1. Do, 2.9. / Fr, 3.9. / Sa, 4.9.2010 / 20.00 Uhr Großer Saal
Abonnement A, 1. Konzert
Konzerthausorchester Berlin
Eliahu Inbal
Jörg Gudzuhn Sprecher
Oskar Fried (1871 – 1941)
»Die Auswanderer«
für eine Sprechtonstimme und großes Orchester
auf Worte von Emile Verhaeren in der deutschen Nachdichtung von Stefan Zweig
Pause
Dmitri Schostakowitsch (1906 – 1975)
Sinfonie Nr. 4 c-Moll op. 43
1. Allegretto poco moderato
2. Moderato con moto
3. Largo – Allegro
Zu Gast beim Freundeskreis:
Im Anschluss an das Konzert am 2.9. findet ein Nach(t)gespräch mit den
Mitwirkenden des Abends statt.
Der Eintritt ist frei.
Präsentiert von
Handy ausgeschaltet? Vielen Dank!
Bitte beachten Sie, dass Ton- und Bildaufnahmen wärend des Konzertes nicht zugelassen sind.
2. ... ohne Mahler?
Ein Gustav Mahler gewidmetes Festival beginnt mit einem Konzert ohne
Musik von Mahler. Dennoch ist seine Musik allgegenwärtig, ja die beiden
Werke von Oskar Fried und Dmitri Schostakowitsch sind schlechthin un-
denkbar ohne Mahler. Sie bewahren gleichsam das Feuer, das er in seiner Mu-
sik entzündete, treten sein Erbe an, denken weiter, was er anregte.
Mahler übertrug Oskar Fried 1905 eine Aufführung seiner 2. Sinfonie in
Berlin, die den Komponisten zutiefst beeindruckte. Beide waren seitdem be-
freundet. Fried gehörte zu den frühen Vorkämpfern Mahlers und leitete 1924
die erste Gesamtaufnahme einer Mahler-Sinfonie (erneut die Zweite, mit dem
Orchester der Berliner Staatsoper). Manche – auch der Autor dieser Zeilen –
zählen seine Interpretationen Mahlerscher Werke zu den authentischsten.
Der Komponist Fried war einer der ersten, die an Mahler unmittelbar
anknüpften. Diese Bezüge sind in Frieds »Die Auswanderer« unüberhörbar.
Insbesondere das Aufrührerische, Plebejische in Mahlers Musik findet sich
ebenso bei Fried. Beide solidarisieren sich mit den Ausgestoßenen, den
Schwachen, den Niedergetretenen, mit der leidenden Kreatur. Oft und zu
Recht ist davon die Rede, dass Mahler in seinen Sinfonien die Schrecknisse
des 20. Jahrhunderts antizipiert habe. Diese Ahnungen werden bei Fried zur
konkreten Untergangsvision verdichtet. Schostakowitschs Vierte entstand
1935/36, in jener Zeit, in der Stalin die Sowjetunion mit Terror überzog und
die Idee des Kommunismus irreversibel pervertierte. Gerade in der 4. Sinfonie,
mit der Schostakowitsch, wie es Kurt Sanderling sagte, zum »Chronisten
seiner Epoche« wurde, ist der Einfluss Mahlers spürbar. Insbesondere dessen
tragische 6. Sinfonie strahlte zu Schostakowitschs gigantischem Werk aus.
3. Oskar Fried
»Ein sehr origineller und eigen-
artiger Patron«
Oskar Fried dürfte vielen Musikfreun-
den heute kaum mehr bekannt sein.
Vor hundert Jahren stellte sich die Situ-
ation freilich anders dar. Im Jahr 1904
war Fried gleichsam über Nacht
berühmt geworden: mit der Urauf-
führung von »Das Trunkene Lied«,
einem monumentalen chorsinfoni-
schen Werk auf Texte aus Nietzsches
»Zarathustra«, das diverse Chöre und
die Philharmoniker unter Karl Muck
am 15. April in Berlin aus der Taufe
gehoben hatten. Ein kurze Zeit später
unter Frieds Leitung stattfindendes
Konzert mit Liszts »Legende von der
Oskar Fried
Heiligen Elisabeth« stand am Anfang
seiner ebenso fulminant einsetzenden Dirigentenlaufbahn. Die Musikwelt
nahm erstaunt Notiz von diesem »jungen Wilden«. Hugo Leichtentritt, Paul
Bekker und Paul Stefan widmeten ihm Monographien. Der Dirigent Fried war
bald am Pult der führenden Orchester zu erleben, insbesondere als ein Inter-
pret der damaligen Moderne. In Bezug auf den Komponisten – seine »Verklärte
Nacht« und das »Erntelied« (beide auf Texte von Richard Dehmel) wurden
1905 bzw. 1909 uraufgeführt – sprach man gar von einem ganz eigenen, auf
suggestive Massenwirkungen zielenden »Fried-Stil«.
Wer also war dieser »sehr originelle und eigenartige Patron«, als den ihn
Mahler einmal bezeichnet hatte? Fried entstammte einer Berliner Kauf-
mannsfamilie. Erste Unterweisungen im Violinspiel erhielt er von seinem
Bruder und wurde wohl auch dem berühmten Joseph Joachim vorgestellt. Doch
das Unternehmen »Wunderkind« scheiterte. Als die Familie in materielle
Bedrängnis geriet, musste Fried die Gymnasialausbildung abbrechen und
wurde stattdessen in die Stadtpfeiferei von Nowawes bei Potsdam gegeben, wo
er das Hornspiel erlernte. Als etwa Vierzehnjähriger gab Fried diesen Frondienst
4. Oskar Fried
auf und führte einige Jahre lang ein abenteuerliches Wanderleben, das ihn
kreuz und quer durch Europa führte – als fahrender Musikant, der bei
Tanzfesten und Hochzeiten aufspielte, und eine Zeit lang sogar als Hunde-
Dompteur, Clown und Stallbursche bei einem Zirkus. 1889 erhielt er eine
Stelle als Hornist im Palmgartenorchester in Frankfurt/Main, kurze Zeit später
im dortigen Opernorchester und wurde für drei Jahre Privatschüler und As-
sistent von Engelbert Humperdinck. In dieser Zeit sammelte Fried erste Er-
fahrungen als Dirigent und begann zu komponieren. Nach einem kurzen
Intermezzo in Düsseldorf ging Fried nach München, wo er durch den Diri-
genten Hermann Levi gefördert wurde, der seine Fantasie nach Motiven aus
Humperdincks Oper »Hänsel und Gretel« 1895 uraufführte. Nach einem zwei-
jährigen entbehrungsreichen Aufenthalt in Paris kehrte Fried 1898 nach
Deutschland zurück und ließ sich zunächst in Werder in der Mark Branden-
burg nieder. Seinen Lebensunterhalt verdiente er zunächst höchst prosaisch
als Hundezüchter, nebenbei betrieb er musikalische Studien bei Philipp Schar-
wenka und komponierte. Waren vor der Jahrhundertwende neben einer (heute
verschollenen) Oper vor allem Lieder und kleinere Instrumentalwerke ent-
standen, folgten nun Kompositionen größeren Formats: »Verklärte Nacht«
(1901), »Das Trunkene Lied« (1903), »Erntelied« (1905). In den Jahren vor
Ausbruch des 1. Weltkrieges war Berlin (wo er seit 1900 wohnte) Zentrum
seiner Tätigkeit: er leitete den Sternschen Gesangsverein, dirigierte die Phil-
harmoniker und das 1907 gegründete Blüthner-Orchester.
Der Komponist Fried verstummte bald nach der Premiere der »Auswan-
derer«, während der Dirigent zunehmend internationale Verpflichtungen über-
nahm. Nach dem Krieg gehörte Fried zu den ersten Künstlern, die in der
jungen Sowjetunion gastierten. In den zwanziger Jahren wandte er sich inten-
siv dem neuen Medium Schallplatte zu: sein diskographisches Vermächtnis
umfasst weit über 100 Aufnahmen. Fried, der wegen seiner jüdischen Herkunft
und als überzeugter Sozialist Verfolgung durch die Nazis fürchten musste, emi-
grierte 1934 in die Sowjetunion, wirkte hier zunächst als Opernkapellmeister
in Tbilissi und leitete sodann das Sinfonie-Orchester des Allunions-Radio-
Komitees in Moskau. Bis 1937 dirigierte er eine Vielzahl von Konzerten, ehe
ihn Krankheit zwang, die dirigentische Tätigkeit aufzugeben. Fried starb am
5. Juli 1941 in Moskau. Kurz zuvor hatte er die sowjetische Staatsbürgerschaft
erhalten.
Vermag man sich von den Leistungen des Dirigenten Fried aufgrund der er-
haltenen Tondokumente ein Bild zu machen, so harrt sein kompositorisches
Werk noch weitgehend der Wiederentdeckung.
5. Oskar Fried
Die Auswanderer
1912 informierten die vom Konzert-Bureau Emil Guttmann in Berlin heraus-
gegebenen »Konzert-Nachrichten« über die Programme der in der kommenden
Saison von Oskar Fried geleiteten Konzerte. Unter anderem hieß es da: »Fried
selbst kommt auch als Komponist zu Gehör, und zwar mit einer Vertonung
des packenden Gedichts ›Die Auswanderer‹ von Verhaeren für Orchester und
Sprechstimme.« Das avisierte neue Werk war also als eine Art Melodram an-
gelegt – eine musikalischen Gattung,
Entstehung 1912
Uraufführung 3. Januar 1913 mit Tilla die in der Musikgeschichte lange ein
Durieux als Sprecherin und den Berliner eher peripheres Dasein geführt hatte,
Philharmonikern unter Leitung des Kom-
der sich aber um die Jahrhundertwende
ponisten
Besetzung Sprecher, 2 Piccoloflöten, eine ganze Reihe von Komponisten
2 Flöten, 3 Oboen, Es-Klarinette, 2 Klar- zuwandten. »Die Königskinder« von
inetten, Bassklarinette, 3 Fagotte, Kon-
Frieds Lehrer Engelbert Humperdinck
trafagott, 6 Hörner, 4 Trompeten,
4 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagwerk war in der ursprünglichen Fassung
(Kleine Trommel, Große Trommel, über weite Strecken melodramatisch
Becken, Tamtam, Triangel), Streicher;
konzipiert, Arnold Schönbergs »Pier-
Fernorchester: 3 Piccoloflöten, 1 Es-Klari-
nette, 4 Trompeten, 3 Posaunen, rot lunaire« stellt sicher den folgen-
Pauken, Becken, Triangel, Kleine Trom- reichsten Beitrag zur Gattung dar, aber
mel, Große Trommel
auch Rudi Stephan, Igor Stra-
Dauer ca. 22 Minuten
winsky, Richard Strauss und Max von
Schillings setzten sich – bei teilweise sehr unterschiedlichen Herange-
hensweisen – mit dem Melodram auseinander.
Frieds »Die Auswanderer« nehmen in diesem Kontext allerdings eine Son-
derstellung ein. Traditionell war das Melodram ein geeignetes Medium zur
Darstellung des Übersinnlichen, Unheimlichen, Schaurigen (den Prototyp
lieferte Carl Maria von Weber mit der Wolfsschluchtszene im »Freischütz«)
und wurde in diesem Sinne von Strauss, Schillings und Stephan noch ganz
ungebrochen, von Arnold Schönberg in artifiziell verfremdeter Weise ge-
braucht. Fried hingegen stellt in »Die Auswanderer« melodramatische Gestal-
tungsmittel in den Dienst einer dezidiert sozialkritischen Aussage. Den Text
entnahm er dem Zyklus »Campagnes Hallucinées« (wohl nur ungefähr zu
übersetzen mit »Spiegelnde Felder«, 1893) des belgischen Dichters Émile Ver-
haeren in der deutschen Nachdichtung von Stefan Zweig. Dieser Zyklus bildete
gemeinsam mit »Les Villes Tentaculaires« (»Städte mit Polypenarmen«, 1895)
6. Oskar Fried
und dem Drama »Les Aubes« (»Die Morgenröte«, 1899) eine »Trilogie so-
ciale«, die Verhaeren damals weithin bekannt machte. Richtet »Campagnes
Hallucinées« den Blick auf das Leben der ländlichen Bevölkerung, deren Ent-
wurzelung und Verarmung, so thematisiert »Les Villes Tentaculaires« die
Schattenseiten der urbanen Existenz und entwirft die Vision von alles ver-
schlingenden Riesenstädten, wie sie in Fritz Langs »Metropolis« einige Jahre
später über die Leinwände der Kinos flimmern sollte. »Die Auswanderer« ist
der vorletzte Text in »Campagnes Hallucinées« und markiert die Schnittstelle
zwischen beiden Zyklen. In einer Sprache, die realistische Drastik und vi-
sionäre Überhöhung suggestiv zu verschmelzen vermag, wird das Bild eines
endlosen Zuges entwurzelter, hoffnungsloser, notgepeinigter Menschen
beschworen. Doch ihr Aufbruch führt von Verhängnis zu Verhängnis: Die
Stadt, welcher der Zug zustrebt, erweist sich »mit ihrer rotglühenden Brunst
und schwarzen Fängen, das Blut zu saugen«, als räuberischer Moloch. Eine
schwarze Utopie entwirft Verhaeren, eine Prophetie der Schrecknisse des 20.
Jahrhunderts, die in Frieds Musik ihre klangliche Entsprechung erfährt. Das
Bild des endlosen Zuges hallt in Trauermarschklängen wider, die weite Pas-
sagen des Werkes dominieren, es eröffnen und ebenso beschließen. Da sind
sich Fried und Mahler ganz nah – man denke an die Marschintonationen,
welche Mahlers soldatische Wunderhornlieder erfüllen und in vielen seiner
Sinfonien anklingen. Dem Marsch kontrastiert zunächst eine gespenstisch irr-
lichternde Episode, in der die tonale Gravitation durch Ganztonkomplexe
streckenweise aufgehoben wird. Sie entspricht den Bildern der Verstörten,
Verängstigten, Entwurzelten, welche der Text evoziert. Das Wimmern der
Kinder klingt sodann in einer von chromatischen Seufzern durchtränkten Pas-
sage an. Der negative Höhepunkt des Werkes aber wird kurz vor Schluss er-
reicht, wenn dem Marsch von einem Fernorchester intonierte Fanfaren
überlagert werden: klangliche Insignien der Stadt, der »gigantischen Buhlerin«.
Die Uraufführung der »Auswanderer« am 3. Januar 1913 mit der renommierten
Schauspielerin Tilla Durieux (sie war mit Karl Liebknecht und Rosa Luxem-
burg bekannt und rezitierte Verhaerens Gedichte in Berliner Arbeitervierteln)
und den Berliner Philharmonikern fand – vor allem wegen der problemati-
schen Balance zwischen Sprechstimme und dem großen Orchester – geteilte
Aufnahme. Immerhin gestand auch ein eher kritischer Rezensent ein, dass »die
dumpf verzweiflungsvolle Stimmung des Gedichts nicht übel getroffen« sei und
»etwas vom unwiderstehlichen, aufreizenden Rhythmus der Verse« auch in
der Musik lebe. 1919 schrieb Alf Nyman in einem im Merker erschienenen,
Fried gewidmeten Artikel zu »Die Auswanderer«: »Es dürfte überhaupt wenige
7. Oskar Fried
Werke in der gesamten kontinentalen Musikliteratur geben, die in so hohem
Grade wie dieses den Namen Gegenwartsmusik verdienen. […] Hier geht ein
Weg, der weit führen kann.«
Diese Prophezeiung sollte sich zumindest in Bezug auf Fried nicht erfüllen.
Nach »Die Auswanderer« komponierte er kaum noch. Seine Werke gerieten
alsbald in Vergessenheit. Die handschriftliche Partitur der »Auswanderer«
hatte Fried mit ins sowjetische Exil genommen, und dort lag sie nach seinem
Tod über Jahrzehnte unter KGB-Verschluss. Einzig der 1913 im Jungdeutschen
Verlag erschienene, mit vielen Instrumentationshinweisen versehene Klavier-
auszug war in Bibliotheken greifbar. Aus ihm wurde im Mai 2004 eine klavier-
begleitete Aufführung am Konzerthaus Berlin innerhalb einer Fried gewidmeten
Veranstaltung der Reihe musica reanimata realisiert. Der von den Bühnen der
Stadt Chemnitz mit Recherchen beauftragte Musikwissenschaftler Christoph
Flamm fand wenig später im Zentralen Staatlichen Archiv für Literatur und
Kunst in Moskau die handschriftliche Partitur, auf deren Grundlage das Werk
am 14. März 2007 von der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz mit
Christine Gloger als Sprecherin unter Leitung von Niksa Bareza nach
Jahrzehnten erstmals wieder gespielt wurde.
8. Emile Verhaeren / Stefan Zweig
Die Auswanderer
Mit ihrer Katz und ihrem Hund
und nichts für Magen, Herz und Mund,
so trotten den Weg ins Abendrevier
die Leut‘, die armen Leut’ von hier,
die ihren Durst in Regen eintauchen,
den Wind ablecken, den Nebel schmauchen,
die Leut‘ von hier sind ärmer als arm.
Die Straße, die vor ihnen im Abend steht,
weit, weit hinaus ins Unendliche geht.
Ein jeder trägt an seinem Stock,
geschultert rechts, gehalten links
ein Bündel quer und blau gefleckt,
ein jeder trägt in seinem Dings
einen verwaschnen Fetzen Hoffnung versteckt.
Die Leut‘ von hier, die armen Leut‘
zieh‘n ihren Weg in Unendlichkeit.
Am nackten Wald das Herbergshaus
steht da, wer weiß wie manchen Tag.
Ratte und Maus treiben drin nun ihren Schabernack.
Die Herberg, die ganz wacklig ist
mit ihrem Dache grau wie Grind,
steht kalt im Wald, den Schimmel frisst,
und streckt, von Frost und Fürchten blind,
als Wirtsschild ein zernagtes Bein
mit schiefem Arm in den Wind hinein.
Die Leut’ von hier sind ganz verschreckt,
ein jeder fürchtet sich und schlägt
das Kreuz seines Geschicks.
Ihr Herz ist hohl und feuerlos,
zwei schwarze Balken kohlen bloß
darin als Kruzifix.
9. Die Straße lang vom Wegspalt im Wald
aus Abendfernen schallt und hallt
ein Glockenklang –
das sind die verwaisten Madonnen,
die leise wie Vögel aus irgend unsichtbaren Weiten
die traurigen Wandrer auf ihrer Reise rückmahnend geleiten.
Die Leut’ von hier sind ganz verschreckt,
weil niemand der Jungfrau mehr Kerzen steckt
und ohne Atem der Weihrauch quillt.
Sie wissen, in ihren verlass’nen Nischen
fallen die Rosen, die nicht mehr frischen,
blätternd nun bald über Büste und Bild.
Die Leut’ von hier sind ganz verstört,
wenn ein Schatten über ihr Feld hinfährt,
wenn der Mond sich weiß auf den Sümpfen wellt,
ein Vogel tot an die Türen fällt,
die Leut’ von hier sind ganz verstört
von jedem, der nicht zu ihnen gehört.
Mit ihrer Katz und ihrem Hund,
mit ihrem Vogel im Käfige
und zum Leben die einzige Möglichkeit:
den Schmerz zu verschlingen,
die Wut zu verschweigen –
so wandern die Leute von hier, die Leut’,
das Herz zerrissen, die Füße verbrannt,
auf allen Straßen aus ihrem Land
hinaus in die ferne Unendlichkeit.
Die kleinen Kinder greinen und blöken
und halten sich fest an der Mütter Röcken,
zerren und plärren, geschleppt und geschleift.
Der blinkende Blick der Greise greift
noch einmal nach ihren Feldern zurück,
dem grauen Feld, das Aussatz schwärt,
drin Fäulnis eisig hockt und gärt.
10. Und hinterdrein die Burschen zieh’n
verzagt und dumpf zur Zukunft hin,
die Arme schlapp, wie einen Strick.
Sie haben Stolz und Trotz zerknickt
und Sehnsucht nach vergangenem Glück.
Die Finger sind ihnen erschlafft
und haben alle zehn kaum Kraft,
gegen das Schicksal, dem sie verfallen,
die Faust zu ballen.
Die Leut’ von hier, die armen Leut’,
haben Unglück in alle Ewigkeit.
Die Karren knarren jämmerlich,
sie schaukeln sich und schleppen sich
hinab den Weg, hinauf den Berg
über das alte Knochenwerk
der Straße hin. Die einen zieh’n,
so klapprig wie ein grau Skelett,
am Deichselspitz ein Amulett.
Die andern kreischen
mit pfeifenden Speichen,
wie Eimer am Brunnen
im Aufwärtswinden
und blinzeln mit Lampen,
die von Alter erblinden.
Und andere Karren wiederum
gleichen den Wracken,
die ein Sturm zerbrach.
So rollen sie, am Rad
das Zeichen von Stern
und Monat eingehakt,
als hätten sie in Dach und Fach
die ganze Welt verpackt.
Die Klepper trotten trist im Schritt
ihr klappriges Gebein,
der Kutscher torkelt und taumelt grad
11. wie ein toll gewordenes Mühlenrad.
Nur manchmal greift er noch einen Stein
und wirft ihn endlich lässig und schwach
querfeldein den streifenden Raben des Unglücks nach.
Die Leut’ von hier sind schwank’ und schwach,
sie haben Unglück und geben ihm nach.
So zieh’n die Leut’, die Leut’ von hier
mit Kind und Kegel, Tross und Tier
die Straße, die durch Not und Nacht
das Rund rings um die Erde macht.
Sie kommen von weiß Gott woher
und zieh’n ins blinde Ungefähr
aus Schicksalen, die keiner weiß,
durch Markt und Dörfer, Forst und Stadt.
Sie wandern immerdar im Kreis,
der Tod nur bietet Ruhestatt.
Sie ziehn zu jeder Jahreszeit,
im Sommer, Winter, Herbst und Lenz,
sind immer müd und todbereit
und rollen dennoch ohne Ruh
von einer Ewigkeit der andern zu.
Doch dort, wo die Ferne ihr Ende hat,
verschleiert von schwefligen Himmels Dunst,
wartet die Stadt.
Die Stadt mit apokalyptischer Stirn.
Die Stadt mit ihrer rotglühenden Brunst
und schwarzen Fängen, das Blut zu saugen.
Sie lockt des Wandernden gierige Augen
grell zu sich hin;
bei Tage bleiern reckt sie sich Nachts
in fauchenden Feuern.
Die Stadt aus Eisen, Holz, Stein und Stuck,
die Stadt in Marmor und goldenem Schmuck,
die Stadt, die gigantische Buhlerin.
12. Dmitri Schostakowitsch
Auf Leben und Tod
Wenn Johannes Brahms einmal meinte, eine Sinfonie zu schreiben, sei eine
Sache auf Leben und Tod, so trifft das auf Schostakowitschs Vierte in einem so
direkten Sinne zu, wie sich das Brahms wohl nie hätte träumen lassen.
Schostakowitsch war schon nach dem triumphalen Erfolg seiner 1. Sinfonie
1926 ein international bekannter Komponist. In den folgenden Jahren profilierte
er sich unter anderem mit der 2. und 3. Sinfonie, der 1. Klaviersonate, der Oper
»Die Nase«, dem 1. Klavierkonzert, zudem mit Musik für Film und Theater, vor
allem aber mit der Oper »Lady Macbeth von Mzensk« als einer der wichtigen
Exponenten einer sowjetrussischen Avantgarde, die Traditionen und Einflüsse
der internationalen Moderne bereitwillig, aber respektlos aufnahm und um-
formte. Manche der damals entstandenen Werke von Schostakowitsch und
Komponisten wie Nikolai Roslawez, Arthur Lurié, Alexander Mossolow lassen
etwas spüren vom Aufbruchsgeist und den Hoffnungen, die ihre Schöpfer einst-
weilen noch erfüllten. Dass sie zunächst noch einigermaßen ungestört arbeiten
konnten, war möglich durch eine vergleichsweise liberale Kulturpolitik, für die
vor allem Anatoli Lunatscharski einstand, der nach der Revolution zum Volk-
skommissar für Bildung ernannt worden war. Aber die Zeiten verfinsterten sich,
je weiter Stalin seine Macht ausbauen konnte. Lunatscharski wurde 1933 auf
einen Botschafterposten ins ferne Spanien »weggelobt« (und starb, bevor er
dort ankam), doch schon am Beginn der dreißiger Jahre war das kulturpoliti-
sche Wetterleuchten unübersehbar.
Auch Schostakowitsch bekam das zu spüren. Seine Kompositionen in jenen
Jahren erregten zwar großes Aufsehen, waren aber keineswegs unumstritten:
die Musik zum Film »Das neue Babylon« (1929) wurde kurz nach der Pre-
miere aus dem Streifen entfernt, das Ballett »Der Bolzen« (1930) fand kritische
Aufnahme und die Oper »Die Nase« wurde 1931 ein Jahr nach der Urauf-
führung abgesetzt. Das waren freilich Petitessen im Vergleich zu dem, was über
Schostakowitsch hereinbrechen sollte, als der Bannstrahl des »mächtigen Ge-
nius der Arbeiterklasse« und »liebsten Führers aller Zeiten und Völker«
(O-Ton Maxim Gorki) 1936 in Gestalt eines redaktionellen Artikels der Prawda
ihn direkt traf. Seine Oper »Lady Macbeth von Mzensk«, die seit 1934 höchst
erfolgreich an in- und ausländischen Bühnen lief, hatte dem »großen Gärtner«
missfallen. Nun wurde zur publizistischen Hatz auf den Komponisten geblasen,
seine Werke verschwanden von den Podien der Opern- und Konzerthäuser,
13. Dmitri Schostakowitsch
sein Leben war in Gefahr. Diese Ereignisse sind eingebettet in die finsterste
Zeit des Stalinschen Regimes, die damals anbrach: die Jahre der »Säuberun-
gen« und Schauprozesse. Unzählige Menschen wurden verschleppt, viele
kamen um – unter den Opfern waren auch Freunde und Familienmitglieder
Schostakowitschs, der jeden Moment damit rechnen musste, vom KGB ver-
haftet und einem ungewissen Schicksal zugeführt zu werden.
Aus dieser krisenhaften Zeit datiert die 4. Sinfonie. Sie ist die schöpferische
Antwort des Komponisten auf die Erfahrung von Repression und Terror und
gleicht einer Zeugenaussage in Tönen.
musik
fest
berlin
vollständiges Programm und
Tickets unter (030) 254 89 100
2. September
bis 21. September
1o
www.musikfest-berlin.de
Das Konzerthausorchester Berlin
Berliner Festspiele in Zusammenarbeit beim musikfest berlin 2010
mit der Stiftung Berliner Philharmoniker am 16. September 2010 in der Philharmonie
14. Dmitri Schostakowitsch
Chiffren der Gewalt –
die Vierte
Bernd Feuchtner hat diese Sinfonie als eine Musik charakterisiert, »die nicht als
subjektiver Gefühlsausdruck des Autors verstanden werden darf, die nicht ro-
mantisch ist, sondern theatralisch demonstriert, kommentiert, Gefühle nur in
distanzierter Form vorführt. (...) Im Detail ist die Musik außerordentlich gesten-
reich, und obwohl es sich um eine abstrakte Instrumentalkomposition handelt,
wirkt das Stück streckenweise wie die Musik zu einem imaginären Film.«
Die Musik der Vierten strotzt vor
Entstehung 1935-36
Uraufführung 30.12.1961, Moskauer Phil- Chiffren der Gewalt. Immer wieder
harmonie, Dirigent: Kyrill Kondraschin sind es Prozesse der Deformation, der
2 Piccoloflöten, 4 Flöten, 4 Oboen
Zerstörung, des Scheiterns, des Zusam-
(4. auch Englischhorn), Es-Klarinette,
4 Klarinetten, Bassklarinette, 3 Fagotte, menbruchs, die klanglich protokolliert
Kontrafagott, 4 Trompeten, 8 Hörner, werden. Vergleichbares musikalisch zu
3 Posaunen, 2 Tuben, 6 Pauken, Trian-
formulieren, hatte Gustav Mahler einst
gel, Kastagnetten, 2 Tamburins, Becken,
Große Trommel, Tam-tam, Xylophon, unternommen – vor allem in seiner 6.
Glockenspiel, Celesta, 2 Harfen, Streicher Sinfonie, deren Einfluss in Schostako-
Dauer ca. 60’
witschs 4. Sinfonie, etwa in der Allge-
genwart von Marschrhythmen – unüberhörbar ist.
Nach wenigen gellend pfeifenden Eröffnungstakten zwingt der Marschtritt die
Musik in den seelenlos und maschinenhaft dröhnenden Gleichschritt. Wenn
dessen Energien fürs erste versiegen, entfaltet sich ein Gesang – ein fahles Linien-
werk mit irregulär schwankender Metrik, die alsbald in Konflikt gerät mit den
wieder aufscheinenden Marschrhythmen. Die Musik kommt außer Tritt, gerät
ins Stolpern, mutiert unversehens zum stampfenden Tanz. Der Abschnitt endet
mit einem orchestralen Aufschrei, als schrecke die Musik aus einem grausigen
Albtraum auf.
Protagonist des zweiten großen Satzteiles ist ein schwindsüchtiger, gedehn-
ter Walzer, ein Todesreigen, der zunächst fahl und gläsern tönt, dann aber (von
der Tuba) ins Monströse aufgeblasen wird und schließlich in eine mächtig
ausholende Partie mündet. Die freilich führt nirgendwo hin, stattdessen schlägt
die Musik unvermittelt einen Scherzando-Tonfall an und werden Fragmente
des Marsches durchgeführt, ehe – ebenso unvermittelt – ein rasendes Fugato
anhebt, ein Klangsturm, der alles hinwegfegt, die Musik einem erbarmungslos
15. Dmitri Schostakowitsch
gehämmerten Galopprhythmus unter-
wirft und in einen wie unter Peitschen-
hieben taumelnden grotesken Tanz
treibt. Nach einer in diesem Kontext
völlig irreal scheinenden Walzer-
episode wird die Reprise sodann in
Szene gesetzt wie eine Hinrichtung:
mit Schlagzeugwirbeln und immer
lauter aufbrüllenden Akkorden. Die
Melodie des Walzers gerät nun unter
die Herrschaft des Marschrhythmus
und ertönt, von den Trompeten vorge-
tragen, in tragischem Tonfall: »Es
klingt, als würde sie abgeführt.«
Dmitri Schostakowitsch
(Dieses und die folgenden Zitate
entstammen der Schostakowitsch-
Monographie von Bernd Feuchtner.) Schließlich passieren die Schatten der
Themen des ersten Großabschnittes Revue, ehe die Musik erstirbt.
Der zweite Satz entspricht dem Typus eines Scherzos. Doch die Heiterkeit,
die jenes Wort verheißt, ist der Musik gänzlich ausgetrieben: »Das einprägsame
Thema zu Beginn zeigt einen Melodiefluss voller Gleichgültigkeit. Rasch stellen
sich Assoziationen zu Mahlers Fischpredigt-Scherzo aus der Zweiten Sinfonie
ein. Hier wie dort die gleichförmige Bewegung, die ›kreischenden‹ Klarinet-
ten, die chromatischen Läufe, das ›taumelige und besoffene‹ Dudeln. Beim
zweiten Trio, das durch besonders abstoßende und geradezu ›schmierige‹
Läufe eingeleitet wird, erhebt sich aus dem gleichgültigen Getriebe eine dis-
sonante Hymne des Stumpfsinns.«
Einer surrealen Szenenfolge gleicht das Finale. Eröffnet wird es mit jenen
zwei Tönen, die in Strawinskys »Petruschka« den Tod des Helden besiegeln.
Petruschka – jene Figur aus der russischen Märchenwelt, die als Possenreißer
dem Pierrot, dem Kaspar oder dem Narren verwandt ist, der bekanntlich mas-
kiert die Wahrheit zu sagen vermag. Aus einem Partikel des die Sinfonie eröff-
nenden Marsches wird nun ein schließlich pathetisch dröhnender Kondukt
hervorgetrieben. Sodann hebt ein Allegro-Abschnitt mit einem atemlos
japsenden Thema an, das klingt, als sei es auf der Flucht. Es wird gleichsam
atomisiert, auf sein »hinkendes« Initialmotiv reduziert, das in irrsinniger Be-
wegung auf der Stelle tritt, um dann – notdürftig restauriert – in einem grotesk
anmutenden Ausbruch von »Begeisterung« zu münden und schließlich in eine
16. Dmitri Schostakowitsch
Märchenwelt geleitet zu werden, ein Panoptikum des Absurden: »Im Walzer-
und im Galopprhythmus ziehen Szenen aus feenhaften Balletten vorbei. Man
meint die Elfen auf Zehenspitzen trippeln zu sehen, den Kuckucksruf im Wald
zu hören, dem feurigen Reiter nachzuschauen... Die gängigen Klischees der
populären Musik lösen sich der Reihe nach ab. Schostakowitsch parodiert so
gekonnt, als hätten Rimski-Korsakow oder Glasunow selbst ihm die Feder
geführt.« Wenn es scheint, als schliefe diese Kindermusik ein, hebt unter an-
schwellendem Gedröhne des Schlagwerks eine Episode an, wie sie aus Mahler-
schen Sinfonien vertraut ist, wenn dort Erlösung verheißen wird. Doch
Schostakowitsch verweigert das Erreichen des machtvoll anvisierten Ziels.
Nicht Durchbruch wird suggeriert, sondern Zusammenbruch. Auch die Coda
hat bei Mahler ihr Modell: sie entlehnt die klanglichen Requisiten dem Schluss
des »Liedes von der Erde«, der zu den Worten »ewig, ewig« verströmt. Freilich
verkehrt sich Mahlers pantheistische Vision bei Schostakowitsch zu einem
Schreckensbild der Erstarrung: Minutenlang tönt der Orgelpunkt auf c, kreisen
versprengte Motive, verlieren sich die zarten Töne der Celesta in einer Dunkel-
heit, die kein Ende mehr kennt.
Die Uraufführung der 4. Sinfonie war für das Jahr 1936 geplant und das Werk
wurde von den Leningrader Philharmonikern unter Fritz Stiedry (deutscher
Exilant wie Oskar Fried) bereits geprobt. Isaak Glikman, der Freund
Schostakowitschs, dokumentiert die Geschehnisse: »Schostakowitsch lud mich
zu den Proben der Sinfonie Nr. 4 ein. ... Ich fühlte, dass im Saal eine anges-
pannte Atmosphäre herrschte. Es kam noch hinzu, dass unter den Musi-
kern, aber auch außerhalb dieser Kreise, das Gerücht die Runde machte, dass
Schostakowitsch trotz der vorangegangenen Kritik eine teuflisch komplizierte
und mit Formalismus vollgestopfte Sinfonie geschrieben habe.
Eines schönen Tages erschien der Sekretär des Komponistenverbandes, W.
J. Jochelson, und noch irgendein Regierungsvertreter aus dem Smolny bei der
Probe, woraufhin der Philharmoniedirektor I. Rienzin ... D.D. [Schostako-
witsch] in sein Arbeitszimmer bat ... Nach 15 bis 20 Minuten kam D.D. zurück.
... Schließlich sagte Schostakowitsch mit tonloser Stimme, dass die Sinfonie
aus dem Programm genommen werde. Dies geschehe auf Rienzins Rat, der
keine administrativen Mittel anwenden wollte und Schostakowitsch gebeten
habe, selbst auf die Aufführung zu verzichten. Jahrelang hielt sich aber die
Legende, der zufolge Schostakowitsch beschlossen habe, die Sinfonie Nr. 4
aus dem Programm zu nehmen, da er wohl sah, daß Stiedry mit dem Werk
nicht zurecht komme.«
17. Dmitri Schostakowitsch
Während des Krieges ging die handschriftliche Partitur des Werkes verloren.
Schon 1936 hatte Schostakowitsch jedoch eine Fassung des Werkes für zwei
Klaviere erstellt, die er 1945 zusammen mit Moissei Wainberg im kleinen Kreis
vorspielte. Ein Jahr später erschien diese Fassung – wenngleich in sehr
kleiner Auflage – im Druck. Erst in Zeiten des Tauwetters unter
Chruschtschow wurde eine Aufführung der Sinfonie möglich. Die Initiative
dazu ging nicht von Schostakowitsch aus, sondern vom künstlerischen Di-
rektor der Moskauer Philharmonie, Moissei Grinberg. Schostakowitsch
stimmte dem Plan zu. Aus den erhaltenen Stimmen und der Klavierfassung
wurde die Partitur rekonstruiert. Ein Vierteljahrhundert nach der Komposi-
tion erfolgte die überaus eindrucksvolle Uraufführung des Werkes im Jahr
1961. Andrei Wolkonski erinnert sich: »Freunde hätten Schostakowitsch gern
eine festliche Würdigung bereitet, doch er zog sich unmittelbar nach dem
Konzert zurück. Ein befreundeter Komponist spürte ihn in seiner Wohnung
auf – dort saß er, in einem Buch lesend, das er beim Eintritt des Besuchers ver-
steckte. Als er später in die Küche ging, um für den Gast Wodka zu holen, ließ
diesen die Neugierde nicht ruhen: Das Buch war Stalins kurzgefasste Biogra-
phie.«
18. Porträt der Mitwirkenden
Konzerthausorchester Berlin
1952 als Berliner Sinfonie-Orchester gegründet und seit 1984 im Konzerthaus
Berlin (dem Schinkelschen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt) beheimatet.
Chefdirigenten waren Hermann Hildebrandt, der Prager Václav Smetáček,
Kurt Sanderling, Günther Herbig, Claus Peter Flor, Michael Schønwandt und
Eliahu Inbal. Regelmäßige Zusammenarbeit mit namhaften Gastdirigenten
und Solisten. Seit Jahren ist Michael Gielen dem Orchester als Erster Gast-
dirigent verbunden. Konzertreisen führten u. a. in die USA, nach Japan,
Großbritannien, Österreich, Dänemark, Griechenland, Belgien, Türkei, China
und Spanien. Teilnahme an internationalen Festivals, u. a. Prager Frühling
und Athens Festival, La folle journée Nantes und Budapester Frühlingsfesti-
val. Im Rahmen des jährlichen Festivals für Neue Musik »UltraSchall« war das
Konzerthausorchester bisher dreimal zu Gast. Regelmäßig gastiert das Or-
chester beim Choriner Musiksommer sowie bei den Festspielen Mecklenburg-
Vorpommern. Mit Beginn der Saison 2006/2007 hat Lothar Zagrosek die Po-
sition des Chefdirigenten übernommen.
Eliahu Inbal
Eliahu Inbal studierte zunächst Violine und Komposition
am Konservatorium seiner Heimatstadt Jerusalem, ehe er
seine Ausbildung auf Empfehlung Leonard Bernsteins am
Conservatoire National Supérieur in Paris bei Louis
Fourestier (Dirigieren), Olivier Messiaen und Nadia
Boulanger fortsetzte. Wichtige Impulse vermittelten ihm
außerdem Franco Ferrara in Hilversum und Sergiu Celi-
bidache in Siena. Mit 26 Jahren gewann er den Ersten Preis beim interna-
tionalen Dirigentenwettbewerb »Guido Cantelli« in Novara und gastiert
seither bei den großen Orchestern und Festivals der Musikzentren in Europa,
USA, Japan und Israel.
In Deutschland profilierte sich Eliahu Inbal nachdrücklich durch seine er-
folgreiche Chefdirigententätigkeit beim RSO Frankfurt (1974-1990), dessen
Ehrendirigent er heute ist. Ebenfalls Ehrendirigent des Orchestra Nazionale
della RAI in Turin, erhielt er in seiner Zeit als Chefdirigent (1995-2001) für
seine Interpretationen den italienischen Kritikerpreis Premio Abbiati und den
Premio Viotti. Im Januar 2007 ist Eliahu Inbal erneut zum Chefdirigenten am
19. Teatro La Fenice in Venedig ernannt worden, nachdem er diesen Posten bereits
von 1984 bis 1987 innehatte. Seine Operntätigkeit führte ihn außerdem an
die Opernhäuser von Paris, Glyndebourne, München, Stuttgart, Hamburg und
Zürich. Im Oktober 2009 leitet er »Lulu« am Teatro Real in Madrid. Nachdem
Eliahu Inbal im April 2008 Leiter des Tokyo Metropolitan Symphony Or-
chestra wurde, trat er in dieser Saison die Position als Chefdirigent der
Tschechischen Philharmonie an. Daneben führt er nach dem höchst erfolg-
reichen Mahler-Zyklus 2007 in Tokio seine Zusammenarbeit mit dem Philhar-
monia Orchestra London weiter. Fortgesetzt wird auch der Bruckner-Zyklus
beim Rheingau Musik Festival mit dem WDR-Sinfonie-Orchester Köln.
2010/11 wird er als Gastdirigent am Mahlerfest des Concertgebouw Orch-
esters Amsterdam teilnehmen. Eliahu Inbals umfangreiche Diskographie ent-
hält das sinfonische Gesamtwerk von Berlioz, Brahms, Bruckner, Mahler,
Ravel, Schumann, Schostakowitsch, Skrjabin, Strawinsky, Richard Strauss
und der Zweiten Wiener Schule. Viele seiner Einspielungen wurden mit
Preisen wie dem Deutschen Schallplattenpreis, dem Grand Prix du Disque
und dem Prix Caecilia ausgezeichnet.
Von 2001 bis 2006 war Eliahu Inbal Chefdirigent des Konzerthausor-
chesters Berlin und ist heute dessen Ehrenmitglied.
Jörg Gudzuhn
Geboren 1945 in Seilershof/Ruppin. Von 1966–1970 be-
suchte der gelernte Maler die Staatliche Schauspielschule
»Ernst Busch« Berlin. Es folgten Bühnenengagements in
Karl-Marx-Stadt, in Potsdam und ab 1976 in Berlin am
Maxim Gorki Theater. Seit 1987 ist er Ensemblemitglied
am Deutschen Theater. Er spielte u. a. die Titelrollen in
Alexander Langs Inszenierungen »König Ödipus« und
»Othello« sowie den Dorfrichter Adam in Kleists »Der zerbrochne Krug«,
Regie Thomas Langhoff, den Sultan Saladin in »Nathan der Weise«, Regie
Friedo Solter, und in »Leben bis Männer oder: Der Fußballtrainer«, Regie
Peter Ensikat und »Sein oder Nichtsein«, Regie Raphael Sanchez. Großen
Erfolg hatte er auch als McMurphy in »Einer flog über das Kuckucksnest«.
Neben dem Theater ist Jörg Gudzuhn auch aus Film und Fernsehen bekannt:
In »Fallada – letztes Kapitel« (Regie: Roland Gräf) spielte er den zerrissenen
Schriftsteller in dessen letzten zehn Lebensjahren. 2000 wurde er als Bester
Darsteller in der Serie »Der letzte Zeuge« für den Deutschen Fernsehpreis
nominiert, 2008 erhielt er den Adolf-Grimme-Preis für »Viel Spaß mit meiner
20. Porträt der Mitwirkenden
Frau«. Jörg Gudzuhn ist seit vielen Jahren auch für den Rundfunk tätig: So er-
lebte man ihn sowohl in Kinder-Hörspielreihen als auch in Hörspielen für
Erwachsene wie Horst Hussels »Musik aus Gägelow«, welches 2002 mit dem
Hörspielpreis der Berliner Akademie der Künste ausgezeichnet wurde. Im
Konzerthaus Berlin war Gudzuhn schon mehrfach zu Gast, u. a. 1993 als
»Manfred« in einer konzertanten Aufführung der gleichnamigen Schauspiel-
musik von Robert Schumann und 2001 in Franz Schuberts Zauberspiel »Die
Zauberharfe«.
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Text Jens Schubbe
Redaktion Tanja-Maria Martens
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