1. Die (Wieder-)Entdeckung des Publikums
Journalismus unter sozialmedialen Bedingungen
Wiebke Loosen
DJV-Tagung „Besser Online“
15. September 2012, Bonn
3. Die Leitformel der Online-Kommunikation
• Die Entgrenzung zwischen Kommunikator und Rezipient als
die Leitformel zur Charakterisierung der gewandelten
Kommunikationsverhältnisse
• „Empowerment“ des Publikums: es wird selbst journalistisch
oder journalismusähnlich aktiv
• Das traditionelle Verhältnis von Journalismus und Publikum
gerät ins Wanken
4. Journalismus und (sein) Publikum
• Journalismus und sein Publikum: eine komplizierte, fast schon
paradoxe Beziehung
• Häufige Kritik an Journalisten: zu starke Kollegenorientierung
• Publikumsbild ist weniger denn je „unabhängig von direkten
Erfahrungen und Interaktionen“ (Scholl/Weischenberg 1998: 125)
• Vom „missachteten Leser“ (Glotz/Langenbucher 1969) zum viel
beachteten User?
Journalismus muss gleichzeitig Einschränkungen seiner
Inklusionsfähigkeit in Kauf nehmen und mit den zunehmenden
Inklusions- und Leistungsansprüchen des Publikums umgehen.
5. DFG-Projekt: „Die (Wieder-)Entdeckung des Publikums“
• Wie integriert der professionelle, redaktionell organisierte
Journalismus partizipative Elemente in sein Angebot?
• Wie und mit welchen Motiven werden sie vom Publikum/
von den Usern genutzt?
• Welche Erwartungen und Erwartungserwartungen spielen
hierbei auf Seiten der Journalisten und des Publikums eine
Rolle?
Wie wirken journalistisch-professionelle Orientierung und
Publikumsbeteiligung wechselseitig aufeinander?
• Studiendesign: Fallstudien in sechs verschiedenen
Redaktionen jeweils im Print-/TV- und Online-Bereich inkl.
Einbeziehung der jeweiligen Publika/Nutzer
6. Projekt: „Die (Wieder-)Entdeckung des Publikums“
Journalismus Publikum
Inklusionsleistungen Inklusionsleistungen
• Formen der Publikumsintegration • Praktiken der Partizipation
• Arbeitsabläufe/Routinen Inklusionsniveau • Grad der Kollektivorientierung
• journalistische Produkte
Inklusionserwartungen Inklusionserwartungen
• Publikumsbild • Beteiligungsmotive
• Rollenselbstverständnis Inklusionsdistanz • Einschätzung der
• strategische Bedeutung von Einflussmöglichkeiten
Inklusion
Quelle: Loosen/Schmidt 2012
7. Was Journalisten über Publikumsbeteiligung denken:
generelle Erkenntnisse
• Publikumsbeteiligung im Journalismus erzeugt Management- und
Institutionalisierungsbedarf und ist ressourcenintensiv
• Der journalistische Mehrwert und die Qualität von
Publikumsbeteiligung wird vielfach kritisch eingeschätzt
• Das Publikum wird eher als Quelle betrachtet und genutzt
denn als Dialogpartner
• Gestiegene Sichtbarkeit des Publikums und „gefühlt“ größere Nähe
zum Publikum
• Ambivalenz: Publikumsbeteiligung zwischen (ökonomisch
motivierter) Publikumsbindung und Chance zur Partizipation
Unterschiedliche „Partizipationskulturen“ in unterschiedlichen
Redaktionen – aber auch innerhalb einzelner Redaktionen
8. Chancen, Grenzen und Erfordernisse der Publikumsbeteiligung
Man hat ja früher gesagt, die Tagesschau ist so das Hochamt, das wird
um 20.00 Uhr verlesen und fertig – das könnte auch auf Latein sein.
Mittlerweile ist es ein bisschen anders […] Die Leute waren immer
kritisch, aber sie haben jetzt eine Möglichkeit das zu äußern. Das tun sie
zum Teil sehr massiv, zum Teil ist es auch blöd oder ungerechtfertigt.
Aber im Prinzip ist das natürlich für uns wahnsinnig hilfreich und wir
spiegeln die Kritik, die wir bekommen oder auch das Lob, das spiegeln
wir schon auch zurück in die Redaktionen, die es zu verantworten haben.
[…] Also die Transparenz, glaube ich, erhöht sich. Die Kommunikation
erhöht sich auch und am Ende haben wir einen Output, von dem wir
glauben, dass er näher an den Bedürfnissen, zumindest dieser
Zielgruppe, die bei Facebook sich bewegt, dran ist. Das heißt nicht, dass
wir damit näher an allen Deutschen dran sind, aber zumindest an der, ja,
an den jungen, gebildeten, männlichen Zuschauern.
Social-Media-Redakteur „ARD aktuell“
9. Selbst- und Fremdbild: Was Journalisten wollen – und sollen
Fallstudie „Tagesschau/tagesschau.de“
• Journalistisches Rollenselbstverständnis (n=60-63) und Publikums-
erwartungen (n=4570-4636) an den Journalismus sind weitgehend
kohärent
• Beiden besonders wichtig: „komplexe Sachverhalte erklären und
vermitteln“; „möglichst neutral und präzise informieren“;
„möglichst schnell Informationen vermitteln“ (MW > 4,2)
• Das Publikum ist eher der Ansicht (MW +1,1), dass Journalisten
auch „eigene Ansichten präsentieren“ sollten als diese selbst
(MW= 2,9/1,8)
• ... findet eher (MW +0,8), dass Journalisten „mit den Bürgern in
Dialog über aktuelle Themen treten sollten“ (MW= 3,2/2,4)
• Journalisten wollen sich eher (MW +0,8) „auf Nachrichten
konzentrieren, die für ein möglichst breites Publikum interessant
sind“ als das Publikum dies erwartet (MW= 3,7/2,9)
Skala reicht von 1= „trifft gar nicht zu“ bis 5= „trifft voll und ganz zu“
11. (Unterstellte) Motive für Beteiligung
Fallstudie „Tagesschau/tagesschau.de“
„Meta“-Nutzer wollen insbesondere ... Journalisten glauben sie wollten vor allem ...
(n = 382-390) (n= 62-63)
„öffentlich meine Meinung einbringen“ „öffentlich ihre Meinung einbringen“
„Themen einbringen, die mir wichtig sind“ „einfach mal Dampf ablassen“
„im Dialog mit anderen etwas lernen,
Denkanstöße erhalten und Wissen „auf Fehler hinweisen“
erweitern“
„Erfahrungen und Wissen mit anderen teilen“ „sich selbst darstellen“
„nicht einfach nur Zuschauer, sondern aktiv „Wissen und Erfahrungen weitergeben“
sein“
MW 4,2 bis 3,8 MW 4,2 bis 3,7
Skalen jeweils von 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 „trifft voll und ganz zu“.
12. Statt eines Fazits: Beobachtungen aus dem laufenden Projekt
• Journalisten arbeiten mit multiplen Fiktionen und
„Aggregatzuständen“ ihres Publikums: aktiv vs. passiv, die sich
zu Wort melden vs. die schweigende Mehrheit, TV- vs. Online-
Publikum, Quoten/Klickzahlen vs. Kommentare einzelner User ...
• Social-Media-Redakteure übernehmen zentrale Scharnier-
und Filterfunktionen innerhalb der Redaktion – und über TV
und Online hinweg
• Einschätzungen darüber, wie viel Publikumsbeteiligung mit
dem journalistischen Angebot verträglich ist, hängen mit dem
journalistischen Selbstverständnis und dem Publikumsbild
zusammen
• Publikumsbeteiligung stimuliert journalistische
Selbstreflexion
13. Die (Wieder-)Entdeckung des Publikums
Journalismus unter sozialmedialen Bedingungen
Kontakt: w.loosen@hans-bredow-institut.de
Projektteam: Wiebke Loosen, Jan-Hinrik Schmidt, Nele Heise & Julius Reimer
Projektblog: http://jpub20.hans-bredow-institut.de/
Twitter: @jpub20team