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reportage                            Ambulanzflug




                         Von Kabul nach Stockholm:
                         Repatriierung eines schwedischen
                         Soldaten via Ambulanzflug
Autor:                   Im März 2010 erhält die Einsatzzentrale der                    Als Ambulanzflugzeug kommt ein Bombardier Learjet 36a
Philipp Schneider        Med­ areProfessional GmbH den nicht alltäglichen
                              C                                                         zum Einsatz (Abb. 1). Das Flugzeug verfügt über eine
Rettungsassistent/       E
                         ­ insatzauftrag, einen schwedischen Soldaten von               Reichweite von 5.000 km, fliegt 800 km/h schnell mit einer
Chief Flight
                         Kabul nach Stockholm zu evakuieren. „Nicht alltäg-             maximalen Reiseflughöhe von 12 km. Die Ausstattung des
Paramedic,
MedCareProfes-
                         lich“ ist nicht etwa das Krankheitsbild des Soldaten,          Ambulanzflugzeugs wird generell durch die DIN 13234 für
sional GmbH –            ein Myokardinfarkt, sondern vielmehr der Einsatzort            Ambulanzflugzeuge vorgegeben. Die intensivmedizinische
Medical Flight           in einem Krisengebiet.                                         Ausrüstung des Flugzeugs wird durch die Ausstattungs-
Service,                                                                                normen des European Aeromedical Instituts (EURAMI)

                         Z
Kerkenbusch 15,
                              ur Vorbereitung auf den anstehenden Transport erhält      geregelt (Abb. 3). Hierzu gehören neben einem vollstän-
45529 Hattingen
(Ruhr),
                              die Medical Crew, bestehend aus Notarzt und Rettungs-     digen Monitoringsystem (NIBD, IBD, ZVD, Pulsoxymetrie,
ph.schneider@            assistent, den detaillierten Arztbericht des ISAF-Truppen-     Kapnometrie, 12-Kanal-EKG, Temperaturmessung) auch
medcareprofes-           Hospitals in Kabul (Abb. 2). Hieraus geht hervor, dass sich    ein Intensivrespirator, acht Perfusoren, ein transportables
sional.com               der 46-jährige Patienten tags zuvor mit Brustschmerzen         Blutgasanalysegerät, ein Intubationsbronchoskop mit Ab-
                         in der Notaufnahme vorstellte, wo durch die Militärärzte       saugmöglichkeit sowie eine vollständige ITW-Ausrüstung.
                         ein Nicht-ST-Hebungs-Infarkt (Non-STEMI) diagnostiziert
                         wurde.

                         Der Patient gibt laut Bericht an, seit drei Tagen unter zu-
                         nehmenden Brustschmerzen zu leiden. Bei Aufnahme im
                         Hospital liegen normale Vitalparameter (RR 120/70, HF 65,
                         T 37 °C) ohne Anzeichen eines akuten Herzversagens vor.
                         EKG im Sinusrhythmus mit milder Elevation der ST-Strecke
                         in V1 und V2. Laborchemisch positiver Troponin-Test und
                         CPK 224 UI (Norm.: < 165). In der Echokardiographie sei
                         eine leichte Akinesie der medio-antero-septalen Wand bei
                         erhaltener linksventrikulärer Auswurfrate (LVEF) zu erken-
                         nen. Durch die späte Konsultation komme eine Throm-
                         bolyse nicht mehr in Frage. Der Patient wird vor Ort mit
                         Aspirin 250 mg, Clopidogrel 75 mg, Enoxaparin 100 mg
                         (2 x tägl.), Atenolol 25 mg (2 x tägl.), Atorvastatin 80 mg
                         sowie Perindopril 2,5 mg medikamentös behandelt. Der
                         zuständige Truppenarzt empfiehlt in seinem Bericht eine
                         schnelle Repatriierung des Patienten per Ambulanzflugzeug
                         ins Heimatland zur dortigen Angiographie und intensiv-
                         medizinischen Überwachung. Aufgrund der übermittelten
                         Parameter sowie der geschilderten Situation gilt der Patient
                         als transport- und flugfähig.
                                                                                                            Abb. 2: Medical Report des ISAF-Hospitals


Abb. 1:
Learjet 36a, Air Ambulance in Trabzon (Türkei)
(Fotos: Ph. Schneider)




I 70 I                                                                                                    6 · 2010 I 33. Jahrgang I Rettungsdienst I 586
Ambulanzflug                            reportage



                                                             Im Landeanflug auf Kabul stellt sich bei allen Crew-Mitglie-
                                                             dern ein mulmiges Gefühl ein (Abb. 4). Zwei Tage zuvor,
                                                             so konnten wir den einschlägigen Newstickern entnehmen,
                                                             wurde der Flughafen nachts mit Raketen beschossen, die
                                                             jedoch keinen größeren Schaden anrichteten. Tagsüber sei
                                                             das Risiko von Raketenbeschuss jedoch gering, wurde uns
                                                             mitgeteilt, da hoch über der Stadt ein Zeppelin schwebt,
                                                             der per Videoüberwachung die umliegenden Hügelketten
                                                             beobachtet (Abb. 5). Kabul liegt in einem Talkessel, um-
                                                             ringt von Hügeln, und man erahnt die Unübersichtlichkeit,
                                                             mit der die Soldaten vor Ort zu kämpfen haben. Am Bo-
                                                             den angekommen wird noch deutlicher, dass wir uns in
                                                             einem Krisengebiet befinden. Ständig starten und landen
Abb. 3: Equipment im Flugzeug                                Armeehubschrauber und die militärische Präsenz der be-
                                                             waffneten Soldaten, der internationalen Schutztruppe ISAF
Im Hinblick auf die oft langen Transportstrecken wird eine   in voller Kampfmontur mit Splitterschutzwesten und Helm,
größere Anzahl an Medikamenten und Verbrauchsmaterial        gibt uns nur ein bedingtes Gefühl der Sicherheit (Abb. 6).
vorgehalten. Weiterhin befinden sich alle lebenswichtigen    Es ist klar, dass wir uns an diesem Ort nicht länger als nö-
Geräte (Respirator, Monitoringsystem etc.) an Bord.          tig aufhalten wollen. Das Flugzeug wird betankt. Auf dem
                                                             Tanklaster klebt ein Aufkleber, auf dem zu lesen ist „We are
Aufgrund der Flugdistanz von ca. 6.000 km zum Einsatzort     doing difficult jobs in difficult areas“. Dies trifft nun wohl
muss ein Tankstopp sowohl auf dem Hin- als auch auf dem      auch auf uns zu. Aus Sicherheitsgründen kann der Patient
Rückflug eingeplant werden. Da die Piloten eine maximale     erst nach dem Tankvorgang in die Kabine gebracht wer-
Dienstzeit von 13 Stunden nicht überschreiten dürfen, ist    den. Der Rettungswagen des ISAF-Hospitals hält derweil
zudem für den Einsatz eine Übernachtung nötig. Wegen         einen größeren Sicherheitsabstand. Wir nutzen die Zeit
der prekären Sicherheitslage in Afghanistan wird die Ent-    für ein knappes Übergabegespräch mit der militärischen
scheidung getroffen, nicht in Kabul, sondern beim nötigen    Rettungswagenbesatzung, die den Transport des Patienten
Tankstopp in Trabzon (Türkei) zu übernachten, um am          zum Flughafen begleitet hat (Abb. 7).
folgenden Tag den Patiententransport durchzuführen.

 Erster Einsatztag
 17.00 Uhr MEZ: 	 Das Ambulanzflugzeug wird am
                  Standort Flughafen Köln-Bonn mit
                  dem medizinischen Equipment
                  eingerüstet.
 18.00 Uhr MEZ:	 Take Off in Köln-Bonn
 21.15 Uhr MEZ:	 Ankunft in Trabzon (Türkei), Auftan-
                  ken des Flugzeugs, Fahrt ins Hotel
                  und Übernachtung

 Zweiter Einsatztag
  7.00 Uhr MEZ:	 Take Off in Trabzon
 10.20 Uhr MEZ:	 Landung in Kabul und Übernahme
                 des Patienten
 12.00 Uhr MEZ:	 Take Off in Kabul
 16.30 Uhr MEZ:	 Tankstopp in Astrakhan (Russland)
 17.30 Uhr MEZ:	 Take Off in Astrakhan
                                                                          Hubert Schmitz
 21.45 Uhr MEZ:	 Landung in Stockholm (Schweden),
                 Begleitung des Patienten ins
                 Universitätskrankenhaus Stockholm
 23.00 Uhr MEZ:	 Ankunft einer frischen Pilotencrew
                 per Linienflugzeug in Stockholm,
                 die alte Besatzung darf wegen der
                 maximalen Flugdienstzeit nicht
                 selbst weiterfliegen.
 00.00 Uhr MEZ:	 Take Off in Stockholm mit frischer
                 Pilotencrew
 2.00 Uhr MEZ:	 Ankunft in Köln-Bonn,
                 Abrüsten des Ambulanzflugzeugs



6 · 2010 I 33. Jahrgang I Rettungsdienst I 587                                                                                  I 71 I
reportage                       Ambulanzflug




                    Der Zustand des Patienten ist, wie im Arztbrief beschrie-    erfolgt der Start. Allen, selbst dem Patienten, der seit
                    ben, unter Fortführung der medikamentösen Therapie           fünf Jahren in Afghanistan stationiert war, ist eine deut-
                    stabil. Er ist wach und kooperativ, schmerzfrei, ohne pek-   liche Erleichterung anzumerken, als die Reiseflughöhe auf
                    tangiöse Beschwerden seit Therapiebeginn (Abb. 8). Uns       12 Kilometern erreicht ist.
                    werden die medizinischen Unterlagen sowie Medikamente
                    für die nächsten 24 Stunden übergeben (Medikation s.o.).     Der weitere Lufttransport, mit einem Tankstopp in Astrak-
                    Der Tankvorgang ist beendet und wir können nun mit dem       han (Russland), verläuft ohne Zwischenfälle. Zusätzlich
                    Ambulanzfahrzeug zum Flugzeug fahren. Der Patient wird       zum permanenten Monitoring schreiben wir auf beiden
                    vor dem Flugzeug umgelagert und das Monitoring (EKG,         Flugstrecken ein 12-Kanal-EKG (Brustwandableitung),
                    NIBD, SaO2) wird übernommen (Abb. 9).                        um es mit dem letzten EKG-Ausdruck des Hospitals,
                                                                                 das kurz vor der Entlassung des Patienten geschrieben
                    Der Patient hat zwei periphervenöse Zugänge am rechten       wurde, zu vergleichen. Es treten keine weiteren erkenn-
                    und linken Unterarm. Ein Zugang ist per Mandrin gesi-        baren Veränderungen im EKG auf. In Stockholm gelandet
                    chert, der andere mit einer Ringerinfusion offen gehalten.   wartet auch schon ein Ambulanzfahrzeug auf uns. Um
                    Nach Übernahme in die Flugzeugkabine ist der Patient         Informationsverlusten vorzubeugen und zur Sicherheit
                    weiterhin stabil (RR 120/60, HF 68, EKG Sinusrhythmus,       des Patienten wird der weitere Bodentransport durch
                    SaO2 93%). Für den Flug werden dem Patienten wegen           uns und mit unserem Equipment begleitet. In der Stock-
                    der veränderten Atmosphäre auf Reiseflughöhe und dem         holmer Universitätsklinik wird der Patient schon auf der
                    damit verbundenen Abfall von Luftdruck und Sauerstoff-       Intensivstation erwartet und es erfolgt ein ausführliches
                    partialdruck drei Liter Sauerstoff über eine Nasensonde      Übergabegespräch anhand der uns vorliegenden Daten
                    verabreicht. Unter permanentem Blick auf den Monitor         und Aufzeichnungen. Der Patient ist glücklich, im Hei-




Abb. 4:
Airport Kabul
(Afghanistan)




Abb. 5:
Im Landeanflug
auf Kabul                                                                        Abb. 7: Militärisches Ambulanzfahrzeug

Abb. 6:
Militärhelikopter
am Flughafen
Kabul




I 72 I
Ambulanzflug                          reportage




                                                                                                                            Abb. 8: Patient
matland angekommen zu sein und dankt uns herzlich.           bundenen Transportmöglichkeiten und diese sind meist           im Ambulanz-
Zurück am Flughafen Stockholm erwartet uns schon eine        in Form von großen Militärmaschinen wie der Transall           flugzeug
frische Pilotencrew, da die Einsatzpiloten am zeitlichen     oder dem MedEvac-Airbus der Bundeswehr präsent.                Abb. 9:
Limit ihres Tagespensums angekommen sind, um zurück          Diese Maschinen sind für eine große Anzahl an Passagieren      Übernahme des
nach Köln-Bonn zu fliegen.                                   ausgelegt und deren Einsatz dementsprechend für einen          Patienten
                                                             einzelnen Patienten sehr teuer. Meist werden verwundete
                                                             Soldaten in Krisengebieten gesammelt transportiert. Eine
Fazit                                                        entsprechende Wartezeit auf den Abtransport ist damit
Rückblickend war dieser Einsatz medizinisch sicherlich       gerechtfertigt, dass eine adäquate chirurgische und inten-
keine Herausforderung, jedoch sind alle Beteiligten um ei-   sivmedizinische Behandlung in den Militärhospitälern und
ne Erfahrung reicher. Ein Gefühl für diesen Einsatz bleibt   Feldlazaretten vorgehalten wird. In speziellen Fällen jedoch
und keiner möchte so schnell zurück. Doch wahrscheinlich     wird eine schnellere Evakuierung eines Patienten nötig.
werden Einsätze dieser Art keine Einzelfälle bleiben. Das    Etwa dann, wenn vor Ort bei einem Myokardinfarkt kein
Militär verfügt nur über eine begrenzte Anzahl an luftge-    Herzkatheterlabor vorhanden ist. 	                       � ■




                                                   Wir sind drin

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Von Kabul Nach Stockholm Repatriierung Eines Schwedischen Soldaten Via Ambulanzflug

  • 1. reportage Ambulanzflug Von Kabul nach Stockholm: Repatriierung eines schwedischen Soldaten via Ambulanzflug Autor: Im März 2010 erhält die Einsatzzentrale der Als Ambulanzflugzeug kommt ein Bombardier Learjet 36a Philipp Schneider Med­ areProfessional GmbH den nicht alltäglichen C zum Einsatz (Abb. 1). Das Flugzeug verfügt über eine Rettungsassistent/ E ­ insatzauftrag, einen schwedischen Soldaten von Reichweite von 5.000 km, fliegt 800 km/h schnell mit einer Chief Flight Kabul nach Stockholm zu evakuieren. „Nicht alltäg- maximalen Reiseflughöhe von 12 km. Die Ausstattung des Paramedic, MedCareProfes- lich“ ist nicht etwa das Krankheitsbild des Soldaten, Ambulanzflugzeugs wird generell durch die DIN 13234 für sional GmbH – ein Myokardinfarkt, sondern vielmehr der Einsatzort Ambulanzflugzeuge vorgegeben. Die intensivmedizinische Medical Flight in einem Krisengebiet. Ausrüstung des Flugzeugs wird durch die Ausstattungs- Service, normen des European Aeromedical Instituts (EURAMI) Z Kerkenbusch 15, ur Vorbereitung auf den anstehenden Transport erhält geregelt (Abb. 3). Hierzu gehören neben einem vollstän- 45529 Hattingen (Ruhr), die Medical Crew, bestehend aus Notarzt und Rettungs- digen Monitoringsystem (NIBD, IBD, ZVD, Pulsoxymetrie, ph.schneider@ assistent, den detaillierten Arztbericht des ISAF-Truppen- Kapnometrie, 12-Kanal-EKG, Temperaturmessung) auch medcareprofes- Hospitals in Kabul (Abb. 2). Hieraus geht hervor, dass sich ein Intensivrespirator, acht Perfusoren, ein transportables sional.com der 46-jährige Patienten tags zuvor mit Brustschmerzen Blutgasanalysegerät, ein Intubationsbronchoskop mit Ab- in der Notaufnahme vorstellte, wo durch die Militärärzte saugmöglichkeit sowie eine vollständige ITW-Ausrüstung. ein Nicht-ST-Hebungs-Infarkt (Non-STEMI) diagnostiziert wurde. Der Patient gibt laut Bericht an, seit drei Tagen unter zu- nehmenden Brustschmerzen zu leiden. Bei Aufnahme im Hospital liegen normale Vitalparameter (RR 120/70, HF 65, T 37 °C) ohne Anzeichen eines akuten Herzversagens vor. EKG im Sinusrhythmus mit milder Elevation der ST-Strecke in V1 und V2. Laborchemisch positiver Troponin-Test und CPK 224 UI (Norm.: < 165). In der Echokardiographie sei eine leichte Akinesie der medio-antero-septalen Wand bei erhaltener linksventrikulärer Auswurfrate (LVEF) zu erken- nen. Durch die späte Konsultation komme eine Throm- bolyse nicht mehr in Frage. Der Patient wird vor Ort mit Aspirin 250 mg, Clopidogrel 75 mg, Enoxaparin 100 mg (2 x tägl.), Atenolol 25 mg (2 x tägl.), Atorvastatin 80 mg sowie Perindopril 2,5 mg medikamentös behandelt. Der zuständige Truppenarzt empfiehlt in seinem Bericht eine schnelle Repatriierung des Patienten per Ambulanzflugzeug ins Heimatland zur dortigen Angiographie und intensiv- medizinischen Überwachung. Aufgrund der übermittelten Parameter sowie der geschilderten Situation gilt der Patient als transport- und flugfähig. Abb. 2: Medical Report des ISAF-Hospitals Abb. 1: Learjet 36a, Air Ambulance in Trabzon (Türkei) (Fotos: Ph. Schneider) I 70 I 6 · 2010 I 33. Jahrgang I Rettungsdienst I 586
  • 2. Ambulanzflug reportage Im Landeanflug auf Kabul stellt sich bei allen Crew-Mitglie- dern ein mulmiges Gefühl ein (Abb. 4). Zwei Tage zuvor, so konnten wir den einschlägigen Newstickern entnehmen, wurde der Flughafen nachts mit Raketen beschossen, die jedoch keinen größeren Schaden anrichteten. Tagsüber sei das Risiko von Raketenbeschuss jedoch gering, wurde uns mitgeteilt, da hoch über der Stadt ein Zeppelin schwebt, der per Videoüberwachung die umliegenden Hügelketten beobachtet (Abb. 5). Kabul liegt in einem Talkessel, um- ringt von Hügeln, und man erahnt die Unübersichtlichkeit, mit der die Soldaten vor Ort zu kämpfen haben. Am Bo- den angekommen wird noch deutlicher, dass wir uns in einem Krisengebiet befinden. Ständig starten und landen Abb. 3: Equipment im Flugzeug Armeehubschrauber und die militärische Präsenz der be- waffneten Soldaten, der internationalen Schutztruppe ISAF Im Hinblick auf die oft langen Transportstrecken wird eine in voller Kampfmontur mit Splitterschutzwesten und Helm, größere Anzahl an Medikamenten und Verbrauchsmaterial gibt uns nur ein bedingtes Gefühl der Sicherheit (Abb. 6). vorgehalten. Weiterhin befinden sich alle lebenswichtigen Es ist klar, dass wir uns an diesem Ort nicht länger als nö- Geräte (Respirator, Monitoringsystem etc.) an Bord. tig aufhalten wollen. Das Flugzeug wird betankt. Auf dem Tanklaster klebt ein Aufkleber, auf dem zu lesen ist „We are Aufgrund der Flugdistanz von ca. 6.000 km zum Einsatzort doing difficult jobs in difficult areas“. Dies trifft nun wohl muss ein Tankstopp sowohl auf dem Hin- als auch auf dem auch auf uns zu. Aus Sicherheitsgründen kann der Patient Rückflug eingeplant werden. Da die Piloten eine maximale erst nach dem Tankvorgang in die Kabine gebracht wer- Dienstzeit von 13 Stunden nicht überschreiten dürfen, ist den. Der Rettungswagen des ISAF-Hospitals hält derweil zudem für den Einsatz eine Übernachtung nötig. Wegen einen größeren Sicherheitsabstand. Wir nutzen die Zeit der prekären Sicherheitslage in Afghanistan wird die Ent- für ein knappes Übergabegespräch mit der militärischen scheidung getroffen, nicht in Kabul, sondern beim nötigen Rettungswagenbesatzung, die den Transport des Patienten Tankstopp in Trabzon (Türkei) zu übernachten, um am zum Flughafen begleitet hat (Abb. 7). folgenden Tag den Patiententransport durchzuführen. Erster Einsatztag 17.00 Uhr MEZ: Das Ambulanzflugzeug wird am Standort Flughafen Köln-Bonn mit dem medizinischen Equipment eingerüstet. 18.00 Uhr MEZ: Take Off in Köln-Bonn 21.15 Uhr MEZ: Ankunft in Trabzon (Türkei), Auftan- ken des Flugzeugs, Fahrt ins Hotel und Übernachtung Zweiter Einsatztag 7.00 Uhr MEZ: Take Off in Trabzon 10.20 Uhr MEZ: Landung in Kabul und Übernahme des Patienten 12.00 Uhr MEZ: Take Off in Kabul 16.30 Uhr MEZ: Tankstopp in Astrakhan (Russland) 17.30 Uhr MEZ: Take Off in Astrakhan Hubert Schmitz 21.45 Uhr MEZ: Landung in Stockholm (Schweden), Begleitung des Patienten ins Universitätskrankenhaus Stockholm 23.00 Uhr MEZ: Ankunft einer frischen Pilotencrew per Linienflugzeug in Stockholm, die alte Besatzung darf wegen der maximalen Flugdienstzeit nicht selbst weiterfliegen. 00.00 Uhr MEZ: Take Off in Stockholm mit frischer Pilotencrew 2.00 Uhr MEZ: Ankunft in Köln-Bonn, Abrüsten des Ambulanzflugzeugs 6 · 2010 I 33. Jahrgang I Rettungsdienst I 587 I 71 I
  • 3. reportage Ambulanzflug Der Zustand des Patienten ist, wie im Arztbrief beschrie- erfolgt der Start. Allen, selbst dem Patienten, der seit ben, unter Fortführung der medikamentösen Therapie fünf Jahren in Afghanistan stationiert war, ist eine deut- stabil. Er ist wach und kooperativ, schmerzfrei, ohne pek- liche Erleichterung anzumerken, als die Reiseflughöhe auf tangiöse Beschwerden seit Therapiebeginn (Abb. 8). Uns 12 Kilometern erreicht ist. werden die medizinischen Unterlagen sowie Medikamente für die nächsten 24 Stunden übergeben (Medikation s.o.). Der weitere Lufttransport, mit einem Tankstopp in Astrak- Der Tankvorgang ist beendet und wir können nun mit dem han (Russland), verläuft ohne Zwischenfälle. Zusätzlich Ambulanzfahrzeug zum Flugzeug fahren. Der Patient wird zum permanenten Monitoring schreiben wir auf beiden vor dem Flugzeug umgelagert und das Monitoring (EKG, Flugstrecken ein 12-Kanal-EKG (Brustwandableitung), NIBD, SaO2) wird übernommen (Abb. 9). um es mit dem letzten EKG-Ausdruck des Hospitals, das kurz vor der Entlassung des Patienten geschrieben Der Patient hat zwei periphervenöse Zugänge am rechten wurde, zu vergleichen. Es treten keine weiteren erkenn- und linken Unterarm. Ein Zugang ist per Mandrin gesi- baren Veränderungen im EKG auf. In Stockholm gelandet chert, der andere mit einer Ringerinfusion offen gehalten. wartet auch schon ein Ambulanzfahrzeug auf uns. Um Nach Übernahme in die Flugzeugkabine ist der Patient Informationsverlusten vorzubeugen und zur Sicherheit weiterhin stabil (RR 120/60, HF 68, EKG Sinusrhythmus, des Patienten wird der weitere Bodentransport durch SaO2 93%). Für den Flug werden dem Patienten wegen uns und mit unserem Equipment begleitet. In der Stock- der veränderten Atmosphäre auf Reiseflughöhe und dem holmer Universitätsklinik wird der Patient schon auf der damit verbundenen Abfall von Luftdruck und Sauerstoff- Intensivstation erwartet und es erfolgt ein ausführliches partialdruck drei Liter Sauerstoff über eine Nasensonde Übergabegespräch anhand der uns vorliegenden Daten verabreicht. Unter permanentem Blick auf den Monitor und Aufzeichnungen. Der Patient ist glücklich, im Hei- Abb. 4: Airport Kabul (Afghanistan) Abb. 5: Im Landeanflug auf Kabul Abb. 7: Militärisches Ambulanzfahrzeug Abb. 6: Militärhelikopter am Flughafen Kabul I 72 I
  • 4. Ambulanzflug reportage Abb. 8: Patient matland angekommen zu sein und dankt uns herzlich. bundenen Transportmöglichkeiten und diese sind meist im Ambulanz- Zurück am Flughafen Stockholm erwartet uns schon eine in Form von großen Militärmaschinen wie der Transall flugzeug frische Pilotencrew, da die Einsatzpiloten am zeitlichen oder dem MedEvac-Airbus der Bundeswehr präsent. Abb. 9: Limit ihres Tagespensums angekommen sind, um zurück Diese Maschinen sind für eine große Anzahl an Passagieren Übernahme des nach Köln-Bonn zu fliegen. ausgelegt und deren Einsatz dementsprechend für einen Patienten einzelnen Patienten sehr teuer. Meist werden verwundete Soldaten in Krisengebieten gesammelt transportiert. Eine Fazit entsprechende Wartezeit auf den Abtransport ist damit Rückblickend war dieser Einsatz medizinisch sicherlich gerechtfertigt, dass eine adäquate chirurgische und inten- keine Herausforderung, jedoch sind alle Beteiligten um ei- sivmedizinische Behandlung in den Militärhospitälern und ne Erfahrung reicher. Ein Gefühl für diesen Einsatz bleibt Feldlazaretten vorgehalten wird. In speziellen Fällen jedoch und keiner möchte so schnell zurück. Doch wahrscheinlich wird eine schnellere Evakuierung eines Patienten nötig. werden Einsätze dieser Art keine Einzelfälle bleiben. Das Etwa dann, wenn vor Ort bei einem Myokardinfarkt kein Militär verfügt nur über eine begrenzte Anzahl an luftge- Herzkatheterlabor vorhanden ist. � ■ Wir sind drin