Von Kabul Nach Stockholm Repatriierung Eines Schwedischen Soldaten Via Ambulanzflug
1. reportage Ambulanzflug
Von Kabul nach Stockholm:
Repatriierung eines schwedischen
Soldaten via Ambulanzflug
Autor: Im März 2010 erhält die Einsatzzentrale der Als Ambulanzflugzeug kommt ein Bombardier Learjet 36a
Philipp Schneider Med areProfessional GmbH den nicht alltäglichen
C zum Einsatz (Abb. 1). Das Flugzeug verfügt über eine
Rettungsassistent/ E
insatzauftrag, einen schwedischen Soldaten von Reichweite von 5.000 km, fliegt 800 km/h schnell mit einer
Chief Flight
Kabul nach Stockholm zu evakuieren. „Nicht alltäg- maximalen Reiseflughöhe von 12 km. Die Ausstattung des
Paramedic,
MedCareProfes-
lich“ ist nicht etwa das Krankheitsbild des Soldaten, Ambulanzflugzeugs wird generell durch die DIN 13234 für
sional GmbH – ein Myokardinfarkt, sondern vielmehr der Einsatzort Ambulanzflugzeuge vorgegeben. Die intensivmedizinische
Medical Flight in einem Krisengebiet. Ausrüstung des Flugzeugs wird durch die Ausstattungs-
Service, normen des European Aeromedical Instituts (EURAMI)
Z
Kerkenbusch 15,
ur Vorbereitung auf den anstehenden Transport erhält geregelt (Abb. 3). Hierzu gehören neben einem vollstän-
45529 Hattingen
(Ruhr),
die Medical Crew, bestehend aus Notarzt und Rettungs- digen Monitoringsystem (NIBD, IBD, ZVD, Pulsoxymetrie,
ph.schneider@ assistent, den detaillierten Arztbericht des ISAF-Truppen- Kapnometrie, 12-Kanal-EKG, Temperaturmessung) auch
medcareprofes- Hospitals in Kabul (Abb. 2). Hieraus geht hervor, dass sich ein Intensivrespirator, acht Perfusoren, ein transportables
sional.com der 46-jährige Patienten tags zuvor mit Brustschmerzen Blutgasanalysegerät, ein Intubationsbronchoskop mit Ab-
in der Notaufnahme vorstellte, wo durch die Militärärzte saugmöglichkeit sowie eine vollständige ITW-Ausrüstung.
ein Nicht-ST-Hebungs-Infarkt (Non-STEMI) diagnostiziert
wurde.
Der Patient gibt laut Bericht an, seit drei Tagen unter zu-
nehmenden Brustschmerzen zu leiden. Bei Aufnahme im
Hospital liegen normale Vitalparameter (RR 120/70, HF 65,
T 37 °C) ohne Anzeichen eines akuten Herzversagens vor.
EKG im Sinusrhythmus mit milder Elevation der ST-Strecke
in V1 und V2. Laborchemisch positiver Troponin-Test und
CPK 224 UI (Norm.: < 165). In der Echokardiographie sei
eine leichte Akinesie der medio-antero-septalen Wand bei
erhaltener linksventrikulärer Auswurfrate (LVEF) zu erken-
nen. Durch die späte Konsultation komme eine Throm-
bolyse nicht mehr in Frage. Der Patient wird vor Ort mit
Aspirin 250 mg, Clopidogrel 75 mg, Enoxaparin 100 mg
(2 x tägl.), Atenolol 25 mg (2 x tägl.), Atorvastatin 80 mg
sowie Perindopril 2,5 mg medikamentös behandelt. Der
zuständige Truppenarzt empfiehlt in seinem Bericht eine
schnelle Repatriierung des Patienten per Ambulanzflugzeug
ins Heimatland zur dortigen Angiographie und intensiv-
medizinischen Überwachung. Aufgrund der übermittelten
Parameter sowie der geschilderten Situation gilt der Patient
als transport- und flugfähig.
Abb. 2: Medical Report des ISAF-Hospitals
Abb. 1:
Learjet 36a, Air Ambulance in Trabzon (Türkei)
(Fotos: Ph. Schneider)
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2. Ambulanzflug reportage
Im Landeanflug auf Kabul stellt sich bei allen Crew-Mitglie-
dern ein mulmiges Gefühl ein (Abb. 4). Zwei Tage zuvor,
so konnten wir den einschlägigen Newstickern entnehmen,
wurde der Flughafen nachts mit Raketen beschossen, die
jedoch keinen größeren Schaden anrichteten. Tagsüber sei
das Risiko von Raketenbeschuss jedoch gering, wurde uns
mitgeteilt, da hoch über der Stadt ein Zeppelin schwebt,
der per Videoüberwachung die umliegenden Hügelketten
beobachtet (Abb. 5). Kabul liegt in einem Talkessel, um-
ringt von Hügeln, und man erahnt die Unübersichtlichkeit,
mit der die Soldaten vor Ort zu kämpfen haben. Am Bo-
den angekommen wird noch deutlicher, dass wir uns in
einem Krisengebiet befinden. Ständig starten und landen
Abb. 3: Equipment im Flugzeug Armeehubschrauber und die militärische Präsenz der be-
waffneten Soldaten, der internationalen Schutztruppe ISAF
Im Hinblick auf die oft langen Transportstrecken wird eine in voller Kampfmontur mit Splitterschutzwesten und Helm,
größere Anzahl an Medikamenten und Verbrauchsmaterial gibt uns nur ein bedingtes Gefühl der Sicherheit (Abb. 6).
vorgehalten. Weiterhin befinden sich alle lebenswichtigen Es ist klar, dass wir uns an diesem Ort nicht länger als nö-
Geräte (Respirator, Monitoringsystem etc.) an Bord. tig aufhalten wollen. Das Flugzeug wird betankt. Auf dem
Tanklaster klebt ein Aufkleber, auf dem zu lesen ist „We are
Aufgrund der Flugdistanz von ca. 6.000 km zum Einsatzort doing difficult jobs in difficult areas“. Dies trifft nun wohl
muss ein Tankstopp sowohl auf dem Hin- als auch auf dem auch auf uns zu. Aus Sicherheitsgründen kann der Patient
Rückflug eingeplant werden. Da die Piloten eine maximale erst nach dem Tankvorgang in die Kabine gebracht wer-
Dienstzeit von 13 Stunden nicht überschreiten dürfen, ist den. Der Rettungswagen des ISAF-Hospitals hält derweil
zudem für den Einsatz eine Übernachtung nötig. Wegen einen größeren Sicherheitsabstand. Wir nutzen die Zeit
der prekären Sicherheitslage in Afghanistan wird die Ent- für ein knappes Übergabegespräch mit der militärischen
scheidung getroffen, nicht in Kabul, sondern beim nötigen Rettungswagenbesatzung, die den Transport des Patienten
Tankstopp in Trabzon (Türkei) zu übernachten, um am zum Flughafen begleitet hat (Abb. 7).
folgenden Tag den Patiententransport durchzuführen.
Erster Einsatztag
17.00 Uhr MEZ: Das Ambulanzflugzeug wird am
Standort Flughafen Köln-Bonn mit
dem medizinischen Equipment
eingerüstet.
18.00 Uhr MEZ: Take Off in Köln-Bonn
21.15 Uhr MEZ: Ankunft in Trabzon (Türkei), Auftan-
ken des Flugzeugs, Fahrt ins Hotel
und Übernachtung
Zweiter Einsatztag
7.00 Uhr MEZ: Take Off in Trabzon
10.20 Uhr MEZ: Landung in Kabul und Übernahme
des Patienten
12.00 Uhr MEZ: Take Off in Kabul
16.30 Uhr MEZ: Tankstopp in Astrakhan (Russland)
17.30 Uhr MEZ: Take Off in Astrakhan
Hubert Schmitz
21.45 Uhr MEZ: Landung in Stockholm (Schweden),
Begleitung des Patienten ins
Universitätskrankenhaus Stockholm
23.00 Uhr MEZ: Ankunft einer frischen Pilotencrew
per Linienflugzeug in Stockholm,
die alte Besatzung darf wegen der
maximalen Flugdienstzeit nicht
selbst weiterfliegen.
00.00 Uhr MEZ: Take Off in Stockholm mit frischer
Pilotencrew
2.00 Uhr MEZ: Ankunft in Köln-Bonn,
Abrüsten des Ambulanzflugzeugs
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3. reportage Ambulanzflug
Der Zustand des Patienten ist, wie im Arztbrief beschrie- erfolgt der Start. Allen, selbst dem Patienten, der seit
ben, unter Fortführung der medikamentösen Therapie fünf Jahren in Afghanistan stationiert war, ist eine deut-
stabil. Er ist wach und kooperativ, schmerzfrei, ohne pek- liche Erleichterung anzumerken, als die Reiseflughöhe auf
tangiöse Beschwerden seit Therapiebeginn (Abb. 8). Uns 12 Kilometern erreicht ist.
werden die medizinischen Unterlagen sowie Medikamente
für die nächsten 24 Stunden übergeben (Medikation s.o.). Der weitere Lufttransport, mit einem Tankstopp in Astrak-
Der Tankvorgang ist beendet und wir können nun mit dem han (Russland), verläuft ohne Zwischenfälle. Zusätzlich
Ambulanzfahrzeug zum Flugzeug fahren. Der Patient wird zum permanenten Monitoring schreiben wir auf beiden
vor dem Flugzeug umgelagert und das Monitoring (EKG, Flugstrecken ein 12-Kanal-EKG (Brustwandableitung),
NIBD, SaO2) wird übernommen (Abb. 9). um es mit dem letzten EKG-Ausdruck des Hospitals,
das kurz vor der Entlassung des Patienten geschrieben
Der Patient hat zwei periphervenöse Zugänge am rechten wurde, zu vergleichen. Es treten keine weiteren erkenn-
und linken Unterarm. Ein Zugang ist per Mandrin gesi- baren Veränderungen im EKG auf. In Stockholm gelandet
chert, der andere mit einer Ringerinfusion offen gehalten. wartet auch schon ein Ambulanzfahrzeug auf uns. Um
Nach Übernahme in die Flugzeugkabine ist der Patient Informationsverlusten vorzubeugen und zur Sicherheit
weiterhin stabil (RR 120/60, HF 68, EKG Sinusrhythmus, des Patienten wird der weitere Bodentransport durch
SaO2 93%). Für den Flug werden dem Patienten wegen uns und mit unserem Equipment begleitet. In der Stock-
der veränderten Atmosphäre auf Reiseflughöhe und dem holmer Universitätsklinik wird der Patient schon auf der
damit verbundenen Abfall von Luftdruck und Sauerstoff- Intensivstation erwartet und es erfolgt ein ausführliches
partialdruck drei Liter Sauerstoff über eine Nasensonde Übergabegespräch anhand der uns vorliegenden Daten
verabreicht. Unter permanentem Blick auf den Monitor und Aufzeichnungen. Der Patient ist glücklich, im Hei-
Abb. 4:
Airport Kabul
(Afghanistan)
Abb. 5:
Im Landeanflug
auf Kabul Abb. 7: Militärisches Ambulanzfahrzeug
Abb. 6:
Militärhelikopter
am Flughafen
Kabul
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4. Ambulanzflug reportage
Abb. 8: Patient
matland angekommen zu sein und dankt uns herzlich. bundenen Transportmöglichkeiten und diese sind meist im Ambulanz-
Zurück am Flughafen Stockholm erwartet uns schon eine in Form von großen Militärmaschinen wie der Transall flugzeug
frische Pilotencrew, da die Einsatzpiloten am zeitlichen oder dem MedEvac-Airbus der Bundeswehr präsent. Abb. 9:
Limit ihres Tagespensums angekommen sind, um zurück Diese Maschinen sind für eine große Anzahl an Passagieren Übernahme des
nach Köln-Bonn zu fliegen. ausgelegt und deren Einsatz dementsprechend für einen Patienten
einzelnen Patienten sehr teuer. Meist werden verwundete
Soldaten in Krisengebieten gesammelt transportiert. Eine
Fazit entsprechende Wartezeit auf den Abtransport ist damit
Rückblickend war dieser Einsatz medizinisch sicherlich gerechtfertigt, dass eine adäquate chirurgische und inten-
keine Herausforderung, jedoch sind alle Beteiligten um ei- sivmedizinische Behandlung in den Militärhospitälern und
ne Erfahrung reicher. Ein Gefühl für diesen Einsatz bleibt Feldlazaretten vorgehalten wird. In speziellen Fällen jedoch
und keiner möchte so schnell zurück. Doch wahrscheinlich wird eine schnellere Evakuierung eines Patienten nötig.
werden Einsätze dieser Art keine Einzelfälle bleiben. Das Etwa dann, wenn vor Ort bei einem Myokardinfarkt kein
Militär verfügt nur über eine begrenzte Anzahl an luftge- Herzkatheterlabor vorhanden ist. � ■
Wir sind drin