.
Diese Unsicherheit führt zu einer übermäßig formalistischen Handhabung und einer sehr engen Auslegung des Vergaberechts. Dadurch
bleiben Chancen ungenutzt, die das Vergaberecht explizit bietet. Öffentliche und privatwirtschaftliche Bauherren unterscheiden sich hier
im Übrigen wenig. Sie sind sich auch generell in ihren Beschaffungsprozessen und in ihren Vorgehensweisen ähnlicher, als dies häufig
vermutet wird.
Frühzeitige juristische Einbindung empfehlenswert
45. Seite 45
Rückblick und Ausblick
Der überwiegende Teil der Compliance richtet sich in den Unternehmen nach den öffentlichen Vergaberegeln (VOB/A, GWG, VGV). Unter
der genannten latenten Unsicherheit, die maßgeblich auch auf der Sorge eines Nachprüfungsverfahrens beruht, leidet wiederum die
Wirtschaftlichkeit des Gesamtprozesses.
Die Sorge, dass es zu Nachprüfungsverfahren kommt, ist dabei nicht unbegründet – denn auch hier drohen negative wirtschaftliche
Effekte: Durch ein Zuschlagsverbot für die ausgeschriebene Leistung bis zur finalen Prüfung gem. § 115 Abs. 1 GWB kommt es
regelmäßig zu Verzögerungen im Projektablauf.
Unabhängig davon gilt: Zumindest finden sich häufiger wettbewerbliche Verfahren im Ausschreibungsprozess, mögliche Gestaltungs-
spielräume darüber hinaus werden jedoch nicht oder nur unzureichend genutzt.
Öffentlicher und privater Bauherr unterscheiden sich kaum
Für die Wirtschaftlichkeit des Projekts spielen außerdem die unternehmensinternen Aufwendungen eine wichtige Rolle. Die Erfahrung
von EY Real Estate zeigt, dass insbesondere die eigenen Ressourcen zur Abwicklung einer Vergabe und für die späteren Projektanforde-
rungen oft unterschätzt oder ein übermäßiger Aufwand zumindest billigend in Kauf genommen werden.
Das Grundproblem ist bekannt: Die meisten Bauherren wünschen sich ein kompaktes, übersichtliches Vergabeverfahren mit wenigen
Schnittstellen im späteren Bauverlauf. Die Konsequenz wäre eine vermehrte GU-Vergabe.
Sie steht jedoch in der Kritik – eine Kritik, der die Befragten in weiten Teilen zwar inhaltlich widersprechen, sich in ihrem Handeln aber
fügen (auch in Verbindung mit der genannten zu engen Auslegung des Vergaberechts). Die Folge ist eine Dominanz der eigentlich nicht
favorisierten Einzelvergabe. In der Praxis bleibt der Aufwand für die Einzelvergabe gerade bei Großprojekten enorm.
Wunsch nach kompakten, übersichtlichen Vergabeverfahren
46. Seite 46
Rückblick und Ausblick
Die Novellierung des Vergaberechts hat die Erwartungen der Befragten nicht erfüllt. Sie hat eine vereinfachte Abwicklung und mehr
Übersichtlichkeit versprochen, ihr Versprechen jedoch nur bedingt gehalten.
Keine Vereinfachung durch Novellierung
Die größer werdenden Unterschiede zwischen nationaler und EU-weiter Handhabung haben nicht zur Vereinfachung beigetragen. Im
Gegenteil, die Richtlinien müssten praxisfreundlicher und praxisnäher sowie einheitlicher gefasst werden.
In Anlehnung an § 97 Abs. 3 (GWG) sollte unter Abwägung einer sinnvollen Volumenfestlegung die Pflicht der losweisen Vergabe
aufgegeben bzw. die weiteren Möglichkeiten, z. B. die Paketvergabe, klarer benannt werden.
Mehr Praxisnähe ist wünschenswert
47. Seite 47
Rückblick und Ausblick
Insgesamt gilt: Das Vergaberecht lässt deutlich mehr Spielräume zu, als in der Praxis genutzt werden. Die Frühphase von Projekten ist
hier prädestiniert, um gezielt mögliche Vergabestrategien zu analysieren. Dabei sollten sowohl das Projekt selbst, als auch die Projekt-
organisation detailliert beleuchtet werden.
Spielräume des Vergaberechts bleiben ungenutzt
Dabei sind alle Realisierungsmodelle zwischen GU-Modell und Einzelvergabe unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen,
also auch die Paketvergabe. Je nach Größe und Komplexität des Projekts ist eine Leistungsbündelung dringend in Erwägung zu ziehen.
Die Chancen (beispielsweise auf größere Terminsicherheit) und die Risiken (beispielsweise einer größeren Abhängigkeit) müssen dabei
individuell abgewogen werden. Dies ist wiederum Aufgabe eines entsprechenden Risikomanagements.
Losbündelung als Chance
Immerhin holen alternative Wertungskriterien etwas auf. Allerdings wird auch künftig der Preis als Bewertungsmaßstab im Vordergrund
stehen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Letztlich ist der niedrigste Preis ein Bewertungskriterium, das am einfachsten gemessen
werden kann.
Die etwaigen Folgen einer derart verkürzten Sichtweise sind paradox: Das Vergabeverfahren ist zwar möglicherweise rechtlich korrekt
und risikoarm realisiert worden, aber dennoch kann ein maßgeblicher Verstoß vorliegen – denn das günstigste Angebot ist bekanntlich
keinesfalls immer das wirtschaftlichste Angebot (vgl. § 97 Abs. 5 GWB).
Preis bleibt Bewertungskriterium Nr. 1
49. Seite 49
Schlusswort EY Real Estate
Die immer wieder aufflammenden Vorwürfe einer schlechten Planung und das Argument politisch motivierter Entscheidungen sind im
Kontext schlecht laufender Großprojekte hinreichend bekannt. Bauen ist komplex und diesem komplexen Thema stellen sich Tag für Tag
hoch motivierte und qualifizierte Planer, Ingenieure und Berater. Die richtige Wahl der Vergabe unter Berücksichtigung der Planungsstände
und Projektrahmenbedingungen ist ein Thema, das bei dieser Diskussion häufig unbeachtet bleibt, jedoch einen immensen Einfluss auf den
Erfolg oder Misserfolg eines Projekts hat.
Zwang, Zufall oder System – im Projektrückblick ist die zentrale Frage, mithilfe welcher Kriterien die Vergabeart gewählt wurde. Die Studie
zeigt deutlich, dass sich 53 Prozent der Befragten gezielt mit der Vergabewahl beschäftigen und sie systematisch nach einschlägigen
Methoden und Analysen treffen. Doch wieso scheitern unter diesen Vorgaben trotzdem so viele Projekte, wenn die richtige Vergabewahl so
entscheidend ist?
Das Bild verdeutlicht sich beim zweiten Blick auf die Studie. 45 Prozent der Befragten sehen das Vergabeverfahren als hilfreich, jedoch zu
komplex an. 65 Prozent kommen zu dem Schluss, dass das Vergabeverfahren formalistisch ist, und zwar so sehr, dass der Blick primär auf
die Rechtssicherheit des Verfahrens gelegt wird. Und trotz dieses Bedürfnisses nach Rechtssicherheit werden Juristen nur „manchmal“ ins
Verfahren eingebunden.
Unter diesen Rahmenbedingungen ist kritisch zu hinterfragen, wie eine systematische, projektangemessene Vergabe in der Praxis umgesetzt
werden soll. Die Ergebnisse der Studie decken sich in weiten Teilen mit den Erfahrungen von EY Real Estate. Auch wenn im Vorfeld
unterschiedliche Verfahren durchdacht werden, zögern viele bei der Entscheidung, die so ermittelte Wahl auch umzusetzen, insbesondere
bei größeren Losgrößen, die zunächst als problematisch im Kontext der Vergaberichtlinien gelten. Ein Paradebeispiel hierfür ist das GU-
Verfahren, das gemäß der Studie besser ist als sein Ruf.
Die Auswahl der Vergabearten für Bauprojekte passt oft nicht zum jeweiligen Projekt und dessen Anforderungen. So werden zum Beispiel
komplexe Neu- und/oder Bestandsprojekte mit erheblichen Anteilen in der technischen Gebäudeausstattung in so kleinen Losgrößen
vergeben, dass allein die Rechnungsläufe je Vertrag die Beteiligten an den Rand des Leistbaren bringen. Grund dafür ist oft eine
Ressourcenknappheit auf Auftraggeberseite. Zudem wird häufig „günstig“ mit „wirtschaftlich“ gleichgesetzt, für eine Entscheidung für das
wirtschaftlichste Angebot fehlt es am Willen und an Argumenten. Hier tendiert der öffentliche Auftraggeber dazu, aus Angst vor einer Rüge
zu vorsichtig zu agieren.
50. Seite 50
Der zu geringe Preis wird in der Regel durch ein starkes Nachtragsmanagement auf Auftragnehmerseite wieder kompensiert. Auch das führt zu
einem erhöhten Aufwand auf der Seite des Bauherrn. Ein Nachtrags- und Beauftragungsstau ist nicht selten. Der vermeintlich günstige Preis
erscheint dann nicht mehr wirtschaftlich.
Ein In-Relation-Setzen von Kosten und Nutzen oder gar der rationale Umgang mit knappen Ressourcen finden häufig nicht statt. Eine adäquate
Planung, ein detailliertes Schnittstellenmanagement oder das gezielte Aussteuern von Problemstellungen ist unter diesen Umständen nicht
bzw. nicht dauerhaft leistbar.
Und dennoch ist das Projekt auf den ersten Blick vergaberechtlich sauber aufgesetzt, wie unser Beispiel zeigt:
Alles wurde richtig gemacht, obgleich sich mittelfristig in der Abwicklung Probleme einstellen. Die Folge sind schlecht laufende Projekte, die in
der Regel unwirtschaftliche Kostenfresser sind. Dies widerspricht dem Leitsatz der Wirtschaftlichkeit.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Schlusswort EY Real Estate
Anforderungen
► Wettbewerbsprinzip gem. GWB
► Transparenzgebot gem. GWB
► Gleichbehandlungsgebot gem. GWB
► Berücksichtigung mittelständischer Interessen gem. GWB
► wirtschaftlichstes Angebot
Ergebnisse
► eingehalten
► eingehalten
► eingehalten
► eingehalten
► eingehalten
✔
✔
✔
✔
?
51. Seite 51
Schlusswort EY Real Estate
Zu denken, dass der Weg weg vom niedrigsten hin zum wirtschaftlichsten Preis die rettende Lösung sei, ist sicherlich zu kurz gedacht. Der
Fokus sollte vielmehr auf eine frühe Phase des Projekts gelegt werden. Die exakte Analyse des Projekts und der Projektrahmenbedingungen ist
wichtig. Hierzu gehören so einfache Dinge, wie das Klären von Fragestellungen, wie zum Beispiel den Folgenden:
► Wie hoch ist das Budget für den Bauherrn/den Dienstleister/die ausführenden Firmen?
► Welcher Terminrahmen ist realistisch?
► Welche Ressourcen hat der Auftraggeber für die Wahrnehmung seiner Aufgaben?
► Müssen Leistungen, die auf Auftraggeberseite nicht erbracht werden können, an Externe vergeben werden?
► Wie sehen die Leistungsbilder der Dienstleister „mit diesen Erkenntnissen“ aus?
► Wie sind die Entscheidungsprozesse und wer darf entscheiden?
► etc.
Daraus folgt eine Definition der Vergabestrategie für die Planungs- und Ausführungsleistung. Dies in Kombination mit der richtigen Gewichtung
der Angebote (nicht nur günstig) wird zu einem erfolgreichen Konzept. Ein gezieltes Projektsetting in der Projektfrühphase unter Beachtung
von Risiken und Chancen ist der richtige Ansatz. Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen mit dem Ziel realer Kosten und Terminaussagen sind der
notwendige Rahmen, um gezielte vergabestrategische Untersuchungen durchzuführen. Dabei stehen die Projektrahmenbedingungen wie
Ressourcenthemen, Möglichkeiten zur Risikoübertragung/-minimierung, Schnittstellenuntersuchungen, Terminoptionen, Qualitätsaspekte,
wirtschaftliche Abwägung von Zuschlägen und vieles mehr im zentralen Vordergrund.
Auch wenn die Vergabenovellierung von den Befragten mehr als kritisch gesehen wird, so muss doch festgehalten werden, dass das
Vergaberecht wesentlich flexibler ist, als viele Marktteilnehmer annehmen, und Chancen demnach häufig ungenutzt bleiben.
Zusammenfassend möchten wir in diesem Zusammenhang noch einmal Herrn Dr. Griem zitieren:
„Das Korsett ist weniger eng, als es im Allgemeinen wahrgenommen wird.“
Diese Wahrnehmung muss sich im Interesse aller verändern! Ziel muss es sein, die richtige Vergabestrategie für das anstehende Bauprojekt zu
finden.
52. Seite 52
Für Fragen und Feedback zur Studie:
Frank Weißkirchen
Executive Director
Ernst & Young Real Estate GmbH
Tel. +49 221 2779 25507
Mobil +49 160 939 25507
E-Mail frank.weisskirchen@de.ey.com
Die Autoren
Kai Kiefer
Manager
Ernst & Young Real Estate GmbH
Tel. +49 221 2779 25224
Mobil +49 160 939 25224
E-Mail kai.kiefer@de.ey.com
53. Seite 53
Diese Publikation ist lediglich als allgemeine, unverbindliche Information
gedacht und kann daher nicht als Ersatz für eine detaillierte Recherche
oder eine fachkundige Beratung oder Auskunft dienen. Obwohl sie mit
größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, besteht kein Anspruch auf
sachliche Richtigkeit, Vollständigkeit und/oder Aktualität; insbesondere
kann diese Publikation nicht den besonderen Umständen des Einzelfalls
Rechnung tragen. Eine Verwendung liegt damit in der eigenen
Verantwortung des Lesers. Jegliche Haftung seitens der Ernst & Young
Real Estate GmbH und/oder anderer Mitgliedsunternehmen der globalen
EY-Organisation wird ausgeschlossen. Bei jedem spezifischen Anliegen
sollte ein geeigneter Berater zurate gezogen werden.
www.de.ey.com